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Immer dieses Internet!

Wo kommen die grauenhaften Besserwisser auf Facebook alle her?

Und warum glauben sie immer, dass es uns interessiert, was sie sagen?

Es war eines dieser Missgeschicke, die das Leben erst lebenswert machen: Auf der Titelseite der Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel prangte ein großer, grimmig blickender Hitler, darunter die Überschrift: „Flüchtlingskrise wird Chefsache".

Der Witz ist natürlich, dass das Bild und die Überschrift nichts miteinander zu tun haben, weil das Hitlerbild eben einen Artikel zu dem neuen Hitlerfilm ankündigen soll. Und das Schöne ist, dass anscheinend niemandem beim ehrwürdigen Tagesspiegel aufgefallen ist, was für eine absurde Granate diese Kombination von Bild und Überschrift ist.

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Ein Riesenpatzer also, über den sich heute morgen auch jeder ordentlich gefreut hat. Irgendwann bemerkte man es dann auch beim Tagesspiegel, kriegte wahrscheinlich kurz einen kollektiven Herzinfarkt, und machte dann einen reumütigen Facebook-Post, wie man das als Erwachsener halt so macht.

Auch hier haben die Leute sich dann noch mal ordentlich amüsiert, der Post wurde über 10.000-mal geteilt und fast 30.000-mal geliket. Alles gut so weit, nur dass es bei dieser Reichweite natürlich vorprogrammiert war, dass irgendwann er auf den Plan tritt: Der Facebook-Besserwisser. Und schon ist er auch da:

Ein Prachtexemplar, dieser Facebook-Besserwisser! Da ist wirklich alles dabei: Erstmal werden alle anderen verächtlich abgetan, die nicht denselben Durchblick haben wie der Besserwisser („…und jeder fällt drauf rein"), dann wird ein Einblick in das tiefe Wissen gewährt, das der Besserwisser über die Mechanismen dieser zynischen und abgekarteten Welt besitzt, und schließlich wird noch mal ein herablassendes „Lasst euch doch nicht verarschen Leute" hinterhergepfeffert (beliebte Variation: „ICH lass mich doch nicht verarschen!"). Bravo!

Völlig egal, dass das totaler Schwachsinn ist (keine große Tageszeitung würde absichtlich so einen Mist auf ihre Titelseite setzen—wie soll das denn Leser anlocken?). Der Besserwisser wird nicht lange allein bleiben, denn „verarschen" lassen will sich keiner!

Sehr schnell werden andere angelockt werden, und sehr schnell werden es Menschen sein, die dann alles noch besser wissen wollen als der Original-Besserwisser, und im Handumdrehen hat man sich noch einen schönen Schwarm Ironie-Versteher eingefangen.

Ironie-Versteher sind so etwas wie die Darmwürmer des Besserwissers, sie folgen ihm überall hin, um dann seinen frischgelegten „Lasst euch doch nicht verarschen"-Laich sofort mit ihrem schnippischen „Das war doch eh ironisch"-Samen einzuspritzen. In dem feuchtwarmen Biotop, das sich mittlerweile aus den erregten, bösartigen und verwirrten Kommentaren gebildet hat, herrschen die perfekten Bedingungen, um schließlich eine vollkommen sinnlose Diskussion darüber auszubrüten, ob der Tagesspiegel-Fauxpas jetzt absichtlich als gemeine „Verarschung" oder absichtlich „ironisch" gemeint war. Die Möglichkeit, dass die Dinge einfach so sind, wie sie einem erklärt werden, ist natürlich viel zu simpel für alle Besserwisser. Sie wissen es nämlich besser.

Diese Art von Kommentaren findet man überall—das ist nur eines von zahlreichen Beispielen für diese spezielle Art der Idiotie, die jeden Tag in hunderttausend Spielarten Facebook verseucht. Natürlich gibt es Besserwisser auch im echten Leben. Aber sie reißen halt nicht so oft die Fresse auf, wie das auf Facebook eben passiert. Wenn im Hauptbahnhof die Durchsage kommt, dass der Zug nach Salzburg Verspätung hat, würde auch nicht sofort jemand auf einen Mistkübel springen und „Das ist doch alles geplant! Damit soll einfach der Schnitzelsemmel-Konsum angekurbelt werden, das weiß man doch! Lasst euch nicht für blöd verkaufen, Leute!" schreien.

Auf Facebook passiert aber genau das, und zwar jedes Mal. Und uns bleibt nichts übrig, als mit dem Kopf zu wackeln, uns langsam an das kalte Metall des Revolverlaufes im Mund zu gewöhnen, und uns zu fragen, wo diese Leute eigentlich alle herkommen.