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Wir verstehen die Montagsmahnwache in Wien einfach nicht

Wir haben versucht, die Montagsdemo in Wien zusammenzufassen und sind kläglich gescheitert.

Das ist ein Typ, der sich mit der Organisation der Montagsmahnwache etwas auskannte.

Eigentlich sollte dieser Artikel schon gestern erscheinen, weil wir am Montag auf der Mahnwache waren, aber wegen einem längeren Abstimmungs-Ping-Pong mit Stephan Bartunek bringen wir ihn erst heute.

Montagsdemos kennen wir bisher nur von unseren deutschen Kollegen als Langweilerveranstaltung in 30 Städten, auf denen Hippies und Glatzen nebeneinander über den Frieden wachen, die dort oder zuhause Ken Jebsens verkürzten Darstellungen des Ukraine-Konflikts lauschen. Seit drei Wochen kommen auch in Wien, Salzburg, Linz, Dornbirn und Innsbruck einige seltsame Leute für den friedlichen Widerstand zusammen.

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Während es in Österreich sehr schwierig ist, überhaupt verantwortliche Organisatoren festzumachen, ist in Deutschland zumindest der Urheber der Montagsdemos, Lars Märholz, bekannt. Seine Mitstreiter sind der mit dem Antisemitismus-Vorwurf belastete ehemalige rbb-Journalist Ken Jebsen, der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer und der Verschwörungstheoretiker Andreas Popp.

Ein überzeugter Friedenswächter auf dem Heldenplatz erklärte mir die österreichischen Strukturen so: Christian von den Piraten, der sich auch in der Occupy-Bewegung engagiert hatte, habe die Idee der Friedensmahnwache aus Deutschland nach Wien übertragen. Ein „bunt zusammengewürfelter Haufen“ habe die Facebook-Gruppe eröffnet, für die jetzt hauptsächlich Felix Abegg verantwortlich sei. Felix sei Fotograf und engagiere sich wie alle anderen in seiner Freizeit für den Frieden bzw. die Organisation der Demos. Er sei auch einer der Ersten gewesen, die vor drei Wochen das Mikrofon ergriffen hätten. Jetzt plane Felix die Reihenfolge der Redner und ihre Redezeiten. Generell gelte: Jeder darf alles sagen, was er will.

Der treue Filmer, der Stunde um Stunde die Reden aufnimmt, aber leider am Montag nicht anwesend war, ist David—ein 16-jähriger Schüler, der seine Freizeit aus reiner Überzeugung der Montagsmahnwache in Wien widmet, die sich wie von selbst organisiert. Eine weitere wichtige Figur des Widerstands ist der 32-jährige Absolvent des Max Reinhardt-Seminars Stephan Bartunek, der das erste Mal am 5. Mai vor dem Parlament zur Menge sprach. Ihn haben wir kontaktiert und interviewt. Er sagte am Telefon, dass die Mahnwachen in Österreich lose zusammenhielten, sich größtenteils über Facebook organisierten und dass der Kontakt zur deutschen Montagsmahnwache erst langsam aufgebaut werde. „Der Ken Jebsen hat sich bei mir gemeldet, weil meine erste Rede Wellen schlägt. Und deshalb vermute ich, dass sich bald jemand von der Berliner Gruppe bei uns melden wird.“

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Die deutsche Montagsmahnwache und die österreichische sind also nicht dieselbe Sache, zumindest nach dem Selbstverständnis der Wiener Wache nicht: „Ich betrachte mich zugehörig zu der Idee, die dahintersteht. Mein Anliegen ist jetzt einfach für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit die Stimme zu erheben.“

Alle scharen sich um das Zelt.

Der vergangene Montag war schon der dritte Termin auf dem Heldenplatz. Die Atmosphäre im Sonnenschein bei arschkaltem Wind erinnerte an eine große Selbstfindungsgruppe. Alle saßen oder standen im Halbkreis artig vor dem Rednerzelt, manche schlossen die Augen beim Zuhören und andere nickten eifrig und ergriffen bei den Worten von Stephan Bartunek.

Er echauffierte sich über die Unterbezahlung von Arbeitskraft und Erziehung, die einem Krieg gegen die eigene Bevölkerung gleichkäme. Damit war die Parallele zur Ukraine hergestellt und irgendwie auch der Übergang zu einem Zitat von Adalbert Stifter, das das Herzstück seiner Rede zu sein schien: „Der Schmerz ist ein heiliger Engel und durch ihn schaffen es die Menschen zu wachsen.“

Stephan Bartunek

Danach bezieht er zu einem interessanten Teil der Montagsdemos Stellung: dem Fehltritt des umstrittenen medialen Wortführers Jürgen Elsässer. Der hatte am Sonntag auf seinem Blog seine Sehnsucht nach Lena auf dem ESC statt dem „bärtigen Zwitter“ oder der „Ekel-Wurst“ festgehalten. Natürlich liebten alle Conchita, sagte Stephan Bartunek, der Jürgen sei halt etwas alt und stur. Wir haben vergessen zu erwähnen, dass alle drei Minuten das Publikum applaudierte.

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Wir hatten den Eindruck, dass sich auf dem Heldenplatz Menschen versammelten, die jegliche Ambitionen, sich miteinander zu verständigen, verloren haben. Besonders deutlich wurde das an zwei Typen neben uns, die sich „unterhielten". Der eine erzählte von Blackstone und dass es einen Mann gebe, der alles regle. Der andere erwiderte, dass er sich zwar damit nicht auskenne, aber ihm glaube.

So kritisch sie sich gegenüber der Staatspropaganda des Westens geben, untereinander herrscht blindes Vertrauen. Sonst würde diese Bewegung auch nicht funktionieren.

Typ mit Alufolienhut macht dem Redner den Antisemitismus-Vorwurf.

Der einzige Streit wurde von einem Demonstranten mit Aluminiumhut angestoßen. Er konfrontierte die Gruppe mit dem Antisemitismus-Vorwurf, der den montags Mahnenden von linken Gruppierungen gemacht wird. Der Vater von Felix Abegg reagierte mit einem rhetorischen Meisterstück: Er fragte zunächst die Juden im Publikum, ob die Mahnwache antisemitisch sei und dann ließ er, ohne die Antwort der Juden abzuwarten, einen Christen sprechen. Der redete über etwas völlig anderes, aber dafür inbrünstig. Das war wahrscheinlich genug für den Wortgeber, der den Jungen als reiches Wohlstandskind, dem er sich sehr nahe fühle, bezeichnete.

Stephan Bartunek gab am Montag zumindest zu, dass Ken Jebsen wahnsinnig sei. Leider führte er dann aus, dass Jebsens aktueller Wahnsinn, für die Bewegung gut sei: „Ken Jebsen ist ein Held.“

Auf unsere Bemerkung im Interview, dass ein Zusammenhang, zwischen dem, worüber die Redner am Montag referierten, schwer herstellbar sei, sagte Bartunek: „Ja. Das ist die Sache mit dem offenen Mikro. Und es ist schnell so, dass extreme Menschen da sind und etwas sagen wollen. Aber ich glaube, die Bewegung ist am Anfang. Ich möchte halt wirklich an die Vernunft appellieren und an Menschen appellieren, die vernünftig sind. Ich möchte, dass in drei oder vier Wochen nicht nur Verschwörungstheoretiker dastehen und ihren Stuss runterlassen, sondern ich möchte, dass dann wirklich Menschen dastehen, die eine Ahnung haben. Weil ich habe keine Ahnung. Ich kann nicht über das Geldsystem reden. Ich kann nur vage Andeutungen machen. Ich vertraue einfach darauf, dass sich vielleicht wirklich, dass sich eine Bewegung bildet, aus der Mitte heraus, die offen ist für Menschen, die nicht extrem sind.“

Der Wunsch nach einer inhaltlich starken Widerstandsbewegung ist verständlich. Dafür braucht es jedoch klar formulierte Ziele und Positionen, die am Montag auf dem Heldenplatz nicht erkennbar waren. Deshalb fällt es schwer, hier von einer Bewegung zu sprechen. Bis jetzt ist unklar, was die Montagsmahnwache—außer dem Frieden—fordert.

Wir haben versucht, die Montagsdemo in Wien zu verstehen und sind kläglich gescheitert.

Eva auf Twitter