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Popkultur

Wir waren im Brandy Melville-Store und haben Komplexe bekommen

Wir wollten wissen, wie es sich anfühlt ein Brandy Babe zu sein. Nur leider scheiterten wir schon an der Kleidergröße.
Ein Brandy Melville-Store
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"Hier passt mir nichts, wir können gehen", ruft meine Freundin aus der Ecke und schüttelt den Kopf. Ich staune in der Zwischenzeit über die 20 Meter lange Schlange an der Kassa von Brandy Melville. Zwei Drittel der Kleider im Shop auf der Mariahilfer Straße werden in Einheitsgröße verkauft, die der Standardgröße S bis XS entspricht.

Dass hier manche Sachen etwas anders als in anderen Kleider-Shops laufen, erkennt man auch an anderen Indizien: Da sind zum Beispiel die BHs in One-Size, die jugendliche Verkäuferin, die den Mädels ein bisschen das Bild des perfekten Brandy-Babes vorlebt, und auch Kundinnen, die wie meine Freundin verzweifelt versuchen, wenigstens eine Größe M ganz hinten an der Stange zu finden.

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Die präparierten Spiegel, die einen irgendwie größer aussehen lassen, wurden in die hintere Ecke des zweistöckigen Shops verbannt. Früher waren das die einzigen Spiegel, an denen du dich selbst neben fünf anderen Mädels—und vor den Augen der wartenden Schlange—betrachten konntest. In den Umkleidekabinen selbst gab es gar keine Spiegel. Das Motto, so wie ich es verstand, schien damals gewesen zu sein: Komm raus und zeig, dass du wie eine Presswurst aussiehst.

Mittlerweile lässt Brandy Melville den Mädchen und Frauen den Freiraum, sich in der Kabine allein zu begutachten, um sich wenigstens die Blicke der anderen zu ersparen—wenn schon nicht die eigenen Gedanken, die in meinem Fall immer noch um Unsicherheit und die Frage kreisen, ob in dieser Kleidung überhaupt jemand schlank genug aussieht. Eine Mitarbeiterin erklärt mir auf Nachfrage, dass der Umkleidebereich um einige Kabinen erweitert wurde und deshalb auch seinen Platz gewechselt habe. "Danach war es nicht anders möglich, als die Spiegel in die Kabinen zu geben. Das hatte glaube ich keinen anderen speziellen Grund", sagt sie.

Komm raus und zeig, dass du wie eine Presswurst aussiehst.

Geschäftsführer des Unternehmens ist der Italiener Stephan Marsan, Sohn von Silvio Marsan, der das Unternehmen vor rund 20 Jahren in Rom gegründet hat. Der erste Brandy-Store in den USA wurde 2009 eröffnet.

Für eine offizielle Stellungnahme war das Unternehmen nicht zu erreichen. Die Store-Manager einzelner Shops waren für uns genauso wenig zu sprechen wie die Berliner MITO Handels- und Vertriebsgesellschaft mbH, die die deutschen Brandy-Stores betreibt.

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Brandy Melville auf Instagram

Screenshot via Instagram.

In einem ruhigeren Moment frage ich die Verkäuferin, ob sich Kundinnen über die Einheitsgrößen beschweren. "Eigentlich sehr wenige", sagt sie. "Die meisten wissen nach dem ersten Besuch, ob sie bei uns einkaufen können oder nicht." Auch sie wisse nicht, warum das Label fast ausschließlich in Einheitsgröße produziert: "Ich nehme mal an, das hat wirtschaftliche Gründe. In anderen Shops bleibt so viel Kleidung in verschiedenen Größen übrig, die nicht gekauft wird", sagt sie. Auf die Frage, warum sowohl die One-Size-Stücke als auch die anderen in verschiedenen Größen im Vergleich zu anderen Kleidungsgeschäften eher klein ausfallen, antwortet sie: "Das wird wahrscheinlich an italienischen Models designt und die sind halt eher kleiner."

Dass italienische Kleidergrößen—im Vergleich zu deutschen—kleiner ausfallen, bestätigt auch Hermann Fankhauser, Lehrender an der Universität für angewandte Kunst im Bereich Modedesign. Auch dass das One-Size-Konzept tatsächlich eine wirtschaftlichen Ursache haben könnte, ist für ihn nachvollziehbar: "Die Produktion von sogenannten 'Randgrößen', die dann häufig nicht gekauft werden, ist für das Unternehmen sicherlich kostspieliger, als in Einheitsgröße zu produzieren", sagt er.

Im Grunde müsse Mode auch nicht für die breite Masse gemacht werden, so Fankhauser. "Solange nicht eindeutig mit der One-Size geworben wird, kann man dem Unternehmen nichts vorwerfen. Andere Modehäuser bieten Kleidung in verschiedenen Größen an, die durch den Schnitt bei beleibteren KundInnen ebenso unvorteilhaft aussehen können."

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Mittlerweile hat sich meine Freundin in den ersten Stock begeben und stöbert dort nach Schmuck. Aber auch dieser passt zum Teil nicht auf meine Wurstfinger, also gehen wir weiter zur Kassa, um dort mit einer Verkäuferin zu plaudern. Ein Schild am Tresen weist die Kundinnen darauf hin, dass hier Personal gesucht wird. Im vergangenen Jahr gab es auch mehrere offene Castings, die über das Facebook-Profil von Brandy Melville Vienna ausgeschrieben wurden.

Die Angestellte hinter der Kasse erklärt uns, dass sie sich über die Facebook-Seite beworben habe. Erfahrung mit der Arbeit im Verkauf sei nicht notwendig: "Es arbeiten hier schließlich auch 15-Jährige."

Schließlich spreche ich auch die junge Verkäuferin an und frage, ob sie an dem Brandy-Casting teilgenommen hat. "Nein, heut' ist mein erster Tag", sagt sie. "Ich wurde direkt im Shop angesprochen, ob ich hier arbeiten möchte."

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Immer wieder werden die Angestellten gefragt, ob es das eine oder das andere Teil nicht in einer anderen Größe gäbe. "Nur was da ist", lautet die Antwort. Wie so oft schafft auch bei dem italienischen Modelabel, das sich übrigens sehr amerikanisch präsentiert, das Ausschlusskriterium ein Gefühl von Exklusivität: Wer in die Kleidung passt, gehört zum Club und darf mitfeiern.

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Für Claudia Brandstätter, Trendforscherin und Geschäftsführerin von BMM – Erstes steirisches Trendbüro, erzeugen solche Unternehmen mit der Kleidungsgröße bewusst eine sehr enge, exklusive Zielgruppe und vor allem eine noch größere Nicht-Zielgruppe: "Das kann als Diktat des Anbieters betrachtet werden", sagt sie. "Daraus folgt auch, dass diejenigen, die zur Zielgruppe gehören, so etwas wie Stolz empfinden. Die Marke wird bewundert, weil die Menschen, die sie tragen, als 'schön' erlebt werden. Ich sehe da schon eine Gefahr. Ob solche Unternehmen langfristig Erfolg haben werden—ohne für Toleranz und Vielfältigkeit zu stehen—, wird sich zeigen."

"Oversized" ist der letzte Funke Hoffnung für die Frauen, die nicht der Brandy-Norm entsprechen.

Meine Freundin ist eine schlanke, groß gewachsene Frau. Aber mit ihrer Größe geht eben auch eine gewisse Hosen- und Beinlänge einher. Nicht nur der Umfang, auch die Höhe der Frauen und Mädels, die hier shoppen, ist also stark eingegrenzt. Die Mitarbeiterin erklärt, dass es für groß gewachsene Frauen sicherlich schwierig sein kann, passende Hosen bei Brandy zu finden. "Andererseits gibt es auch so kleine Frauen, die wiederum in die Jumper reinfallen", ergänzt sie. Zum besseren Verständnis: Jumper sind Einteiler mit kurzen Shorts, was praktisch heißt, dass bei größeren Frauen die Shorts nicht über den Po gehen, während umgekehrt bei kleineren Frauen die Schulterträger zu lang sind.

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Auf einer Ledercouch mitten im Store warten einige Mädchen auf ihre Shopping-Begleitung. Manchmal haben sogar sie Sachen auf dem Schoß liegen, die sie später zur Kasse tragen. Meistens handelt es sich hier um sogenannte "Oversized-Stücke". Die weiten Shirts sollen an dünnen Körpern möglichst lässig fallen oder zu einem Knoten zusammengebunden werden: Ein Funke Hoffnung für alle, die unbedingt in Brandy-Outfits passen wollen, aber eigentlich aus der Brandy-Norm herausstechen.

Damit hier aber kein falscher Eindruck entsteht: Ein großer Teil der Kundinnen passt sehr wohl ins Konzept und trägt so viel Stücke in die und aus der Umkleidekabine, dass sich ihre Unterarme biegen.

Der kleine Shop, der vor knapp drei Jahren eröffnet wurde, ist über die ganze Zeit, die wir hier verbracht haben, durchgehend mit zirka 100 jungen Mädchen und Frauen gefüllt. Das Konzept scheint aufzugehen. Auf Instagram erfreut sich "Brandymelvillevienna" über satte 21.200 Follower und die Wand im Shop ist mit Auszügen aus dem Account geziert. Die Instagram Seite wird vom Personal des Shops und "einigen Mädels" betrieben. "Auf den Fotos sind MitarbeiterInnen oder Freundinnen von uns zu sehen", erzählt uns eine Angestellte.

Brandy Melville verzichtet auf Ausgaben für klassische Werbung. Juliane Wind, Kundenbetreuerin des deutschen Brandy-Online-Shops bestätigt, dass die Marke nicht in Magazinen, durch Slogans oder Kampagnen, sondern ausschließlich über Social-Media-Kanäle beworben wird.

Für Frauen, die nicht ins Insta-Bild passen, gibt es hier bestenfalls Rucksäcke oder Halsketten.

Mediale Kritik an dem italienischen Modelabel gibt es bereits, seit dieses auf dem Markt ist. Auf YouTube kursieren einige Videos von BloggerInnen, die das One-Size-Konzept zum Thema machen. Die US-YouTuberin Trisha Paytas kommentiert ihr Video, in dem sie ihren Ärger über den Modekonzern freien Lauf lässt, mit: "Who wants to be part of a club that isolates you for your size?" Einige Jahre zuvor schilderte sie ihre Erlebnisse in einem Brandy-Store. Sie wurde angeblich aufgefordert, die Kleider nicht anzuprobieren, um sie nicht auszudehnen. Danach bekam sie laut eigenen Angaben Post von Anwälten des Modekonzerns und musste das Video angeblich von der Plattform nehmen.

Wir verlassen Brandy Melville am Ende, ohne etwas zu kaufen. Für Frauen, die mehr als ein bisschen Busen haben, größer als 1,80 sind oder sonst wie nicht ins Insta-Bild passen, gibt es hier leider bestenfalls Rucksäcke oder Halsketten.