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Wenn Neonazis in Zürich Juden anpöbeln, geht uns das alle etwas an

Die Schweiz hat ein Antisemitismus-Problem, gerade weil wir das Gefühl haben, dass es nicht so ist.
Foto: Quinn Dombrowski

Wenn zwanzig, vermutlich körperlich gut trainierte Männer einen einzelnen anderen Mann abpassen, ihn aufhalten, einschüchtern, beleidigen, bedrohen, bespucken und schubsen und erst die ankommende Polizei sie davon abhalten kann, dann ist das an sich schon eine üble Sache.

Wenn es sich bei den zwanzig Männer (wie wir in unseren Hangover-News bereits berichteten) dann aber noch um Neonazis handelt, die unter anderem den Hitlergruss zeigen, und bei dem einzelnen anderen Mann um einen orthodoxen Juden, dann wirft das mehr Fragen auf als nur danach, wie wir miteinander umgehen. Es stellt sich die Frage: Ist Anitsemitismus in der Schweiz wieder auf dem Vormarsch? Die leider klare Antwort: Ja.

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Zuerst einmal handelt es sich bei der erwähnten Tat, die sich bereits vor drei Wochen, am 04. Juli, ereignet hat und die die Sonntagszeitung jetzt publik machte (Artikel online nicht verfügbar), sehr wahrscheinlich nicht um eine Affekttat. In Wiedikon lebt eine der grössten jüdischen Gemeinden Europas, ein Viertel davon orthodox. Wenn nun ein Trupp Neonazis durch dieses Quartier marschiert, ist das sicher kein Zufall—nicht zuletzt, wenn der mutmassliche Anführer Kevin G., vorbestrafter Front-Gröler der Rechtsrock-Band Amok, aus Hombrechtikon am anderen Ende des Zürichsees kommt. Nein, da sind nicht zwei Gruppen unterschiedlicher Ansichten aufeinander geprallt. Da hat sich ein antisemitischer Stosstrupp aufgemacht, Macht zu demonstrieren und Angst und Gewalt zu verbreiten. Dass sie dabei nicht auch noch Fahnen und Fackeln schwenkten, macht die Sache auch nicht besser.

Übertreibe ich? Handelt es sich dabei um eine kleine, extreme Randgruppe, eine Ausnahme? Zugegeben: In der Schweiz brennen nicht regelmässig Synagogen und auch Hetz-Sprayereien gegen Juden liest man selten auf Wänden. Doch bedeutet das leider noch lange nicht, dass wir Antisemitismus im Griff, geschweige denn beseitigt haben. Militant mag der Judenhass in der Schweiz zwar noch vergleichsweise selten zum Ausdruck kommen, doch in Wort und Haltung hat er sich an den unterschiedlichsten Orten eingeschlichen.

Ist doch nur ein Witz

Ich behaupte, mich in einem klar liberalen, eher linken Umfeld zu bewegen. Dennoch bekomme ich immer wieder mal einen Judenwitz zu hören. Ist das ein Problem? Sollte man sich nicht über alles lustig machen dürfen? Die Antwort darauf ist ein klares „Ja, aber … "

Wenn Satire alle Religionen, wie nach dem Attentat auf Charlie Hebdo von allen Seiten—auch von uns—betont, aufs Korn nehmen darf, dann gehört das Judentum auch dazu. Die Frage stellt sich dabei aber, mit welchen Beweggründen. Wenn durch einen Witz eine Rasse diskriminiert oder der Holocaust zum Schenkelklopfer wird, wie ich mehr als einmal erlebt habe, dann läuft definitiv etwas falsch.

Titelbild von Quinn Dombrowski | Flickr | CC BY 2.0