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Wie ich die Hoffnung bewahrte, als ich wegen Kokainschmuggels im Gefängnis saß

Während meiner 26 Jahre in US-Gefängnissen habe ich meinen Bachelor und Master gemacht, mehrere Bücher veröffentlicht und die Liebe meines Lebens gefunden.

Am 11. August 1987 verließ ich einen Aufzug und lief auf meine Wohnung auf der floridianischen Insel Key Biscayne zu. Ich sah drei fremde Männer, die in der Nähe meiner Tür herumlungerten. Sie trugen dunkelblaue Jacken und Baseballkappen und ihre Augen durchbohrten mich, während ich auf sie zulief.

„Wie heißen Sie?", bellte einer der Männer. Er sprach wie jemand, der es gewöhnt war, dass seine Fragen beantwortet werden.

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„Ich bin Michael Santos."

Sofort zogen die drei Männer Handfeuerwaffen und richteten sie auf meinen Kopf. „Sie sind festgenommen! Hände hoch. Drehen Sie sich zur Wand." Einer der Typen trat schnell hinter mich, um mich in Handschellen zu legen und zu durchsuchen.

Ich wusste, dass meine Zeit gekommen war. Ich war 23 Jahre alt und hatte die vergangenen zwei Jahre eine Operation zum Kokainverkauf geleitet. Ich hatte Freunde aus meiner Schulzeit in Seattle rekrutiert. Sie flogen nach Miami, um mehrere Kilo abzuholen, die ich gekauft hatte. In Mietautos fuhren sie das Kokain zurück nach Seattle und verteilten es auf meine Anweisung hin an Kunden. Ich hatte mich, naiv wie ich war, in Sicherheit gewähnt, weil ich selbst nie direkt mit dem Kokain in Berührung kam.

Ich hatte mich geirrt.

„Wir lassen Sie nach Hause gehen, wenn Sie mit uns kooperieren und uns Ihrem Lieferanten vorstellen", sagte mir ein Agent der Drug Enforcement Agency.

Ich schwieg und ignorierte die Versuche des Agenten, mich zum Informanten zu machen. Es war nicht so, dass ich mich als kaltschnäuzigen Verbrecher sah. Ich war einfach nur dumm und verstand nicht, in wie großen Schwierigkeiten ich steckte.

„Sie wurden wegen Führung einer kriminellen Unternehmung angezeigt."

Ich hatte noch nie im Gefängnis gesessen. Als wir das Inselparadies Key Biscayne hinter uns ließen und in die zwielichtigeren Viertel von Miami fuhren, fragte ich mich, was mir wohl bevorstand. Ich versuchte, stoisch zu bleiben und abzuwarten, wie der Prozess sich entwickeln würde.

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„Ihnen winkt lebenslänglich ohne Bewährung. Glauben Sie, dass Sie damit klarkommen?"

Diese Drohung ergab für mich keinen Sinn. Bei allen, die in meinen Fall verwickelt gewesen waren, hatte es sich um voll zustimmende Erwachsene gehandelt, und niemand hatte Waffen oder Gewalt eingesetzt. Ich sah aus dem Fenster, während die Agenten sprachen, und sagte mir, dass sie nur versuchen, mich einzuschüchtern. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich nichts anderes als freigelassen werden. Der Strafverteidiger, den ich mehrere Monate zuvor angeheuert hatte, hatte mir geraten zu schweigen, falls ich je verhaftet werden sollte. Ich hoffte, dass er mich da rausholen konnte, doch tief im Inneren wusste ich, dass ich ein sehr großes Problem hatte.

Es sollte sich herausstellen, dass ich nach meiner Festnahme ziemlich dumme Entscheidungen getroffen hatte. Anstatt die Verantwortung zu übernehmen und mich schuldig zu bekennen, stellte ich die Regierung auf die Probe und zwang die Strafverfolger, mich in einem Prozess mit Jury zu überführen. Während der Verhandlung ging ich zu meiner Verteidigung in den Zeugenstand. Eine Gerichtsdienerin hielt mir eine Bibel hin und wies mich an, meine Hand darauf zu legen. Dann, nachdem sie „Schwören Sie, die Wahrheit zu sagen, so wahr Ihnen Gott helfe?" gesagt hatte, log ich. Im Grunde verlangte ich von den Jury-Mitgliedern, Aussagen von unzähligen Zeugen zu ignorieren. Stattdessen wollte ich von ihnen, dass sie mir glaubten und mich freiließen. Die Jury durchschaute mich. Sie waren einstimmig der Meinung der Staatsanwaltschaft und verurteilten mich in jedem Anklagepunkt.

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In den Ketten, die mir inzwischen schon vertraut waren, kehrte ich zurück ins Gefängnis von Pierce County. Die Tore öffneten sich und verschluckten mich, und ich zog mich in meine Zelle zurück, meine Gedanken und mein Geist schwer wie Blei. Die Mindeststrafe belief sich auf zehn Jahre. Doch als Folge des Meineids, den ich vor Gericht geleistet hatte, war es absolut ausgeschlossen, dass der Richter mir die Mindeststrafe geben würde. Lebenslänglich ohne Bewährung erschien mir surreal, doch ich stellte mich auf diese Möglichkeit ein. Mit der Erkenntnis, dass ich womöglich den Rest meines Lebens hinter Gittern verbringen würde, wurde mir der volle Ernst meiner Lage bewusst.

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Während ich darauf wartete, dass der Richter mein Urteil verkündete, betete ich. Es waren nicht Gebete um meine Freilassung—dieser Zug war eindeutig abgefahren. Stattdessen betete ich um Kraft, um Führung durch den Irrgarten, der mich von der Freiheit trennte. Diese Gebete führten mich zu einem Sammelband, in dem ich die Geschichte von Sokrates fand. Er war zum Tode verurteilt worden und wartete in seiner Zelle auf die Hinrichtung, als ein Besucher kam und ihm von einem Ausbruchsplan erzählte. Da ich mir nichts sehnlicher wünschte als meine Freiheit, nahm ich an, dass Sokrates sich genau so gefühlt hatte. Sicher hatte er die Chance ergriffen und war geflogen. Doch das tat er nicht. Als man ihn fragte, warum er die Gelegenheit abgelehnt hatte, seiner Hinrichtung zu entkommen, legte Sokrates seine Gründe dar. Die Geschichte führte zu meiner Transformation innerhalb der Mauern des Gefängnisses von Pierce County. Sokrates sagte, in einer Demokratie habe er das Recht, auf die Änderung von Gesetzen hinzuarbeiten, die ihm nicht passten, doch er habe nicht das Recht, Gesetze zu übertreten.

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Jahrzehnte sind seit jenem Tag vergangen, doch ich kann noch immer das Gewicht des Buchs auf meiner Brust fühlen, während ich an die Betondecke und auf das Graffiti an meiner Zellwand starrte. Ich schob eine Hand hinter meinen Kopf und fing an, mir meine Zukunft vorzustellen. Ich wusste zwar nicht, welches Urteil der Richter verhängen würde, doch ich wusste, dass ich meine Strafe mit Würde absitzen wollte. Ich brauchte einen Plan, wie ich mich anpassen und erfolgreich wieder rauskommen konnte—wann auch immer meine Strafe enden würde.

Doch was konnte ich tun?

Illustration von Carly Jean Andrews

Das Gefängnis gab mir keinen Rat. Die Wärter erzählten Insassen im Gefängnis, sie hätten keine Zukunft. Andere Insassen rieten mir, der beste Weg, seine Strafe abzusitzen, sei es, die Außenwelt zu vergessen und sich auf die Gefängniskultur zu konzentrieren. Doch egal welche Strafe mein Richter mir auferlegte, ich rechnete damit, eines Tages freizukommen. Ich glaubte daran, dass ich eines Tages wieder in die Gesellschaft zurückkehren würde.

Diese Hoffnung führte mich zu Überlegungen, was Bürgerinnen und Bürger wohl von einem Mann erwarten würden, der in seinen Zwanzigern Kokain verkauft hatte. Konnte er überhaupt etwas tun, das Andere dazu bringen würde, ihn nicht mehr als Koksdealer zu sehen?

Diese Gedanken führten zu meinem dreistufigen Plan. Wenn ich mich darauf konzentrierte, mich erstens selbst zu bilden, zweitens einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und drittens ein Netzwerk zu meiner Unterstützung aufzubauen, dann würden die Leute mich anders beurteilen. Anstatt mich wegen der schweren Verbrechen abzulehnen, die ich als junger Mann begangen hatte, würde mein Handeln und der Fortschritt, den ich während der Haft gemacht hätte, sie dazu beeinflussen, mich anzunehmen.

Diese Anpassungsstrategie brachte mich durch 26 Jahre Bundesgefängnis auf allen Sicherheitsstufen. Während der Haft machte ich meinen Bachelor- und Master-Abschluss. Dann leistete ich einen Beitrag zur Gesellschaft, indem ich mehrere Bücher veröffentlichte, die es den Menschen erleichtern sollten, das Gefängnis, seine Insassen und mögliche Wege zur Überwindung von Problemen zu verstehen. Durch diese Bemühungen baute ich mir ein großes Unterstützungsnetzwerk auf—unter anderem fand ich die Liebe meines Lebens und heiratete sie im Besuchszimmer eines Gefängnisses.

Im August 2013 hatte ich meine Schuld gegenüber dem Staat beglichen. Trotz der 9.500 Tage, die ich gesessen hatte, verlief meine Rückkehr in die Gesellschaft viel nahtloser, als irgendjemand erwartet hätte. Tatsächlich wurde ich nur 17 Tage nach dem Ende meiner Haft zum außerordentlichen Professor der San Francisco State University. Während der ersten zwei Jahre meiner Freiheit habe ich mir eine Karriere auf meinen Erfahrungen aufgebaut und mich darum bemüht, eine der größten sozialen Ungerechtigkeiten unserer Zeit zu überwinden: die Masseninhaftierung in diesem Land. Es handelt sich um ein verachtungswürdiges System, das über Generationen hinweg Teufelskreise der Rückfälligkeit aufrechterhält. In einer Reihe von Essays, die auf diesen hier folgen, werde ich euch Andere vorstellen, die im Gefängnis gesessen haben. Diese Menschen werden Herausforderungen beschreiben, denen sie sich gegenübersahen, nachdem sie Jahre ihres Lebens in einer von Amerikas Versagensfabriken verloren hatten und in die Gesellschaft zurückgekehrt sind.

In den USA heißen Gefängnisse auch „correctional facilities". Wie ich festgestellt habe, legen wir Menschen, die als gesetzestreue Bürger Teil der amerikanischen Gesellschaft sein wollen, nur mehr Steine in den Weg, je mehr wie sie sogenannten „Korrekturen" aussetzen.

Mehr von Michael Santos findest du auf seiner Website.