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Ein Gespräch mit einem Auftragskiller des Zetas-Kartells

"Ich bekomme den Befehl, mich an einen bestimmten Ort zu begeben, dort eine bestimmte Person zu finden, sie zu entführen und sicherzustellen, dass sie nie wieder gesehen wird."

Der Mann, der mir hier in einem billigen Hotelzimmer gegenübersitzt, will nicht, dass seine äußere Erscheinung in irgendeiner Weise beschrieben wird. Das hat er mehr als deutlich gemacht. Aber selbst wenn, gibt es nichts Auffälliges, was über sein Aussehen zu berichten wäre.

Genau so wenig dürfen wir den genauen Ort unseres Treffens preisgeben und eine Nennung seines echten Namens oder üblichen Tarnnamens steht ebenso außer Frage.

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Stattdessen hatte sich der Anführer eines Kommandos von Auftragskillern des Los Zetas Kartell in Veracruz, einem von Mexikos gefährlichsten Bundesstaaten, für unser Treffen einen Namen ausgedacht, der seine Tätigkeit in seinen Augen perfekt widerspiegelt: El Sangres—von sangre, dem spanischen Wort für Blut.

Man bekommt so gut wie nie die Gelegenheit mit einem aktiven Zeta-Kommandeur zu sprechen. Wahrscheinlich hatte El Sangres diesem Interview nur zugestimmt, weil er darüber reden wollte, wie der Einfluss seines berüchtigt-brutalen Kartells im Bundesstaat Veracruz mit der Qualität seiner Regierungsverbindungen gestiegen und gefallen ist.

Die Zetas, so gibt er zu, haben in den letzten Jahren durch Revierkämpfe mit dem Kartell Jalisco Nueva Generación (CJNG auf Spanisch) an Präsenz verloren. Er beharrt darauf, dass diese mit dem momentan amtierenden Gouverneur Javier Duarte unter einer Decke stecken, ist aber gleichzeitig davon überzeugt, dass die Zetas früher oder später einen Weg finden werden, die alten Gebiete wieder an sich zu reißen.

"Duarte ist eine Marionette", sagt er, ohne dabei irgendwie sauer zu klingen. So ist es eben. Die Spielregeln sind heute halt andere als damals, als noch die Zetas den Gouverneur an ihrer Seite hatten. "Duarte will die Zetas vernichten, aber das wird nie passieren. Wenn sie einen von uns töten, schlagen drei oder vier zurück."

Die Behauptungen des Auftragskillers über den Gouverneur, der seit 2010 im Amt ist, lassen sich nicht verifizieren, aber auch so erklären nur wenige ernstzunehmenden Beobachter die ausufernde Gewalt in Veracruz heutzutage noch, ohne auf die Verwicklungen der Politik ins Drogengeschäft zu verweisen.

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Wenn sie einen von uns töten, schlagen drei oder vier zurück.

Gleichzeitig suggeriert Sangres' Gelassenheit und sein großspuriges Auftreten, dass der Terror—trotz anstehender Wahlen, die Duartes Nachfolger bestimmen werden—in Veracruz und anderen Bundesstaaten von Mexiko weitergehen wird.

VICE News hat sich von drei verlässlichen Quellen bestätigen lassen, dass Sangres auch wirklich der Mann ist, der er zu sein behauptet. Er ist seit fünf Jahren bei den Zetas aktiv und Anführer einer Zelle von Auftragskillern irgendwo im zentralen Veracruz

In unserem Interview sagt er, dass fast ein Dutzend Attentäter unter seinem Kommando steht. Er nennt sie seine angelitos, seine Engelchen.

"Sie sind eine Familie, meine Familie—kaltblütige Killer." Er besteht aber darauf, dass es, obwohl "die Menschen denken, dass wir die Schlimmsten sind", gute Gründe gibt, warum er mit einem Mord beauftragt wird. Seiner Opfer "schulden etwas" oder haben sich in Dinge eingemischt, aus denen sie sich besser rausgehalten hätten. Mit einem gewissen Stolz gibt er an, dass er keine anderen Verbrechen wie Erpressung oder Diebstahl begeht.

Ich bekomme den Befehl, mich an einen bestimmten Ort zu begeben, dort eine bestimmte Person zu finden, sie zu entführen und sicherzustellen, dass sie nie wieder gesehen wird.

Entstanden sind die Zetas in den späten 90er Jahren im nordöstlichen Grenzstaat Tamaulipas. Das Golf-Kartell rekrutierte damals desertierte Elitekämpfer des mexikanischen Militärs, um einen bewaffneten Arm der eigenen Verbrechensorganisation zu gründen. Diese Gruppe hochausgebildeter Ex-Soldaten fing später an, eigenhändig zu operieren, bis die Golf-Zeta-Allianz 2010 schließlich in einem besonders brutalen Revierkampf in Tamaulipas auseinanderbrach.

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In der Zwischenzeit hatten sich die Zetas einen besonders blutigen Ruf erarbeitet. Sie hängten Leichen an Brücken auf, platzierten abgetrennte Köpfe vor Schulen, zerstückelten Frauen vor laufender Kamera und stellten die Videos dann ins Internet.

"Wir waren damals noch nicht in Veracruz. Wir sind hierher gekommen, weil uns die Regierung von Fidel Herrera reingelassen hat—das schwöre ich", sagt El Sangres über Duartes Vorgänger.

El Sangres erzählt, dass "Fidel" die Zetas 2005 in das sich direkt unter Tamaulipas befindliche Veracruz eingeladen hatte, damit sie sich dort für ihn um ein paar "Probleme" kümmern. Allerdings habe der Gouverneur schon bald die Kontrolle über das Kartell verloren.

Der Zeta-Einfluss war lange Zeit derartig unangefochten, dass die Einheimischen zynisch das "Z" im Namen des Bundesstaates und vieler seiner größeren Städte mit der Präsenz des Kartells erklärten. Die Hauptstadt heißt Xalapa-Enriquez, dann gibt es noch Orizaba, Coatzacoalcos, Ciudad Mendoza, Zongolica, Aculztingo und weitere.

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Fernanda Rubí Salcedo war eins der Opfer des Zeta-Terrors.

Die Zetas, so ist der momentane Kenntnisstand, entführten die hübsche 21-Jährige am 7. September 2012, weil einer ihrer Anführer sie zur Freundin haben wollte.

Rubí befand sich mit einigen Freunden in einer angesagten Bar namens The Bulldog in Orizaba, einer wichtigen Stadt in Veracruz und Hochburg des Kartells. Gegen Mitternacht betraten vier bewaffnete Männer die Bar und gingen direkt auf sie zu.

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Obwohl die Bar zu dem Zeitpunkt gut besucht war und von privaten Sicherheitsleuten bewacht wurde, hinderte niemand die Männer, die junge Frau an ihren Haaren von der Tanzfläche zu zerren. Sie verfrachteten sie in einen Wagen und verschwanden mit ihr in die Dunkelheit der Nacht. Die Bar war gerade mal 50 Meter von der nächsten Polizeiwache entfernt und nur wenige hundert Meter von dem Hauptquartier der Staatspolizei.

Seitdem setzt sich vor allem Rubís Mutter dafür ein, dass die vermisste junge Frau gefunden wird.

Die Zetas haben Fernanda Rubí Salcedo entführt. Ihre Mutter marschiert mit einem Poster ihrer Tochter durch Mexico City. Foto: Nathaniel Janowitz | VICE News

"Ich habe intensive Nachforschungen betrieben und den Behörden Adressen, Namen und Hinweise gegeben. Und warum haben sie nichts getan?", sagt Araceli Salcedo im Mai. "Weil sie die Zetas kennen. Sie wissen, wer involviert ist, und du kannst gegen diese Menschen nicht gewinnen."

Salcedo hielt eine Rede bei einer Demonstration in Mexiko City am 10. Mai dieses Jahres—dem mexikanischen Muttertag. Mit dabei waren hunderte andere Familien aus ganz Mexiko, die alle einen oder mehrere Angehörige vermissen.

Weil sie die Zetas kennen. Sie wissen, wer involviert ist, und du kannst gegen diese Menschen nicht gewinnen.

Für ihre Furchtlosigkeit ist Salcedo in Veracruz bekannt, wo sie letzten Oktober von einer Lokalzeitung dabei gefilmt wurde, wie sie Gouverneur Duarte bei seinem Besuch in Orizaba "Wo ist meine Familie?" entgegenrief.

Anfangs ignorierte er sie noch und lächelte nur das Poster von Rubí an, das Salcedo in ihren Händen hielt.

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"Machen Sie sich nicht über mich lustig, hören sie auf zu lachen", entgegnete ihm die resolute Mutter. "Ihr seid alle gleich. Reine Korruption."

Salcedos Rufe trafen in Veracruz auf einige Resonanz. Viele, der dort lebenden Menschen, sind davon überzeugt sind, dass Politiker die schlimmsten Verbrecher sind.

Ein erstes Anzeichen dafür, dass den Zetas die Kontrolle über Veracruz entgleiten könnte, kam im Juli 2011 in Form eines YouTube-Videos. Darin ist eine große Gruppe vermummter und bewaffneter Personen zu sehen, die sich selbst die Los Matazetas—die Zeta-Killer—nennt. In dem Video bezeichnen sie den ehemaligen Gouverneur Herrera als "Z 1", den Anführer der Zetas.

Los Matazetas, aka CJNG, posieren in einem YouTube-Video und drohen den Zetas | Screenshot von YouTube aus dem Video "mata zetas"von matazetas1

Bei den Matazetas handelt es sich um einen Ableger des Kartell Jalisco Nueva Generación. In dem Video kündigen sie an, den Bundesstaat von der Kontrolle der Zetas zu befreien. Es sollte der Beginn eines Kartellkrieges sein, der bis heute andauert.

CJNG wird seitdem als das am schnellsten wachsende Kartell wahrgenommen und ihre Präsenz macht sich in diversen Bundesstaaten in ganz Mexiko bemerkbar.

2015 veröffentlichte die amerikanische Drogenbehörde DEA eine Karte mit der aktuellen Verteilung mexikanischer Kartelle und bezeichnete die Jalisco als die vorherrschende Macht im zentralen Veracruz. Ein weiterer DEA-Report aus dem gleichen Jahr positioniert CJNG und ihre Partner, Los Cuinis, als die reichsten Drogenhändler der Welt—noch vor dem berüchtigten Sinaloa-Kartell mit seinem inhaftierten Anführer Joaquín "El Chapo" Guzmán. In dem Bericht wurde Veracruz rot eingefärbt und damit als Schlüssel zur wirtschaftlichen Vormachtstellung markiert. Über den Bundesstaat kann die CJNG Kokain und Methamphetamin nach Europa, Kanada und Asien schmuggeln.

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El Sangres behauptet, dass die Eindringlinge dadurch gestärkt worden waren, dass Duarte nach seiner Amtseinführung 2010 die Lager gewechselt habe.

"Wir verlieren an Einfluss, Präsenz, Respekt—einfach allem", sagt er.

Der Auftragskiller sagt auch, dass die Zetas Mitglieder an die CJNG verlieren. Außerdem beklagt er den Rückgang des legendären, wenn auch äußerst brutalen Professionalismus der Gruppierung. Dieser war noch die Norm, als er la última letra [spanisch für der letzte Buchstabe: Z] beigetreten war.

Die schicken unausgebildete Kinder an die Front zu den Kämpfen … Einige dieser Kinder sind 15 Jahre alt, keiner ist älter als 20.

"Leider stellt die Organisation von la letra Menschen ein, die nicht wissen, was sie tun. Die schicken unausgebildete Kinder an die Front zu den Kämpfen", sagt er. "Einige dieser Kinder sind 15 Jahre alt, keiner ist älter als 20. Es gibt nur noch sehr wenige Menschen, die älter sind und unsere Arbeit verstehen."

Egal, wie unerfahren die Mörder auch sind, die Gewalt in Veracruz hält an.

Allein in dem Monat, der zwischen unserem Interview und der Veröffentlichung dieses Artikels vergangen ist, sorgten drei Vorfälle in Mexiko landesweit für Aufsehen. In Xalapa-Enriquez wurden fünf Menschen in einer Bar hingerichtet. In Amatlán de los Reyes wurden fünf zerstückelte Leichen entdeckt. Auf einer Notiz, die man neben den Leichen gefunden hatte, wurde behauptet, dass es sich bei den Toten um Mitglieder der Zetas handeln würde, die von CNJG-Angehörigen umgebracht worden waren. Im Bulldog—der Bar in Orizaba, in der auch Rubí entführt wurde—wurde ein wichtiges Kartellmitglied erschossen.

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Die Revierkämpfe mit Jalisco sind einer der Gründe, warum El Sangres zu diesem Interview nur unter der Bedingung eingewilligt hatte, dass wir es unter 30 Minuten halten.

Er begründete das damit, dass seine "Arbeit" es erfordert, alle 60 Minuten den Ort zu wechseln, um selber nicht umgebracht zu werden. Seine Nervosität war ihm anzusehen. Er saß angespannt auf einem Stuhl in der Ecke des Raums. Seine Hände umklammerten die Armlehnen so fest, dass seine Knöchel komplett weiß waren.

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Der Abstieg der Zetas hat den Einwohnern von Veracruz allerdings keine Verbesserung ihrer Sicherheit gebracht. Für die Familie Quevado Orozco ist das Leben unter der Vorherrschaft der CJNG sogar noch schlimmer.

Gerson Quevado, ein 19 Jahre alter Architekturstudent, wurde im März 2014 vor einem Mini-Supermarkt in Medellin de Bravo entführt. Sie verlangten von seiner Familie 80.000 Mexikanische Peso, etwa 3.800 Euro, die das Lösegeld anschließend genau so bezahlte, wie man es ihr aufgetragen hatte.

Gersons Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Freundin und der Bruder der Freundin warteten im Haus der Familie auf den Anruf, der sie über seine Freilassung informiert. Dieser Anruf kam aber nicht. Stattdessen gab ein vermeintlicher Freund der Familie ihnen eine Adresse, wo Gerson angeblich festgehalten wurde.

Warum haben sie meinen Sohn entführt? Warum haben sie meinen anderen Sohn getötet? Er wollte doch nur seinen Bruder sehen … Haben diese Menschen keine Mütter? Haben die keine Kinder?

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Die Familie schickte daraufhin Gersons 15 Jahre alten Bruder Alan, einen talentierten Torhüter der örtlichen Fußballmannschaft, zusammen mit Miguel, einem erfahrenen Taekwondo-Kämpfer und Bruder von Gersons Freundin, zu der Adresse. Den Behörden sagten sie nichts, weil sie befürchteten, dass die Polizei mit den Entführern unter einer Decke steckt.

Als Alan und Miguel bei der Adresse ankamen, wurden sie sofort erschossen. Gerson gilt bis heute als vermisst.

Gerson, Alan und Miguel werden vermisst oder sind tot. Familienmitglieder demonstrieren am Muttertag in Mexico City und tragen Bilder von ihnen vor sich her. Foto: Nathaniel Janowitz | VICE News

Die Familie ist davon überzeugt, dass die Entführer zur CJNG gehören und von der Polizei gedeckt werden. Die Behörden haben nämlich bislang noch auf keinen der Hinweise reagiert, die sie ihnen geliefert haben.

"Nicht nur unsere Familienangehörigen sind verschwunden, sondern auch alle Beweise. Was mach man bei so einer Korruption?", fragt Marisela Orozco, Gersons und Alans Mutter. "Die beschissene Regierung ist es, die uns den Rest gibt."

Orozco, ihr Mann und ihre Tochter marschierten zusammen mit Rubís Mutter am Muttertag durch Mexico City, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Gewalt in dem Bundesstaat zu lenken, aus dem sie inzwischen geflohen sind.

"Warum haben sie meinen Sohn entführt? Warum haben sie meinen anderen Sohn getötet? Er wollte doch nur seinen Bruder sehen", sagt sie. "Haben diese Menschen keine Mütter? Haben die keine Kinder?"

El Sangres sagt, dass er eine Ex-Frau und Kinder hat. Er sagt auch, dass seine Ex von seinem Job wissen würde, seine Kinder jedoch nicht. Kontakt hat er allerdings zu keinem von ihnen.

"Die Familie existiert nicht mehr für mich. Ich bin allein." Für einen Moment scheint er nach Worten zu suchen. Seine Stimme bebt. "Die wissen nicht, was bei mir los ist. Ich weiß über sie Bescheid, aber nein …"

El Sangres willigte nur unter der Bedingung zu einem Foto ein, dass wir eine Maske bereitstellen. Zusätzlich bedeckte er seinen Kopf noch mit einem Bettlaken. Foto: Nathaniel Janowitz | VICE News

Der selbsterklärte Massenmörder erklärt seine Entscheidung, dem Kartell beizutreten, auch als Reaktion auf den grassierenden Amtsmissbrauch, den er während seiner Zeit als Polizist mitbekommen hat. Er sagt, dass er seinen Job wegen "der ganzen Ungerechtigkeiten" gekündigt hat, und dann dem Kartell beitrat, als ihm "das richtige Angebot gemacht wurde."

Sangres sagt aber auch, dass das Leben eines Auftragskillers nicht leicht ist.

"Dein Leben verschlimmert sich in jeglicher Hinsicht", sagt er. "Du schläfst nicht gut. Du hast das Gefühl, ständig deinen Standort wechseln zu müssen. Warum? Weil selbst deine eigene Organisation dich erledigen will."

Kurz bevor er das Hotel wieder verlässt, sagt uns El Sangres, dass wir ein einziges Fotos machen dürfen—unter der Bedingung, dass wir eine Maske für ihn haben. Für den Fall, dass er diese Bedingung stellt, hatten wir eine eingepackt.

Der Auftragsmörder nimmt sich ein weißes Bettlaken und bedeckt damit den Rest seines Kopfes. Vor einer weißen Wand stehend hebt er seine Hand nach oben und zielt damit auf die Kamera. Durch die Bewegung zieht sich sein Hemd leicht nach oben und gibt den Blick auf eine echte Waffe frei, die er sorgfältig in seiner Hose verstaut hat.