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So dumm sind die Gründe der Gegner des Asylzentrums im Kanton Solothurn

In Deitingen im Kanton Solothurn wird ein Asylzentrum gebaut. Grund genug für einige Einwohner sich in Fremdenfeindlichkeit zu baden.

In Deitingen im Kanton Solothurn wird bis spätestens 2019 ein Asylzentrum gebaut. Maximal 280 Asylbewerber sollen im Gebäude abseits des Dorfkerns unterkommen. Der Bau des Zentrums ist schon beschlossene Sache. Am Montag informierte der Kanton an einer Info-Veranstaltung 700 Einwohner über die bevorstehenden Pläne.

An sich eine gute Sache—hätten ein paar besorgte Deitinger das nicht zum Anlass genommen, die Schublade mit der Aufschrift „Arschloch-Sprüche" zu öffnen. Ich habe mir die Statements aus einem Video von blick.ch angesehen und musste feststellen: Entweder waren die treuen Bürger von der einsetzenden Hitzewelle geistig ziemlich beeinträchtigt oder sie sind schlicht Fremdenfeinde der Güteklasse A+.

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Besorgte Bürgerin #1: Heidi (72)

Screenshot von blick.ch

„Meine Angst ist sehr gross. Mein Arbeitsweg führte einige Jahre am Bahnhof vorbei. Es ist nicht lustig, wie du tagtäglich belästigt wirst. Einmal bin ich sogar stehen geblieben und habe gesagt: ,Bin ich hier eigentlich in Afrika?!' Nur noch schwarz, schwarz, schwarz! Das ist nicht mehr lustig!

Ich habe das Gefühl, ich werde (von den Behörden) gar nicht ernst genommen—zu 100 Prozent! Als Schweizerin … als Eidgenossin—ich bin eine Eidgenossin—Schweizer kann jeder werden!"

Liebe Heidi,

Ich habe auch Angst. Ich habe Angst davor, dass in der Schweiz mehr und mehr Menschen so denken wie du. Dass mehr und mehr Menschen die Pläne von Teilen der Tessiner Lega unterstützen, die Grenze zu Italien mit einem Zaun zu verbarrikadieren. Doch im Gegensatz zu dir stelle ich meine Gefühle nicht über die Lebensgrundlage von Menschen am untersten Rand unserer Gesellschaft. Denkst du wirklich, die Flüchtlinge sind nur hierher gekommen, um am Bahnhof Deitingen deine Gefühle zu verletzen? Weil einige das trotzdem wagen und du in deinem persönlichen Afrika um dein Leben fürchtest, weil alles „schwarz, schwarz, schwarz" ist, ziehst du über eine ganze Menschengruppe her—das ist falsch. Ich finde ja auch nicht alle Rothaarigen scheisse, nur weil du dich hier als Rassistin outest.

Du hast aber nicht nur Angst. Du fühlst dich als treue Eidgenossin auch von den Behörden im Stich gelassen. Dafür sind natürlich die Asylsuchenden verantwortlich. Sie sind es schliesslich, die in der Schweiz Beschlüsse fällen und Gesetze machen. Oder etwa doch die Politik?

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Diagnose: Ursache-Wirkung-Chaos, Alle sind so-Wahn, Ich bin der Mittelpunkt der Welt.

Empfehlung: Get over it! Vielleicht bei einer Reise nach Afrika? Dort wärst du nur noch weiss, weiss, weiss.

Besorgter Bürger #2: Yan (25)

Screenshot von blick.ch

„Diese Leute kommen ohne Geld, ohne Pass. Wie leisten sich die … die müssen ja irgendwie leben können. Sie finden keine Arbeit, weil sie nicht einmal die Sprache beherrschen—also was machen sie? Sie werden kriminell. Das ist nunmal so."

Lieber Yan,

Du scheinst sehr viele Asylbewerber zu kennen. Anders ist es kaum möglich, dass du weisst, dass alle von ihnen kriminell werden. Sie können kein Deutsch, sie dürfen nicht arbeiten—das stimmt. Aber anstatt etwas dagegen zu tun, möchtest du lieber ein Symptom davon bekämpfen. Es wäre doch viel schöner, müssten die Flüchtlinge—deiner Logik nach—gar nicht erst kriminell werden. Noch schöner wäre es, wenn du ihnen dabei hilfst. Bring ihnen Deutsch bei, gib ihnen Arbeit. Sich aber aus fadenscheinigen Gründen gegen ein Asylzentrum zu stellen ist geistig sehr opportunistisch. Und niemand mag Opportunisten.

Diagnose: Ursache-Wirkung-Chaos, Alle sind so-Wahn.

Empfehlung: Red doch mal mit einem Asylsuchenden. Er wird dir keine Arme brechen. Versprochen.

Besorgte Bürgerin #3: Caroline (49)

Screenshot von blick.ch

„Ich habe genau das gleiche Gefühl (wie Heidi). Und ich habe so eine Wolle! Du bist alleinerziehend. Du bekommst keine Hilfe hier in der Schweiz. Und denen wird alles in den Arsch gestossen—es wird unterstützt und geholfen. Wo sind die vom Ersten und Zweiten Weltkrieg, die auch geschädigt sind? Denen wurde nicht so geholfen. Und sie kommen immer einfach mit den Kindern und drücken auf die Tränendrüse und leider Gottes fallen viele Leute auf diese Schönredner rein."

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Liebe Caroline,

Das was du hier betreibst nennen die klugen Menschen vom The Economist „Whataboutism". Die Sowjetunion hat im Kalten Krieg gerne mal auf diese Strategie gesetzt. Sobald der Westen auf sowjetische Menschenrechtsverletzungen zu sprechen kam, meinte die Sowjetunion: „Ihr seid doch auch nicht besser!" Probleme werden relativiert, indem man sie mit anderen Problemen vergleicht. Du regst dich über mangelnde Unterstützung für Alleinerziehende auf. Wahrscheinlich zurecht. Aber was hast du davon, Menschen dafür zu bestrafen, die mit diesen Missständen überhaupt nichts zu tun haben? Ich lege auch keine Kacke unter deine Fussmatte, nur weil mein Konto nicht vor Geld platzt.

Immerhin erkennst du anscheinend—im Gegensatz zu deiner Freundin Heidi—, dass die Asylsuchenden vor Kriegen flüchten und nicht hier sind, weil sie Lust auf eine abenteuerliche Bootstour übers Mittelmeer hatten. Leider wagst du trotzdem den Logik-Spagat und fragst: Warum kriegen die anderen den Keks, den ich auch will?

Diagnose: Ursache-Wirkung-Chaos, Was ist mit den anderen?!

Empfehlung: Komm mal runter. Trink einen Tee und überleg dir nochmal, wer daran schuld ist, dass Alleinerziehende von den Behörden scheisse behandelt werden.

Nachdem ich mich ein paar Mal durch das Video gequält habe, hoffe ich, die Heidis, Yans und Carolines machen nur einen kleinen Teil der Schweiz aus. Und doch bin ich mir ziemlich sicher: Deitingen könnte überall sein. Die Tessiner Lega möchte die Grenze zu Italien mit einem Zaun verbarrikadieren. Die SVP will Asylsuchende auf dem „absoluten Existenzminimum" von maximal 600 Franken pro Monat halten. Und sogar 20 Minuten schreibt schon von einem „Asylchaos".

Die Stimmen gegen Flüchtlinge werden immer lauter. Die Kommentarspalten der News-Portale und auf Facebook sind regelrechte Sammelbecken für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Für uns heisst das: Wir müssen uns entscheiden. Nicht dafür, auf welcher Seite des Zauns wir stehen wollen—sondern ob wir der Zaun sein wollen oder nicht.