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Sex

Wir haben versucht, uns an Sloterdijks philosophischem Erotikroman aufzugeilen

Leider gab's statt "philosophischer Pornografie" Mösenfürze, Gruppensex mit Möbelpackern und steile Theorien zum weiblichen Orgasmus.

Peter Sloterdijk | Foto: Horst Galuschka

"Philosophische Pornografie" nannte die Zeit den neuen Roman von Peter Sloterdijk. Der Vorzeige-Philosoph Deutschlands, 69 Jahre alt, veröffentlichte einen erotischen Roman über den weiblichen Orgasmus. Wir haben zwar Leute mit abgeschlossenem Philosophie-Studium in der Redaktion, aber wir geben zu: Am meisten interessieren uns dann doch die Schlüpfrigkeiten. Wir wollen bei Rotwein sagen können, dass wir was von Sloterdijk gelesen haben, "dem größten deutschen Philosophen nach Jürgen Habermaß" (Zitat SZ-Magazin). Aber das, ohne uns durch die Kritik der zynischen Vernunft zu arbeiten, sondern lieber durch ein paar Sexszenen.

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Der Roman heißt Das Schelling-Projekt—benannt nach dem Begründer der Naturphilosophie. Die Form: ein E-Mail-Wechsel zwischen sechs Intellektuellen zwischen 50 und 60. Sie tragen Namen, die sich nach Pornopseudonymen anhören: "Guido Mösenlechzner" zum Beispiel, oder "Desiree zur Lippe". In ihren E-Mails versuchen sie, den Höhepunkt der Frau als den Höhepunkt der Evolution zu deuten, und tauschen nebenbei private Sexbekenntnisse aus. 

Dass das Ganze schnell in lüsterne Altherrenprosa kippen kann, ahnt Sloterdijk wohl selbst. "Schon höre ich Feministinnen alter Schule heulen: 'Die Männerphantasien schlagen zurück'", schreibt Peer Sloterdijk, das Alter Ego des Schriftstellers im Roman, über sein Orgasmusforschungsprojekt mit dem sperrigen Namen: "Zwischen Biologie und Humanwissenschaften: Zum Problem der Entfaltung luxurierender weiblicher Sexualität auf dem Weg von den Hominiden-Weibchen zu den Homo-sapiens-Frauen aus evolutionstheoretischer Sicht mit ständiger Rücksicht auf die Naturphilosophie des Deutschen Idealismus." Die Forscher wollen für ihr Projekt Geld beim Deutschen Forschungsinstitut beantragen. Aber schon auf den ersten Seiten driften die wissenschaftlich-philosophischen Bemühungen in eine "Ehrlichkeits-Gemeinschaft", in der die Beteiligten intime Anekdoten austauschen.

Leider ist das Ganze ungefähr so sexy, wie, na ja, wenn sich eben verkopfte Ü50-Jährige Schwanks aus ihrer Jugend erzählen. Kurt Silbe, einer der Protagonisten, erinnert sich zum Beispiel an "gruppen-erotische Experimente" aus Peer Sloterdijks Studentenzeit. Später erzählt er von einem Tantra-Seminar bei Mira, "dem mystischen Luder", das auf "Fotzenhimmelfahrten" (?!) spezialisiert war—einer 60-jährigen Tantra-Lehrerin mit "wollüstig welken" Oberschenkeln. Mira leitet Kurt Silbe bei einer Kopulation mit einer hochnäsigen Unbekannten an (die sich später etwas telenovelamäßig als eine der E-Mail-Schreibenden herausstellt). Sie rät Silbe, so viel Luft in die Vagina der Frau zu pumpen, "dass sie beim nächsten Stoß zu furzen anfängt", um deren Blasiertheit zu brechen. "Sie pupst, du bleibst bei der Sache", sagt Mira. "Vögeln ist wie Hobeln, die Späne fallen, die Widerstände mit ihnen." Eine Weisheit, die so auch beim Stammtisch in einem niederbayerischen Kaff fallen könnte.

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Die Hoffnung, dass der Roman nicht nur intellektuell das Oberstübchen anregt, sondern auch irgendwas in den unteren Gegenden, verpufft schnell. Die Wahrscheinlichkeit, bei der Lektüre der Kritik der zynischen Vernunft geil zu werden, wäre wahrscheinlich größer gewesen. Vor allem wenn Sloterdijk über Sex aus weiblicher Perspektive schreibt, ist er oft unfreiwillig komisch: "Er blies sich auf, als brächte ihm der Zugang zu meiner Möse einen ständigen Sitz im Maximilianeum", schreibt Desiree zur Lippe über ihren bäuerlichen Ex-Liebhaber, den sie mal als ihren Bernhardiner beschreibt, mal als einen Yeti. Dieser beschimpft sie als "übelriechende Fotze", was sie beleidigt, aber auch antörnt: "Ich tropfte wie ein Kieslaster." Wie bitte? Was ist das für eine Metapher? (Frau zur Lippe ist übrigens keine Fernfahrerin, sondern eine Dozentin für Philosophie und bildende Künste.)

Warum sind es immer älteren Herren, die weibliche Sexualität erklären?

Was die geistige Stimulation angeht: Sloterdijks philosophisch-anthropologische Thesen sind gewagt, aber ziemlich unterhaltsam. Die Protagonisten ziehen Religion, Mystik und Naturphilosophie heran, um den weiblichen Orgasmus als die Wurzel des geistigen Fortschritts des Menschen zu feiern. (Und auf jeden Fall als etwas viel Mystischeres, Komplizierteres als das männliche Kommen.) Manchmal schlägt das Ganze allerdings zu sehr in die gleiche Kerbe wie Männermagazine: Der weibliche Höhepunkt—und die Frau mit dazu—wird als ein geheimnisvolles, unbegreifliches Ding behandelt.

Zumal sich die Sexualität der Damen ein paar Seiten später keineswegs als komplex herausstellt, sondern so feinfühlig ist wie ein Hardcore-Porno. In einer Szene hat die Protagonistin Beatrice zu Freygel Gruppensex mit vier Möbelpackern: "Meine Öffnungen waren fortwährend mehrfach belegt, falls Du verstehst, was ich meine. Als einer der Kerle sich in mein Gesicht entlud, begriff ich, ohne einen Einwand zu erheben, er war zu ungeduldig, um auf einen freien Platz unten zu warten."

Fazit: Als Wichsvorlage ist der Roman ziemlich ungeeignet. Dafür sind Sloterdijks philosophische Ausführungen zum Orgasmus zwar abgedreht, aber nicht uninteressant. Es ist fast schade, dass das wissenschaftliche Projekt gegen Ende des Romans von der Deutschen Forschungsgemeinschaft abgelehnt wird. Somit können sich die Sechs auf ihren intimen E-Mail-Verkehr konzentrieren, der bei einigen Protagonisten in realen Verkehr untereinander übergeht. Die Frage nach dem weiblichen Orgasmus bleibt ungelöst. Stattdessen drängt sich eine andere Frage auf: Warum sind es immer ältere Herren, die weibliche Sexualität erklären? Tom Wolfe, Philip Roth, Henry Miller. Eine Frau, die einen Roman über die Sexualität der älteren Herren schreibt, das wäre mal was Neues. Wahrscheinlich wäre da aber wenig Mystisches dabei. Sie haben ja leider schon alles selbst gesagt.