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Politik

​Wir haben das 'Compact'-Magazin durchgelesen, damit ihr es nicht tun müsst

Von der muslimischen Masseninvasion über die Kinder-Verschwulung bis zur "Verdünnung des teutschen Wolfbluts" – das Compact Magazin weiß, wer hinter allem steckt.
Eine Ausgabe des Compact Magazins
Foto vom Autor

"Raus aus der EU!" steht auf dem Cover, daneben hält eine junge Frau schnippisch lächelnd ihren Mittelfinger in die Kamera, der Nagel ist schwarz-rot-gold. Neben dem Mittelfinger reihen sich Überschriften: "Kampf um Wien: Junckers Putschtruppen", "VW-Skandal: Eine US-Verschwörung", oder—mein persönlicher Favorit—"Genscher: Agenten in der Sauna".

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Das ist das Titelblatt der aktuellen Ausgabe des Compact-Magazins, dem Zentralorgan der deutschen Asylkritiker- und Verschwörer-Szene. Compact gibt es schon seit fünf Jahren, richtig durchgestartet ist das Heft aber erst, seit sich von Dresden bis Dortmund Leute auf Plätzen versammeln, "Lügenpresse" grölen und jemanden brauchen, der ihnen endlich die Verbindung zwischen der "Asylflut" und dem internationalen Finanzkapital erklärt.

Diese Aufgabe erfüllt das Compact-Magazin unter seinem Chefredakteur Jürgen Elsässer so gut, dass Pegida-Demonstranten die reißerischen, in bedrohlich dunklen Tönen gehaltenen Titelseiten ausdrucken und als Plakate schwenken. Laut einer Recherche der Zeit soll das Magazin mittlerweile eine Auflage von 80.000 haben—allerdings auch ein paar Geldschwierigkeiten. Dazu kommen die Compact-Konferenzen, auf denen sich jedes Jahr Hunderte Gleichgesinnte treffen, um sich zum Beispiel über den zersetzenden Einfluss der Homo-Lobby Sorgen zu machen.

Aber auch wenn sie einen wichtigen Teil der Basis bilden. Der Einfluss von Compact scheint über ein paar zottelige Chemtrail-Gläubige hinaus zu reichen. Seit Elsässer letztes Jahr die AfD für sich entdeckt hat, werden regelmäßig diverse AfDler in dem Magazin interviewt oder veröffentlicht. Elsässer möchte zum Chefideologen der neurechten Protestbewegung werden und genau deshalb lohnt es sich durchaus, sich seine Zeitschrift genauer anzuschauen.

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Der Vorspann

Eine Foto von Jürgen Elsässer im Compact Magazin

Kuckuck, Jürgen!

Wie die meisten Magazine fängt Compact mit einem Editorial an, nur dass das Bild vom Chefredakteur Elsässer hier fast so viel Platz bekommt wie der Text. Ernst und entschlossen blickt der Ex-Kommunist den Leser an. Als Vorwort hat er diesmal einen "Brief an die Putzfrau der SPD" geschrieben, in dem er Susanne Neumann dafür lobt, dass sie Sigmar Gabriel auf einer SPD-Veranstaltung angeschnauzt hat. Sein einziger Kritikpunkt: Sie nennt sich selbst "Reinigungskraft", nicht "Putzfrau".

So weit kann man ihm folgen, hat sich doch jeder schonmal über Hausmeister gewundert, die jetzt "Facility Management Engineer" heißen. Aber Elsässer geht weiter, denn aus seiner Sicht begann der "Niedergang der Sozialdemokratie" mit solchem "Neusprech". Nämlich "als die Genossen sich die Realität schönreden zu begannen, indem sie vermeintlich böse Worte wie Putzfrau, Gastarbeiter, Zigeunerschnitzel oder Neger ausmerzten." Woah! Wo kam das denn jetzt her? Als sei es alberne Mode, Schwarze nicht mehr als "Neger" zu bezeichnen? Eigentlich hatte ich gedacht, dass er sich erst weiter hinten im Blatt hinter die Fassade schauen lassen würde, aber Elsässer gibt Gas.

Nach dem Vorwort kommen Leserbriefe, die eigentlich aus Kommentaren von der Webseite bestehen und die von der Compact fast ausnahmslos begeistert sind. Dahinter kommen die "Zitate des Monats"—ausschließlich aus den sonst so verhassten "Systemmedien" zusammengesuchte Meldungen über gewalttätige Flüchtlinge, Satanisten und TTIP. Anschließend die "Köpfe des Monats". Diesmal: Der durchgeknallte philippinische Präsident Rodrigo Duterte, weil er zwar manchmal über Vergewaltigungen Witze macht, aber immerhin gegen die USA ist, der ehemalige Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, der wegen Antisemitismus und wirren Hitler-Kommentaren aus der Labour-Partei ausgeschlossen wurde (halt ein Querkopf), und Mats Hummels, warum auch immer.

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Ein Foto von Sahra Wagenknecht im Compact Magazin

Ob Sahra sich darüber freut?

Auf der nächsten Seite wird's spannend: Als "Aufschrei des Monats" berichtet ein anonymer Polizist aus NRW von "Asylantenkriminalität" und klagt, dass es einen "falschen Fokus auf rechte Gewalt" gebe. Die Hakenkreuze malten nämlich überall die "Linken, Linksgrünen und ja selbst Ausländer" hin, und die Flüchtlingsheime zündeten die Flüchtlinge fast immer selbst an. Der Brief endet mit dem Aufruf: "Aufgewachte Kollegen der Polizei und Kameraden der Bundeswehr müssen sich vernetzen und austauschen, um koordiniert und geplant (…) handeln zu können!" Es wäre spannend zu wissen, was die Compact-Redaktion da weggekürzt hat.

Das Heft hat also noch gar nicht richtig angefangen, und ich bin schon tief drin in der Welt von Compact: Komplotte, Vertuschung, kurz bevorstehender Bürgerkrieg. Ich bin gespannt, was im Hauptteil passiert.

"Einfall der Barbaren"

Für das Titelthema "Raus aus der EU!" hat der Chef persönlich gleich zwei Artikel geschrieben: Eine Art Essay, in dem Elsässer den Bogen vom alten Rom über die Sowjetunion bis zur heutigen EU spannt und erklärt, warum die zum Untergang verdammt ist: Erstens weil sie undemokratisch und zweitens "religiös indifferent" ist. Das öffnet nämlich "dem Islam Tür und Tor", wie die Wahl des bekennenden Muslims Sadiq Khan zum Bürgermeister von London beweist. "Es ist in erster Linie diese suizidale Liberalität, die London schrittweise in eine nicht-europäische Stadt verwandelt: Je mehr Einwanderer kommen (…), desto schneller schreitet die Überfremdung voran." Diese Art Sprache ist übrigens völlig normal in der Compact: Andere Medien sind grundsätzlich "Gesinnungsmedien" oder "Mainstream-Journaille", Flüchtlinge immer "muslimische Invasoren".

"Ja zum Minarettverbot" im Compact Magazin
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Was Elsässer an Khans Wahl besonders schmerzt: Der Gegenkandidat, Zac Goldsmith, war leider auch nicht besser. "Als blasierter Multimilliardär, verheiratet mit einer Rothschild-Tochter, fand er nie einen Zugang zum einfachen Volk und stand gerade nicht für die abendländischen Werte, die es zu verteidigen gilt." Warum eigentlich nicht? Elsässer spricht es nicht aus, aber für den geneigten Leser sind die Signale klar: Goldsmith, reich, Rothschild-Tochter—so ein Superjude kann nun wirklich nicht für das Abendland stehen. (Bezeichnend, dass Elsässer immer von den "christlichen Wurzeln" Europas spricht—nie von den "jüdisch-christlichen".)

Sein zweiter Artikel vertritt die These, dass EU-Kommission und Merkel-Regime jene Staaten unter Druck setzen, "die die muslimische Invasion über die Balkan-Route gestoppt haben". In Mazedonien soll eine Orange Revolution "im CIA-Stil" die Grenze bei Idomeni aufsprengen, in Österreich die Grenze zum Brenner geöffnet werden. Seine einzigen Beweise: Eine schon seit Jahren schwelende Regierungskrise in Mazedonien und eine eskalierte Demonstration von Open-Borders-Anarchisten am Brenner. Dass Juncker wirklich "fieberhaft" daran arbeitet, "gebremste Massenzuwanderung aus dem islamischen Krisenbogen wieder in Gang zu bringen", dafür gibt es keinen einzigen Beleg.

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Das scheint auch gar nicht so wichtig zu sein. Die Methode Elsässer ist durchschaubar: Der Compact-Chefredakteur erfindet nicht einfach irgendwelche Theorien. Stattdessen schreibt er allerlei Fakten aus anderen Medien ab (bei bildblog hat das jemand mal sehr genau aufgedröselt) und kombiniert sie auf so fantasievolle Art und Weise neu, dass eine "große Erzählung" entsteht. Alles, was nicht reinpasst, lässt er unter den Tisch fallen—wie zum Beispiel die Tatsache, dass der Westen gar nichts dagegen hatte, dass Mazedonien seine Grenze schließt. Skurrilerweise wird der AfD-Mann Joachim Paul in einem Interview nur ein paar Seiten weiter sogar sagen, Mazedonien "wurde von der EU regelrecht angestiftet, die Grenze zuzumachen." Das muss Elsässer beim Korrekturlesen entgangen sein.

Um die fehlende Substanz der Artikel auszugeichen, ballert Elsässer dafür alles mit knackigen Zwischenüberschriften voll: "Der Dolchstoß von Przinho", "Sturm über Wien", "Die Euro-Versklavung", "Einfall der Barbaren"—markige Soundbites, die mehr versprechen als der Text dann hergibt.

Cui boner?

Der beste Ort, um 'Compact' zu lesen

In dieser Stimmung geht es weiter: Nach Elsässers Ergüssen folgt ein Interview mit dem UKIP-Gründer Nigel Farage, ein Artikel über TTIP ("Verelendung nach Plan"), einer über Angela Merkel ("die große Zerstörerin"), das Interview mit dem AfDler über den NATO-Austritt und schließlich ein großes Interview mit dem Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera über "die Ideologie des Gender-Mainstreaming". Das Interview, das auch sonst vor den üblichen dämlichen Verdrehungen und absichtlichen Missverständnissen nur so strotzt, enthält diese interessante Passage:

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Interviewer: Kann man nicht auch von bösem Willen sprechen, von einem bewussten Plan zur Transformation der Gesellschaft?
Kutschera: Wenn ich spekuliere, dann würde ich sagen ja… Es kann schon sein, dass Deutschland beziehungsweise Mitteleuropa regierbarer gemacht werden soll… Es drängt sich der Versacht auf, dass diese Gender-Biopolitik zu einer leichteren Lenkbarkeit der betreffenden Menschen führen soll.

Dieser Gedankengang ist die Grundhaltung in all diesen Texten, egal, ob es um die "Verschwörung gegen VW", TTIP oder Angela Merkel geht. In dem Merkel-Artikel denkt der Ex-Focus-Mann Michael Klonovsky lange darüber nach, warum Merkel eigentlich alles zerstören will, warum sie "die ethnische Wolfssubstanz der Teutschen so jäh und nachhaltig verdünnt", und kommt schließlich zu dem Schluss: Weil sie Deutschland hasst. Die Kanzlerin arbeitet aktiv an der Auflösung aller Nationen und Völker, weil eine "absonderliche Allianz aus Kapital und Linken" es so will. Um die Geldgier einiger weniger zu befriedigen, werden ganze Völker besetzt und überfremdet, ihre Kinder verschwult und ihre Industrien zerschlagen. Aber wer sind diese wenigen? In seinem Essay über die Querfront schafft Elsässer Klarheit, wo die Frontlinie verläuft :

"Hier die 99 Prozent der Ehrlichen und Arbeitenden—und dort das eine Prozent der internationalen Finanzoligarchie. Über ihre Operationszentralen, die Wallstreet und die City of London, und über Transmissionsriemen wie die US-Notenbank Federal Reserve und die Europäische Zentralbank beherrschen die Geldsäcke die Regierungen der Nationalstaaten und beuten den Mann am Fließband und die Frau an der Supermarktkasse ebenso aus wie den ehrlichen Fabrikanten. Selbst große Konzerne wie VW müssen ihre Peitsche fürchten, wenn sie nicht gefügig sind."

Wenn man die "Supermarktkasse" rausnimmt, könnte die ganze Passage genau so auch im Stürmer der 1920er erschienen sein. Der Glaube an den Gegensatz zwischen "Geldsäcken" und den "Arbeitenden" hat in Deutschland lange Tradition: Schon 1925 schrieb Joseph Goebbels im Kleinen ABC des Nationalsozialisten ebenfalls vom Gegensatz zwischen "national schaffendem und international-raffendem Kapital". Goebbels musste sich aber nicht mit geraunten Anspielungen auf Rothschild-Töchter abgeben, er konnte den Feind ganz klar benennen: die "jüdische Hochfinanz", die "kein anderes Ziel" kennt, als "die schaffenden Völker zu unterjochen und ihren kapitalistischen Zwecken dienstbar zu machen".

Mit seiner Compact arbeitet Elsässer wie besessen daran, diesen Gegensatz 2016 wieder salonfähig zu machen. Wie es dazu kommen konnte, hat Elsässer übrigens 1992, als er noch links war, in der antideutschen Zeitschrift Bahamas selbst sehr treffend beschrieben:

"Antizionismus ist das Scharnier für das barbarische Bündnis aus Ex-Kommunisten und Faschisten. […] Die einzige Möglichkeit, das Verfaulen des verkürzten Antikapitalismus zum Antisemitismus zu verhindern, ist konsequenter Internationalismus in Form des Antinationalismus."

Die ganze Compact trieft nur so vor völkisch verbrämtem "verkürztem Antikapitalismus". Inwieweit das bei ihm persönlich schon zu offenem Antisemitismus verfault ist, muss Elsässer mit sich selbst ausmachen. Mut zur Wahrheit, Jürgen!

Disclaimer: Wir haben das Gesicht auf dem Compact_-Cover mit unserer eleganten Bürotasse verdeckt, weil das Model nicht damit einverstanden ist, auf so einem Magazin abgebildet zu sein und deshalb juristisch gegen Compact vorgeht.