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Wiener Originale

Thomas Frechberger ist der beste Dichter der Welt (nur weiß das keiner)

Thomas Frechberger über das Leben, wie ihn jemand umbringen wollte und eingefrorene Rothirsche.

Thomas Frechberger. Fotos von VICE Media

In unserer neuen Serie „Wiener Originale" unterhalten wir uns ab sofort mit bekannten und weniger bekannten Wiener Unikaten—also entweder mit Leuten, die ihr kennt oder solchen, die ihr kennen solltet.

Die erste Geschichte beginnt am Yppenplatz. Der Yppenplatz ist an und für sich ja schon ein Wiener Original. Er ist eine Quelle der Weirdness—Bobos, Säufer und schreiende Kinder teilen sich diese Fläche Asphalt und stören sich dabei eher selten. Einer, der für manche dort vielleicht doch störend ist, ist Thomas Frechberger. Wer öfters am Yppenplatz ist, wird dem Mann früher oder später begegnen. Gebückt geht er von Tisch zu Tisch und versucht dort—weil sein Name auch ein bisschen Programm ist—für Geld Zeitschriten wie die „Wienzeile" loszuwerden. Oder wie er es nennt: Literatursteuer einzuheben. Der „Künstlertisch" vor dem AnDo ist seine zweite Heimat—er schläft dort, provoziert, schreibt und kolportiert.

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Ich habe mich sehr oft gefragt, was in diesem Menschen vorgeht, wie er zu dem wurde, der er heute ist und ob er weiß, wie er sterben wird. Deshalb habe ich ihm ein paar Fragen gestellt und mehr Antworten bekommen, als ich eigentlich wollte. Zum Beispiel, dass ich sein Wichs-Gedanke sein werde, dass er beinahe ermordet wurde und dass er Jesuit ist.

VICE: Also Frechberger, erzähl mal, wie es dazu gekommen ist, dass du immer am Yppenplatz abhängst?
Thomas Frechberger:Das war irgendwie so … dass ich da im C.I. noch nicht Lokalverbot gehabt habe. Da war ich immer im C.I., weil es dort immer Bücher gibt, Irgendwann war dann die Veranstaltung „Buch des Beisls"—da habe ich ein paar Mal gelesen und dann entdeckt, dass es hier auch sehr schöne Linden gibt. Und dann habe ich den Künstlertisch zu meinem Arbeitsplatz gemacht.

Du hast hier geschrieben?
Geschrieben und gezeichnet und vor allem auch kolportiert. Wenn das Wetter schön ist, dann nehme ich meinen Biber oder die Wienzeile und verkaufe sie. Und hebe sozusagen die Literatursteuer ein. Ich bin einer der besten Dichter im Land. Das weiß nur keiner.

Okay … Warum hast du eigentlich überall Lokalverbot?
Ach, da gibt es differente Gründe. Schuld waren vor allem die Frauen. Ich war immer mit so verrückten Freundinnen zusammen, die zum Beispiel ins ehemalige Milch Bierflaschen reingeworfen haben. Die haben sich aufgeführt … Ich war eigentlich immer der Bravste.

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Jetzt lügst du aber.
Was? Nein, wirklich. Lokalverbote haben wirklich vor allem meine Freundinnen verschuldet. Dann heißt es ja natürlich mitgehangen, mitgefangen.

Du bist an deiner Situation also total unschuldig?
Nein, das sage ich nicht, aber die Frauen sind auch keine unschuldigen Engel. Stimmt's? Kannst du das bestätigen?

Vermutlich. Wie alt bist du eigentlich?
Für dich schon zu alt.

Woher kommst du eigentlich?
Auf den Trick fall ich nicht noch mal rein. Ich komme aus dem Mutterleib. Du übrigens auch.

Du schreibst ja. Was ist der beste Satz, den du jemals geschrieben hast? Gibt es den?
Also ich plane—das habe ich schon in Angriff genommen und das wird auch heuer noch erscheinen—„The Best of Thomas Frechberger". Ich habe ungefähr 700 Gedichte geschrieben und in diesem „The Best of Thomas Frechberger" werde ich die besten rausfischen und das in einem 200-Seiten-Band publizieren.

Kannst du uns einen Vorgeschmack geben?
Frauen sind Meer für mich. Ich habe viele Frauen gehabt—glaube mir. Frauen sind Meer für mich. Salzig ja, und high bevölkert so wie das Meer. So viel Freude, so viel Liebe, ja. Gäbe es die Frauen nicht—ich wär nicht mehr da.Na, ein größeres Kompliment kann ich euch ja gar nicht machen! Ich habe mich sogar dazu herabgelassen, auch etwas über die Frauen zu schreiben.

Herabgelassen?
Ja [lacht wie ein Irrer].

Du kannst dich scheinbar nicht ganz entscheiden, wie du zur Frauenwelt stehst …
Ich bin ein scheiß Hetero.

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Hast du was gegen Schwule?
Nein.

Mochtest du das Life Ball-Plakat?
Nein, ich war nicht die Sprayerin.

Was ist deine Lieblingsgeschichte über dein Leben?
Wir waren beim Charlie. Auf einem Mühlviertler Hügel. 160 Rothirsche auf einer großen Weide. Der Charlie hat Geburtstag gehabt und da haben wir dann drei Tage gefeiert. Nein, zwei Wochen lang. Stimmt. Der Charlie mit seinem Mostkeller. Er hat einen eigenen Mostkeller, für den er sich den Most selber macht, und eine Tiefkühltruhe mit Hirschfleisch. Dann haben wir jeden Abend ein Lagerfeuer gemacht, uns das Hirschfleisch abgebraten und Kartoffeln dazu gegessen. Dazu haben wir Most getrunken. Zwei Wochen lang. Eigentlich wollte ich Forellen fischen gehen. Das habe ich aber verworfen.

Auf Seite 2 erzählt Thomas vom wichtigsten Organ seines Körpers, seinen Eltern und wie ihn mal jemand umbringen wollte.

Eines seiner Kunstwerke mit dem Titel „Welcher Schwanz passt in diese Arschlöcher"

DAS ist deine Lieblingsgeschichte?
Nein, meine Lieblingsgeschichte … Das war auf jeden Fall ein schönes Erlebnis. Jetzt pass einmal auf. Ich sag dir jetzt einmal was. Ich komm aus dem Mühlviertel und … woher bist du eigentlich?

Aus Kärnten.
Kärnten … So wie der Rosenzopf. Aha! Ja, ja, ja. Aber im Mühlviertel war es irgendwie … Mein Vater ist ein Steinmetz, ja. Ein beinharter Typ. Die Prügelstrafe war damals obligat. Und ich war ein bösartiges Kind. Immer wenn ich etwas angestellt habe, hat die Mutter zu meinem Steinmetz-Vater gesagt, dass der Thomas schon wieder das und das angestellt hat. Na ja und dann hab ich Prügel bekommen. Das war normal. Oder obligat. Ja, aber mit 16, mit 16 ist mein Vater wie wild auf mich los gegangen. Mit 16 habe ich mich dann plötzlich gewehrt.

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Das klingt nach einer harten Kindheit.
Ich bin Jesuit. Und Raubritter. Mit 16 hat mich mein Vater noch einmal verprügeln wollen. Ich habe mich gewehrt. Als er mich davor immer geschlagen hat, habe ich immer den Kopf geduckt. Mit 16 habe ich gesagt: „Okay, ich ducke mich nicht mehr. Jetzt kannst du mich umbringen. Also schlag zu bis ich tot bin. DU KANNST MICH TOT SCHLAGEN." Und plötzlich habe ich in seinen Augen gesehen, dass er Angst bekommen hat. Verstehst du? „Schlage deinen erstgeborenen Sohn tot", hab ich gesagt. Dann wäre er ein Sohnesmörder gewesen. Somit war das erst mal beendet. Verstehtst du?

Hegst du noch negative Gefühle gegen deinen Vater?
Jetzt nicht mehr.

Aber früher?
Ja.

Und gegen deine Mutter?
Naja, das war ja die Auftraggeberin. Der Vater hatte sogar zum Schlagen aufgehört und dann ist plötzlich die Mutter gekommen und wollte mich mit einem Nudelwalker niederschlagen. Dann habe ich sie aber genommen und sie auf den Boden gedrückt—sie lag am Rücken. Meine Mutter. Und ich habe gesagt: „Hey, wenn du das noch ein Mal machst, dann schlage ich dir das Gesicht so ein, dass du nicht mehr raus siehst."

Hast du noch Kontakt zu deinen Eltern?
Ja. Nicht täglich, aber ab und zu. Ich habe ihnen verziehn. Nicht alles, weil man manches nicht vergisst. Mein Vater hat immer gesagt „Das ist kein Bub, wenn er sich nicht wehren kann." Auch gegen ihn.

Glaubst du, dass er dir etwas beibringen wollte?
Irgendwie schon. Er wollte mich irgendwie prägen. Er wollte, dass ich härter werde.

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Lass uns über etwas Schöneres reden. Was war der beste Sex, den du jemals hattest?
Ha. Der beste Sex … Ja, das kann ich dir schon beantworten. Der beste Sex war mit einer Künstlerin. Mit der war ich vier Jahre zusammen. Und das war eine intensive, sexuelle Beziehung und am schönsten war es, wenn wir gemeinsam gekommen sind. Das geht nämlich nicht immer. Das war seitlich. Ich hab sie von der Seite genommen. Sie kam, ich kam. Da waren wir sozusagen im siebten Himmel. Beide. Aber das kommt selten vor.

Masturbierst du?
Masturbieren tun die Weiber, ich onaniere.

Woran denkst du dann?
Also ich glaube, wenn ich es morgen wieder mache, denke ich an dich. Dann stell ich mir vor, wie ich es mit dir treibe. Du bist für mich wie ein Reh. Dich reiß ich. Wie ein Wolf ein Reh reißt. Da kommt zuerst ein Angriff und wenn das Reh kommt, fresse ich es auf.

Alles klar. Hast du einen Lieblingsmenschen?
Ja. Mich selbst. So wie mich selbst habe ich noch nie jemanden geliebt. Niemals.

Warum hast du eine Lederjacke an, obwohl es so heiß ist?
Na, weil du so eiskalt bist. Ich ziehe mich aber eh gleich aus. Soll ich mich ganz ausziehen?

Was glaubst du, warum dich jeder kennt, der am Yppenplatz ist?
Weil ich öfters da bin.

Nein. Ich bin auch oft da und mich kennt nicht jeder.
Na, ich kolportiere hier eben. Ich gehe rum und verkaufe die Vielfalt oder meine eigenen Gedichte. Der Yppenplatz ist mein Arbeitsplatz. Ich bin einfach gerne unter den drei Linden. In die Lokale darf ich ja nicht. Ich darf nur in Lokale, in denen ich noch nie war. Die ganze Schuld kann ich vermutlich doch nicht den Frauen zusprechen. Aber die Frauen führen sich auch manchmal auf … bis zum Gehtnichtmehr!

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Was ist für dich das wichtigste Organ deines Körpers?
Das wichtigste an mir ist mein Kapperl und aus. Das behütet das Wichtigste der Welt. Das Hirn. Aber es gibt zwei Organe, die mir am wichtigsten sind. Das ist das Gehirn, weil das meine Denkzenatrale ist, und das Herz. Wenn das Herz nicht mehr schlägt, wird mein Hirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Das wäre von Nachteil, nicht?

(Ein Typ kommt vorbei und fragt mich, ob ich denn schon einmal etwas mit einem Gesunden- und Krankenkrieger zu tun hatte, weil er einer sei und zieht sich dann aus.)

Was war dein Lieblingstag?
Hm. Mein Lieblingstag ist der Tag, an dem ich ohne Sorgen erwache. In einem Gedicht habe ich das mal ausgedrückt, ja? Es heißt „Schön ist das Leben": „Schön ist das Leben, wenn die bösen Geister schweigen und die Seele Walzer tanzt."

Dein liebstes Geräusch?
Wenn die Spatzen zum Zwitschern anfangen.

Echt? Mich nervt das eher.
Ja, aber es hat eine gewisse Tagesbeginn-Qualität. Auch wenn es manchmal störend ist.

Was magst du nicht?
Fette Menschen. Nein. Ich versteh nicht, dass man soviel fressen kann. Ich war immer schlank. Werde ich auch immer bleiben.

Was ist der schlimmste Schmerz, den du jemals hattest?
Den hatte ich, als ein Mann mich töten wollte.

Was?
Ein starker Mann wollte mich töten. Damals war ich 20 Jahre alt. Ich war in einer Gastwirtschaft in Rohrbach im Mühlviertel, am Stammtisch. Da waren so 15 Stammtisch-Brüder und da bin ich auch am Tisch gesessen und der Rädelsführer, Leo, hat immer Rechtssprüche von sich gegeben. Der war ein Alltagsfaschist. Dieser Leo hat über seine neofaschistischen Witze am meisten selbst gelacht. Ich hab dann gesagt: „Hey, Leo, was du da für einen Scheiß verzapfst, kann ich nicht goutieren." Dann hat er als erstes gesagt: „Was heißt goutieren, he? Wir sind hier im Mühlviertel, du kannst hier ja nicht plötzlich Fremdwörter einführen."
So hat's schon einmal begonnen. Ich habe ihn daraufhin rhetorisch zur Sau gemacht und er meinte, ich soll den Mund halten und mal gar nichts mehr sagen. Dann habe ich gesagt, „Moment. Wir leben hier in einer Demokratie und ich sage, was mir passt." Dann habe ich eine rhetorische Büchse aufgemacht und habe es noch einmal gewagt. Er war körperlich viel stärker als ich. Ich bin auch kein Schläger. Dann hat er mich bei den Haaren aus dem Wirtshaus gezogen—es war Dezember, kurz vor Weihnachten—und mich gegen die Eichentüre geworfen. Dann noch die Stiegen runter und dann lag ich bewusstlos vor dem Wirtshaus. Gerade, dass ich es überlebt habe.

Ziemlich heftig.
Der hätte es fast geschafft, mich umzubringen. Da liege ich dann bei 15 Minusgraden und dann kommt ein Ehepaar vorbei, das ihr Hündchen Gassi geführt hat. Ich habe das so in der halben Bewusstlosigkeit mitgehört, dass die Frau zu ihrem Mann gesagt hat: „Schau, da liegt ein Mann am Boden. Schau einmal, ob er noch lebt." Der Mann hat dann meinen Puls gefühlt und der war noch vorhanden. Dann haben sie mich zur Polizeistation gebracht, die haben mich dann ins Krankenhaus transferiert. Dann war ich eine Woche in Linz im Krankenhaus. Schädel-Hirn-Trauma und so weiter. Ein halbes Jahr später hat mich der Typ angerufen. Zwei Tage vor der Verhandlung und hat gesagt: „Ich habe übermorgen die Verhandlung im Landesgericht Linz" und dann hat er in einem harten Ton gesagt, dass er vorbestraft wäre, Kinder und Familie hat und ein LKW-Fahrer ist. Er hat mir erzählt, dass ich vor dem Richter aber schon zu seinen Gunsten aussagen muss—dass ich einfach sagen soll, dass das eine besoffene Geschichte war.
Das habe ich verneint. Ich wollte nur ein Wort hören: Entschuldigung. Darauf meinte er: „Entschuldigung gibt es nicht." Das hat er gesagt! Einen Tag hat die Verhandlung dann gedauert. Danach ist er mit einem LKW gegen eine Betonwand gefahren und war tot. Der hat sich selber gekillt. Sonst hätte er in den Häfen müssen. Dabei wollte ja eigentlich er mich umbringen. Ein Fall von entweder er oder ich. Seine Freunde haben dann gesagt, dass ich den Leo in den Tod geschickt habe. Aber das Leben hat sich eben für mich und gegen ihn entschieden. Er hätte nur ein Wort sagen müssen, das hat er nicht über die Lippen gebracht.

Was glaubst du wie das Leben über dich in Zukunft entscheiden wird?
Also, ich werde 90. Das habe ich schon beschlossen. Ich bin im Wald aufgewachsen. Mit 90, wenn ich des Lebens müde bin, lege ich mich in den Wald und sterbe ab.