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Wir haben Taxifahrer gefragt, womit sie sich die Zeit vertreiben

Sie machen weitaus intelligentere Sachen, als 'Candy Crush' zu spielen.

Foto: Raúl Alejandro Rodríguez | Flickr | CC BY-ND 2.0

Taxifahrer sind die guten Seelen des Straßenverkehrs. Sie fahren dich nach dem Absturz aus dem Club nach Hause. Oder, wenn du ein Landkind bist, überhaupt erst in die Zivilisation.

Taxifahrern erzählst du vom Beziehungsstress und dem blöden Chef—der Beifahrersitz des Taxis ist der postmoderne Beichtstuhl. Dabei müssen gerade Taxifahrer einigen Scheiß mitmachen und behalten die ihnen anvertrauten Geheimnisse auch nicht ganz so zuverlässig wie ein Pastor. Aber bleiben wir fair: Du hast definitiv öfter in einen gelben Wagen gekotzt als in eine Kirche.

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Aber auch die hartgesottensten Chauffeure brauchen einen Moment zum Durchatmen, um all die Großstadtbeichten zu verarbeiten. Und manchmal müssen sie einfach auf Kunden warten. Wir haben mit fünf Menschen hinterm Steuer darüber geredet, was sie im Leerlauf machen—und, Überraschung: Sie hängen deutlich weniger am Smartphone als der Durchschnittsbürger in der U-Bahn.

Boshana, 61, seit 30 Jahren Taxifahrerin

Ich warte vor dem Interview, bis Boshana sich ihre Nägel fertig gefeilt hat

VICE: Wie lange bist du heute schon unterwegs?
Boshana: Seit acht Uhr, also etwa seit einer Stunde. In den Morgenstunden warte ich dann schon einmal eine halbe Stunde auf Kunden.

Womit vertreibst du dir dann die Zeit?
Ich pflege mein Äußeres oder lese Unterhaltungsromane. Ich bleibe aber nicht in den Büchern stecken, sondern bin aufmerksam, ob Kunden auf mich zukommen.

Kannst du dich mit Fahrgästen über deine Lektüre unterhalten?
Das kommt vor und es gefällt mir auch ganz gut. Manchmal unterhalten wir uns über Autoren, aber wirklich in die Tiefe geht das nicht.

Sind Handyspiele etwas für dich?
Nein, gar nicht. Ich benutze mein Smartphone nur, um Kreditkarten einzulesen, um zu googeln und für den Wetterbericht. Das Telefon ist für mich ein Gebrauchsgegenstand. Ich halte mich damit nicht auf, wenn ich es nicht brauche. Ich lese wirklich lieber. Bücher sind für mich Erholung. Sie sind für mich etwas Schönes, sie haben einen Selbstzweck. Nicht so wie ein Smartphone.

Pepi, 64, seit 27 Jahren Taxifahrer

VICE: Wie lange bist du schon Taxifahrer in Wien?
Pepi: Seit 1989 schon. Aber ich bin Nachttaxifahrer, also ich fahre ab 19:30 Uhr die Nacht durch und schlafe dann tagsüber.

Wie vertreibst du dir für gewöhnlich die Wartezeiten?
Bisschen spielen, bisschen lesen. Aber alles Mögliche, weißt du—ich lese Zeitungen, Bücher, verschiedene Themen. Machmal schau ich auch Filme auf meinem Handy.

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Was ist deine bisherige Rekordzeit im Warten?
Ich wohne im 22. Dort hab ich vor 15 Jahren—vielleicht war es sogar noch Schilling-Zeit—, einmal fast sechs Stunden gewartet, am Taxistandplatz. Aber da war damals ein Würstelstand, da gab's dann Schweinsbraten und wir Taxler haben gegessen, geredet, geschnapst. Aber das war früher viel schlimmer. Im Juli und im August, da war ganz Wien leer. Heute kriegt man nicht mal mehr mit, ob Ferien sind oder nicht. Früher gab es Zeiten, in denen ich in der Nacht auf der Tangente das einzige Auto war. Jetzt sind immer Tausende Autos vor mir. Da fühlt man sich nicht mehr allein.

Wie hast du damals die Zeit totgeschlagen, auch schon mit Handy?
Ich habe mit Kollegen gespielt. Die Zeiten waren hart.

Joachim, 61, seit 14 Jahren Taxifahrer

VICE: Stören dich lange Pausen zwischen Kunden?
Joachim: Das kommt ganz darauf an. Wenn ich den ganzen Tag viel zu tun hatte, dann genieße ich die längere Verschnaufpause natürlich, aber grundsätzlich ist mir langweilig dabei. Wenn ich zehn Minuten warte, ist es OK. Aber wenn ich über eine Stunde Leerlauf habe, dann mache ich das Radio an oder hole ein Sudoku aus dem Handschuhfach.

Ist das deine Lieblingsbeschäftigung?
Ja, aber manchmal lese ich ein bisschen. Ich hatte mal einen ganz spannenden Roman, bei dem ich mich sehr gefreut habe, als ich Pause hatte—da war ich richtig drin. Aber Bücher sind generell schwierig, weil ich viele Unterbrechungen habe. Zeitungsartikel gehen da besser. Zum Glück muss ich selten lange warten, weil ich mir Arbeitszeiten aussuchen kann, in denen die Nachfrage etwas höher ist. Ich fahre meistens zu Stoßzeiten.

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Fährst du lieber weiter, als dir ein bisschen Zeit zum Lesen zu nehmen?
Lesen ist einfach nicht praktisch, wenn man nur eine Viertelstunde Zeit hat. Ich hatte mal einen ganz spannenden Roman, bei dem ich mich sehr gefreut habe, als ich Pause hatte—da war ich richtig drin. Dass mir das Lesen so Spaß macht, ist aber eher die Ausnahme.

Hast du das Gefühl, dass Taxifahrer heute mehr auf dem Handy spielen?
Bei jungen Kollegen bin ich mir sicher. Manche haben auch einen Laptop dabei. Was die damit machen, weiß ich nicht. Aber grundsätzlich würde ich sagen, dass mehr Leute eine Lektüre in der Hand haben als etwas Digitales.

Was macht ein Sudoku für dich interessanter als Handyspiele?
Warum soll ich auf einem Handy herumdrücken? Ich bin ein "Elektro-Muffel". Ein Handy ist gut, um den Weg zu finden, oder wenn ich etwas wissen will, aber ansonsten nicht besonders spannend.

ALAA, 42, SEIT 15 JAHREN TAXIFAHRER

VICE: Wartest du schon lange auf Kundschaft?
Alaa: Seit einer halben Stunde. Zwei Stunden können das aber schlimmstenfalls aber auch schon werden.

Ist das stressig für dich, so lange keinen Kunden zu haben?
Das gehört absolut dazu. In der Zwischenzeit telefoniere ich oder lese etwas.

Was liest du und mit wem telefonierst du?
Ich lese immer die Zeitung, nichts anderes: Wie läuft es in der Stadt, welche Staatsbesuche gibt es, wo ist etwas gesperrt, welche Messe findet statt? Am Telefon spreche ich zu 80 Prozent mit meinen Kollegen, zum Beispiel, wie das Geschäft oder ihre Ehe läuft. Wenn es einem schlecht geht, heitern wir ihn auf. Wir unterhalten uns auch darüber, was wir auf den Straßen mitbekommen haben und mit welchen Kunden wir Probleme hatten. Ganz selten greife ich zum Smartphone und spiele.

Was spielst du denn?
Wie heißt das noch gleich, Cash Krach? [Lacht] Ach nein, Candy Crush war das. Da schaffe ich schon mal drei, vier Level in einer Pause und brauche dafür etwa eine Stunde. Lesen ist mir aber lieber, so behalte ich den Überblick über die Stadt.

Hast du das Gefühl, du lernst bei deinem Job viel?
Ja, sehr. Ich sehe viel Veränderung. Ich bekomme mit, wie es den Menschen und meinen Kollegen geht. Ich komme viel rum.