Zwischen Exzess und Erneuerung: Die Linzer Altstadt
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Zwischen Exzess und Erneuerung: Die Linzer Altstadt

Die Altstadt war nie so schlimm wie ihr Ruf. Trotzdem verändert sie sich aktuell stärker als je zuvor. Ein Lokalaugenschein.

Es ist Montagnachmittag. Ich stehe mit einem Freund vor einem Haus in der Linzer Altstadt. Er ist wie immer von oben bis unten schwarz gekleidet, dunkler Bart, locker zusammengebundenes Haar. Die Glastür und das Schaufenster im Erdgeschoß des Hauses, vor dem wir stehen, sind von innen mit weißem Papier verklebt.

Ein altes iPhone, mittig im Schaufenster montiert, zeigt einen Countdown—fünf Tage bis zur Eröffnung. Die Baustelle wird in den folgenden Tagen zur neuen Sturm-und-Drang-Galerie. "Hast du dir da eine Fritzl-Galerie gebaut?", meint ein Typ der offensichtlich in dem Haus zu wohnen scheint, im Vorbeigehen zu meinem bärtigen Kumpel.

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Das Apothekerhaus—gerade neu renoviert

Er will auf die Intensität der Bauarbeiten anspielen, gibt er zu verstehen. Tatsächlich wird hier bereits seit einigen Wochen intensiv gearbeitet—und es ist bei weitem nicht die einzige Baustelle. An allen Ecken der Altstadt wird gebaut oder vielmehr renoviert, saniert und revitalisiert. "Als ich vor etwa zehn Jahren in die Altstadt gekommen bin, habe ich bemerkt, dass viele Häuser beinahe leer standen", erzählt mir ein Unternehmer, der bis heute zahlreiche Projekte hier im Viertel realisiert hat. "Im Erdgeschoß ein Lokal, darüber lange nichts und ganz oben drei, vier Wohnungen." Nachdem der Mann die ersten Häuser gekauft und die ersten Wohnungen erfolgreich vermietet hatte, kamen die Nachahmer.

Diese Entwicklung führte dazu, dass heute etwa 500 Menschen mehr in der Linzer Altstadt wohnen als noch vor zehn Jahren. Auch ich bin einer der Bewohner, die in den vergangenen Jahren hierher kamen. In meiner Jugend habe ich viele Nächte hier verbracht. An viele davon kann ich mich nicht mehr erinnern, aber was ich noch weiß, ist, dass immer viel los war, und dass die Gassen und Plätze in den Nächten der Wochenenden voll von jungen Leuten waren—großteils besoffen.

Das Altstadt-Viertel ist schon seit einigen Jahrzehnten ein Ort, an dem getrunken und gefeiert wird und wo verschiedenste Menschen auf relativ engem Raum miteinander auskommen—oder auch nicht. Der Altersdurchschnitt der Besucher ist rund um die Jahrtausendwende unter 20 gesunken—seither entdecken immer mehr Junge die Altstadt für sich. Diverse Jugend(sub)kulturen fanden ein Zuhause, was natürlich ein gewisses Konfliktpotenzial entstehen ließ. Darüber hinaus haben die Konflikte (die übrigens nicht so häufig waren, wie es in mancher Erinnerung scheint) aber weniger mit einem Krieg zwischen diesen Subkulturen zu tun, als mit der Ansammlung vieler junger und alkoholisierter Männer auf engem Raum—immerhin oft als die größte (menschliche) Gefahrenquelle weltweit bezeichnet.

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Gespräche mit Polizisten von damals und heute haben eines ganz eindeutig ergeben: Die Altstadt war nie so schlimm wie ihr Ruf. Angezeigt wurden im Jahr 2005 im Altstadtviertel 223 Körperverletzungsdelikte—heute liegt der Wert etwa bei der Hälfte. Meistens geht es dabei um Schlägereien, manchmal sind Stichwaffen involviert. Laut der OÖ.Landespolizeidirektion ist die Anzahl der Delikte nach Inbetriebnahme der Videoüberwachung im Jahr 2006 schlagartig zurückgegangen. Auch die weniger große Lokaldichte und der geänderte Lokalmix würden eine Rolle spielen.

So sehr verändert hat sich die Situation insgesamt gar nicht. Das Treiben in der Altstadt hat sich nur etwas verschoben. Tatsache ist, dass einige Lokale geschlossen in den vergangenen Jahren haben und dass in Wechselwirkung damit weniger jugendliche Trinker unterwegs sind. Es mangelt trotzdem nicht an Besoffenen und ich finde auch heute noch des Öfteren Kotze vor der Haustür am Alten Markt. Tatsache ist aber auch, dass einige Läden und Lokale aufgemacht haben, die viel eher exemplarisch für die "neue" Altstadt stehen als abgefuckte Beisl wie das ehrwürdige Aquarium, das wie ein Fels in der Brandung im "meistentwickelten" Teil der Altstadt steht. Der Verein "Altstadt neu" koordiniert viele Vorgänge im Viertel. Er besteht aus engagierten Altstadtbewohnern, Unternehmern und Investoren und neben einer gewissen Planung stecken klarerweise auch wirtschaftliche Interessen dahinter.

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Fakt ist, dass den Eigentümern des Hauses, das Hochwasser gelegen kam. 28 lukrativ vermietbare Wohnungen befinden sich jetzt in dem Gebäude und im Erdgeschoß vier Geschäftslokale.

Und obwohl ich wirklich gerne von mafiösen Machenschaften und skrupellosen Raubtierkapitalisten erzählt hätte, hat sich nach persönlichen Gesprächen mit zahlreichen Akteuren in der Linzer Altstadt doch ein positives Bild ergeben. Die Entwicklung des Viertels funktioniert für beinahe alle Beteiligten. Nehmen wir zum Beispiel den eingangs erwähnten Galerie-Typ: Er ist in der Altstadt aufgewachsen, hat sie als Viertel in Erinnerung, um das man lieber einen Bogen machte, war später gerne Gast in den Lokalen und wechselte dann auf die andere Seite der Bar, indem er im Rothen Krebs auszuschenken begann. Der Rothe Krebs war lange Zeit das vielleicht einzige Lokal in Linz für Kunststudierende und so etwas wie der Hipster-Hafen der Stadt.

Vor dem Rekordhochwasser 2013 war der Krebs das Erste, das man von der Donau aus sah, wenn man sich der Altstadt näherte (was jedoch kaum je jemand aus dieser Richtung getan haben dürfte). In den 2000er Jahren befanden sich hier, am Ufer-Ende, mehrere Lokale auf engstem Raum; unter anderem das Café Ostbahn, das Jugendliche mit billigen Getränken und heruntergekommenem Flair lockte, und daneben das Neue Ostbahn, für das mehr oder weniger dasselbe galt.

Ich werde an dieser Stelle nicht wieder dem Rothen Krebs nachheulen und auch keine Verschwörungstheorien zu seinem Ableben aufstellen. Fakt ist, dass den Eigentümern des Hauses, der Lutz Stiftung, das Hochwasser ganz gelegen kam. 28 lukrativ vermietbare Wohnungen befinden sich jetzt in dem Gebäude und im Erdgeschoß vier Geschäftslokale, die gerüchteweise bald in Verbindung mit dem Donauradweg und der Schiffsanlegestelle touristisch genutzt werden sollen. Für 6.900.000 Euro steht das Haus zurzeit zum Verkauf. Das VICE-Interview zum Thema gibt einen tieferen Einblick. Ihre Opfer hat die Entwicklung der Altstadt wohl doch gefunden.

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Eine kleine Spur vom Krebs ist noch zu sehen

Aber zurück zu unserem Galeristen. Er hat die Gegebenheiten des Viertels adaptiert, hat sich ein Jahr nach dem Aus des Rothen Krebs mit einer Pop-up-Galerie in ein gerade geschlossenes Wirtshaus einquartiert. Ein paar Meter weiter, auf der gegenüberliegenden Seite der Hofgasse gab es damals noch zwei Lokale, die die Linzer Gemüter immer wieder in Wallung brachten: das Asfalt und das Corretto.

Das Coretto war in den 80ern und 90ern noch ein Treffpunkt für Künstler und Politisierende. Im neuen Jahrtausend war es allseits bekannt—allerdings eher als Platz, an dem man schnell zu ein bisschen minderwertigem Dope kommen konnte. Heroin und Meth soll es dort in den letzten Jahren auch gegeben haben. Vielen war das Lokal ein Dorn im Auge. Als ein Streit zwischen einem Gast und dem Kellner des Nebenlokals ausbrach und zweiterer schwer verletzt wurde, hatte die Stadt schließlich einen Grund und eine Handhabe dieses Treiben zu beenden.

Auch das Asfalt schloss seine Pforten als Folge dieser Ereignisse. Beide Wirte sperrten "freiwillig" zu. Heute ist im Ex-Corretto bereits der zweite Mode-Laden einquartiert. Wo noch im Sommer 2014 das Asfalt war, gibt es heute vietnamesisches Essen (das aber immerhin gut schmeckt).

Ich bin der dritte Gast an einem regnerischen Freitagabend. Die Musikauswahl klingt nach Ö3, Brian Adams löst die Sportfreunde Stiller ab.

Der aktuellste Vorstoß der Linzer Stadtpolitik hinsichtlich der Altstadt und des angesprochenen Vereins ist eine Idee namens "Business Improvement District" (BID). Ein ursprünglich kanadisches Konzept sieht grob erklärt vor, alle Hauseigentümer eines Viertels in eine gemeinsame Kasse zahlen zu lassen, um anschließend demokratische bestimmte, zielgerichtete Maßnahmen für die Entwicklung des Gebiets zu setzen. Ein Antrag aller Parteien im Linzer Gemeinderat, ausgenommen ÖVP, wird im Dezember in selbigem diskutiert. Ich fühle mich stark an die gentrifizierte Gegend "SoDoSoPa" in Southpark erinnert. Sogar unser Pendant zum "Whole Foods Market" entsteht gerade—die neue Markthalle.

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Und dann gibt es da noch den weniger "entwickelten" Teil meiner Nachbarschaft; die gar nicht so hippe, viel weniger schicke Seite des alten Stadtkerns, wo von Gentrifizierung kaum eine Spur und weit und breit kein Szenejugendlicher zu sehen ist und wo es Lokale mit Namen wie "Nachtschwärmer" und "Linzerl" gibt.

Eingang Linzerl

Die erste Bar am Fuße des Hofbergs, am Eingang zur Altstadt, ist das "Nachtschwärmer". Ich bin der dritte Gast an einem regnerischen Freitagabend. Die Musikauswahl klingt nach Ö3, Brian Adams löst die Sportfreunde Stiller ab. Beide Anwesenden sind Stammgäste—seit ihrer Jugend, wie sie erzählen. Sie trinken "Koks", Harakiri-Orange und Kiwi-Spritzer. Eigentlich ist der Besuch hier so etwas wie eine Zeitreise, nur dass die Protagonisten körperlich gealtert sind.

Der Wirt ist ein sympathischer Typ, scheint seine Sache gern zu machen. Seit 1996 führt er das Lokal, das venezianischen Flair raffiniert mit Aprés-Ski-Feeling paart. Langsam denkt er aber ans Aufhören: "Es ist einfach nicht mehr so viel los, wie vor ein paar Jahren."

Ein paar Meter den Hofberg rauf befindet sich das "Linzerl" Das Lokal hat eine Glocke—hier kommt nicht jeder rein. Drinnen ist es voll, allerdings auch wirklich klein. Das Publikum ist 40+. "Egal, ob ich der Bundespräsident oder wer auch immer bin, hier hab' ich meine Privatsphäre", erklärt ein Stammgast. Der wichtigste Einrichtungsgegenstand ist die Kamera an der Tür. Wenn die Glocke läutet, schaut nicht nur der Barkeeper auf den Bildschirm, sondern auch die bereits drinnen versammelte Gästeriege—man will eben wirklich unter sich bleiben. Und es wirkt ein bisschen, als würden hier nicht nur die Gäste eines einzelnen Lokals reden.