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Vice Blog

Wir wollten den Stammtisch der Identitären besuchen, um die Audimax-Aktion zu verstehen

Leider waren wir nicht willkommen und konnten "die Wahrheit" nicht recherchieren.
Foto: Christoph Schattleitner, Vice Media

Foto: Christoph Schattleitner / Vice Media

Am Mittwochabend luden die Identitären zum Stammtisch im Simmeringer Lokal Schmankerl Spitz. Es war das erste öffentliche Treffen der Identitären nach der Aktion im Audimax. Die Identitären mobilisierten außerdem, weil der Veranstaltungsort tags zuvor von unbekannten, wohl linksextremen Aktivisten beschmiert wurde. Gerüchte gingen um, es könnte auch am Abend zu Gegendemonstrationen kommen. Rund 20 sichtbare Polizisten sicherten das Lokal.

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Grund genug, um hin zu gehen und sich anzuhören, was die Bewegung zu sagen hat. Nach einem Abend des Zuhörens, so dachte ich, kann man die Identitären und ihre Aktionen vielleicht besser verstehen.

Als ich ankomme, stehen auf der Terasse des Lokals rund zehn Identitäre. Ich schüttele dem Mann beim Eingang die Hand. Gleich darauf kommt einer—Philipp Huemer, wie sich später herausstellt—auf mich zu und sagt: "Du bist von VICE." "Ja", sage ich, "ist das ein Problem?" Die Umstehenden wirken überrascht und witzeln über meinen Arbeitgeber, während Huemer verschwindet und ich mir an der Bar ein Bier hole.

Nach einmal Nuckeln kommt Huemer mit Martin Sellner, dem Chef der Identitären Bewegung Wien, zurück. Sellner redet lange ohne Pause, beginnend mit dem Satz: "Du hast hier nichts verloren."

Ich bin überrascht und verstehe das Ganze nicht wirklich. Trotzdem akzeptiere ich den Rauswurf, aber vor dem Gehen hätte ich gerne noch ein Statement dazu. Sellner lacht zuerst, erklärt seine Entscheidung aber dann doch (hier das ganze Gespräch):

"Wir entscheiden, welche Journalisten rein kommen und mit wem wir reden. Der Falter darf rein, VICE nicht. VICE-Berichte sind derartig mies und hinterfotzig, VICE ist kein ernstzunehmendes journalistisches Magazin."

Danach geht Sellner wieder rein und ein anderer Mann, Thomas "Nachnamen sag ich dir nicht" kommt zwei Schritte auf mich zu. Er erzählt mir ungefragt von seinem Selbstverteidigungskurs, den er mit seinen identitären Freunden gerade macht—und lässt viel Spielraum dafür, seine Aussage als reine Information oder eben doch als Drohung zu interpretieren. Ich entscheide mich, es einfach als ersteres zu sehen und bitte darum, mit der Lokalbesitzerin sprechen zu dürfen, da nur sie das Hausrecht zum Rauswurf hat.

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"Des is mir wurscht", sagt Thomas, laut Antifa im Nachnamen Krobath—ein Urgestein der Identitären. Ich warte draußen. "99 Prozent aller Journalisten sind bei diesem Thema …", fängt Krobath an, "Arschlöcher!" ruft einer. Krobath: "Ja, nicht ernst zu nehmen. Die machen alle Propaganda gegen uns." Der Spott, der danach von den umstehenden Männern folgt, erinnert an eine Schulhof-Gang.

Die Falter-Journalistin Stefanie Panzenböck, die dem Stammtisch beiwohnen durfte, erzählt mir danach, dass Sellner auch in seiner Rede auf VICE einging. Es rege ihn auf, dass die Identitären immer als "Rechtsradikale" bezeichnet werden; ein Medium wie VICE "könne er nicht ernst nehmen." Er wolle keine "Journalisten, die die Unwahrheit berichten" hier haben.

Tatsächlich wäre ich an genau dem Gegenteil interessiert gewesen, was aber durch den Rauswurf erschwert wurde. Agenda habe und hatte ich keine; überhaupt habe ich noch nie über die Identitären geschrieben, nur einmal eine Anfrage für eine Reportage gestellt. Politische Auffassungsunterschiede zwischen den Protagonisten und mir sollen für die Recherche keine Rolle spielen; ich fotografiere und zitiere Menschen nur, wenn sie das wollen (wie ich auch bei meiner Anfrage extra dazugeschrieben habe).

Natürlich behandle ich die Identitären—wie jede politische Gruppe—kritisch; und ja, ich habe eine andere politische Meinung. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich sie "propagandistisch runterschreibe", wie sie es erwarten. Sie verwechseln mich offenbar mit einem Aktivisten. Ich bin jedoch Journalist und habe keine vorgefertigte Absicht—bloß viele blöde Fragen und ein paar Fakten.

Die Identitären berufen sich gerne auf die Meinungsfreiheit. Etwa, als viele kritisierten, dass der IBÖ-Obmann im ORF-Bürgerforum auftreten durfte. Auch als sie das Audimax stürmten und sagten, die linken Aktivisten würden Ähnliches dauernd machen. Oder als ein Identitär-Sympathisant auf dem Blog Fisch und Fleisch einen umstrittenen Beitrag veröffentlichte, den die Blogbetreiber gleich wieder offline nahmen.

Die Identitären, so kommunizieren sie es, machen sich stark für andere Sichtweisen, sind gegen Denkverbote und verlangen Akzeptanz für Meinungen abseits vom Mainstream. Zumindest gilt das, wenn es um ihre Sichtweisen und Meinungen geht.

In meinem Fall fanden sie das Hausrecht anscheinend wichtiger als die Pressefreiheit. Das steht ihnen natürlich zu, es wirkt nur im Zusammenhang mit obigen Beispielen etwas zynisch. Das Aussperren erleichtert es außerdem nicht unbedingt, "die Wahrheit" über die Identitären zu berichten. Am Ende überwiegt bei mir vor allem ein Gefühl des Bedauerns. Als ich Martin Sellner fragte, wer denn sonst noch aller draußen bleiben muss, sagte er: "Nur VICE. Und vielleicht das ISIS-Magazin." Dafür, dass die Identitären betonen, weder radikal noch extrem zu sein, war es erstaunlich schwer, sich ganz normal mit ihnen zu unterhalten.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner