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Zentralmatura: Wenn Ironie zum Alltag wird

Wenn Schularbeiten mit mehr als 70 erreichten Prozent negativ beurteilt werden und sogenannte „Experten" von Reformen sprechen, dann geht es um die Zentralmatura. Eine Maturantin erzählt.

Foto von Shesarii / Flickr / CC BY-SA 2.0

Laura Untner ist 18, Maturantin am BG Nonntal in Salzburg Schulsprecherin, Frauensprecherin der Aktion kritischer Schüler_innen Salzburg. Für uns hat sie ihren Gedanken über die Zentralmatura freien Lauf gelassen

Da ging wohl was daneben. Die Zentralmatura wird, trotz ihrer durchaus positiven Aspekte, von allen Seiten kritisiert. Nicht nur Schüler_innen, sondern auch Lehrpersonen und Eltern wollen sich dieses Kabarett nicht weiter zumuten müssen. Und das ist verständlich.

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Obwohl die Idee einer zentralisierten Reifeprüfung nicht zu verwerfen ist, scheitert es wieder einmal an der Umsetzung. Ein durchaus wichtiger Schritt ist der Versuch, die Matura nicht mehr von den Lehrpersonen und den jeweiligen Schulen abhängig und dadurch gerechter zu machen. In einer derart globalisierten Welt ist es auch wichtig, international vergleichbar sein zu können. Doch wenn sich Österreich dazu entscheidet, eine zentralisierte Reifeprüfung durchzuführen, müssen die betroffenen Personen ausreichend darauf vorbereitet und informiert werden. Es bedarf einer Reform von unten nach oben und nicht der Name, sondern die Struktur muss verbessert werden. Viel eher aber scheinen das Bildungsministerium und das BIFIE mit der Zentralmatura damit angefangen zu haben, sich ihr eigenes Grab zu schaufeln.

„Uns wurde ein unausgereiftes Konzept ohne passende Unterrichts- oder Lehrunterlagen aufgezwungen", beschreibt Bianca Mayer, Schulsprecherin des BORG Nonntal in Salzburg, die Situation. Ich persönlich kann mich noch erinnern, als ich vor etwa zwei Jahren erfahren habe, dass ich eines der glücklichen Versuchskaninchen des ersten Jahrgangs der Zentralmatura sein darf. Auf einmal war alles neu. Lehrpersonen und sogar Direktor_innen, also diejenigen, die sich auskennen und uns Schüler_innen informieren sollten, fingen an, Fragen zu stellen. Kommunikation schien unwichtig, wodurch die Unsicherheit immer größer wurde. Wir alle wollten lernen, mit den neuen Testformaten klarzukommen—aber wie? Uns wurde und wird die Chance zum Üben genommen, denn es gibt kaum veröffentlichte Materialien im neuen Format. Selbst die Ungleichheiten, die behoben werden sollten, sind noch immer da, denn privilegiertere Schulen genießen auch jetzt noch Vorteile, indem sie die wenigen überteuerten Bücher zur Vorbereitung auf die Matura erwerben können, die doch eigentlich allen zur Verfügung stehen sollten. Und als ob das noch nicht genug wäre, werden uns auch noch die Vorbereitungsstunden, ganz nach dem Motto „Ohne Unterlagen braucht man sowieso keine Vorbereitung", gekürzt. Eine hervorragende Idee.

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Große Ungewissheit brachte auch die Vorwissenschaftliche Arbeit (kurz VWA) mit sich. Statt Spezialgebieten gibt es jetzt nur noch eine Arbeit im Umfang von 40.000 bis 60.000 Zeichen. Klingt doch ganz nett, oder? Im Endeffekt ist aber auch die VWA ein weiterer unausgereifter Teilbereich der neuen Matura. Denn auch wenn das Schreiben einer solchen Arbeit eine hervorragende Vorbereitung auf die Uni ist, erfährt man dort wenigstens, wie eine solche Arbeit zu schreiben ist. Die Einweisung zum Schreiben der VWA wird nämlich an jeder Schule eigenständig geregelt. Das heißt im Konkreten, dass nicht alle Schüler_innen die gleiche Chance bekommen, zu lernen, wie eine solche Arbeit zu verfassen und was dabei zu beachten ist. „Ups, das hätte nicht passieren sollen" hat man sich wohl nicht nur dann gedacht, als die VWA-Plattform zum Hochladen der fertigen Arbeiten abstürzte, sondern auch, als sich die im Endspurt befundenen Schreibenden noch die unterschiedlichsten Informationen und letzten Änderungen zur Arbeit, wenige Zeit vor der Abgabe, anhören mussten und langsam klar wurde, dass der Spaß ein riesengroßes Chaos ist.

Höchst unprofessionell und peinlich sind die schon passierten Missgeschicke rund um die Zentralmatura. Die Verantwortlichen stehen in einem äußerst schlechten Licht und haben jegliches Vertrauen verloren, indem sie das Gefühl vermitteln, nicht aus ihren Fehlern zu lernen und den Betroffenen nicht zur Seite zu stehen. „Es wird über unsere Köpfe hinweg entschieden und egal ob wir demonstrieren oder mediale Aufmerksamkeit erregen, wir werden ignoriert. Wir Schüler_innen haben in Österreich nicht die Stimme, die wir haben sollten", sagt Amina Al-Dubai, Landesschulsprecherin aus Vorarlberg und Mitglied der Bundesschüler_innenvertretung. Manchmal glaube ich sogar, dass so einigen der Wert der Bildung nicht bewusst ist. Aber eins muss ich den Verantwortlichen lassen: Die Lachanfälle aufgrund der lächerlichen Pannen haben mir immer wieder meinen doch sehr langweiligen Schulalltag verschönert—danke dafür.

Nun zu meinen Lieblingswort: Kompetenz. Ich frage mich, ob die Beschreibung des Wortes „Kompetenz" bald eine neue benötigt, denn Kompetenz ist in meinen Augen nicht das, was von mir bei der Zentralmatura verlangt wird. „Man darf keine Schwächen mehr besitzen. Mittelmäßig muss besser sein als die Mitte, aber am besten ist es, wenn du einfach alles besser als gut kannst", so Bianca Mayer. Egal ob es um Englisch oder Mathe geht, der Witz ist derselbe.

Die Zentralmatura hat so ihre Macken. Betrachtet man die eigentliche Idee, erkennt man sie nach der Umsetzung nicht wieder.

Die Englischmatura ist in vier Bereiche aufgeteilt: Lesen, Hören, Sprachverwendung im Kontext und Schreiben. Zwei dieser Bereiche spielen jeweils zusammen und zählen 50 Prozent zur Note. Ist der eine Teil negativ, kann dieser noch durch den dazugehörigen zweiten Teil kompensiert werden. Hat jedoch der_die Schüler_in genau hier eine Schwäche, kann der negative Teil nicht kompensiert werden und sind die anderen drei Bereiche trotzdem positiv, ist die Matura insgesamt negativ. Außerdem gibt es gewisse Zeitvorgaben, wie lange Schüler_innen für jeden Bereich brauchen dürfen. Nehmen wir nun das Beispiel Mathematik (mal abgesehen von den unglaublich kompliziert formulierten Typ-2-Aufgaben, bei denen man, auch wenn man gut in Deutsch ist, das Gefühl hat, eine Fremdsprache zu lesen): Fünf Funktionen müssen den passenden Gleichungen zugeordnet werden. Vier davon wurden richtig zugeordnet, eine jedoch falsch. Laut dem neuen System bekommt man hier null Punkte. Wer allgemein die verlangten „Grundkompetenzen" (Typ 1) nicht aufweisen kann, ist automatisch negativ—rein theoretisch sogar mit mehr als 70 erreichten Prozent auf die ganze schriftliche Arbeit. Doch ist es nicht eine Kompetenz, wenn ich in der Lage bin, mir meine Zeit selbst einzuteilen, um mehr Zeit für meine Schwächen zu verwenden? Ist es nicht überhaupt eine Kompetenz, meine Schwächen zu kennen und mich auf meine Stärken konzentrieren zu können? Die Verantwortlichen haben uns gezeigt, dass niemand perfekt ist. Also darf auch keine Perfektion von Schüler_innen verlangt werden.

Die Zentralmatura hat so ihre Macken. Betrachtet man die eigentliche Idee, erkennt man sie nach der Umsetzung nicht wieder. Es werden Entscheidungen getroffen, die in keiner Weise unseren Wünschen entsprechen. Mehr als peinlich sind das fehlende Mitspracherecht, die Unsicherheiten und die „Ups, das hätte nicht passieren sollen"-Momente. Doch ehrlich gesagt freue ich mich schon, wenn bei meiner Deutschmatura die größte Sorge die sein wird, dass alle Angaben zeitgerecht und vollständig ankommen, die erwünschte Sicherheit (ähnlich der eines Bombenentschärfungseinsatzes) keine Probleme bereitet und kein Text eines Nationalsozialisten bearbeitet werden muss. In meiner Position als Versuchskaninchen fühle ich mich ja schon irgendwie geehrt.