Wir haben uns durch die Linzer Wahlveranstaltungen an diesem Wochenende getanzt

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Wahlen 2015

Wir haben uns durch die Linzer Wahlveranstaltungen an diesem Wochenende getanzt

Die FPÖ im Bierzelt, das Bündnis gegen Rechts beim Fackelzug und natürlich die „Blaue Nacht mit HC Strache". Schöner und gruseliger ist Fortgehen in Linz selten.

Wo kommt dieser Hangover her? Und haben wir wirklich ein Selfie mit Heinz-Christian Strache gemacht? Aber eines nach dem anderen. Gestern war ein großer Abend für Linz. Alle politischen Gruppierungen haben mobilisiert, jeder, der was auf sich und seine Meinung hält, war auf den Beinen.

Zuerst die FPÖ im Bierzelt am Urfix (wie man bei uns zum Urfahraner Jahrmarkt sagt), das Bündnis Linz gegen Rechts mit einem Fackelzug quer durch die ganze Stahlstadt, dann die blaue Nacht in der Disco A1 und als Gegenparty die bunte Nacht in der Tschikbude (einheimisch für die ehemalige Tabakfabrik). Ein straffes Programm war das für uns—logistisch nicht ganz einfach, wenn man wirklich überall sein will.

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Der erste Weg führte ins Bierzelt. Streng abgeriegelt und gut beschützt versammeln sich dort in etwa 4.500 treue blaue Wähler. Einige der Anwesenden kennen wir schon ganz gut, sie waren bei beiden PEGIDA-Spaziergängen dabei.

Für das musikalische Unterhaltungsprogramm zeichnet Arminia Czernowitz-Barde Michael Raml verantwortlich. Ganz im Stile eines geübten Festzeltmusikers weiß er genau, was der Masse gefällt: „Die Conchita ist heute nicht da, liebe Freunde, die hat hier nichts verloren, die brauchen wir in Österreich auch nicht!" Unmittelbar nach dem ESC-Sieg für Conchita Wurst (gemeinhin auch als „für uns" bezeichnet) klang das ja auch bei den Nationalisten noch anders.

Die Playlist ist eine zufällige Auswahl von tragischen Einzelfällen: das Tirol-Lied (ja, sie vermissen Südtirol noch immer), „Ich bin aus Österreich" (sic) von Reinhard Fendrich, ein bisschen Helene Fischer, ein bisschen mehr Gabalier und auch Hubert von Goisern („dem taugt das sicher nicht, dass wir heute eines seiner Lieder spielen, aber des ta ma eam zfleiss. Des hat er si verdient, der packelt mit den Grünen."—die Menge buht).

Dann Einmarsch der Parteispitze. Heinz-Christian Strache und sein Team, jeder mit einer National-Fahne (also: jeder mit der gleichen, aber in dreifacher Ausführung), dahinter eine Kompanie junger Unterstützer. Die Menge kocht. Es ist eine Mischung aus Länderspiel und Beatles: „Hazeh, Hazeh, Hazeh", dazwischen kreischende Frauen, Jubel und frenetischer Applaus.

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Die gut bedirndelte Moderatorin stellt die Linzer Parteispitze vor, dann tritt Bürgermeisterkandidat Detlef Wimmer ans Mikrofon. Er begrüßt die Menge sowie den Bürgermeister von Wien (er meint Strache). Er erklärt, dass es mit unserem Österreich so nicht weiter gehen kann, warnt vor der SPÖ, den Steuern, der SPÖ, den Fremden, der SPÖ und zu guter Letzt den Fremden. Es bleibt allerdings bei der Warnung und der Feststellung, dass es so wirklich nicht weitergeht—ein Programm oder Gegenvorschlag ist nicht erkennbar.

Manfred Haimbuchner ist der nächste Redner. Ich bin gespannt, denn jetzt kommt sicher das Wahlprogramm—immerhin ist er der blaue Herausforderer von Landeshauptmann Josef Pühringer. Heimbuchner erklärt alle anderen Parteien zum Einheitsbrei, der diesen Sonntag abgewählt würde. Er wird am Sonntag Geschichte schreiben und dann Politik für die Österreicher und deren Kinder und Kindeskinder machen, denn es kann nicht sein, dass wir von Ausländern überrannt werden.

Der Landeshauptmann war in letzter Zeit sehr gemein zum Herrn Haimbuchner in den „sogenannten Fernsehdiskussionen". Dabei fehlt dem Landeshauptmann laut Haimbuchner die Nähe zum Volk, denn sonst käme er nämlich nicht darauf, zu sagen, dass Oberösterreich Flüchtlinge aufnehmen kann. Bis zu ein Prozent gemessen an der Gesamtbevölkerung.

„Hat der sich das mal ausgerechnet? Oberösterreich hat 1,1 Millionen Einwohner. Das wären dann 14.000 Flüchtlinge, liebe Freunde", so Haimbuchner—aber gut, er ist Jurist und nicht Mathematiker.

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Er ist auch kein guter Statistiker, denn um seine Angst vor der „Völkerwanderung" zu begründen, kommt er auf die Gefahr für den Arbeitsmarkt zu sprechen: „Oberösterreich hat die höchste Arbeitslosenquote." Eigentlich ist es nach Salzburg mit 5,2 Prozent eher die niedrigste, aber es ist Wahlkampf, da kann man mit den vielen Zahlen schon mal durcheinander kommen.

So spielt er mit Angstszenarien von unbezahlbaren Schulden, dem Wahnsinnsprojekt EU und dem Teuro, bis zur Fremdherrschaft durch Flüchtlingshorden. Schuld sind die anderen Parteien, aber dazu kommen wir am Sonntag. Und wieder kein Argument, sondern nur: Schuld und Angst.

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Es folgt das Highlight: Parteiobmann Strache. Jetzt kommt dann aber sicher wirklich gleich das Wahlprogramm. Auch er wird in Oberösterreich Geschichte schreiben und: „Das einzige, was dem Faymann steht, ist die Frisur". Auch er hat sehr viel Angst und auch er hat die Schuldigen identifiziert: die Anderen, die Ampelmännchen, den Genderwahn. Offensichtlich hat er aber den Zettel vergessen, auf dem er das Programm aufgeschrieben hat, denn auch er hat keine Botschaft abseits der Angst für uns.

Da er diese ziemlich erfolgreich verbreitet und wir uns jetzt schon fürchten, verlassen wir das Zelt und suchen den Fackelzug für die Menschlichkeit, organisiert von der Gruppierung Linz gegen Rechts. Der Fackelzug führt vom Volksgarten bis zum Ars Electronica Center, das direkt neben dem Urfahraner Marktgelände liegt. Das verspricht interessant zu werden.

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Mit Blaulicht gut markiert und durch Fackeln hell beleuchtet kommt er die Landstraße entlang, eine wirklich beeindruckende Versammlung von sehr unterschiedlichen Menschen. Wirklich viele haben Fackeln oder Kerzen mit. Anscheinend haben sich die Teilnehmer auf einheitliche Texte geeinigt: „Schießt den Hazeh auf den Mond, das ist Raumfahrt, die sich lohnt." Aufgrund der 3.500 Teilnehmer wurde es dabei ziemlich laut.

Wir bewegen uns zum Hauptplatz, von dort über die Brücke und sind immer gespannter. Der einzige Zwischen fall kommt allerdings von einem älteren Herren auf der andern Straßenseite, der es nicht mehr aushält, seinem Frust Luft machen muss und dem unbeeindruckten Demonstrationszug laut schimpfend den Mittelfinger entgegenstreckt.

Die Polizei hat es gesehen, Personalien werden aufgenommen, der Herr versichert, dass die Polizei doch eigentlich den Falschen belästigt, weil die Verbrecher die mit den Fackeln seien. Die Polizei ist unbeeindruckt und der Umzug endet auf dem Maindeck vor dem AEC.

Voll motiviert beschließen wir einen erneuten Ortswechsel. Wir wollen in die Höhle des Löwen, wir wollen sehen, wie die FPÖ wirklich feiert, und begeben uns zur „Blauen Nacht mit HC Strache" in der Diskothek A1.

Zur Begrüßung gibt es einen blauen Shot von blau gebodypainteten Damen im Bikini (inklusive FPÖ-Logo und „HC" auf der Brust). Drinnen ist es dann vor allem eins: langweilig. Es ist eine eher schlechte Party mit eher schlechter Musik, auf der zufriedene Menschen stehen (Männer-Anteil über 80 Prozent) und zufrieden Bier trinken.

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Wir hatten uns da mehr erwartet. Wir tun uns und ihnen einen Gefallen und machen etwas Stimmung. Wir entdecken eine Stadl-Disko—ganz unser Geschmack—und shaken los. Da die Männer mit zufriedenem Biertrinken beschäftigt sind, ist die Freude der wenigen Mädels groß. Immerhin haben wir ja das Tanzen in der KAPU und im Strom geübt.

Es dauert und dauert—der von allen skandierte „Hazeh", für den auch wir gekommen sind, ist noch lange nicht da. Dafür aber wieder einmal Raml, der kurz herum moderiert und uns dabei auch wissen lässt, wann Strache endlich kommt: später. Wir tanzen weiter. Um Punkt 12:00 Uhr dann die Geisterstunde. Er erscheint. Er richtet sich an die Menge, spricht aber nur ein paar Worte: „Lasst uns feiern; schön, dass ihr da seid."

Beim Partyendspurt dieses Wahlkampfs ging es einzig um dafür oder dagegen—und eben um die Party als politischen Selbstzweck.

Dann steht Heinz-Christian für gemeinsame Selfies zur Verfügung. Das können wir uns nicht entgehen lassen und stellen uns geduldig in die sehr lange Schlange. Als wir endlich vor ihm stehen, sind wir ganz aufgeregt und machen das Foto, für das wir uns noch schämen werden, wenn Haimbuchner Politik für unsere österreichischen Kindeskinder macht. Cool.

Ich unterstütze noch ganz kurz die Gogos auf der Bühne, bevor wir beschließen, das bunte Fest aufzusuchen. Sicher langweilig, im Vergleich zu dieser Top-Veranstaltung.

Und dann das: Wirklich viele Menschen und alle gut drauf. Zwei Bühnen, lässige Auflegerei, und ja, da ist Party. Sogar das Genderverhältnis ist annähernd ausgeglichen und wir shaken (einmal mehr) mit. Wie das mit halbwegs guten Partys aber so ist, gibt es nicht wirklich mehr davon zu erzählen.

Die Wahlentscheidung am Sonntag wird von vielen Faktoren abhängen und wir können nur hoffen, dass Fakten und Inhalte dabei eine größere Rolle spielen als an diesem Abend. Beim Partyendspurt dieses Wochenende ging es einzig um dafür oder dagegen—und eben um die Party als politischen Selbstzweck.

Als partyhoppende Beobachter können wir an diesem Wochenende zumindest feststellen, dass die Linzer Antifaschisten eindeutig die größere Party-Kompetenz besitzen. Und da wir Hedonisten sind, waren wir davon sehr beeindruckt und werden wahrscheinlich doch nicht blau wählen.