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Dieser Samstag war ein Triumph für die Menschlichkeit

Es gab eine Rede von Heinz Fischer, Musik von Bilderbuch, ein „Fuck Strache" von Campino—und am Ende sogar eine Coverversion von „Schrei nach Liebe".

Kurz nach 22 Uhr, meinem Gefühl nach sind hier noch deutlich mehr als 100.000 — Stefan Kranewitter (@snuup)October 3, 2015

Während einen Bezirk weiter die Wiener Wiesn auf Tracht und Tradition setzt, sind am Samstagabend mehr als 100.000 Menschen am Wiener Heldenplatz zusammengekommen, um unter dem Motto „Voices for Refugees" gemeinsam mit und für Fliehende zu feiern.

Es gab eine Rede von Heinz Fischer, Musik von Bilderbuch, ein „Fuck Strache" von Campino—und am Ende sogar eine Hosen-Coverversion des Ärzte-Songs „Schrei nach Liebe".

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Bereits am Nachmittag marschierten laut eigenen Angaben der Plattform Menschliche Asylpolitik rund 70.000 Menschen vom Westbahnhof zum Heldenplatz und hießen auf Transparenten und mit Reden „Flüchtlinge willkommen".

Der Demozug kam dabei an den 2.000 Porträts von Fliehenden und Helfern vorbei, die über eine Strecke von 300 Metern auf die Mariahilfer Straße geklebt worden waren. Während Krone.at mehr auf die Rutschgefahr der Bilder als auf die Idee des „Walk of Fame der Menschlichkeit" einging, erklärte einer der Hauptverantwortlichen des Projektes, Marcus Arige, in einem Statement: „Das Schönste für mich sind der Diskurs, die Diskussionen, die verschiedenen Blickwinkel—wie Menschen auf diese Installation reagiert haben, wie zigtausendfach sie fotografiert wurde." Sein Dank gelte vor allem der Exekutive, die professionell, freundlich, hilfsbereit und lösungsorientiert gehandelt hätte.

Angekommen am Heldenplatz, gab es unter anderem Reden wie jene von Bundespräsident Heinz Fischer, der erklärte: „Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Ich wende mich nicht von denen ab, die Sorgen und Ängste haben—aber ich wende mich von denen ab, die aus der Not der Flüchtlinge ein Geschäft machen, sei es ein wirtschaftliches oder politisches."

Zum Ausgleich, aber auch zur Ermahnung betonte Michael Genner vom Verein Asyl in Not: „Die Menschen haben es geschafft, dass sich die Grenzen öffnen—nicht die Politik. Jetzt ins Orbán-Ungarn abschieben ist ein Skandal. Das lassen wir nicht zu. Mikl-Leitner muss weg!" Asyl in Not hat in der Vergangenheit mehrmals zu mehr Sensibilität im Umgang mit der Fluchtthematik aufgerufen; unter anderem, was sprachliche (und damit auch gedankliche) Unterschiede zwischen „Schleppern" und „Fluchthelfern" angeht.

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Marina Hanke von der Sozialistischen Jugend ergänzte: „Es gibt Flucht, weil wir in einer Welt leben, in der wenige im Reichtum leben und viele ausgebeutet werden."

Damit kritisiert sie auch das Konzept der sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge", das von Rechts gerne als Gegenargument gegen Asylsuchende verwendet wird—obwohl die Armut in großen Teilen der Welt keine naturgegebene, vom Westen unabhängige Entwicklung, sondern die direkte Konsequenz eines anhaltenden Wirtschaftskrieges ist, wie unter anderem der Globalisierungskritiker Jean Ziegler ausführt.

Wunderschön! — Armin Wolf (@ArminWolf)October 3, 2015

„Es macht einen traurig, wenn man sieht, wie viele dieser Tragödien hätten verhindert werden können", sagt Mahsa Ghafari von Flucht nach Vorn. „Wenn ich mir nun die Entwicklungen der letzten Monate ansehe, diese starke Welle der Mitmenschlichkeit und diesen Mut zur Solidarität, dann denke ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. 1996 waren auch meine Familie und ich dankbar dafür, diese Unterstützung selbst zu erfahren. Mir persönlich, als 8-jähriges Kind, hat diese soziale Wärme und die Freundlichkeit das Gefühl von Sicherheit gegeben."

Mahsa ist auch diejenige, deren Freundin vor einigen Wochen von einem Innenministeriums-Mitarbeiter umgestoßen wurde, nachdem sich dieser einer verbalen Auseinandersetzung mit den beiden jungen Frauen nicht mehr gewachsen sah. Ihre vollständige Rede gibt es hier als Transkript nachzulesen.

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Weil man aber nicht nur Fliehenden eine Stimme geben, sondern Asylsuchende selbst zu Wort kommen lassen wollte, sprach auch die 13-jährige Maya aus Damaskus, die erst seit 2 Monaten in Österreich ist. „10 Jahre lebte ich glücklich, dann startete der Krieg", erzählte Maya. „Ich verlor viele Freunde. Ich war zu Hause nicht sicher, in der Schule auch nicht und deshalb flohen wir."

Abschließend betonte Campino von den Toten Hosen, dass sich die Wiener ihre Stadt nicht von Strache wegnehmen lassen sollten, und hatte für den FPÖ-Spitzenkandidaten nur ein „Fuck" und eine Coverversion von „Schrei nach Liebe" übrig.

Wie viel Einfluss die Großkundgebung tatsächlich auf das Wahlergebnis am 11. Oktober haben wird, lässt sich schwer sagen—auch, wenn mit der Live-Übertragung auf Puls4 für Bewusstsein weit über die Teilnehmenden hinaus gesorgt haben dürfte.

Einen ersten kleinen Triumph für die Asyl-Befürworter und Helfer gab es dieses Wochenende aber trotzdem: Während die Refugee-Veranstaltung weit über 100.000 Menschen anzog und die Berichterstattung bestimmte, ging die parallel dazu stattfindende FPÖ-Veranstaltung mit Heinz-Christian Strache und Ursula Stenzel am Viktor-Adler-Markt unerwähnt unter.

Markus auf Twitter: @wurstzombie