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Interviews

Wir haben einen Ermittler gefragt, ob ein normaler Bürger einen Mordfall lösen könnte

Gib's zu: Auch du hast schon mal gedacht, dass du den Fall schneller gelöst hättest als Frank Thiel, Mick Brisgau oder Horatio Caine.
Dennis Skley | Flickr | CC BY-ND 2.0

Dennis Skley | Flickr | CC BY-ND 2.0

Könnte ich, als Ottonormalverbraucher, einen Mordfall lösen? Das habe ich mich in letzter Zeit ab und zu gefragt, wenn ich durch die allabendliche TV-Krimilandschaft zappe und Ermittler von Blutspuren, Beweislage und Leichenstarre reden hören. Eigentlich Dinge, mit denen ich mich null auskenne. Dennoch hatte ich manchmal das Gefühl, dass ich mit gesundem Menschenverstand, einer Prise logischen Denkens und viel Beharrlichkeit, den ein oder anderen TV-Mordfall auch hätte lösen können. Andererseits habe ich keine Ahnung, was mir als normalem Bürger für Ressourcen zur Verfügung stehen, wozu ich berechtigt bin und was ich wirklich lieber lassen sollte.

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Es erschien mir naheliegend, mich darüber mit einem Polizisten oder besser noch Kriminalpolizisten zu unterhalten, jedoch hielt die Polizei es für keine gute Idee, meine Fragen zu beantworten. So wandte ich mich an die Detektei Kurtz, die bestätigte, dass Mordermittlungen durch Privatdetektive zwar nicht alltäglich sind, aber durchaus vorkommen. Auch die Detektei Kurtz hatte bereits solche Fälle auf dem Tisch. In den Ermittlungen haben sie eng mit einigen wenigen Koryphäen zusammengearbeitet, die es in dieser Thematik gibt, darunter ehemalige Polizisten und Mordermittler.

Wir haben mit einem dieser Ermittler gesprochen (der hier anonym bleiben möchte) und uns erklären lassen, wie du oder ich an die Sache herangehen sollten.

VICE: Stell dir folgendes Szenario vor: Es ist 7 Uhr morgens und ich habe gerade meinen Nachbarn tot in seinem Vorgarten gefunden. Es gibt Anzeichen eines Kampfes. Ich bin auf mich alleine gestellt und muss herausfinden, was passiert ist. Was mache ich als Erstes?
Ermittler: Zunächst vergewisserst du dich, ob derjenige tatsächlich tot ist oder ob man ihm durch lebensrettende Sofortmaßnahmen noch helfen kann. Ist der Tod festgestellt, prüfst du im Sinne deiner Eigensicherung, ob du allein bist oder ob sich ein eventueller Täter noch in der unmittelbaren Umgebung aufhält und eine Gefahr für dich darstellen könnte. Du begibst dich dazu aus dem „Spotlight" bei der Leiche an eine Stelle, von der aus du möglichst viel überblicken kannst, ohne selbst gesehen zu werden: vielleicht der Türabsatz eines gegenüberliegenden Nachbarhauses. Wenn du dir sicher bist, dass der Täter nicht mehr da ist, gehst du zurück zur Leiche und – da du ja weder polizeiliche noch medizinische Fremdhilfe in Anspruch nehmen kannst – untersuchst den Toten.

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Umgekehrt funktioniert es auf jeden Fall: Jeder Mensch ist zu einem Mord fähig.

Auf was für Hinweise sollte ich achten?
Du hast ja bereits Anzeichen für einen Kampf festgestellt. Das können in diesem Szenario zum Beispiel umgestürzte Gartenzwerge, ein aufgewühlter Boden, beschädigte Kleidung und natürlich physische Verletzungen sein. Bei der Untersuchung der Leiche fällt dir schnell ein Stück Stoff auf, das der Tote krampfhaft in der Hand hält. Es könnte sich um einen Teil einer Jacke handeln.

Wie einfach wäre es für mich, den Todeszeitpunkt zu bestimmen? Und wie könnte ich das anstellen?
Es ist davon auszugehen, dass wir in einem Vorgarten nicht mit einer langen Leichenliegezeit rechnen müssen und daher Komponenten wie Larvenbefall ausblenden können. Ein wichtiger Indikator für dich ist die Leichenstarre. Gehen wir von einem Junimorgen bei vielleicht 15 °C aus (die Temperatur beeinflusst die Geschwindigkeit des Eintretens der Leichenstarre erheblich), so dürfte die Leichenstarre bei einem „normalen Toten" ca. 7 bis 13 Stunden nach dem Tod vollständig ausgeprägt sein. Da dies ein recht weit gefasster Zeitraum ist, schaust du dir einzelne Körperpartien an, bei denen die Leichenstarre für gewöhnlich schneller einsetzt und beginnst dabei am Kopf (Augenlider, Gesichtsmuskeln, Hals), denn normalerweise erfolgt die Leichenstarre von oben nach unten. In unserem Szenario könnte das zwar anders sein, da Füße und Beine womöglich während der eventuellen Kampfhandlung unmittelbar vor dem Tod stark genutzt wurden, doch halten wir uns trotzdem erst einmal an diese Faustregel.

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Der Kiefer des Toten ist infolge der ursprünglichen Erschlaffung unmittelbar nach dem Eintreten des Todes weit aufgeklappt und inzwischen weitgehend erstarrt. Du stellst ferner fest, dass der Hals ebenfalls bereits erstarrt ist, die Füße allerdings noch nicht. Unter der Prämisse, dass während der Kampfhandlung, die mutmaßlich zum Tod geführt hat, ein hoher Energieeinsatz aufgewandt wurde und folglich eine Erhöhung der Körpertemperatur des Verstorbenen eingesetzt hat, überschlägst du den Todeszeitpunkt angesichts dessen auf 2-6 Uhr.

Auch zu beachten: Sollte die Leiche nach einem ersten partiellen Eintreten der Leichenstarre stark bewegt worden sein, kann es vorkommen, dass örtlich das Einsetzen dieser Starre durchbrochen wurde und sie somit von neuem begonnen hat. Das kann uns entscheidend fehllenken bei der Bestimmung des Todeszeitpunkts. Bei diesen Schätzungen handelt es sich ohnehin nur um eine ohne technische Hilfsmittel vorgenommene Erstbegutachtung.

Wie kann ich die Beweise während meines Ermittlungsprozesses sinnvoll zusammentragen?
Im vorliegenden Fall würdest du dein Smartphone zücken und die Leiche fotografieren, insbesondere das Aussehen der Leichenflecke dokumentieren. Außerdem könntest du mit einem Video den Erstarrungs- bzw. Erschlaffungszustand der Leiche festhalten, indem du einzelne Körperteile bewegst. Das kannst du allerdings nur machen, weil laut diesem fiktiven Szenario keine polizeiliche Hilfe zu erwarten ist, denn auf diese Weise würdest du die gerichtsmedizinische Untersuchung stark verfälschen, da durch das Bewegen der Muskeln und Glieder die Leichenstarre lokal aufgebrochen werden kann.

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Wenn es daran geht, potentielle Verdächtige ausfindig zu machen: Welche Ressourcen stehen mir als Zivilist zur Verfügung?
Ohne Fremdhilfe sind die Ressourcen recht eingeschränkt. Womit die Kurtz Detektei Berlin gern arbeitet, wenn es darum geht, Personen aufzufinden, über deren Aufenthaltsort oder gar deren Identität wenig bis nichts bekannt ist, sind sogenannte Mantrailer-Hunde. Hierbei handelt es sich um hochspezialisierte Personenspürhunde, die in der Lage sind, anhand eines Geruchsträgers (bspw. das Stück Stoff in der Hand des Toten) die Spur desjenigen zu verfolgen, der dem Geruchsträger die menschlichen Bestandteile des Geruchs gegeben hat.

Hast du irgendwelche Tipps, wenn es darum geht, Infos zu potentiellen Verdächtigen zu recherchieren? Tricks um Trugschlüsse oder eine komplett falsche Richtung zu vermeiden?
Trugschlüsse ergeben sich immer mal wieder. Diesbezüglich hilft meist nur entweder eine Datenbankrecherche über unsere Partner bzw. Kontaktpersonen bei diversen Behörden und anderen Unternehmen, die personenbezogene Daten speichern, oder – wenn danach immer noch Unklarheit herrscht – die physische Überprüfung vor Ort. Habe ich beispielsweise zu einer Person zwei Adressen, wird es sich mit einhundertprozentiger Gewissheit kaum vermeiden lassen, diese Adressen vor Ort zu prüfen.

Okay, wenn du dann schon mal vor Ort bist: Was gibt es für Möglichkeiten herauszufinden, dass die Person, die du gerade befragst, lügt?
Bei der Befragung können, genauso wie bei der Vernehmung, situationsabhängig unterschiedliche Taktiken zum Einsatz kommen. Um den Wahrheitsgehalt von Aussagen zu prüfen, sollte man sich zunächst darüber Gedanken machen, aus welchem Motiv heraus unwahre Angaben gemacht werden könnten. Ferner, wer davon einen Nutzen bezieht. Im besten Fall durchdenke ich meine Legende so, dass der Befragte nicht auf die Idee kommen kann, mir Informationen vorzuenthalten, die einem anderen (beispielsweise dem gesuchten Täter) schaden könnten. Eine Legende ist ein wasserdichter Vorwand, unter dem ich die Befragung vornehme, da ich nur in wenigen Fällen offen als Detektiv auftreten sollte, wenn ich an der Wahrheitsfindung interessiert bin.

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Bei einer Vernehmung ist es zum Beispiel nützlich, Anreize zu setzen, die den Vernommenen dazu bewegen, wahrheitsgemäße und umfassende Aussagen zu machen. Hierbei lässt sich eine Parallele zur Strafverfolgung beziehungsweise zur Rechtsprechung ziehen, in denen Tätern häufig eine Strafminderung oder ein Straferlass angeboten wird, wenn sie dafür einen anderen belasten oder die Ermittler mit Informationen versorgen. In der Berufspraxis von Detektiven wird mitunter der Verzicht auf eine Strafanzeige angeboten, wenn der Täter „auspackt" und sich zusätzlich bereit erklärt, für die verursachten Schäden aufzukommen (zum Beispiel bei Diebstahl und Unterschlagung im Betrieb). Was natürlich gar nicht geht und womit jeder Vernehmende aufpassen muss, sind Einschüchterung und Bedrohung.

Eine andere interessante Methode zur Lügenerkennung ist ein wissenschaftliches Verfahren des amerikanischen Verhaltensanalytikers Prof. Paul Ekman, das auf der Auswertung von Mikroausdrücken in der Mimik beruht. Einem breiten Publikum bekannt wurde dieses Verfahren, das es schon seit den 1970ern gibt, durch die US-Serie Lie to Me.

OK. Und habe ich als Bürger das Recht jemanden an einem Ort festzuhalten oder sogar zu verhaften?
Laut Strafprozessordnung (StPO) gibt es in Deutschland die vorläufige Festnahme (§ 127). Es handelt sich hierbei um ein sogenanntes Jedermannsrecht, welches alle Bürger befugt, Täter, die sie auf frischer Tat ertappen und die der Flucht verdächtig sind, beziehungsweise deren Identität sich nicht einwandfrei feststellen lässt, vorläufig festzunehmen, bis die Vertreter der Staatsmacht eintreffen. In unserer Berufspraxis kommt das zwar nur sehr selten vor, doch es kommt vor.

NOISEY: Auch mörderisch!

Zu guter Letzt: Ich habe also meinen Hauptverdächtigen gefunden, halte ihn bestenfalls an einem Ort fest und alarmiere die Polizei: Werden die Polizisten mir dann sagen, dass ich die Person laufen lassen und mit meinen Ermittlungen aufhören soll?
Wenn du ein Laie auf dem Gebiet der Ermittlungen bist, dann wird man dir das mit Sicherheit sagen. Doch auch die Zusammenarbeit von Ermittlungsbehörden und professionellen Privatermittlern funktioniert in Deutschland, anders als beispielsweise in Großbritannien, mitunter sehr schlecht. Grundsätzlich hat man es nicht gern, wenn sich andere in die Ermittlungsbelange einmischen, selbst wenn diese der Qualifikation nach vereinzelt kompetenter sind. So kenne ich einen privaten Mordermittler, der früher eine hohe Stellung bei der Kriminalpolizei innehatte und deutlich qualifizierter ist, als der Durchschnittspolizist und auch als der Durchschnittskriminalpolizist. Er hat in einem medial prominenten Mordfall bahnbrechende Ermittlungsergebnisse erzielt, die seit Jahren von den zuständigen Kriminalpolizisten ignoriert werden. Dass damit vor allem den Angehörigen des Opfers nicht im Geringsten geholfen ist, wird von behördlicher Seite leider ignoriert.

Andererseits kann ich die Ressentiments der Behörden gegen Privatdetektive teilweise auch nachvollziehen, da es trotz großer Bemühungen seitens der Detektivverbände bislang keine deutsche Regierung geschafft hat, Zugangsvoraussetzungen wie eine fachgerechte Ausbildung an den Beruf Detektiv zu knüpfen. Diese Bemühungen der Branche gibt es nun schon seit 100 Jahren, ohne dass sich dauerhaft etwas getan hätte. Leider tummeln sich deshalb zahlreiche Laien unter den Gewerbetreibenden, die nicht selten dem Ruf des Detektivgewerbes schaden.