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Zerbrochenes Geschirr und Ratlosigkeit – Die Besetzung der Roten Fabrik ist vorüber

Eine Woche lang wurde das linke Kulturzentrum von noch linkeren Aktivisten und Flüchtlingen besetzt. Jetzt sind sie verschwunden und mit ihnen ein wenig Verständnis für die Autonome Linke.

"Wahrscheinlich sagen die sowieso, sie sprechen nicht mit der Systempresse", sagt einer meiner Kollegen, bevor ich mich auf den Weg in die Rote Fabrik mache. Seit zehn Tagen, seit dem 21. Mai, ist das alternative Kulturzentrum an bester Uferlage in Wollishofen besetzt. Von einer Gruppe namens "Caravan against the Camp System", die damit gegen die Asylsituation in der Schweiz und Europa allgemein protestieren will. Beziehungsweise wollte.

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Als ich nämlich zwischen den roten Ziegelbauten der ehemaligen Seidenweberei hindurchgehe, Eingang und Aktionshalle hinter mir lasse und mit der Absicht, einfach mal ein wenig mit den Besetzern zu quatschen, um die Ecke zum Clubraum biege, werde ich stutzig. Der Ort stimmt, das grosse C stimmt, doch von Revolution und Randale keine Spur—keine Banner, keine rauchenden Töpfe, keine Kapuzenpullis, keine Asylsuchenden, keine Parolen.

Während ich mich dem Gebäude nähere, dessen Fassaden vorher schon durch Sprayereien geschmückt waren, öffnet sich die Tür und ein junger Mann, wahrscheinlich ein Fabrik-Mitarbeiter, tritt in die Sonne. "Fertig Besetzung?", frage ich. "Ja", sagt er, "die sind in der Nacht gegangen." Doch etwas überrascht schaue ich in den leeren Veranstaltungsraum. "Und jetzt wieder zurück zum Normalbetrieb?", frage ich. "Naja, etwas aufräumen müssen wir schon noch", sagt er mit einem Besen in der Hand.

Neben ihm steht ein verbeulter Grill. Auch die Türen, die die Besetzer ausgehängt hätten, müssten sie wieder anbringen, meint er. Auf der überschaubaren Sachschadenliste stehen unter anderem aufgebrochene Schlösser, zwei kaputte Scheiben. Ob vielleicht gerade jemand da wäre, der oder dem ich ein paar Fragen stellen könne, frage ich ihn. Er lacht: "Wahrscheinlich haben die sich heute alle frei genommen. Jetzt, wo die Sache vorbei ist."

„Die Sache" ist schnell erklärt und trotzdem diffus: Ein linker Kulturort ist von noch linkeren Aktivisten gekapert worden. In der institutionalisierten Roten rede man zu viel über anstatt mit Flüchtlingen, begründete die Karawane ihre Besetzung via Homepage und Flugblatt. Es sei Zeit, den Flüchtlingen (und natürlich auch den Besetzern) endlich zuzuhören. Nach mehreren Tagen zog die Rote Fabrik via Facebook-Status das Fazit: Mangelnde Diskussionsbereitschaft, null Kooperation, Störung der Anlässe und zwar so weit, dass manche zum Teil abgesagt werden mussten.

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In Zürich wird ab und an mal was besetzt:


Beispielsweise das Stück Wir Schutzgebenden, welches am 21. Mai, als die Besetzung startete, im Fabriktheater anstand. Als Teil einer grossen Zürcher Theaterkooperation zu Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen ging es in der Aufführung vor allem um eines: um die Flüchtlingsthematik. Beziehungsweise "um die Haltung des Künstlers zur Flüchtlingskrise", wie es im Programmtext heisst.

Die "Caravan"-Aktivisten schienen der Aufführung eine alles andere als positive Haltung entgegenzubringen, wie Regisseur und Autor Tobias Bühlmann erleben musste: "Im Grunde genommen gab es viele Übereinstimmungen zwischen den Forderungen der Aktivisten und dem, was in unserem Stück verhandelt wurde, doch schien das die Aktivisten nicht zu interessieren. Die erste Aufführung konnten wir zwar noch machen, doch wurde diese schon massiv gestört, indem sie ihre Trommeln direkt neben unseren Eingang stellten, sodass man zum Teil schlicht nichts mehr verstand. Die spätere Aufführung haben wir dann sein lassen."

Nun könnte man argumentieren, dass doch gerade diese Störung, dass Sich- bemerkbar-Machen, das laute Aufzeigen von Missständen im Sinne einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsproblematik sein sollte. Dass also die Aktivisten mit ihrer Besetzung genau das machten, was Künstler tun sollten. Tobias Bühlmann verneint dies auch gar nicht: "Ich finde es unter gewissen Umständen sogar legitim, Theateraufführungen zu stören. Wenn das dann aber ein Stück ist, das dieselben Ziele verfolgt wie der Protest, einfach mit anderen Mitteln, dann ist das doch absurd."

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Alle Fotos vom Autor

Linke kämpfen gegen Linke, diesem Konflikt begegnet man in letzter Zeit des Öfteren und zwar nicht nur in Form einer Sahnetorte, die Sarah Wagenknecht ins Gesicht gedrückt wird. In Bern streiten linke Politiker untereinander über den Umgang mit Chaoten aus dem Umkreis der Reitschule, in Frankreich protestieren Tausende gegen die Wirtschaftsreform eines linken Präsidenten. Fundis versus Realos nannte man diesen Konflikt früher. Die einen wollen das System zerstören, die anderen an diesem System arbeiten, um es besser und gerechter zu machen.

Für Bühlmann liegt genau dort das Problem: "Letzten Endes ist das doch der falsche Gegner. Der Gegner sitzt nicht in der Roten Fabrik, weder vor noch hinter der Bühne. Das wirklich Frustrierende war zu sehen, wie Asylbewerber bei diesem Protest mitgemacht haben in der Hoffnung, auf ihre Situation aufmerksam machen und vielleicht sogar verbessern zu können. Das aggressive Verhalten und die mangelnde Diskussionsbereitschaft jener Aktivisten, die am Ende einfach wieder nach Hause in ihr bequemes Bett schlafen gehen konnten, hat das aber wohl nicht gefördert."

Auf dem Gelände der Roten Fabrik weisen gerade noch ein paar hingekleisterte Plakate darauf hin, dass hier bis Montag noch Besetzer ihre Parolen geschrien haben. Ich entscheide mich im Ziegel oh Lac, der selbstverwalteten Beiz auf dem Areal, noch eins trinken zu gehen, stehe aber vor verschlossenen Türen, da "Montag: geschlossen". Vor dem Personaleingang raucht eine Mitarbeiterin eine Zigarette. Ich frage sie, ob jetzt wieder alles beim Alten sei. Dass da einfach Leute kämen, die nicht einmal für Gespräche bereit seien, das gebe einem schon zu denken, sagt sie.

Daniel unterscheidet zwischen links und linker auf Twitter.

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