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Was Thilo Sarrazin und Jan Böhmermann gemein haben

Der große Nachdenker hat es uns auf der Vorstellung seines neuesten Buches erklärt.​
Foto: imago | Mauersberger

Seit der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin 2010 mit seinem Buch Deutschland schafft sich ab eine breite Diskussion darüber angestoßen hat, wie sich Kopftücher auf den Intelligenzquotienten auswirken, hat sich in Deutschland einiges verändert.

Für Sarrazin gab es sowohl schlechte als auch gute Nachrichten: Zum einen hat vor allem der Bürgerkrieg in Syrien dafür gesorgt, dass in den letzten beiden Jahren noch viel mehr von genau den muslimischen Menschen nach Deutschland gekommen sind, die er schon 2010 für schwer integrierbar und außerdem genetisch minderbemittelt erklärte. Zum anderen hat sich aus den Horden wütender Sarrazin-Apologeten in den Amazon-Kommentarspalten mittlerweile eine ganze Partei gebildet, die eigentlich ausschließlich darüber reden möchte, wie grässlich sie den Islam findet.

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Sarrazins Ideen hatten also durchaus Erfolg. Das bedeutet nicht unbedingt, dass der Mann selbst immer noch genauso erfolgreich sein muss: Seit man in Europa die Lust am Rechtspopulismus wiederentdeckt hat und jetzt mit Wonne über afrikanische "Ausbreitungstypen" und Moschee-Verbote diskutiert, könnte man annehmen, dass der knochentrockene Sarrazin nicht mehr ganz so gefragt ist.

Sarrazin selbst stellt sich diese Frage natürlich nicht, und wahrscheinlich wäre es ihm auch relativ egal. Seit der Veröffentlichung seines ersten Buches und der Empörungswelle, die kurz darauf über ihn hereingebrochen ist, scheint der Mann eigentlich nur noch eine Mission zu haben: Sich selbst und der Welt zu beweisen, dass er von Anfang an Recht hatte. Deshalb hört er seit seinem ersten gar nicht mehr auf, immer weitere Bücher zu veröffentlichen: 2012 erklärte er, warum Europa den Euro nicht braucht, und 2014 ging es in Der neue Tugendterror vor allem darum, wie schlecht ihn die Medien nach seinem ersten Buch behandelt hatten. Und jetzt hat Sarrazin sein viertes Buch veröffentlicht: Wunschdenken. Europa, Währung, Bildung, Einwanderung – Warum Politik so häufig scheitert.

Sein Verlag scheint jedenfalls überzeugt, dass Sarrazin immer noch zieht: Das Rezensionsexemplar kam in einem Paket, auf das jemand einen großen Sticker in Leuchtfarbe geklebt hat: "Der neue Sarrazin!" Da das Buch aber erst am Freitag ankam und ich am Wochenende leider nicht genug Zeit hatte, um mich durch die 559 Seiten (inklusive Anhang und Fußnoten) zu kämpfen, konnte ich mich nur auf Ausschnitte konzentrieren. Ich hoffte also sehr, dass man auf der Buchvorstellung am Montagvormittag nicht abgefragt werden würde.

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Insgesamt wirkt das Buch—aber auch Sarrazin selber—allgemein etwas entspannter als bei seinem letzten, dem Tugendterror-Buch. Der Umschlag ist diesmal nicht in apokalyptischem Rot und Schwarz, sondern in nüchternem Weiß und blau gehalten, und auch der Titel ist weniger aggressiv. Genauso auch die Veranstaltung: Zuerst hielt der Historiker Andreas Rödder eine kleine Rede, in der er Sarrazins Buch in Teilen lobte, in Teilen aber auch scharf kritisierte: Vor allem seine Vermischung von Kultur, Rasse, Ethnie und Religion bezeichnete er als "nicht seriös".

Als Sarrazin dann das Mikrofon übernahm, ging es natürlich doch erstmal um sein neues Lieblingsthema: Warum Angela Merkel eine Katastrophe für Deutschland ist. Das hat laut Sarrazin vor allem zwei Gründe: zum einen hat sie Thilo Sarrazins erstes Buch 2010 als "nicht hilfreich" bezeichnet. Sarrazin vermutet deshalb, dass diese Geisteshaltung der Bundeskanzlerin auch für ihr duckmäuserisches Verhalten im Fall Böhmermann verantwortlich ist. Böhmermann und Sarrazin—zwei Opfer der despotischen Willkürherrschaft der Angela Merkel.

Zweitens ist Merkels Politik "verstörend", weil sie mit der zeitweisen Aussetzung des Dublin-Abkommens im Herbst 2015 "den wohl größten Fehler eines Staatschefs der deutschen Nachkriegspolitik" begangen hat. Denn eines ist sicher: Die Flüchtlinge mit ihrem niedrigen Bildungsniveau (ihrem "kulturellen und kognitivem Profil") werden unseren Wohlstand vernichten, weil sie sich nicht integrieren können. "Es ist daher anzunehmen", schreibt Sarrazin über die Neuankömmlinge, "dass sie sich hinsichtlich Bildungsleistung, Arbeitsmarktintegration, Sozialleistungsbezug, Kriminalität und Anfälligkeit für fundamentalistisches Gedankengut ähnlich entwickeln [wie die schon vorhandenen muslimischen Zuwanderer]."

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Schuld an dieser und jeder anderen fehlgeleiteten Politik ist (außer Angela Merkel) vor allem das titelgebende "Wunschdenken"—wenn ein Politiker etwas durchdrückt, was nicht der Lösung von konkreten Problemen, sondern der Durchsetzung einer Utopie dient. In Deutschland hat Sarrazin verschiedene dieser Utopien ausgemacht: den Gleichheitswahn, den Genderwahn, den irren Hass auf CO2 (ja, wirklich), den Traum von einer Welt ohne Grenzen.

Sarrazin verliert gegen das Lustige Taschenbuch | Foto vom Autor

Das Buch besteht deshalb zu großen Teilen aus Aufzählungen von Fehlern, die in der deutschen Politik in den letzten Jahrzehnten gemacht wurden, und von Gegenbeispielen, in denen Sarrazin etwas richtig gemacht hat. Danach kommt der Teil "Wie ich die Weltlage sehe und was ich mir für Deutschland wünsche", in dem Sarrazin seine Politik-Empfehlungen gibt. "Ich erwarte natürlich nicht, dass sich Politiker tatsächlich an meinen Empfehlungen orientieren", erklärt Sarrazin mit einem etwas süffisanten Lächeln den versammelten Journalisten. "Aber wenn es ein bisschen hilft, ist das besser als nichts."

Dann gibt es noch einige Fragen von den anwesenden Journalisten, die Sarrazin kurz beantwortet, und dann ist es auch schon zu Ende. Auffällig ist, dass offenbar niemand mehr Lust hat, sich mit Sarrazin über seine eigenartigen Ideen von der genetisch bedingten Minderbemittlung der Menschen aus Schwarzafrika und den islamisch geprägten Ländern zu streiten, obwohl die These auch in diesem Buch wieder ziemlich präsent ist. Vielleicht ist sie ja schon gelungen, die Diskursverschiebung.


Titelfoto: imago | Mauersberger