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Wie Sonic the Hedgehog mir geholfen hat, meinen Krebs zu besiegen

Die Geschichte eines Jungen, dessen traumatischer Kampf gegen Krebs dank des verschwommenen blauen Sega-Maskottchens erträglich wurde.

Illustration: Stephen Maurice Graham

Es gab noch ein großes Problem. Ein Arzt stand links von meinem Krankenhausbett und blinzelte. Hinter ihm war ein Infusionsständer, dessen pulsierendes rotes Licht sorgfältig die widerwärtige Chemotherapie maß, die durch eine Nadel in meine Vene tröpfelte.

Ein schmerzhaft unnahbarer Krebs wütete in meinem linken Bein: osteogenes Sarkom. Es war ein seltenes und kompliziertes Netzwerk der Bösartigkeit mit einem unbändigen Appetit und einem knappen Zeitplan. Der Doktor blinzelte noch einmal. Die Wahrscheinlichkeit, dass mein linkes Bein gerettet werden könnte, war so gering wie die Dichte des Knochens, der einst darin wuchs.

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Im besten Fall würde ich eine „erweiterte Knieprothese" bekommen—das klang in meinen 12-jährigen Ohren eigentlich ziemlich cool. Dann war da Option B, die da hieß: „Amputation". Ich hatte genug Piratenfilme gesehen, um zu wissen, dass ich dazu auf einen Stock beißen und mich bemühen musste, nicht zu schreien. Doch dank des bunten Sortiments an Medikamenten, die ich verabreicht bekam, mit Namen so silbenreich wie die von Dinosauriern, konnte ich nicht einmal Suppe essen, ohne mich zu übergeben, geschweige denn einen Zweig zwischen den Zähnen halten. Diese Option schien ihre Macken zu haben.

Schließlich, Option C: das Deluxe-Paket. Das war einfach nur der Tod, vielleicht noch mit einer Prise Lungentumore. Option C war metaphysisch noch viel abgefahrener als die anderen, also speicherte sie mein vorpubertäres Hirn letztendlich in einem Ordner, auf dem stand: „Das klingt seltsam."

Zur Rechten meines Krankenhausbetts stand meine unmittelbare Familie: meine geschockten Eltern und meine sprachlosen Geschwister. Auch sie blinzelten, stoisch. Dann starrten wir alle hoffnungsvoll auf den im Standbild eingefrorenen Fernseher, der an der Wand hing.

Ich seufzte. Dann widmete ich meine gesamte Aufmerksamkeit meinem großen Problem. Ich bekam Sonic the Hedgehog nicht dazu, am Ende des fünften Levels Dr. Ivo Robotnik zu besiegen. Die Star Light Zone war einfach zu schwierig. Ich wollte endlich die Tiere von South Island aus ihrem mechanischen Gefängnis befreien. Das war das einzige, das mir blieb. Ich hob meinen schwarzen Sega-Controller sowie Sonics Pausenstarre auf, der Igel setzte seinen Sprung durch die Luft fort und ich verschwand einmal mehr aus der Krebsstation.

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Anders als in meinem restlichen Leben war mit Sonic alles im Lot. OK, meine Haare fielen mir beim Essen vom Kopf auf den Teller, das war nicht cool. Und ich konnte nicht laufen, hatte ständig Angst vor dem widerlichen Spießrutenlauf namens „Schule auf Krücken". Ich hatte seit Jahren mit keinem Mädchen geredet und die Pubertät hielt sich irgendwo in einem anderen Teil des Krankenhauses gut versteckt. Doch sobald Sonic herumpreschte, war ich frei. Die eleganten Sprünge des Igels machten mein Leben erträglich, sobald der Controller meine Handflächen berührte.

Ich liebte Sonic und seine nie versiegende Energie. Meine Spielbesessenheit wärmte das Sepia meines Krankenzimmers wie ein Sonnenaufgang.

Meine Klassenkameraden von einer seltsam weit entfernten High School hatten wohltätigerweise ein Mega Drive gespendet. Es war ein Geschenk zum Gedenken an meine Krebserkrankung und sollte mir außerdem helfen, angesichts der niemals endenden Parade aus Knochensägen, Spinalanästhesien, Brechschüsseln, Nadeln und blauen Flecken von verfehlten Einstichen die Kunst der Ablenkung zu meistern. Der Plan ging auf. Ich liebte mein Mega Drive. Ich liebte Sonic und seine nie versiegende Energie. Meine Spielbesessenheit wärmte das Sepia meines Krankenzimmers wie ein Sonnenaufgang. Ganz egal, welches exotische Chemotherapie-Gebräu sie mir verabreichten, oder ob ich zu Hause oder im Krankenhaus im Bett lag, die einzigen wirklichen Konstanten meines Lebens waren das aufsässige Grinsen des hyperaktiven Igels und seine rotierenden roten Turnschuhe. Während ich vor mich hin murmelte und mit ungestümen Daumen auf den Controller hämmerte, wackelte die Chemo-Nadel schmerzhaft in meinem Unterarm. Wie eine Spore in der Flanke eines Pferds trieb mich jedes giftige Zwicken weiter in die Pixelwelt meiner Realitätsflucht.

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Tage tropften zu Wochen. Wochen seufzten zu Monaten. Je mehr Nadeln in meinen Arm einstachen, desto mehr grub ich mich ein. Morphin drang in meine Wirbelsäule, doch ich wurde einfach eins mit meinem blauen Helden. Hickman-Katheter wurden oben in mein Herz eingeführt, um die Chemo noch viel schneller in meine Blutbahn zu bringen. Zur Verteidigung stellte ich mir vor, ich sei ein Ball, der vor scharfen Stacheln strotze.

Es waren die Krankenschwestern, die sich über meine Geschwindigkeitsmanie beschwerten—eine Obsession, die durch meinen Zugang zu einem Rollstuhl nur noch verstärkt wurde. Ich raste um Ecken, versetzte Pförtner in Angst und Schrecken und spielte das Feiglingsspiel gegen im Korridor geparkte Betten. Das einzige, das ich nicht ertragen konnte, war die Trägheit, durch die ich sichtbar wurde.

Ich fing an, die Hänge, Loopings und Sprungschanzen von South Island nachzumachen. Ich befreite mich selbst mit nichts als den Krankenhausrampen, einem Rollstuhl und meinem eigenen aggressiven Schwung. Ich donnerte sterile Flure entlang, meine Reifen rotglühend vor Hoffnung, und sehnte mich danach, dass die Farben verschwammen und ich abhob.

Der graue Schmerz der Krankenhausrealität drängte mich noch tiefer in diesen quietschbunten Kaninchenbau. Mechanische Wespen stachen mich mit medizinischen Lasern. Gepanzerte Insekten kamen in endloser, motorisierter Wiederholung auf mich zu, nur um wieder davon zu trippeln. Ich kratzte meine juckenden Opiatträume im Morgengrauen mit einem Druck auf den Restart-Knopf weg.

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Das Dring! glänzender Ringe finanzierte meine Hoffnung, dass ich, wenn ich nur genug von ihnen sammelte, ein neues Leben gewinnen—oder zumindest ein halbes Bein retten—konnte.

Das verstohlene Verhalten meines Arztes begann, an Robotniks Ausweichmanöver am Ende jeden Levels zu erinnern. Er tauchte überraschend auf, hatte auf mich gelauert, nur um immer toxischere Substanzen in meiner Blutbahn zu entfesseln.

Ein beißend metallischer Geschmack eroberte meinen Mund. Das Methotrexat, das sie mir aufzwangen, schob mich immer weiter aus meinem Körper, während die Reise immer tiefer in eine mechanisch-bionische Hölle führte. Ich hatte keine andere Wahl, als weiter vorzudringen, um die Scrap Brain Zone, den Ort der Abrechnung, zu erreichen. Die Suche nach den sechs Chaos Emeralds war zu einem Spiel um mein Leben geworden.

Oft musste ich Pause machen. Die Flipperautomatenwelt war in Übelkeit getränkt. Säure brannte in meiner Kehle, während auf dem Bildschirm Industrierohre aufflammten. Aufzüge trugen mich geduldig durch die Level. Ich hopste über die flimmernden Fernsehgeräte, die ihr weißes Rauschen in die Unendlichkeit brüllten. Mein azurblauer Avatar jagte hinter dem Funkeln der vorübergehenden Unverwundbarkeit her, die mir die einzige Überlebenschance schien.

Ich trank in Überschallgeschwindigkeit goldene Ringe. Das Dring! glänzender Ringe finanzierte meine Hoffnung, dass ich, wenn ich nur genug von ihnen sammelte, ein neues Leben gewinnen—oder zumindest ein halbes Bein retten—konnte.

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Dr. Eggmans Fährte aus goldenen Heiligenscheinen spornte mich weiter an. Plattformen erschienen, Plattformen verschwanden. Ich warf mich kühn über Abgründe, die ganze Leben verschlingen wollten. Ich hüpfte zwischen Lavapfützen und schlängelte mich an stoßenden, spritzenartigen Stacheln vorbei, hinein in eine Fabrikhalle, in der septische Gülle zischte. Dort angekommen wartete ich ruhig auf den Eierkopf und den finalen Showdown. Mein Fuß klopfte nervös auf dem Boden.

Endlich kam der Doktor heraus, manisch mit lauter Instrumenten und Handlangern im Raum herumfuhrwerkend. Ich rollte mich zusammen, sprang und stieß alle Stacheln in seine Richtung. Seine Attacken schmerzten. Mein Körper blinkte. Ein 16-Bit-Soundtrack plärrte unbeeindruckt in die Zukunft. Schließlich: Stille. Jede Menge Geblinke fing wieder an, sowohl auf dem Bildschirm als auch in meinem Zimmer. Meine Nerven lagen blank, als Sonics Pixelnebel anfing, sich zu verziehen. Seine grellen Farben verblassten. Das Surren des Krankenhauses war wieder da.

Ein Fuchs schaltete den Fernseher aus. Dann starrte er mich wohlwollend an, riss die Vorhänge auf und fing an, heiter über meine Nähte zu sprechen. Nähte? Ich hatte meine Operation gehabt? Meine Angst vor Amputation schoss durch mein Hirn. Ich kämpfte mich im Bett in eine aufrechte Haltung und blickte in benommener Panik auf meine Zehen.

Das gesamte Spektrum der Erleichterung flimmerte durch meinen Kopf. Ich hatte eindeutig zwei Füße.

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Dann zogen sich all die Nadeln, Rohre, Stacheln und Kanülen zurück und mir wurde klar, dass ich South Island erobert hatte. Die Chaos Emeralds waren mein.

Mein linkes Bein war in Bandagen gehüllt wie ein fusseliger weißer Zeppelin weit oben am Himmel. Dieser eingefrorene weiße Stoff war komplett taub. Ich konnte nichts spüren, doch es war definitiv nicht kürzer als das andere. Tatsächlich sah es sogar viel länger aus, aber das hätte auch das Morphin sein können, das wieder Streiche spielte. Jedenfalls hing es, trotz Titanknie an fleischigen Verbindungsstellen, definitiv an mir dran, und ich hing an ihm.

Dann zogen sich all die Nadeln, Rohre, Stacheln und Kanülen zurück und mir wurde klar, dass ich South Island erobert hatte. Die Chaos Emeralds waren mein. Die mechanische Schreckensherrschaft des Dr. Robotnik war überwunden und ich musste währenddessen nicht einmal auf irgendwelchen Stöcken herumkauen.

Vielleicht war das nächste Spiel ja, meine abwesende Pubertät, die 18 Monate lang hier irgendwo durchs Krankenhaus geirrt war, zu finden. Wohin war der Fuchs gehuscht? War das eine Krankenschwester? Oder war es Miles Prower, auch bekannt als Tails, der mich zu einem neuen Abenteuer abholen wollte.

Laut den Ärzten muss einer von sechs Krebspatienten irgendwann im Leben ein zweites Mal gegen seine Tumore kämpfen. Doch das war mir scheißegal. Ich war bereit für Sonic 2.