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Popkultur

Will VOX mit ‚Club der Roten Bänder‘ eigentlich alle krebskranken Kinder verarschen?

Wir haben einen Leukämie-Patienten gebeten, sich die neue Krankenhausserie über todkranke Teenies anzuschauen und für uns zu rezensieren.
Screenshot: YouTube-Trailer zu „Club der roten Bänder“

Trailer von Club der roten Bänder, Quelle: YouTube

Als ich das erste Mal die Vorschau für die neue Serie Club der roten Bänder gesehen habe, überkam mich eine Mischung aus Schauer und Fremdscham. Fremdscham wie man sie fühlt, wenn man eine Schlüsselszene in einem Til-Schweiger-Film sieht. Aber da ich seit meiner Leukämiediagnose in den letzten fünf Jahren circa zwei bis zweieinhalb Jahre in Krankenhäusern verbracht habe, beschloss ich tatsächlich, mir die neue VOX-Serie anzuschauen. Denn wenn es um das Thema Krankheit und Krankenhäuser geht, halte ich mich für einen echten Experten und habe auch schon den VICE Guide zum Überleben einer tödlichen Krankheit geschrieben.

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Ich beschloss, trotz des schlechten Einstiegs, trotz Fremdscham und Schauer dem Ganzen eine faire Chance zu geben. Auch die Tatsache, dass VOX versucht, Einschaltquote durch die Darstellung von fiktionalen, krebskranken Kindern zu machen, blendete ich einen kurzen Moment lang aus, um mich voll und ganz auf den Realitätscheck zu konzentrieren. Aber der Reihe nach (Achtung Spoiler, falls ihr euch das wirklich noch selbst antun wollt):

Die obligatorische Glatzenszene (wie könnte man Krebs auch anders darstellen?!):

Noch vor dem Vorspann wird gezeigt, wie Jonas, einer der Hauptprotagonisten, sich vor dem Spiegel die Haare erst büschelweise auszupft und dann abrasiert. War klar, dass so etwas als Erstes kommt. Wenn der Otto-Normal-Fernsehzuschauer an krebskranke Kinder denkt, dann natürlich auch an Glatzen. Wie soll man sonst erkennen, dass der Junge im Fernsehen Krebs hat? Die grauenhafte Abschiedsszene mit den coolen Skaterfreunden hielt ich auch aus. Ich redete mir einfach ein, dass die Schauspieler schlecht gecastet wurden und deshalb alles so gekünstelt wirkt.

Das Krankenhaus ist so ziemlich das realistischste an der ganzen Serie

Dann kam endlich der erste positive Aspekt: Das Krankenhaus. Ich muss zugeben, das war wirklich sehr realistisch. Die Stationen samt Inventar sahen verdammt echt aus. Selbst das schlechte Krankenhausessen, vor allem der Nachtisch—Obstsalat im Plastikbecher—war absolut realitätsnah.

Der Krebs dient als Schmiere für Zwischenmenschliche Beziehungen

Der erste Lacher: In der Vorstellung von einem Hauptprotagonist, Alex, fiel der Satz: „Selbst wenn du das größte Arschloch auf dem Schulhof bist, sind alle immer traurig, wenn du krank wirst." Stimmt, das kann ich absolut bestätigen. Als ich meine Leukämiediagnose bekam, waren plötzlich meine größten Rivalen geschockt und nett zu mir. Der Effekt hält aber nicht für immer an und nach einer Zeit sind auch Arschlöcher wieder kacke zu dir.

Ein komatöser Junge erzählt aus dem Off. Really, VOX?!

Dann kam der erste richtige Aufreger: Die ganze Zeit gibt es eine Erzählstimme aus dem Off. Es ist nicht klar, wer oder was die Stimme ist, doch dann wird Hugo vorgestellt. Hugo ist ein kleiner circa 12 Jahre alter Junge, der nach einem Badeunfall im Koma liegt. Ernsthaft? Natürlich haben die Autoren die künstlerische Freiheit, auch wenn Club der roten Bänder auf einer wahren Geschichte beruht, hier und da etwas zu verändern, um mehr Dramaturgie in die Serie zu bringen, aber ein komatöser Junge?

MOTHERBOARD: Google entwickelt einen Krebsdetektor

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Das Ganze wird noch viel absurder, als mehrere Hauptprotagonisten in ihren Nahtoderfahrungen in einer Zwischenwelt landen, die auch noch aussieht wie das Schwimmbad, in dem Hugo verunglückt ist, auf Hugo treffen und mit ihm sprechen. Als wäre das nicht genug, lässt Hugo auch noch Nachrichten an seine Mutter überbringen. Völlig verrückt wird es dann, als Toni, ein autistischer Junge, auf die Station kommt, der anscheinend durch Telepathie mit Hugo sprechen kann. Das war dann der Punkt, als die Serie anscheinend auch an sich selbst jeglichen Realitätsanspruch verloren hat und tatsächlich nur noch „unterhalten" soll.

Krebs ist was für Jungs, Magersucht was für Mädchen—Auch eine Gang todkranker Kinder ist nicht gefeit vor den sexistischen Stereotypen von Drehbuchautoren

Aber erst bei der Vorstellung des Mädchen des Clubs begann ich, die Serie richtig kacke zu finden: Irgendwann erzählt der Physiotherapeut Leo dem Anführer des Clubs der roten Bänder, aus welchen und wie vielen Personen eine richtige „Gang" zu bestehen hat. Es gibt den Anführer, also Leo, den zweiten Anführer, Jona, den Schönen, Alex, den Klugen, Autisten Toni, den „guten Geist", der natürlich von Hugo eingenommen wird, und das Mädchen, Emma. Emma ist in der Klinik, weil sie eine Essstörung hat. Und die ganze Geschichte von Emma entwickelte sich dann zum richtigen Aufreger. Es passt natürlich super, dass das einzige Mädchen in der Reihe der Hauptprotagonisten keinen Krebs hat und deshalb schon einmal die Haare behalten darf.

So ein hübsches, schlankes Mädchen mit schönen langen schwarzen Haaren passt natürlich viel besser in ein Unterhaltungskonzept als ein blasses, glatzköpfiges Mädchen mit dunklen Ringen unter den Augen mit Krebsdiagnose. Insgesamt sehen die Schauspieler eh alle erstaunlich gesund aus, dafür, dass sie so krank sind, aber im Fall von Emma werden echt alle Klischees erfüllt, die ein weichgespültes, massentaugliches Serienformat erfüllen muss.

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Da darf natürlich auch vor sexistischen Stereotypen der Mehrheitsgesellschaft nicht halt gemacht werden: Männer haben Krebs oder Herzprobleme, Frauen sind Essgestört, müssen gut aussehen und sollen dazu dienen, die feuchten Träume der männlichen Teenager zu bedienen. Das ist wirklich zum Brechen, nicht wegen der Chemo, nicht wegen der Essstörung, sondern einfach nur, weil es ekelhaft schlecht ist.

Mein persönliches Fazit zu Club der roten Bänder

Ich habe wirklich Schlimmes befürchtet. Das Thema ist natürlich auch schwierig darzustellen. Trotzdem habe ich versucht, dem Club der roten Bänder eine Chance zu geben, aber leider wurden meine Erwartungen in vielerlei Hinsicht erfüllt. VOX versucht hier wirklich, Quote mit fiktional todkranken Kindern zu machen und verklärt Krebs, Essstörungen, Autismus, komatöse Kinder und schwere Herzprobleme zu einer romantischen Unterhaltungsscheiße. In jedem Vorspann steht groß „nach einer wahren Geschichte", aber mit der Wahrheit hat das alles wirklich wenig zu tun. Der Krankenhausalltag von schwerkranken Patienten, die Probleme im Alltag, die sozialen Schwierigkeiten in den verschiedenen Familien und mit Freunden werden bestenfalls am Rande realitätsnah dargestellt.

So krasse Erkrankungen sind nämlich einfach in erster Linie scheiße. Natürlich kann man auch mit Krankheit gute Momente haben, natürlich lacht man zwischendurch, und versucht, ein möglichst normales Leben zu führen, aber trotzdem bestimmt die Krankheit beinahe alles. Ich hoffe wirklich, dass VOX oder der Club der roten Bänder nicht auch noch irgendwelche Fernsehpreise oder Ähnliches bekommt, denn mir graut es jetzt schon vor dieser Situation, wenn gut aussehende Nachwuchsschauspieler vor das gerührte Publikum treten, den Preis entgegen nehmen und die Dankesrede lautet: „Ich widme diesen Preis den ganzen todkranken Kindern, die tagtäglich auf den Krebsstationen in diesem Land um ihr Leben kämpfen … bla bla bla …"

Denn auch wenn die Schauspieler und Macher der Serie die ganze Zeit behaupten, sie hätten kein Mitleid mehr mit den Menschen auf solchen Stationen, denn Mitleid würde den Menschen auch nicht helfen und man solle die Menschen am besten ganz normal behandeln, ist das natürlich nicht ganz falsch. Aber muss man das Leid von Menschen deshalb so verklären und verwaschen, damit man es richtig vermarkten kann? Ich finde nicht und geh deshalb jetzt erstmal würgen, muss ich nämlich häufig.