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Wahlen 2015

Wir haben Experten gefragt, was passieren würde, wenn Strache Bürgermeister wird

Es ist eine rein hypothetische Zukunft, in die wir schauen, aber eine durchaus mögliche.
Montage von VICE Media

Es ist ein regnerischer Morgen im November 2015. Die Wien-Wahl liegt inzwischen einige Wochen zurück und Heinz-Christian Strache wird von Bundespräsident Fischer in der Hofburg zum neuen Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien angelobt. Kameras klicken. Ein Handschlag. „Ich gelobe."

Strache ist Bürgermeister und in allen österreichischen Medien debattieren Politikwissenschaftler gemeinsam mit Journalisten und Künstlern darüber, wie es zu diesem—hypothetischen—Punkt kommen konnte. Genauso unklar ist, was als nächstes in Wien passieren wird.

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Um auch nur den leisesten Hauch einer Antwort darauf zu bekommen, braucht es schon richtige Experten. Und am besten beginnt man mit den Fragen schon jetzt, solange dieses Szenario tatsächlich noch ein erfundenes ist.

Immerhin hat Strache schon bei mehr als einer Gelegenheit bewiesen, dass er abgesehen von seiner Ausländer-Linie völlig unberechenbar ist. Wir reden schließlich von dem Mann, der es abwechselnd mit staatsmännischem Auftreten und Haider-Verschwörungstheorien versucht und sich ein zweites Standbein als Österreichs lustigster Rapper aufgebaut hat, indem er „gut und fein" auf „Einheitsbrei sein" reimte. Er ist eine tickende Zeitbombe, die nur darauf wartet, ihre künftigen Hits unter dem Pseudonym MC Bürgermeister rauszuhauen.

Deshalb haben wir uns mit Marcelo Jenny und Laurenz Ennser-Jedenastik vom Institut für Staatswissenschaften an der Universität Wien darüber unterhalten, ob Strache als Bürgermeister wirklich das Verderben bedeuten würde, das seine Gegner sich jetzt schon ausmalen. Es ist eine rein spekulative Zukunft, in die wir hier reisen—und auch eine, in die wir so bald nicht wieder zurückkehren wollen.

VICE: Strache ist Bürgermeister. Wie konnte das passieren?
Marcelo Jenny und Laurenz Ennser-Jedenastik: Erstens weil genügend Wienerinnen und Wiener es so wollten und zweitens weil die FPÖ nach der Gemeinderatswahl gut verhandelt hat. Für Straches Wahl zum Bürgermeister benötigt die FPÖ eine unterstützende Mehrheit im Wiener Gemeinderat (der ja auch als Landtag fungiert). SPÖ, Grüne und Neos haben ausgeschlossen, mit der FPÖ zu koalieren—daher ist Blau-Schwarz die einzig denkbare Variante, um einen FPÖ-Bürgermeister zu bekommen.
Derzeit liegt eine FPÖ-ÖVP-Koalition in den Umfragen allerdings noch mehr als 10 Prozent hinter den gemeinsamen Stimmenanteilen von SPÖ-Grüne-Neos. Es müssten also bis zum 11. Oktober noch massive Wählerbewegungen stattfinden, damit eine arithmetische Chance auf einen Bürgermeister Strache besteht. Und dann müsste die ÖVP überzeugt werden, ihn zum Bürgermeister zu machen.

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Was wird jetzt mit Wien passieren?
Zunächst ändert sich nicht viel im Alltag der WienerInnen. Die U-Bahn fährt wie bisher, das Hochquellwasser sprudelt weiterhin und die MA48 holt noch immer den Müll. Wahrscheinlich gibt es zu Beginn Protestaktionen der Kulturszene, an den Universitäten, sicher auch einige Demonstrationen (siehe Schwarz-Blau im Jahr 2000).
Wie viel sich in den einzelnen Ressorts der Stadtregierung inhaltlich ändern wird, hängt vom Koalitionsabkommen ab, das die FPÖ mit ihrem Partner ausverhandelt. Die ÖVP wird sich die Unterstützung eines Bürgermeisters Strache teuer abkaufen lassen. Immerhin stünde der ÖVP auch die Alternative einer Regierungsbeteiligung unter Führung der SPÖ offen.

Foto: Multimedia-Blog Bundepraesident.in | Flickr | CC BY 2.0

Welche ihrer Programmpunkte kann die FPÖ auf reiner Landesebene durchsetzen?
Der Veränderungsspielraum der FPÖ wird bei vielen ihrer Kernthemen begrenzt durch die Bundeskompetenz—etwa bei Zuwanderung, Asylgesetzgebung oder Fragen der europäischen Integration. Die stärksten Änderungen wären wahrscheinlich in den Bereichen Wohnen, Integration, Bildung und Kinderbetreuung zu erwarten. Dort könnte eine FPÖ-geführte Landesregierung ihre inhaltlichen Vorstellungen umsetzen.
Realistisch machbar sind ein restriktiver Zugang zu Gemeindewohnungen für Migranten, eine stärkere Segregation im Bildungswesen auf Basis der Deutschkenntnisse, weniger Kinderbetreuungsplätze für Unter-Dreijährige oder ein geringeres Budget für Ganztagesschulformen. Außerdem könnte man erwarten, dass die Verkehrspolitik deutlich autofahrerfreundlicher würde. Eine FPÖ-ÖVP-Regierung bräuchte aber auch Vorzeigeprojekte—vielleicht eine große Gebührensenkung? Das käme zwar bei ihren Wählerinnen und Wählern gut an, würde aber dem neuen Finanzstadtrat massive Kopfzerbrechen bereiten und die ohnehin großen Herausforderungen der Regierungsarbeit noch steigern.

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Mit wie viel Rückendeckung kann Strache im politischen Alltag rechnen?
Eines gilt es zu bedenken: Ein FPÖ-Bürgermeister Strache wäre tagtäglich mit einem SPÖ-loyalen Verwaltungsapparat konfrontiert. Da die FPÖ in Wien keinerlei Regierungserfahrung hat, kann man massive Konflikte zwischen der politischen und der Verwaltungsebene erwarten. Um diese zu verringern und ihre Vorstellungen umsetzen zu können, müssten zahlreiche Personen in Führungspositionen der Stadtverwaltung sowie bei den städtischen Unternehmen (Wiener Stadtwerke etc.) ausgetauscht werden. So was geht nicht von heute auf morgen. Die FPÖ müsste ihr Personalreservoir an geeigneten Kandidaten mit Sachkenntnis und Managementerfahrung sichten und stünde gleichzeitig unter dem massiven Druck ihrer Sympathisanten, die, unabhängig von ihrer Eignung, nach vielen Jahren der Entbehrung in der politischen Wüste endlich eine Belohnung in Form von lukrativen Ämtern haben möchten.
Den größten Einfluss hatte die FPÖ bisher nicht direkt, sondern indirekt, indem sie andere Parteien dazu brachte, ihr politisches Programm—und eventuell ihr Führungspersonal—zu verändern. Interessant ist also, wie SPÖ und ÖVP im Bund inhaltlich und personell auf einen Wiener Bürgermeister Strache reagieren würden.

Foto: blu-news.org | Flickr | CC BY-SA 2.0

Welche Art Bürgermeister ist Strache?
Ein innenpolitisch umstrittener jedenfalls. Als Bürgermeister einer Millionenstadt sind Managementfähigkeiten und Verhandlungsgeschick essentiell—bei Strache wissen wir eigentlich nicht genau, wie gut er darin ist. Der Umgang mit manchen Vorgängen in der eigenen Partei offenbarte nicht immer große Führungsqualitäten, siehe FPÖ Salzburg.
Als Landeshauptmann wäre er Mitglied der Landeshauptleutekonferenz und somit ständig in Verhandlungen mit anderen Ländern und mit der Bundesregierung involviert. Das betrifft Themen wie Gesundheitsreform, Bildungsreform, Asyl und so weiter.
Offen ist, ob die FPÖ in dieser Arena ihre Oppositionsrolle auf der Bundesebene fortsetzen oder ob sie sich auf ein politisches Geben und Nehmen einlässt. Angesichts der großen Herausforderungen des Regierens in Wien für die FPÖ, tippen wir auf letzteres.

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Strache will eine Rede zur Amtseinführung halten. Was sind seine ungefähren Worte?

Das ist wirklich sehr schwer abzuschätzen. Wir tippen auf einen konzilianten Ton bei gleichzeitig starkem Pochen auf das demokratische Mandat, dem er sein Amt verdankt.

Was ist das Beste an der Wiener FPÖ-Regierung?
Die Tatsache, dass die Wiener SPÖ lernt, dass sie kein Monopol auf den Bürgermeistersessel hat. Wettbewerb ist gut für die Demokratie.

Woran könnte sie scheitern?
Am ehesten an innerparteilichen Konflikten. Das ist auf Bundesebene noch bei jeder Regierungsbeteiligung der FPÖ passiert: 1986 gab es den „Putsch" gegen Norbert Steger und damit das Ende der SPÖ-FPÖ-Koalition, 2002 war Knittelfeld und damit das Ende des Kabinetts Schüssel I und 2005 schließlich die Parteispaltung mit der Gründung des BZÖ. Gehen wir noch ein bisschen weiter.

Wir sind im Jahr 2020, Straches erste Amtsperiode ist vorbei. Wohin als nächstes?
So unspektakulär das klingt: Am wahrscheinlichsten ist der Weg zurück in die Opposition – falls sich in der Zwischenzeit nicht eine bessere Möglichkeit auf der Bundesebene aufgetan hat. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass eine Partei ohne Regierungserfahrung, mit einer dünnen Personaldecke und mit einem feindlichen Verwaltungsapparat konfrontiert ihr exzellentes Wahlergebnis bei der nächsten Wahl wiederholen kann.

Franz auf Twitter: @FranzLicht