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Wie „Österreich“ das Leben junger Mädchen gefährdet

Seit Wochen schreibt das Boulevardmagazin Österreich fast täglich über zwei minderjährige Mädchen, die nach Syrien abgehauen sind. Österreich sagt, dass die beiden nun zurück wollen-und gefährdet damit das Leben der beiden.

Screenshot von Österreich. Dort natürlich unzensiert.

Die 15-Jährige Sabina S. und die 17-Jährige Samra K. sollen nach Syrien gegangen sein, mitten in das Gebiet des „Islamischen Staats". Dort sollen sie nun leben und verheiratet sein. Mal sind die beiden laut Medienberichten schwanger, mal nur eine von ihnen. Nun gefällt es ihnen aber angeblich nicht mehr so gut und sie würden gern zurück nach Wien. Zumindest weiß das Isabelle Daniel von Österreich und berichtet seit Wochen darüber. Nachvollziehbare Quellen dafür nennt sie keine, es sind immer wieder „Geheimdienstkreise" oder „Insider".

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Auch internationale Medien sind auf die Geschichte der Rückkehr aufgesprungen, etwa die New York Daily News. Mehr Informationen enthalten diese Berichte allerdings auch nicht, sie beziehen sich meist wiederum auf Österreich.

Wenn die Mädchen sich selbst zu Wort melden, wie jüngst in der französischen Paris Match, und sagen, dass die Geschichten über ihren Willen zur Rückkehr einfach nicht stimmen, dann erklärt das Daniel damit, dass sie dazu gedrängt wurden. Woher „der Geheimdienst" und Österreich wissen wollen, dass das Interview mit Paris Match nicht aus freien Stücken erfolgte, muss wohl ein Geheimnis bleiben.

Doch gehen wir mal davon aus, dass Daniel tatsächlich recht hat. Wir haben hier eine 15-Jährige und eine 17-Jährige, also junge Mädchen. Vielleicht haben die beiden wirklich eingesehen, dass die Idee mit dem Dschihad doch nicht so gut war und würden gern aussteigen. Dann gefährdet die Berichterstattung von Österreich das Leben der beiden. Denn was werden die Kader des „Islamischen Staats" wohl mit jungen Frauen machen, die gern abhauen wollen und dann in den westlichen Medien als Aussteigerinnen vorgeführt würden?

Im besten Fall werden die beiden Mädchen nun strengstens bewacht, jede Chance zur Flucht ist unmöglich geworden. Im schlechteren Fall, wenn sie nicht sehr glaubhaft erklären können, dass Österreich die Medien-Ente reitet, werden sie wohl exekutiert werden. Das ist keine unbegründete Vermutung. Der Guardian etwa berichtet am 25. Oktober, dass die Terrormiliz IS genau das tut und rückkehrwillige Menschen massiv bedroht.

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Reden wir Klartext: Es ist in keiner Weise in Ordnung, wenn junge Frauen hierzulande so wenig Perspektiven sehen, dass sie lieber in einem Kriegsgebiet in Syrien oder im Irak als in Wien leben. Doch wenn jemand tatsächlich da wieder raus will, dann wäre die einzig verantwortliche Reaktion, dieser Person zu helfen, anstatt die Sache zu veröffentlichen. Oder würde irgendjemand etwa auf die Idee kommen, eine Info über junge Leute, die aus der Nazi-Szene aussteigen wollen, postwendend den braunen Kameraden zu stecken?

Die freischaffende Wiener Journalistin Tyma Kraitt, die selbst in Bagdad geboren ist, hat viel mit dem Umfeld der beiden Mädchen zu tun. Sie sagt, dass die aktuelle Medienberichterstattung extrem problematisch ist: „Die Berichte in vielen Medien sind nicht abschreckend, im Gegenteil. Leute aus Österreich chatten mit den beiden Mädchen und bemerken dann immer wieder, dass die Medienberichterstattung nicht stimmt." Kraitt bringt es auf den Punkt: „Wenn aber die Medien in diesem Fall lügen, dann wird wohl auch die Berichterstattung über den IS erlogen sein. Das ist also die beste denkbare Propaganda für den IS."

Kraitt, selbst Herausgeberin eines Buches zum Krieg in Syrien, nennt auch andere Probleme der Medienberichterstattung: „Die fundamentalistischen Moscheen werden mit Adresse genannt, die einschlägigen Prediger mit vollem Namen, Zeitungen drucken Reiserouten nach Syrien ab. Das ist wie ein How-to-do-Guide. Zusätzlich werden auch noch Posterboys und Postergirls geschaffen, indem da einzelne junge Leute so herausgehoben werden."

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Interessant und wichtig ist aber tatsächlich, warum junge Menschen nach Syrien oder in den Irak gehen, warum also das Angebot des Fundamentalismus attraktiv ist? Kraitt beschäftigt sich intensiv mit diesen Fragen. Sie erzählt, dass die jungen Leute, die zum „Islamischen Staat" gehen, meist recht ähnliche Biografien haben. Vor allem ist ihnen gemeinsam, dass sie in Österreich subjektiv keine Zukunft haben. In der Mehrzahl haben sie Migrationshintergrund (oft übrigens aus nicht besonders religiösen Familien) und sind-so wie die beiden jungen Mädchen-erst kurz zuvor mit dem Fundamentalismus in Berührung gekommen. Andere sind konvertiert und fühlen sich zum ersten Mal wahr- und ernstgenommen.

Meist geht es hier um sehr junge Leute. Sichtbar wurde das etwa rund um die Großdemonstration in Solidarität mit dem bedrohten Kobane in Wien. Im Vorfeld gab es massive Gewalt-Drohungen gegen die Demonstration aus fundamentalistischen Kreisen. Es gab allerdings keinerlei Störaktionen und danach auf Facebook die Selbstkritik wegen der fehlenden Teilnahme. Tenor der meisten Postings: die Eltern hätten es nicht erlaubt. Ein junger Mann rechtfertigte sich sogar damit, dass seine Mutter seine Schuhe versteckt hätte. Das alles wirkt weit eher wie ein Fall für ein paar gute JugendarbeiterInnen als für den Geheimdienst.

Insgesamt geht es hier sehr stark um ein-ideologisch natürlich problematisches-jugendkulturelles Phänomen. Und dieses ist kaum fassbar ohne die Gesamtsituation in Österreich. „Der Islam" steht im Zentrum einer rassistisch aufgeladenen Hetze. Zwischentöne sind dabei nicht erwünscht. Dass zwischen einer durchschnittlichen Familie aus Bosnien mit muslimischen Kulturhintergrund einerseits und wahabitischen Fundis in Saudi Arabien andererseits ungefähr soviel Unterschied besteht wie zwischen mir und dem Papst, ist kein Thema mehr. Auch der Einfluss und die Verantwortung des Westens für die Stärkung des Fundamentalismus wird nur selten erklärt. (Einen Versuch dazu habe ich hier publiziert.)

Stattdessen besteht ein einfaches Muster: Bestimmte Zeitungen und die FPÖ preschen vor, die Regierung dackelt brav hinterher. Jüngst etwa mit dem Entwurf zu einem neuen Islamgesetz, das in seiner Pauschalität und seinem strukturellen Rassismus beachtlich ist. „Die Moslems" kriegen ein Gesetz-und es wäre wirklich spannend, wie etwa die katholische Kirche protestieren würde, wenn auf einmal „die Christen" ein Gesetz kriegen. Also alle zusammen, von Mormonen über Zeugen Jehovas bis zur Mehrheitskirche. Dass es „für die Moslems" keine finanziellen Zuwendungen mehr aus anderen Ländern geben darf, klingt im Boulevard ebenfalls gut. Reden wir mal nicht darüber, dass via Drei-Königs-Aktion (auch bekannt als die „Sternsinger") Österreichs katholische Kirche jedes Jahr Millionen von Euro zur Missionierung in andere Länder schickt.

Auch deutliche Verschärfungen bei den BürgerInnenrechten sollen durchgesetzt werden. Als Vorwand dient wiederum der angebliche Kampf gegen den Fundamentalismus. Ein Musterbeispiel ist die Vorratsdatenspeicherung, ein enorm mächtiges Tool zur Überwachung, das im Juni 2014 durch den Verfassungsgerichtshof gekippt worden ist. Jetzt soll es wieder eingeführt worden. Und wer muss dafür herhalten? Genau, die beiden jungen Mädchen Sabina S. und Samra K.. Der „Verhetzungsparagraph" wird voraussichtlich ebenfalls verschärft werden, sodass es künftig bereits reichen soll, sich vor zehn Menschen „verhetzend" zu äußern. Interessanterweise wird da aber fein unterschieden: Wenn der Stammtisch tobt, dann ist das laut Justizminister Brandstetter auch künftig kein Problem.

Wenn nun aber „der Islam" die Wurzel allen Übels ist und gleichzeitig junge Menschen mit Migrationshintergrund permanent spüren, wie sehr sie in Österreich Menschen zweiter Klasse sind-was liegt näher, als sich mit dem zu beschäftigen, was sie zu Menschen zweiter Klasse macht? Da der Islam meistens sowieso mit seinen fundamentalistischsten Ausprägungen gleichgesetzt wird, ist es natürlich naheliegend, dass Jugendliche dann auch genau nach dieser Variante suchen. Wer also tatsächlich etwas gegen Fundamentalismus tun will, der sollte für Jobs schreiben, für Wohnungen und Perspektiven. Und: Wenn eine Zeitung tatsächlich Jugendliche vor dem Weg nach Syrien bewahren will, dann sollte sie sich klar von Rassismus distanzieren, für eine weltoffene Gesellschaft eintreten und nicht Minderjährige medial vorführen und damit potentiell ihr Leben gefährden.