VICE DERSS feed for https://www.vice.com/dehttps://www.vice.com/dedeTue, 12 Mar 2024 16:20:49 GMT<![CDATA[Neueste Forschung: Eigentlich mag niemand Cumshots]]>https://www.vice.com/de/article/ak38mb/neueste-forschung-eigentlich-mag-niemand-cumshotsTue, 12 Mar 2024 16:20:49 GMTSperma. Ladung. Wichse. Cum. Ficksahne. Herrencreme. Palmenrotz … Wie immer du es auch nennst, männliches Ejakulat ist das Schmierfett des Internets. Es ist weiß, es ist klebrig und es ist überall. Scroll eine halbe Sekunde über die Mainstream-Pornoseite deines Vertrauens und du siehst zahlreiche Videos, in denen Frauen Sperma auf und in jedes Körperteil gespritzt wird: den sogenannten Cumshot. Aber steht da eigentlich jemand drauf?

Eine neue Studie weckt jedenfalls erhebliche Zweifel daran. Der Soziologe Eran Shor von der kanadischen McGill University hat über 300 Pornokonsumentinnen und -konsumenten aus verschiedenen Bevölkerungsschichten zu Cumshots befragt und die Ergebnisse unter dem Titel "As Long as It's Not on the Face" in der akademischen Fachzeitschrift Sexes veröffentlicht. Wie sich herausstellt, sind viel weniger Menschen scharf auf rumspritzendes Sperma, als Pornos es uns glauben machen.


Auch von VICE: Wir haben Pornostars gefragt, was ihnen am peinlichsten ist


"Bislang hat noch keine Studie Pornokonsumierende zu ihren Sichtweisen und Vorlieben in Bezug auf die männliche Ejakulation befragt", schreibt der Shor in dem Artikel. "Den meisten Zuschauenden war die männliche Ejakulation oder ihre Platzierung egal, oder sie bevorzugten sie in der Vagina der Drehpartnerin", schreibt er. Viele mehr noch: Ein erheblicher Anteil der Pornokonsumierenden fand Cumshots in den Mund oder aufs Gesicht "verstörend".

Ich werde einen Teufel tun und mich hier blindlings in den als "Feminist Sex Wars" bekannten Grabenkrieg zwischen sexpositiven und Radikalfeministinnen werfen. Andererseits sollte es niemanden groß überraschen, dass viele Menschen es verstörend finden, wenn Männer auf die Gesichter von Frauen kommen. Seit Jahrzehnten betont eine Armee feministischer Akademikerinnen, dass Pornografie dominante patriarchale Erwartungen an die weibliche Sexualität widerspiegelt. Aus dem ganz einfachen Grund, dass sie überwiegend von Männern für Männer gemacht wird.

Diese Sichtweise wird natürlich nicht von allen Frauen geteilt, auch nicht von allen Feministinnen. Nichtsdestotrotz hält sich hartnäckig folgende Vorstellung: "Feministinnen finden Cumshots entwürdigend, aber Typen stehen drauf." Und oberflächlich scheint das generelle Pornokonsumverhalten diese Vorstellung zu stützen. 2021 veröffentlichte Zahlen zeigten, dass 24 Prozent der meistgesehenen Videos auf Pornhub männliche Ejakulation auf das Gesicht einer Frau enthielten. Sind Cumshots also einfach das Ergebnis von Angebot und Nachfrage?

Laut der aktuellen Studie ist auch das nicht der Fall. Auf ihre Vorlieben angesprochen, waren es nicht nur Anti-Porno-Feministinnen, die ein Problem mit Cumshots hatten, sondern eine Schnittmenge aus Männern und Frauen von queer bis heterosexuell. 38 Prozent aller Befragten bevorzugten es, die Darsteller in der Vagina der Drehpartnerin kommen zu sehen. Vor allem bei den teilnehmenden Frauen war dies mit 48 Prozent die beliebteste Methode. 27 Prozent der Befragten waren Cumshots egal. Nur neun Prozent bevorzugten die Ejakulation aufs Gesicht der Frau, acht Prozent in den Mund.

Für einige Befragte, insbesondere heterosexuelle Männer, schien es weniger eine Frage des Geschmacks und mehr eine, nun ja, Zeitfrage zu sein. Liam, ein heterosexueller 25-jähriger Kanadier sagte in der Studie zum Beispiel: "Ich bin kein großer bis-zum-Ende-gucken-Typ, ich habe da also keine echte Präferenz." Ivan, ein 22 Jahre alter heterosexueller Student aus Russland sagte: "Ich komme gar nicht bis dahin. Mir ist es entsprechend egal." Andere hatten schon eine stärkere Meinung, wo ein Typ hinspritzen sollte. Christine, eine 19-jährige bisexuelle Studentin aus Frankreich gab an, sie bevorzuge Ejakulation in der Vagina, "wo ich es nicht sehe". Julian, ein 20-jähriger queerer Kanadier sagte, die Darsteller sollten "auf sich selbst kommen, sie sollten es bei sich behalten".

Ich behaupte hier jetzt nicht, dass diese Stichprobe aus wenigen Hundert Menschen der unumstößliche Beweis dafür ist, dass NIEMAND Cumshots mag. Aber die Ergebnisse stützen meine leise Ahnung, dass ein Großteil der Pornos da draußen Vibes versprüht wie ein 13-Jähriger, der gerade herausgefunden hat, was er alles mit seinem Schniedel anstellen kann. Sperma! Wichse! Abspritzen! Was für ein Spaß! Jetzt schließ das Tab, setz dich wieder an deine Mathe-Hausaufgaben und denk nicht daran, wie sich das Mädchen überm Waschbecken ihr Gesicht wäscht. Oder bin ich da vielleicht etwas altmodisch? Was sagen andere dazu?

Für Bethany, 28, ist die Sache eindeutig: "Ich bin gegen Cumshots, ich finde sie eklig." Wir haben ihren Namen und die der anderen Menschen in diesem Artikel geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen. Fiona, 29, hat eine ähnliche Meinung: "Ich finde das eklig und will das Zeug nicht in meinem Gesicht haben, danke." Nicht nur Frauen denken so. Auch David, 31, ist kein Fan von Cumshots: "Ich finde es respektlos." Toms Einwände sind eher pragmatisch. "Es ist lästig", sagt der 34-Jährige. "Es ist nicht fair, dass sich Frauen danach auch noch ihr Gesicht waschen müssen."

Fiona ist sogar der Meinung, dass die ganze "Cumshots sind heiß"-Vorstellung eine von Männern verbreitete Lüge ist. Grund dafür sei maßgeblich die Notwendigkeit in Filmen, etwas bildlich zu zeigen. "Sie haben sich wahrscheinlich gedacht: 'So können wir visuell den dramatischen Höhepunkt des Pornonarrativs darstellen'", sagt Fiona.

Das bringt uns zum klebrigen Kern des Ganzen. Am Ende geht es nämlich nicht darum, ob du persönlich im Schlafzimmer rumspritzendes Sperma liebst oder hasst. Viel spannender ist, warum Pornos so tun, als müsste Sex immer mit einem Cumshot enden.

Das findet auch Eldin Hasa, Neurowissenschaftler und Experte für menschliches Verhalten. "Die weite Verbreitung von Cumshots in Mainstream-Pornos wirft eine spannende Frage auf", sagt er. "Wenn nur eine Minderheit der Zuschauenden eine Vorliebe für diesen Akt haben, warum sind Cumshots dann in Pornos so allgegenwärtig?"

Eine mögliche Erklärung sei, dass die Pornoindustrie "bestimmte Vorstellungen davon bedient, was erwartet wird. Damit hält sie die Vorstellung aufrecht, dass die Ejakulation eines Mannes auf das Gesicht oder in den Mund einer Frau ein Standardelement sexueller Begegnung ist".

Das sei ein Teufelskreis. "Die weite Verbreitung von Cumshots in Pornovideos hat das Potenzial, die Wahrnehmung der Zuschauerinnen und Zuschauer zu formen und damit auch ihre Erwartungen an sexuelle Begegnungen in der Realität", sagt Hasa. "Aus Sicht der sexuellen Aufklärung ist es wichtig, die Darstellung sexueller Handlungen in Pornos kritisch einzuordnen und jegliche Falschdarstellung anzusprechen – und damit auch die unrealistischen Erwartungen, die sie möglicherweise verbreiten."

In den Augen der Sexualaufklärerin Emilie Lavinia liegt das wahre Problem darin, dass kostenlose Pornoseiten auf der Basis von Algorithmen funktionieren. "Pornos auf Tube-Seiten bedienen algorithmische Muster", sagt sie. "Je mehr du von einer Sache siehst, desto mehr wird dir davon vorgesetzt. Deswegen generiert die Landingpage einer kostenlosen Tube-Seite, die Cumshot-Videos featuered, mehr Klicks und treibt damit die Nachfrage nach solchen Videos hoch." Das sei allerdings eine Fehlkalkulation, sagt sie. Lavinia verweist dazu auf die aktuelle Studie. "Sie zeigt, dass die Befragten üblicherweise nicht nach dieser Art von erotischen Inhalten sucht, sie aber trotzdem vorgesetzt bekommt."

Neurowissenschaftler Hasa stellt hier die Frage, ob die männliche Ejakulation auf eine Weise gefilmt und performt werden kann, die nicht als degradierend wahrgenommen wird. Für Lavinia kommt es dabei auf die Intention der jeweiligen Szene an. "Wenn Sperma als etwas Ekliges präsentiert wird und die Szene insgesamt erniedrigend ist, dann kann man durchaus davon ausgehen, dass die Person, die den Cumshot bekommt, damit erniedrigt werden soll", sagt sie. Wenn die Rezipientin oder Rezipient allerdings einwilligt und Vorfreude oder Erregung signalisiert, "handelt es sich dabei wahrscheinlich um ein weitaus weniger erniedrigendes Szenario." 

Natürlich sind Pornos gespielt und die Gezeigten häufig professionelle Darstellerinnen und Darsteller. Lavinia sieht ein Hauptproblem bei der Rezeption darin, dass man oft nicht weiß, wo die Pornos herkommen, wie sie entstanden sind und wie die Darstellerinnen und Darsteller beim Dreh behandelt wurden. "Deswegen sage ich auch immer, dass es am besten ist, für deine Pornos zu bezahlen und keine kostenlosen Tube-Seiten zu benutzen."

Aber kommen wir nochmal auf die Cumshots zurück: Es gibt auch noch andere Gründe dafür, warum Sperma im Gesicht, auf der Brust oder im Mund nicht zwangsläufig Frauen degradiert. "Wir sollten nicht vergessen, dass es ein solches Finish auch in LGBTQ+-Pornos gibt", sagt Lavinia. T6X87 ist ein schwuler Pornodarsteller, der auch selbst viele Pornos guckt, wie er über sich sagt. "Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum jemand kein Sperma auf sich mag", erklärt er. "Der Hauptgrund ist das gesteigerte Risiko, sich mit einer Geschlechtskrankheit anzustecken."

Wenn man sich Pornos aus den 80ern und 90ern anschaue, sagt T6X87, also aus der Zeit der AIDS-Krise, "dann sehen die Darstellerinnen und Darsteller aus, als hätten sie richtige Angst vor Sperma. Wenn es auf die Gesichter und Körper der Menschen gespritzt wurde, haben sie ihre Münder fest geschlossen gehalten und aufgepasst, es nicht in die Augen zu kriegen". Das hat sich seitdem sehr geändert, aber sei insgesamt noch sehr neu und aufregend, dass Cumshots heute ohne Angst gefilmt werden können, sagt er. "Für viele von uns ist es Grund zum Feiern, dass wir einen Punkt in der AIDS-Epidemie erreicht haben, an dem diejenigen von uns, die Zugang zu PrEP und anderen Mitteln haben, angstfrei Sex haben können."

Letzten Endes ist es also gar nicht der Cumshot an sich, sondern was man damit anstellt. "Meiner Meinung nach ist das Frauenfeindliche daran diese abfällige Belustigung, eine mit Sperma bedeckte Person zu sehen und sie dann als Slut, Schlampe oder Nutte zu bezeichnen, weil sie eine Ladung abbekommen hat", sagt Lavinia. Sie weist an dieser Stelle auch auf das Slut-Shaming hin, das in den Videotiteln und Kommentaren der Tube-Seiten allgegenwärtig ist.  

"Die Regisseure entscheiden, was die Menschen später sehen. Man darf dabei nicht vergessen, dass es sich bei ihnen um eine winzige Zahl von Leuten handelt, verglichen mit der ungeheuren Masse des Publikums", sagt T6X87. "Manche von ihnen verfolgen vielleicht eine künstlerische Vision, aber die große Mehrzahl macht einfach das, was sich ihrer Meinung nach am besten verkauft." Der wichtigste Teil vom Money Shot ist eben immer noch das Money.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.

]]>
ak38mbEloise HendyZing TsjengcumshotPornoSpermavgwrp-8b814fdacaa84ebd8318870b826aca3bLGBTQSexarbeit
<![CDATA[Der VICE-Guide zum legalen Cannabis-Anbauen zu Hause]]>https://www.vice.com/de/article/7kxj4g/der-vice-guide-zum-legalen-cannabis-anbauen-zu-hauseTue, 05 Mar 2024 17:17:46 GMTGras zu Hause anzubauen war bislang illegal. Das wird sich, insofern der Bundesrat nicht dazwischenfunkt, ab April ändern. Dann dürfen Volljährige, die mindestens seit sechs Monaten in Deutschland leben drei blühende oder fünf nicht blühende Pflanzen in der eigenen Wohnung oder im Garten heranziehen. 

Wie aber züchtet man sein eigenes Weed? Ich habe sieben Jahre lang in einem Berliner Growshop gearbeitet und schreibe seit fast 20 Jahren über den Anbau von Cannabis – unter anderem habe ich ein Buch darüber veröffentlicht. Man kann also sagen, dass ich einiges über die Cannabis-Zucht weiß. Wie gut ich mich mit dem Thema in der Praxis auskenne, erzähle ich euch dann gerne ab April.

Ab diesem Datum könnt ihr auch unbesorgt diese Einstiegstipps anwenden, die ich über die Jahre zusammengetragen habe. Egal, ob ihr auf dem Fensterbrett, dem Balkon, "umfriedet" im Garten oder auch im Schrank unter Kunstlicht anbauen wollt.

Cannabis-Anbau: Die rechtlichen Basics

Das neue Gesetz soll es Volljährigen ermöglichen, genug für ihren eigenen Bedarf anzubauen. Bis zu 50 Gramm getrocknetes Cannabis dürft ihr dann zu Hause lagern. Und darin liegt schon das erste Problem: Denn wenn ihr tatsächlich die drei erlaubten Pflanzen anbaut, müsstet ihr euch schon ziemlich doof anstellen, um bei der Ernte nicht mehr als 50 Gramm einzufahren. Der Gesetzgeber schlägt vor, nicht auf einmal zu ernten, sondern nach und nach. Wenn ihr unter natürlichem Licht anbaut, geht das aber nicht. Denn wenn eure drei Pflänzchen unter der gleichen Sonne gedeihen, werden sie auch zur gleichen Zeit Blüten ausbilden. Solange sich an diesen Vorgaben nichts ändert, kann ich euch nur raten, vorsichtig zu sein. Wenn ihr die Höchstmenge um maximal zehn Gramm überschreitet, droht zwar nur ein Bußgeld, darüber müsst ihr aber mit  einer Anzeige und anschließender Strafverfolgung rechnen. 


Auch bei VICE: So entstehen Cannabis-Preise


Mit dem neuen Recht auf Rausch kommen noch weitere Pflichten auf designierte Hobbygärtnerinnen und -gärtner zu. Etwa bei den Räumlichkeiten:  

Gemäß Paragraph 10 CanG müssen Pflanzen und Ernte so gesichert sein, dass niemand sonst darauf zugreifen kann. Den Raum, in dem das Cannabis wächst oder später lagert, müsst ihr abschließen, wenn ihr nicht vor Ort seid. Outdoor-Gärten muss man "umfrieden", also sichtbar gegen unbefugtes Betreten umzäunen oder wenigstens eindeutig markieren.

Für den Anbau braucht ihr natürlich auch Samen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes können Erwachsene im EU-Ausland oder in einem der zukünftigen Cannabis-Clubs bis zu sieben Samen legal erwerben. Besitzt ihr mehr, können sie beschlagnahmt werden und euch drohen im Zweifel eine Anzeige und Bußgeld. 

Wenn ihr euch an diese Grundlagen haltet, könnt ihr nach der Teillegalisierung im April in Ruhe gärtnern, ohne dass die Polizei euch stört. Womit wir beim eigentlichen Thema wären.

Cannabis-Anbau: Aufzucht unter natürlichem Licht

Wer alle drei Wochen einen Joint raucht, braucht nur ein paar Samen und Blumentöpfe, gute Erde, ein klein wenig Dünger sowie einen sonnigen Ort auf dem Balkon, im Garten oder auch auf dem Fensterbrett, um zukünftig das ganze Jahr fast kostenlos zu kiffen.

Wer sich fast jeden Abend einen baut, muss ein wenig mehr Aufwand betreiben, um sich ausschließlich an selbst ergärtnertem Weed zu erfreuen. Dazu komme ich später. Da die meisten Menschen, die kiffen, das nur gelegentlich tun, widmen wir uns zunächst der einfachsten Methode, dem Anbau unter natürlichem Licht.

Was ihr dafür braucht:

  • 3 bis 5 Samen
  • 3 bis 5 Torfquelltöpfe
  • 3 bis 5 kleine Anzuchttöpfe
  • 3 bis 5 große (11 bis 16 Liter) schwarze Töpfe
  • 50 bis 70 Liter Erde
  • Etwas Bio-Dünger
  • 1 Schere
  • 1 Wäscheleine
  • 1 Feinwaage

Auch beim Hanfanbau beginnt alles mit dem richtigen Saatgut. Am besten holt ihr euch ein Fünferpaket "feminisierter" Samen. Nur die garantieren, dass aus jedem Korn eine THC-haltige Hanfdame wird. Beim Kauf regulärer Samen wachsen aus durchschnittlich 50 Prozent des Saatguts männliche Pflanzen, die kein THC produzieren und deshalb für euer Vorhaben – dicke Joints bauen – nicht interessant sind.

Zum Keimen steckt ihr die Samen in einen Torfquelltopf vom Baumarkt, stellt ihn an einen hellen Ort und besprüht ihn ab und zu mit Wasser. Ein Mini-Gewächshaus steigert die Überlebensrate, weil Sämlinge eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit mögen. Die Temperatur sollte in dieser Phase zwischen 22 und 27 Grad liegen. Sobald die Samen gekeimt haben und sich die ersten Blätter ausbilden, könnt ihr sie in kleine Töpfe umtopfen, die ihr mit Anzuchterde aus dem Blumenhandel befüllt habt.

Der optimale Zeitpunkt zum Keimen am Fensterbrett wäre Ende Februar bis Mitte März. Dann sind die kleinen Racker beim Umpflanzen Anfang bis Mitte April schon stark genug, sich gegen Umwelteinflüsse wie Schädlinge oder Schimmel zu wehren. Außerdem erreichen die Pflanzen nur so zur Erntezeit im Herbst ihre maximale Größe.

Nachdem die Samen gekeimt haben, stellt ihr die maximal fünf Pflänzchen an einen möglichst sonnigen Fensterplatz und gießt sie mit klarem Wasser. Am besten eignet sich Regenwasser. Zu hartes Leitungswasser kann die Nährstoffaufnahme hemmen und damit auch ein gesundes Wachstum. 

Auf die Frage, wie oft man die Pflanzen gießen muss, gibt es keine pauschale Antwort. Je größer sie werden, desto häufiger brauchen sie Wasser. Beim Anbau in Töpfen kann man am Gewicht der Töpfe ganz gut feststellen, wann es Zeit ist. Im Garten reicht es, anfangs zwei bis drei Mal die Woche zu gießen, im Hochsommer oder bei extremer Hitze brauchen sie aber fast täglich etwas zu trinken. Aber aufgepasst: Viele Neueinsteiger meinen es zu gut und ertränken ihr Hanfdamen frei nach dem Motto “Viel hilft viel".

Cannabis-Anbau: Die passende Erde und der richtige Dünger

Jetzt ist es an der Zeit, dem Fachhandel einen kurzen Besuch abzustatten. Hanf ist ein sogenannter Starkzehrer und braucht eine spezielle Nährstoffkombination. Zertifizierten Bio-Dünger und Spezialerde findet ihr in Growshops. Man bekommt das Basis-Sortiment zum Cannabis-Anbau aber mittlerweile auch in fast jedem Baumarkt.

Wenn ihr normale Gartenerde und Allzweck-Düngemittel oder auch gar keinen Dünger nutzen wollt, bekommt ihr am Ende auch gutes Gras – aber eben viel weniger als mit dem hier beschriebenen, minimalen Aufwand möglich wäre. Denn 50 bis 70 Liter Spezialerde, ein Spezialdünger für Cannabis und fünf schwarze Töpfe mit 11 bis 20 Liter Volumen kosten rund 60 Euro und haben einen ungleich höheren Effekt. Wenn euch das zu umständlich ist, empfehle ich euch zumindest ein paar Euro mehr in komplett vorgedüngte Spezialerderde für Cannabis zu investieren. 

Wenn die Wurzeln den Boden der kleinen Anzuchttöpfe erreicht haben, kommen sie in die großen, schwarzen Töpfe. Die schwarze Farbe hilft, die Erde zu erwärmen. Die Wurzeln wachsen dadurch schneller. Sobald die Nachtfrostgefahr Mitte bis Ende April gebannt ist, können die Pflanzen aus der Wohnung auf den geschützten Innenbereich des Balkons oder in den umfriedeten Garten ziehen. Aber Achtung: Je größer die Pflanze ist, desto mehr Platz braucht sie. Wer sie zu dicht nebeneinander einbuddelt oder stellt, klaut den unteren Trieben Licht und somit Gewicht. Lasst Ihnen so viel Platz, wie Eure Location das hergibt. 

Cannabis-Anbau: Die Blütephase

Wenn die Pflanzen dann im Mai ihren endgültigen Standort bezogen haben, brauchen sie bis zur Ernte nur noch viel Sonne, Wasser und ein paar Nährstoffe, also Dünger. Wie viel Ihr davon braucht, steht meist gut erklärt auf dem Etikett. Bis Ende Juli werden sie schnell in die Höhe schießen, ohne jedoch die begehrten Blüten auszubilden. Die zeigen sich, je nachdem für welche Sorte ihr euch entscheidet, frühestens Ende Juli, meist aber erst im Laufe des Augusts.

Sobald sich an den Verästelungen das erste, zarte Geschlechtsmerkmal zeigt, müsst ihr vorsichtig sein: Wenn ihr bis hierhin vier oder fünf statt drei Pflanzen keimen und wachsen habt lassen, müsst ihr spätestens jetzt ein bis zwei von ihnen töten. Denn ab jetzt gilt: Mehr als drei blühende Cannabis-Pflanzen sind nicht erlaubt. Also wandern die beiden kleinsten mit dem Auftreten der ersten Blütenansätze schweren Herzens in den Häcksler – nur die drei schönsten dürfen bleiben.

Ab September geht alle Kraft in die Blüten, während das Längenwachstum abgeschlossen ist. Besonders am Fensterbrett und auf dem Balkon ist eine gute Durchlüftung jetzt sehr wichtig, weil die dicken Blüten in hiesigen Breitengraden im Herbst schnell mal schimmeln.

Cannabis-Anbau: Richtig ernten und trocknen

Je nach Sorte könnt Ihr dann zwischen Ende September und Anfang November ernten. Sorten, die noch länger brauchen, sind wegen der Nachtfrostgefahr für nordeuropäische Gefilde ungeeignet.

Wann eine Pflanze reif ist, erkennt man neben einer langsam eintretenden Gelbfärbung der großen Blätter am besten mit einer Lupe – oder noch besser mit einem Taschenmikroskop: Die kleinen Harztröpfchen auf der Blüte, die bis jetzt durchsichtig waren, werden langsam milchig. Sobald circa 50 Prozent milchig sind, ist es Zeit für die Ernte. Eine gröbere Orientierung ohne technische Hilfsmittel bietet die Färbung der kleinen Härchen auf den Buds. Je dunkler die werden, desto reifer ist die Pflanze. Färbt sich über die Hälfte rotbraun, ist Erntezeit. 

Eigentlich ist das schonende Trocknen eurer Ernte völlig unkompliziert: Nach der Ernte werden die Pflanzen an ihren Stielen kopfüber an einem dunklen und trockenen Ort aufgehängt – etwa an einer Wäscheleine. Sobald die Stiele knack-trocken sind, befreit ihr die Blüten mit einer Schere von den großen Blättern und trennt die großen und die kleinen Stiele sorgfältig ab. Dann packt ihr sie in ein geschlossenes, aber nicht luftdichtes Gefäß. Darin müsst ihr sie bis zur vollständigen Trocknung einmal am Tag wenden. Je nach Klima und Blütengröße dauert das zwischen zwei und vier Wochen. 

Die Ernte einfach bei 50 Grad in den Backofen zu hängen, ist keine gute Idee. Diese unter Ungeduldigen leider weit verbreitete Schnelltrocknung schmeckt übel.

Denn während das Chlorophyll dabei in den Blüten bleibt und euch zum Husten bringt, verdampfen die leckeren Terpene, die Weed seinen guten Geschmack verleihen. Bei der Trocknung sind Geduld und die Sorgfalt beim Belüften immens wichtig – sonst können die Buds auch während des Trocknens noch schimmeln und so ungenießbar werden.

Wenn ihr alles richtig gemacht habt, könnt ihr aus den drei Pflanzen, je nach Sorte, Arbeitsaufwand und deren endgültiger Größe zwischen 30 und 500 Gramm ernten. Aber bitte nicht auf einmal. Denn, wie schon erwähnt, dürft ihr nur 50 Gramm auf einmal trocken lagern. Das überprüft ihr am besten mit einer Feinwaage. Das Einfrieren der Ernte wäre eine Alternative, bei der ihr das Weed in 50 Gramm Portionen auftaut und trocknet. Das geht zwar ein wenig auf Kosten von Geschmack und Konsistenz, entspricht aber immerhin den Vorgaben des Gesetzes.

Autoflowering-Samen: Wie ihr den Cannabis-Anbau beschleunigt

Noch einfacher geht der Cannabis-Anbau mit feminisierten Autoflowering Samen. Diese "Auto-Fems" werden durch das Einkreuzen von Ruderal-Hanf-Sorten gezüchtet, die schon neun bis zwölf Wochen nach der Aussaat reif sind und insgesamt kleiner bleiben als herkömmliche Sorten. Allerdings ist das Aroma eher flach, die Erträge und der Wirkstoffgehalt geringer. Stellt euch schlechte Holland-Tomaten aus dem Treibhaus vor, die sich mit sonnengereiften Früchten messen müssen.

Cannabis-Anbau: Was ist mit Kunstlicht?

Wenn ihr nicht nur gelegentlich kifft, könnt ihr zur Deckung eures Bedarfs unter Kunstlicht anbauen. Kleine Anlagen für drei blühende Pflanzen starten bei 500 Euro, hinzu kommen Stromkosten von 40 bis 60 Euro im Monat. Für die Gärtnerei mit LED-Lampen braucht ihr allerdings Fachwissen und Zeit. Die Details würden den Rahmen dieses Einstiegs-Guides sprengen, aber zum Glück gibt es auch hierfür viele gute Fachbücher. Empfehlen kann ich Marihuana Drinnen von Jose Cervantes, Marijuana Growers Handbuch von Ed Rosenthal, und natürlich mein eigenes, das vor allem nach der Ernte nützlich wird: Cannabis-Extraktion: Konzentrate, Extrakte und Haschisch-Herstellung

Unter Kunstlicht ist es dann auch möglich, jeden Monat nur eine von drei Pflanzen zu ernten, um die gesetzlich vorgeschriebene Höchstmenge von 50 Gramm nicht zu überschreiten.

Andere Länder, die Cannabis entkriminalisiert haben, sind beim Eigenanbau viel liberaler: So darf man in Uruguay realistische 480 Gramm aus sechs legalen Pflanzen lagern, in Britisch Columbia, Kanada sind es 1000 Gramm aus vier Pflanzen. Was uns also bleibt, ist viel Luft nach oben.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.

]]>
7kxj4gMichael KnodtTim GeyerCannabisCannabis-LegalisierunglegalisierungWeedMarihuana420vgwrp-a1ad50c212c0483f882011d404718332
<![CDATA[Netflix hat mit 'Supersex' seinen ersten Porno gedreht]]>https://www.vice.com/de/article/88x7w5/netflix-hat-mit-supersex-seinen-ersten-porno-gedrehtFri, 23 Feb 2024 06:00:00 GMTEs muss hart sein für Netflix, immer neue reale Personen aufzutun, die irgendwie strittig sind, aber auf eine sexy Art. Krass, ja, aber nicht zu krass, als dass man die Geschichte nicht in einer Hochglanz-Miniserie maximal mainstreamig erzählen könnte. Dann noch eine Lektion über die Unerträglichkeit des Menschseins, die sich in irgendeiner Form aus der fiktionalisieren Version eines echten Lebens destillieren lässt: Fertig ist das Stück Popkultur, das sich für die nächsten Wochen in der Top 10 der meistgestreamten Serien halten wird – bis es von der nächsten Netflix-Eigenproduktion abgelöst wird.

Im Januar wurde so aus der Kokain-Patin Griselda Blanco – legendär für ihre Brutalität und ihr Liebesleben – die “You go, girl!”-Emanzipationsgeschichte einer Mutter, die leider ein bisschen zu viel Crack raucht. Im Rahmen der Berlinale 2024 zeigt Netflix nun eine Miniserie darüber, wie aus dem armen italienischen Jungen Rocco Tano einer der größten Pornostars aller Zeiten wurde. Leider auch das mit durchwachsenem Erfolg.

Die Netflix-Serie will Rocco Siffredi aus mehreren Perspektiven zeigen

Rocco Siffredi ist für drei Dinge bekannt: seinen riesigen Penis, sadomasochistische Hardcore-Drehs und die Fähigkeit, so dramatisch und mitreißend über die eigene trieb- und tragödienbehaftete Lebensgeschichte zu sprechen, als wäre er Hauptdarsteller einer Oper. Diesen Hang zur epischen Erzählung übernimmt auch die Serie. In Supersex geht es nicht nur um einen Aufstieg, sondern auch um einen Fall.

Direkt zu Beginn wird nämlich etabliert: Rocco (Alessandro Borghi) will seine Pornokarriere an den Haken hängen und nicht mehr nur begehrenswertes Fleisch sein. Dann springt die Geschichte vor allem zwischen Kindheit in heruntergekommenen italienischen Neubauten (mit Marco Fiore als neunjährigem Rocco) und dem 19-jährigen Rocco (Saul Nanni), der zu seinem kriminellen Bruder nach Paris zieht und erste sexuelle Erfahrungen sammelt. Zumindest in den drei Folgen, die bei der Berlinale gezeigt werden. Alle sieben Folgen der Miniserie gibt es dann ab dem 06. März bei Netflix.

Die Frage, wie Serien-Siffredi zu dieser Entscheidung kommt, schwebt über allem. Wann passiert der Bruch, ab welchem Punkt verschwindet das immer etwas dümmliche Grinsen, das Schauspieler Alessandro Borghi sich irritierend perfekt vom echten Siffredi abgeguckt hat? Hier auch Einblicke in seine Kindheit und Jugend zu bekommen, zu verstehen, wer dieser Mensch war, bevor sein Penis sein Leben übernahm, macht Sinn. Ist spannend. Zumindest in der Theorie.

Supersex? Leider eher peinliche Männerfantasie

In der Realität verlasse ich den Kinosaal mit zwei ersten Malen, die mich nicht glücklich machen. Das erste Mal, dass ich masturbierende Kinder sehe. Nicht nur in einer Netflix-Serie, generell. Und das erste Mal, dass ich mir denke: Diese Serie wäre weniger peinliche Männerfantasie, hätten die Verantwortlichen einfach echte Pornoszenen reingeschnitten. Und das will was heißen.

Männer starren beeindruckt auf Penisse, die man nie sieht, während Frauen in all ihrer Nacktheit ausgestellt werden. Rocco und sein älterer Bruder führen wichtige Männergespräche über Maskulinität und Bruderliebe und was sich eben sonst so kernig und nach Emotion auf Testosteron anhört, während ihnen in einer Gasse von zwei Sexarbeiterinnen einer geblasen wird. Unbezahlter Sex, auch der in feministischen Pariser Swingerclubs, passiert mit Frauen, die vor der Penetration einmal kurz im Schritt berührt werden, bevor sie nach zwei Sekunden laut kommen. All das wirkt, als hätte ein 15-Jähriger Regie geführt.

Natürlich sind Hetero-Pornos zum Großteil der Inbegriff von Fantasien von und für Männer. Wenn aber auch die vermeintliche Realität innerhalb der Serie – vom Sex ohne Kamera bis hin zu quasi jeder potenziell flirtiven Situation – aussieht, klingt und funktioniert wie ein Porno: Wo ist dann die Fallhöhe zwischen Rocco Siffredi, dem Pornostar, der nach jahrelangem Erfolg seine Karriere beenden will, und Rocco Tano, dem Privatmensch? Wenn alles Porno ist, ist nichts Porno und trotzdem alles fake.

Wie die Serie Sex, Männlichkeit und Beziehungen erzählt, ärgert mich nicht, weil ich es als sexistisch wahrnehme oder mir die weibliche Perspektive fehlt. Ich finde es albern. Und das macht mich auch deshalb sauer, weil der echte Rocco Siffredi so eine verdammt faszinierende Figur ist.

Netflix hatte schon den perfekten Siffredi-Film im Angebot

Wie viel Potenzial eigentlich in dieser Geschichte steckt, konnte man sich schon 2016 auf Netflix angucken. Damals in der Dokumentation Rocco, die ihre Premiere übrigens bei den Filmfestspielen in Venedig feierte. Auch hier geht es um den Wunsch Siffredis, seine Karriere vor der Kamera zu beenden. Die Geschichte seines Lebens, die sich schon früh um seine sexuellen Begierden drehte und um die Angst, sie nicht kontrollieren zu können. Hier gibt es Nuancen in der Darstellung von Sexualität und Männlichkeit. Wir sehen Rocco bei der Planung eines Drehs, in Gesprächen mit seiner Familie, mit Tränen in den Augen über seine Mutter sprechen, schwitzend und mit verzerrtem Gesicht beim Sex vor der Kamera mit der Intensität eines Menschen, der gerade auch sterben könnte.

Wer mit dem Œuvre des realen Siffredi vertraut ist, weiß, dass es hier nicht nur um Penetration, ein bisschen Berührung im Schritt, und ekstatisch seufzende Frauen geht. In seinen Pornos wird Sexualpartnerinnen ins Gesicht gespuckt, werden Körperöffnungen so lange geweitet, bis nicht mehr ganz klar ist, ob die Schreie Ekstase, Schmerz oder beides sind. Supersex kommt in den ersten drei von insgesamt sieben Episoden noch nicht an den Punkt, an dem irgendetwas wehtut. Auch wenn Darsteller Alessandro Borghi in Ansätzen zeigt, dass er diesen inneren Krieg einer traurigen Ikone abbilden kann.

Meine Befürchtung ist: Vielleicht wollen die Verantwortlichen um Showrunner Francesca Manieri das auch gar nicht. Irgendeinen Grund muss es ja haben, dass schon in Teasern und Trailern deutlich gemacht wird, es handle sich nur um die lose Adaption eines realen Lebens.

So wie aus einer Griselda Blanco eine Emanzipationsgeschichte wird, lässt sich auch das Leben Siffredis in etwas umdeuten, das leichter zu konsumieren ist. Ein Mann, der in die Pornobranche hineinstolpert und dann merkt, dass es ihm eigentlich doch um echte Verbindungen und Liebe geht. Dafür muss er nur seine früh erlernte Interpretation von Männlichkeit hinterfragen. Klingt doch gut, oder? Klingt nach durchbingen am Wochenende, nach Netflix Top 10, bis zur nächsten Eigenproduktion. Bitte nicht.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.

]]>
88x7w5Lisa LudwigMatern BoeselagerPornoROCCO SIFFREDISexserienNetflixSexarbeitvgwrp-dc4cb3d4f00b4d23b6e4218b38dd44d1Πορνοστάρ
<![CDATA[Wir haben mit heißen Typen über Pretty Privilege bei Männern gesprochen]]>https://www.vice.com/de/article/qjvn9b/wir-haben-mit-heissen-typen-ueber-pretty-privilege-bei-maennern-gesprochenTue, 20 Feb 2024 09:26:10 GMTAttraktive Menschen haben es im Leben leichter. Das ist jedenfalls mit dem Begriff Pretty Privilege gemeint. Die meisten denken dabei zuerst an attraktive Frauen, die in Clubs und Bars angeblich ständig Drinks ausgegeben bekommen. Dabei zeigt eine aktuelle Studie, dass gut aussehende Männer in unserer Gesellschaft viel mehr und viel nachhaltigere Vorteile genießen.

Ein Team der Universität von Oslo unter der Leitung von Alexi Gugushvili kam zu dem Ergebnis, dass Männer, die in ihrer Jugend als attraktiv oder sehr attraktiv galten, mit höherer Wahrscheinlichkeit gesellschaftlich aufsteigen, besser gebildet sind, prestigeträchtigere Jobs haben und im Schnitt mehr Geld verdienen. "Am überraschendsten war, dass die körperliche Attraktivität eine größere Auswirkung bei Männern als bei Frauen hat", sagte Gugushvili gegenüber der PsyPost.

Aber warum dröge wissenschaftliche Studien lesen, wenn man einfach mit ein paar verdammt gut aussehenden Männern sprechen kann? Wir haben fünf hotte Typen gefragt, wie es ist, ein hotter Typ zu sein.

Kofi, 32

Ein Schwarzer Mann mit blondierten Haaren und Tattoos posiert in weißem Outfit auf einem Stuhl
Kofi, 32 | Foto mit freundlicher Genehmigung von Kofi Joseph

VICE: Wann ist dir klar geworden, dass du verdammt gut aussiehst?
Kofi:
Das ist eine witzige Frage. Ich würde sagen, dass ich inzwischen akzeptiere, wie ich aussehe. Dadurch ist auch mein Selbstbewusstsein gewachsen. Schönheit liegt aber natürlich im Auge des Betrachters. Mir geht es jedenfalls sehr gut mit meinem Aussehen, und ich tue mein Bestes, das auch wertzuschätzen. 

Wie ging es dir damit, als du noch jünger warst?
Ich war nicht besonders selbstbewusst. Ich hatte schlimme Akne, auch als junger Erwachsener noch, und ich musste mich deswegen mit diesem hässlichen-Entlein-Vibe abfinden. Das hat mir auf jeden Fall geholfen zu akzeptieren, wer ich eigentlich bin, und meine Persönlichkeit zu entwickeln. 

Was hältst du vom Konzept des Pretty Privilege?
Das gibt es definitiv, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Ich habe kein Problem damit, hatte ich auch noch nie. Mich stört nur, wenn hinter dem guten Aussehen keine Persönlichkeit steckt. 

Mein Aussehen hat mir definitiv bei einer meiner Karrieren geholfen. Wenn ich als Modell etwas anderes behaupten würde, wäre das auch absolut bescheuert! In meinem anderen Beruf, ich bin außerdem Profi-Basketballer, hilft einem gutes Aussehen nicht. Skills und Leistung sind alles, was da zählt. 

Hast du jemals etwas umsonst bekommen, weil du so gut aussiehst?
Auf jeden Fall. Viele Marken schenken Models und Influencern gerne ihr Zeug. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es nur an meinem Aussehen liegt, aber es spielt definitiv eine Rolle. Ich glaube, Marken mögen es, dass ich mehr zu bieten habe als nur mein Aussehen. Deswegen arbeiten sie mit mir. 

Ist es leicht für dich, Dates zu landen?
Idealerweise sollte dabei vor allem meine Persönlichkeit ausschlaggebend sein. Menschen wollen doch Leute daten, die ihr Typ sind, oder? Dankbarerweise bin ich der Typ meines Typs. 

Hat dir dein Aussehen auch anderswo weitergeholfen?
Das lässt sich schwer sagen, aber Menschen sind generell viel freundlicher, sie sagen einfach Hallo oder sprechen mich an. Also fremde Leute. Sie sind nicht direkt abweisend, das ist schon cool.

Scott, 50

Ein Weißer Mann mit grauen Haaren und 5-Tage-Bart posiert sitzend in weißem Hemd vor einer weißen Hauswand
Scott, 50 | Foto mit freundlicher Genehmigung von Scott Harrison

VICE: Du siehst gut aus. Wie hast du über dein Aussehen gedacht, als du jünger warst?
Scott:
Als Junge mit Brille, der ziemlich schlimm gemobbt wurde, war Aussehen nichts Positives in meinem Leben. Als ich dann aber mit 13 oder 14 auf Kontaktlinsen umstieg, habe ich gemerkt, wie ich anders wahrgenommen wurde. Das hat sich noch mehr geändert, als ich zu arbeiten begann und mein Job mir mehr Selbstbewusstsein gegeben hat. Je mehr mein Selbstbewusstsein wuchs, desto attraktiver wurde ich. Es liegt also nicht einfach nur am reinen Aussehen. 

Du würdest dich heute also als sehr selbstbewusst bezeichnen?
Ja, ich würde sogar sagen, dass ich aus jeder Pore Selbstbewusstsein ausströme. Ich liebe das Leben. 

Ist das Leben leichter, wenn man gut aussieht?
Ich schätze, das hängt davon ab, was man unter "leichter" versteht. Wie immer gibt es auch Kehrseiten. Zum Beispiel Neid und Ablehnung von Menschen, die mit sich selbst unzufrieden sind. Die meiste Zeit ist gutes Aussehen aber ein großartiger Bonus – vor allem, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Attraktivität kann bestimmte soziale Interaktionen beeinflussen. Dabei sollte man anerkennen, dass Persönlichkeitsentwicklung, Glück und Wohlstand durch viel mehr entstehen als nur durch die körperliche Ausstrahlung. Die meiste Schönheit kommt meiner Meinung nach durch unser Selbstbild. 

Hat dir dein Aussehen beruflich geholfen?
Bei meiner aktuellen Karriere als Personal Trainer für Prominente und Gründer des Fitnessprogramms Six Pack Revolution hat es mir definitiv geholfen. Meine eigene Entwicklung inspiriert hoffentlich andere Menschen, ebenfalls ihr Leben und ihre Körper zu verändern. Mit 50 habe ich immer noch ein Sixpack und ich will, dass Leute wissen, dass man in jedem Alter sportlich und gut aussehen kann. 

Hast du Angst, mit zunehmendem Alter dein gutes Aussehen zu verlieren?
Ja, ein bisschen. Seit ich 50 bin, muss ich ein paar weitere Falten akzeptieren, mehr graue Haare. Aber ich glaube, es ist wichtig, ständig an sich selbst zu arbeiten. Wenn du dabei dein Aussehen verbessern kannst, solltest du es machen – solange es nicht gefährlich ist. Das gilt auch für Männer. Färbt euch unauffällig die Haare, lasst euch die Zähne machen, benutzt gute Hautpflegeprodukte und macht auch sonst alles, was euch glücklicher mit euch selbst werden lässt. Vergesst nicht, dass Altern ein Privileg ist. 

Warum sind attraktive Menschen deiner Meinung nach glücklicher?
Wenn du dein Spiegelbild hasst, dann ist das eine Depression. Wenn du liebst, was du siehst, dann erfüllt dich das mit Glück. Wie George Benson und Whitney Houston mal gesungen haben: Die größte Liebe überhaupt ist die Liebe zu dir selbst.

Li, 20

Ein muskulöser Schwarzer Mann mit Dreadlocks zieht mit geschlossenen Augen sein weißes Muscle-Shirt aus
Li, 20 | Foto mit freundlicher Genehmigung von Li

VICE: Wann hast du gemerkt, dass du unglaublich gut aussiehst?
Li:
Ich habe nicht "gemerkt", dass ich gut aussehe, aber ich glaube, dass ich gut aussehe, weil ich mein Aussehen liebe, wenn ich mich selbst sehe. Selbstliebe ist wichtig für mich. Aber ich finde nicht, dass man mit dem Begriff Gutaussehend wahllos um sich werfen sollte. Für manche bin ich vielleicht hässlich, für andere wunderschön. 

Wie ging es dir als Kind mit deinem Aussehen?
Ich bin in Spanien aufgewachsen und damals hat man dort nicht viele Menschen gesehen, die Afros haben und gut aussehen. Die Leute haben also viel über mein Aussehen geredet, als ich jung war. Positiv wie negativ. Aber ich habe mein Aussehen und mich immer geliebt. 

Glaubst du, das Leben ist leichter, wenn man gut aussieht?
Es stimmt, dass es in den Augen der Gesellschaft in vielen Punkten hilfreich sein kann, ein gut aussehender Mann zu sein. Das Leben ist nicht leichter, es ist immer noch das, was es ist, mit allen Hochs und Tiefs. Da ist es egal, wer du bist oder wie du aussiehst. Aber ich glaube, dass man mit gutem Aussehen mehr Jobs bekommt oder besser bezahlt wird.

Graham, 28 

Ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren und Bart lächelt oberkörperfrei in die Kamera
Graham, 28 | Foto mit freundlicher Genehmigung von Graham

VICE: Wann ist dir aufgefallen, dass du überdurchschnittlich gut aussiehst?
Graham:
Das habe ich zum ersten Mal mit 15 oder 16 gemerkt. Ich bekam endlich etwas Aufmerksamkeit von Mädchen und wurde für einen Modelwettbewerb gescouted, durch den ich dann auch einen Vertrag bekommen habe. Davor habe ich mich nie besonders hübsch gefühlt, wenn ich ehrlich bin. Meine Freunde hatten immer mehr Glück, eine Freundin zu kriegen. Ich war meistens das unbeholfene dritte Rad am Wagen. 

Jetzt bin ich ein selbstbewusster Mensch. Das liegt nicht nur an meinem Aussehen, sondern auch daran, dass ich weiß, dass man meistens etwas zurückbekommt, wenn man anderen mit Respekt begegnet und ihnen zuhört. 

Was hältst du vom Pretty Privilege?
Pretty Privilege gibt es zu 100 Prozent. Ich glaube, dadurch stehen einem mehr Türen offen. Als Model hatte ich direkt nach der Schule einen guten Job, ohne dafür zur Uni gehen zu müssen. Man kommt leichter in manche Kreise, vor allem, wenn man mit Influencern und Promis abhängen will. Mir ist klar, dass sich diese Chancen allein durch gutes Aussehen ergeben. Du musst dafür nichts wirklich tun oder erreicht haben.

Glaubst du, gutaussehende Menschen sind insgesamt glücklicher?
Es gibt viele attraktive Menschen, die total unsicher sind. Ich war auch mal einer davon. Einige definieren sich nur über ihr Aussehen und nicht über das, was in ihnen steckt. Das kann zu einer Menge Probleme führen. Andererseits gibt es eine Menge Leute, die sehr gut aussehend sind, das sehr genießen und quasi durchs Leben schweben. 

Hat Attraktivität auch Schattenseiten?
Definitiv. Zum Beispiel, wenn du an einem Tag mal besonders viele Pickel hast oder einfach groggy aussiehst, kann sich das viel stärker auf dein Wohlbefinden auswirken als bei anderen Menschen. Vor allem, wenn du ein Fotoshooting hast und dein Wert an deiner Attraktivität festgemacht wird.

Eine andere Schattenseite ist Neid. Ich habe das einige Male erlebt, dass Leute grundlos fiese Sachen zu einem sagen – oder Typen extrem unruhig werden, weil ich mich mit ihren Freundinnen unterhalten. Selbst wenn ich die Frau schon lange kenne. Aber das ist am Ende das Problem der Typen.

Mir ist es ein paar Mal passiert, dass Leute eingeschüchtert waren, aber häufig bin ich selbst eingeschüchtert. Sobald wir miteinander reden, verschwindet das Gefühl meistens schnell. 

Dein Aussehen hilft dir bestimmt bei deinem Liebesleben.
Ich bin schon sehr lange mit meiner Freundin zusammen. Wenn ich hin und wieder in einen Club gehe, merke ich an der Aufmerksamkeit, dass ich definitiv ein Date haben könnte, wenn ich eins wollte. Das habe ich noch in mir. Das muss auch an meinem Aussehen liegen, meine Tanz-Moves sind es nämlich definitiv nicht.

Yvonne, 25

Ein Schwarzer Mann mit Zöpfen und Bart schaut in die Kamera, er trägt eine Perlenkette und ein oranges Hemd
Yvonne | Foto: Jimmy Nguyen

VICE: Wann hast du gemerkt, dass du gut aussiehst? Warst du ein süßes Kind?
Yvonne:
Ich war definitiv süß. Ich bin in Kent zur Schule gegangen, wo die meisten Weiß waren. Die meisten Menschen in meinem Umfeld fanden mich nicht wirklich gutaussehend. Mein Look war nicht wirklich das, was zu der Zeit als heiß galt. Wenn ich zu Hause war, habe ich die meiste Zeit mit Lesen verbracht. Mit 19 oder 20 bin ich dann langsam in meinen Körper hineingewachsen und habe mehr und mehr Komplimente bekommen. Ich habe dann auch immer mehr gemerkt, welche Rolle meine Größe spielt. 1,88 Meter gilt generell als attraktiv. 

Ist das Leben leichter, wenn man gut aussieht?
Kommt drauf an, was du vom Leben willst. Abgesehen von mir selbst weiß ich ja nicht, wie das Leben im Detail für andere Leute aussieht. Bin ich schon mal einer Geldstrafe entgangen, weil ich gut aussehe? Vielleicht. Aber ich bin ihnen auch entgangen, weil ich Medizin studiert habe. Ich würde sagen, dass ein Arzt zu sein, mich für viele Leute attraktiver macht als mein Aussehen. 

Hat dir dein Aussehen denn beruflich geholfen?
Nicht in der Medizin. Da ging es ausschließlich darum, wie hart man gearbeitet hat. Ich musste mich dabei auch mit Rassismus und Ableismus rumschlagen. Mein gutes Aussehen hat die Leute offensichtlich nicht vergessen lassen, dass ich Schwarz bin.

Bei meinen Live-Auftritten als Musiker spielt es definitiv eine Rolle. Bei meinen Musikvideos wahrscheinlich auch. Als Filmemacher und Autor fürs Fernsehen ist mein Aussehen wiederum egal, solange meine Arbeit gut ist.

Ich glaube, viele Menschen glauben an mich, weil ich sehr hart arbeite und immer mein Bestes gebe. Aber die Leute glauben wahrscheinlich auch an mich, weil ich gut aussehe. Es wäre lächerlich, dass nicht zu denken. Schließlich leben wir in einer Welt, in der uns ständig gesagt und gezeigt wird, dass Künstlerinnen und Schauspieler erfolgreich sind, wenn sie den Schönheitsvorstellungen der Medien entsprechen. 

Hast du mal etwas umsonst bekommen, weil du so gut aussiehst?
Nein. Niemals. Ehrlich gesagt bin ich auch ziemlich enttäuscht darüber. 

Hast du Angst, dein gutes Aussehen mit dem Alter zu verlieren?
Nein, ich freue mich darauf, graue Haare zu kriegen und ein reifer älterer Mann zu werden wie Denzel Washington oder George Clooney.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.

]]>
qjvn9bEloise HendyZing TsjengDatingSchönheitaussehenForschungArbeitMännervgwrp-81dc76b095684f96a976c8bfe5c603f2Karriere
<![CDATA[Für diese kommunistischen Sexarbeiterinnen ist finanzielle Domination politische Praxis]]>https://www.vice.com/de/article/y3w4qy/kommunistische-sexarbeiterinnen-finanzielle-domination-politische-praxisThu, 15 Feb 2024 11:01:22 GMTKann man andere finanziell dominieren und sich gleichzeitig als Kommunistin bezeichnen? Einige Sexarbeiterinnen sehen darin keinen Widerspruch. Im Zentrum des Findom-Fetischs steht eine asymmetrische Geldbeziehung – im Grunde nichts anderes als das, was wir im Kapitalismus an jedem Arbeitsplatz haben. 

Der große Unterschied ist, dass die BDSM-Variante auf ausdrücklichem Einvernehmen basiert: 

Zahlschweine oder Geldsklaven finden es geil, degradiert zu werden, indem man ihnen Geld abnimmt. Die Sexarbeitenden profitieren. Stellen kommunistische Findommes also das System auf den Kopf? Sind sie moderne Robin Hoods? Oder geht es auch ihnen einfach nur darum, in dieser Gesellschaft zu überleben? Wir haben mit fünf radikalen Findommes gesprochen.


Auch von VICE: Warum der Staat dir 120.000 Euro schenken sollte


Mistress Gravity

VICE: Behandelst du als Kommunistin deine Zahlschweine anders?
Mistress Gravity:
Ich achte schon auf den gesellschaftlichen Status und das Klassenprivileg der Subs, die mich kontaktieren. Ich ruiniere lieber reiche als arme Leute. Wenn mir ein Sub gehört, will ich, dass er ein besserer Mensch wird und sein Leben nach ethischen Grundsätzen ausrichtet, wie zum Beispiel Anti-Speziesist wird und Zwecke unterstützt, an die ich glaube. Ich erwarte von meinen Subs, dass sie gegen alle Genozide sind, feministische Theorie und andere Bücher lesen, die ich mag. Und vor allem will ich, dass sich besser aussuchen, wofür sie sich einsetzen. 

Wie passen Kommunismus und deine Rolle als Findomme für dich zusammen?
Beim Sozialismus geht es darum, Wohlstand im Interesse aller zu produzieren und ihn so zu verteilen, dass alle Zugang zu Ressourcen, Krankenversorgung und einem Dach überm Kopf haben. Kurz gesagt: Es geht darum, allen ein anständiges Leben zu ermöglichen. In einem kapitalistischen System, in dem Männer in Machtpositionen alles kontrollieren und das Monopol auf die ganzen Ressourcen haben, ist das unmöglich. Ich denke, Findom kann eine Form des politischen Widerstands gegen diese Ausbeutung sein. Eine Gelegenheit, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern neu zu denken und dabei soziale Gerechtigkeit im Blick zu haben. 

Mit welchen falschen Vorstellungen über BDSM und Kommunismus möchtest du gerne aufräumen?
Dass BDSM nicht politisch sein sollte. Unsere feministische Geschichte hat eine universelle Wahrheit erkannt: Das Private ist politisch. Wenn wir den täglichen Missbrauch und die Ausbeutung kontextualisieren, die wir durch den Staat und seine Vertreter erfahren, dann ist, Männer finanziell ausbluten lassen, kein größerer Betrug, als wie sie selbst zu ihrem Reichtum gekommen sind. Wir nutzen bewusst ihre Schwachstellen aus, denn selbst sie wissen, dass sie uns eine Entschädigung schuldig sind, vor allem den Schwarzen Dommes. – @gravvitygoddess

Eine Frau posiert mit ausgestreckter Zunge und Mittelfinger in die Kamera und trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift

Queen Rini 

VICE: Beeinflusst deine kommunistische Einstellung, wie du Zahlschweine erniedrigst?
Queen Rini:
Ja, sehr. Alle meine Subs lernen viel über Marxismus und im weiteren Sinne auch marxistischen Feminismus. Ich gebe ihnen Zugang zu meinen Bildungsressourcen, damit sie Theorie lesen und studieren können. Sie können auch mit dem Poe Bot rumspielen, den ich programmiert habe, um Fragen zum Kommunismus zu beantworten. Meine absoluten Lieblingssklaven sind die rechten Trottel, die behaupten, sie wollen politisch dominiert werden, und am Ende ideologisch ganz unironisch zerfetzt werden.

Beeinflusst deine kommunistische Einstellung auch, wie du das Geld ausgibst, das du als Findomme verdienst?
Ich gebe mein Geld wie die meisten anderen Leute aus: für Rechnungen, Essen und Hobbys. Darüber hinaus zweige ich einen guten Teil ab, um Gleichgesinnten zu helfen, und spende an verschiedene Organisationen. Ich tue mein Bestes, kein Geld an Unternehmen zu geben, die im kapitalistischen Kontext übermäßig zerstörerisch sind. Letztendlich haben wir aber alle keine Wahl, als beim Kapitalismus mitzumachen. Weil es das System ist, in dem wir hier leben. Das geht auch an die "Warum besitzt du ein iPhone, wenn du den Kapitalismus so hasst?"-Nerds. 

Ist Financial Domination in deinen Augen eine Form des antikapitalistischen Aktivismus?
Ich glaube, die bessere Frage wäre: "Kann es eine Form von Aktivismus sein?" Und ich denke, ja, es hat auf jeden Fall das Potenzial dazu. Wenn du eine Plattform als Herrin hast, um die Radikalisierung deiner Subs zu fördern, dann förderst du die antikapitalistische Bildung und letztendlich die Zustimmung für das Narrativ der Befreiung. – @queen_rini61412

Eine rothaarige Frau mit rotem Lippenstift und Nasenring blickt in die Kamera, sie trägt ein weit ausgeschnittenes Oberteil

Lily Rosa

VICE: Warum hast du dich dazu entschieden, Findomme zu werden?
Lily Rosa:
Für mich ist es das ultimative Fuck You an die kapitalistischen Strukturen, in denen wir leben. Gleichzeitig ist es tief im Feminismus verwurzelt. Wie viele andere Frauen habe ich ungewollte Aufmerksamkeit von Männern in einem widerlichen Ausmaß erlebt. Ich war im Hotel- und Gastgewerbe tätig und habe am eigenen Leib erfahren, wie viel schwerer eine berufliche Karriere für mich als Frau ist. Letztes Jahr hatte ich dann schließlich die Nase voll. Ich arbeitete für ein großes britisches Unternehmen und erkannte, dass es einfach nur überall furchtbar ist. Für diese Leute bist du nur eine Zahl. Du bist für sie nicht mehr als eine Möglichkeit, sich die Taschen vollzustopfen. Warum sollte ich also nicht selbst das System ausnutzen, wie diese Millionenkonzerne es tun? Nur eben mit dem, was Gott mir geschenkt hat. 

Wie beeinflussen deine Ansichten zur Wohlstandsverteilung deine Rolle als Gelddomina?
Mein Ziel ist es, ein einfaches Leben außerhalb des Systems zu führen (soweit das mit einer Social-Media-Präsenz möglich ist). Das ganze übrige Geld will ich zur Unterstützung anderer junger und marginalisierter Personen ausgeben, die dasselbe tun.

Welcher Kommunist oder welche Kommunistin wäre wahrscheinlich ein Zahlschwein gewesen?
Marx ist auf jeden Fall ein devotes Zahlschwein. Aber ich glaube, das steckt in jedem Cis-Mann, der sich selbst als Feminist oder Kommunist bezeichnet. – @GoddessLilyRosa

Schwarz weiß Foto von einem Bein mit schweren Plateaustiefeln mit Lederschnallen

Mistress XXX

VICE: Lieben deine Zahlschweine es, sich einer Kommunistin zu unterwerfen?
Mistress XXX:
Rechte, republikanische und konservative Zahldeppen (ich bin Veganerin und möchte Schweine nicht abwerten, indem ich sie mit diesen Typen vergleiche) gehen voll drauf ab, von einer Linken degradiert zu werden. Sie schämen sich bereits für ihre beschissenen politischen Absichten und diese Scham, kombiniert mit der Scham, sich einer kommunistischen Millennial zu unterwerfen und ihr Geld zu schicken, trifft ihren Kink einfach perfekt. Sie schicken Geld an dieselbe Person, die sie sonst als Snowflake beschimpfen. 

Welche historische kommunistische Persönlichkeit hätte einen oder eine gute Findomme abgegeben?
Ich würde sagen, Engels. Marx wäre eine leichte Wahl, weil er stark von Engels finanziell unterstützt wurde. Aber Engels hat die Beschützerrolle angenommen, die bei Doms sehr weit verbreitet ist. 

Was sagst du zu Menschen, die denken, dass Financial Domination einfach kapitalistische Werte reproduziert?
Jede Branche in den Vereinigten Staaten reproduziert kapitalistische Werte. Man kann es vielleicht nicht mehr hören, aber es gibt keinen ethischen Konsum im Kapitalismus. Sexarbeit war schon immer ein Weg für die Unterdrückten, an Geld zu kommen, was ihnen in der Mainstreamgesellschaft ansonsten schwerfällt. Auch wir brauchen etwas zu essen auf dem Tisch. Ich glaube allerdings, dass sich Marx und Engels amüsieren würden, wenn sie sehen, dass ein paar Proletarierinnen bourgeoisen Losern Geld abknöpfen. Angenommen natürlich, dass sie kein Problem damit hätten, dass viele von uns schwul, trans oder Schwarz sind oder zu einer anderen marginalisierten Gruppe gehören. @MistressXuk

Nahaufnahme einer Augenpartie mit langen Wimpern und einer pinken Ponyfrisur

Goddess V

VICE: Wie beeinflusst deine kommunistische Einstellung deine Arbeit?
Goddess V:
Ich glaube ehrlich gesagt, dass ich als Kommunistin die Zahlschweine oder Subs generell menschlicher betrachte. Ich weiß, dass sie auch zur Arbeiterklasse gehören und dass das hier nur ein Rollenspiel ist. 

Wäre es im Kommunismus anders, Findomme zu sein?
Durch den Kapitalismus befinde ich mich in einer Situation, in der ich auf Sexarbeit angewiesen bin, um über die Runden zu kommen. Im Kommunismus wäre Financial Domination wirklich einfach nur ein Rollenspiel, das man zum Spaß macht – so wie es eigentlich gedacht ist. Sex und Geld wären getrennt.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.

]]>
y3w4qyRyan S. GladwinZing TsjengBDSMfindomSexarbeitFinanzielle DominationDominakommunismusSozialismusvgwrp-b059dea6847f446191aac4183852b29aArbeit
<![CDATA[Ich habe Karneval im Frauenknast gefeiert]]>https://www.vice.com/de/article/93kvvv/ich-habe-karneval-im-frauenknast-gefeiertTue, 13 Feb 2024 13:38:25 GMTPrinzessin Helin, Prinzessin Amira und ich schunkeln Arm in Arm, während die Kölschrock-Band Kasalla ihre Zugabe spielt: "Kumm un sing mich noh Hus, saach mir, dat et all jot weed am Schluss." Also: "Komm und sing mich nach Hause, sag mir, dass alles gut wird am Schluss." Amira hat Tränen in den Augen. Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter und flüstert: "Ich will nach Hause. Ich will zu meiner Familie."

Ich bin Amira zuvor nie begegnet. Zwar macht man im Kölner Karneval schnell neue Bekanntschaften, doch unser Zusammentreffen ist selbst für die jecken Karnevalstage außergewöhnlich. Denn die Karnevalssitzung, auf der ich gemeinsam mit Amira und ihren Freundinnen vier Stunden lang singe, tanze, lache und weine, findet hinter der fünf Meter hohen Mauer der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln statt. Amira ist eine von rund 250 inhaftierten Frauen in Köln. Als sie das Heimweh plagt, rücken Amira, Helin und ich fest zusammen.

Die Autorin tanzt mit Frauen im Prinzessinenkleid – Ich habe Karneval im Frauenknast gefeiert

Amira und Helin sind beide Anfang 20 und heißen eigentlich anders. Aber um die Resozialisierung der inhaftierten Frauen nicht zu gefährden, dürfen wir ihre Namen nicht veröffentlichen, die Justizvollzugsbeamten verweisen auf ihre Fürsorgepflicht. Interviews darf ich mit den inhaftierten Frauen deshalb auch nur im Beisein eines Vollzugsbeamten führen. Und auch nur die Frauen in den ersten beiden Reihen des mit rot-weißen Luftballons geschmückten Kinosaals der JVA dürfen fotografiert werden.

Karneval im Knast – oder: Feiern ist ein Menschenrecht

Das Festkomitee Kölner Karneval lädt bereits seit 2003 zur "Mädchensitzung" hinter Gittern ein, einer Karnevalssitzung ausschließlich für die Frauen der JVA Köln. Als Karnevalserprobte Rheinländerin will ich wissen, wie es ist, die "fünfte Jahreszeit" im Gefängnis zu feiern. Deshalb tanze ich in der JVA Köln mit meinen gelben Bienenflügeln zwischen Prinzessinnen, Raubkatzen, dem Joker und Harley Quinn. Und ich will herausfinden, wie die Karnevalssitzung bei den inhaftierten Frauen ankommt und welche Sorgen und Sehnsüchte sie haben. Auf der Tanzfläche spricht mich Prinzessin Helin zum ersten Mal an:

"In welchem Haus bist du?", fragt sie, während wir tanzen.
"Ich bin nicht inhaftiert, ich bin von der Presse", antworte ich.
Helin lacht: "Ach so. Das habe ich gar nicht gecheckt. Ist fast wie in einem Club hier, oder?"
"Wie auf den Kölner Ringen", scherze ich. Helin packt mich am Arm und lacht.

In den Clubs auf den "Kölner Ringen" habe ich schon oft gefeiert, auch an Karneval habe ich mich bereits auf die Partymeile verirrt. In einer Justizvollzugsanstalt feiere ich zum ersten Mal Karneval. Das Bühnenprogramm kann sich sehen lassen: ein Tanzkorps, fünf Bands, darunter die Höhner und Kasalla, und sogar der Kölner Prinz Karneval Sascha I. feiert samt Prinzengarde und Bauer Werner Karneval hinter Gittern. Während der Kölner Karnevalstage wachen der Prinz, der Bauer und die Jungfrau (das sogenannte Dreigestirn) über das Volk und sorgen mit ihren Auftritten regelmäßig für Euphorie. Für das Bühnenprogramm ist das Festkomitee Kölner Karneval verantwortlich, die JVA Köln stellt Technik und Catering. Die vielen bunten Kostüme der Inhaftierten sind Spenden des Festkomitees, rund 90 Frauen feiern in diesem Jahr mit.

Mehrere inhaftierte Frauen in Prinzessinenkleidern tanzen –  Ich habe Karneval im Frauenknast gefeiert

Helin ist eine von insgesamt sechs inhaftierten Prinzessinnen, die samt Strassstein-Krönchen in der ersten Reihe tanzen und für ordentlich Stimmung sorgen. "Boah, ist das schön heute, die Party macht voll Spaß", sagt Helin. Die sechs Prinzessinnen haben ihren rosa-pinken Satinkleidern zusätzliche Seitenschlitze verpasst, um mehr Haut zu zeigen, ihre Haare haben sie aufwändig frisiert. Kein Wunder. Die Prinzessinnen arbeiten alle als Friseurinnen in der rund elf Hektar großen Anstalt im Kölner Stadtteil Ossendorf, der flächenmäßig größten der insgesamt 36 Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen.

Ich tanze mit Helin Hand in Hand, als sie feststellt, dass meine Hände kalt sind. "Hast du nichts gegessen?", fragt sie mich wie eine fürsorgliche Schwester. Sie will einen mit Puderzucker überzogenen Berliner mit mir teilen, die kistenweise für die inhaftierten Frauen als Proviant bereitstehen. Zu trinken gibt es für die Gefangenen stilles Wasser in bruchsicheren 0,5-Liter-Tetrapacks. Karneval ohne Kölsch? Untypisch. "Alkohol wäre geil", sagt eine der inhaftierten Frauen, eine zweite lacht und nickt zustimmend. Aber die Stimmung ist auch ohne Alkohol heiter und ausgelassen. Viele Frauen betreten den Saal bereits tanzend. DJ Jörg Grewe, der zum siebten Mal für die Frauen in der JVA Köln auflegt, begrüßt sie mit einem sympathischen "Haaallooo Laaadies", die Ladies lachen und winken.

Pinkes Konfetti auf dem Fußboden – eine Person hält einen Tetrapack mit Wasser in die Höhe – Ich habe Karneval im Frauenknast gefeiert

Die JVA Köln hat 1.200 Haftplätze, davon 350 Plätze nur für Frauen. In Deutschland sind im Jahr 2023 rund 41.600 Männer und 2.590 Frauen inhaftiert, der Frauenanteil in deutschen Justizvollzugsanstalten beträgt damit bundesweit rund 5,8 Prozent. Im Jahr 2022 saßen mehr als die Hälfte aller weiblichen Gefangenen wegen Diebstahl und Unterschlagung sowie Betrug und Untreue in Haft.

Der Strafvollzug soll Gefangenen helfen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Das Ziel des Strafvollzugs ist also die Resozialisierung der Inhaftierten, nicht Vergeltung oder Sühne. Dass dazu auch eine Karnevalsfeier hinter Gittern gehören kann, leuchtet womöglich nicht jedem ein. Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval, verteidigt die Veranstaltung. Für ihn sei die Feier in Haft eine der wichtigsten Termine der Kölner Karnevalssession. Der Anspruch sei, Karneval auch an Orten zu feiern, wo er normalerweise nicht stattfindet, und den Inhaftierten für einige Stunden Unbeschwertheit und eine Auszeit aus dem Haftalltag zu ermöglichen.

Zur "Mädchensitzung" sind zwar nur inhaftierte Frauen eingeladen, trotzdem feiert eine Handvoll männlicher Insassen als Piraten verkleidet an der Seite der Frauen mit. Die Männer sind Teil der sogenannten Kölner-Freizeit-Truppe (KFT) der JVA Köln, in der männliche und weibliche Inhaftierte gemeinsam Freizeitaktivitäten planen und durchführen. Die KFT kümmert sich um die Deko der Karnevalsfeier, verteilt Wasser und Süßes und macht Fotos von der Party. Einer der Piraten trägt eine bunte Satinweste samt blauem Papagei im Dekolleté und sorgt mit seinen nackten, durchtrainierten Armen für offene Münder bei den Prinzessinnen. Der Pirat schaut mich an und hebt seinen Arm, ich hake mich ein und schunkel mit. Aber es dauert keine Minute, bis Helin sich zwischen mich und den Piraten einhakt und anfängt zu kichern. Ich kichere auch. Es fühlt sich an, als wäre ich mit einer langjährigen Freundin op jück – auf der Jagd nach einem Karnevalsflirt.

Zwei inhaftierte Frauen, eine im Prinzessinenkleid, eine in einem Clownskostüm – Ich habe Karneval im Frauenknast gefeiert

Neben uns feiert Lena, eine weitere Prinzessin, mit ihrer als Clown verkleideten Freundin Esra. Unbeeindruckt von den anwesenden Männern springen sie pausenlos vor der Bühne herum und singen jedes kölsche Karnevalslied textsicher mit. Ich tanze mit den beiden, uns tropfen Schweißperlen die Stirn herunter. "Du bist voll hübsch", sagt Prinzessin Lena zu mir. "Und man kann mit dir voll abgehen." Esra nickt, während sie in ihrem Clownskostüm aus bunten Pailletten weitertanzt und mich mit ihren rot bemalten Lippen anlächelt. Um die zwei Frauen besser kennenzulernen, schlage ich vor, dass wir einen Beamten suchen, der unser Gespräch begleitet. Beide sind einverstanden.

Der Haftalltag dringt immer durch

In einem von Zigarettenrauch vernebelten Hinterraum des Kinosaals nehmen Lena, Esra und ich an einem alten Holztisch Platz. Für eine Kippenlänge mal eben vor die Tür zu gehen, scheint selbst für die Beamten der JVA Köln kein einfaches Unterfangen zu sein, sodass die provisorisch eingerichtete Küche eher einer Flughafen-Smoker-Lounge gleicht. "Herr Strack, schmeißen Sie doch mal bitte eine Runde Kippen", sagt die 33-jährige Lena und lacht laut. Ich muss auch lachen. Zwei Kippen fliegen in die Hände von Lena und Esra, die zufrieden grinsen und sich bei Herrn Strack höflich bedanken.

Lena sitzt seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft. Sie erzählt von einer neuen Regel, die viele Gefangene nerve. Besucher können während der Besuchszeit keinen Tabak mehr an Automaten kaufen. Das sei aber eine große finanzielle Entlastung gewesen. "Tabak war auch das Hauptthema unserer letzten GMV-Sitzung", sagt Lena. GMV steht für Gefangenenmitvertretung, einem runden Tisch aus insgesamt 17 Inhaftierten, einem gewählten Vertreter pro Hafthaus: sechs aus den Hafthäusern für Frauen und elf aus den Häusern für Männer. Einmal pro Monat diskutieren die Inhaftierten mit einem Vertreter der Vollzugsbeamten der JVA Köln über Themen, die ihnen im Haftalltag wichtig sind. Und sie berichten dem Beamten, was in den Häusern schiefläuft. Lena moderiert die Sitzungen der GMV. "Mal geht was durch, aber das ist eher die Ausnahme", sagt Lena.

Die Prinzengarde wartet auf ihren Einsatz  – Ich habe Karneval im Frauenknast gefeiert

Ein weiteres Thema, das für viel Unzufriedenheit unter den Gefangenen sorgt, ist die Einkaufsliste für den Hauseinkauf. Sowohl Frauen als auch Männer fordern frisches Fleisch zum Kochen. Es gebe aber oft nur Fleisch in Konservendosen. "Und wir Frauen wollen vernünftige Schminkkoffer, ein paar geile Lidschattenfarben", sagt Lena. Ein Hafthaus der Männer wollte Sexpuppen. Die GMV-Moderatorin habe den Vorschlag von der Tagesordnung gestrichen, sagt sie. Es gebe wichtigere Dinge. Dann, während nebenan die Party weiter tobt, erzählen mir Lena und Esra von Mängeln in den Hafthäusern, von defekten Aufzügen und kaputten Lichtern in den Duschräumen. Die Liste der Beschwerden ist lang. Wegen Personalmangels finde auch Sport häufig nur unregelmäßig statt. "Aber wir haben coole Beamte, man kann locker miteinander sprechen", sagt Lena.

Ich frage mich zwar, wie frei Lena sprechen kann, während ein Beamter zuhört, aber der lockere Umgang zwischen den Inhaftierten und Beamten ist mir auch schon aufgefallen. Ab und zu tanzt der Sport- und Freizeitkoordinator der JVA Köln, Frank Prösdorf, zwischen den Prinzessinnen in der ersten Reihe mit. Und wenn Beamte mit den Inhaftierten scherzen, dann auf Augenhöhe – zumindest war das mein Eindruck während meiner vier kurzen Stunden hinter Gittern. "Wenn ich etwas auf dem Herzen habe, gehe ich lieber zu einem Beamten meines Vertrauens, anstatt wochenlang auf einen Psychologen zu warten", sagt Esra.

Die Autorin im noch leeren Kinossaal der JVA –  Ich habe Karneval im Frauenknast gefeiert

Der Bedarf an psychologischer Betreuung für inhaftierte Frauen ist hoch. Sie sind häufig von Drogenabhängigkeit, psychischen Problemen und Suizid betroffen. So sind in Deutschland 40 Prozent der weiblichen Gefangenen drogenabhängig, ein einheitlicher Umgang mit suchtkranken Inhaftierten existiert jedoch nicht. Ausreichend Plätze für Substitutionstherapien gibt es nur selten, bedarfsdeckende Suchtberatungen fehlen bundesweit. Inhaftierte Frauen haben häufig eine Lebensgeschichte, die von Gewalterfahrungen und sexuellem Missbrauch geprägt ist. Deshalb haben sie ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen. Die Suizidrate bei weiblichen Gefangenen in Deutschland ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um das 8,7-fache höher. In Haft gibt es auch Herausforderungen, die speziell Frauen betreffen, zum Beispiel im Umgang mit Schwangeren oder Frauen mit Kleinkindern.

Die 27-jährige Esra ist Mutter eines vierjährigen Sohns. Einmal pro Woche telefonieren sie miteinander. Sie und die anderen Frauen dürfen dreimal pro Monat für jeweils 45 Minuten Besuch empfangen. Ihren Sohn sieht Esra aber meist nur zweimal im Monat, der Kindsvater sei zuverlässig, habe es als Alleinerziehender aber schwer. Esra ist seit einem Jahr und sechs Monaten in geschlossener Strafhaft, in acht Monaten wird sie entlassen. Auf eine frühzeitige Entlassung habe sie verzichtet, weil sie gerade ihr Fachabitur mache. "Ich will für mich und meinen Kleinen die Schule durchziehen", sagt sie. Als Esra inhaftiert wurde, habe sie keinen Schulabschluss in der Tasche gehabt, bereits nach der siebten Klasse sei sie von der Schule abgegangen. In der JVA Köln habe die junge Mutter ihren Haupt- und Realschulabschluss nachgeholt, in jeweils rund sechs Monaten. "Ich habe in Haft eine 180-Grad-Drehung gemacht", sagt Esra.


Auch von VICE: Warum der Staat dir 120.000 Euro schenken sollte


Lena zieht an ihrer Kippe und reflektiert ihre Zeit hinter Gittern: "Der Knast hat mir gutgetan, aber ich bin froh, wenn ich hier raus bin. Ich habe in den ersten Wochen viel geweint, die erste Zeit war schrecklich." Im Hintergrund kündigt die Moderatorin Nathalie Bergdoll gerade den letzten Act des Abends an: Die kölsche Kultband Höhner. Lena und Esra drücken hektisch ihre Kippen aus und schauen mich mit großen Augen an. Ich rufe laut "Go" und die zwei Frauen verschwinden im Nebel aus Rauch in Richtung Bühne.

Ich hätte am liebsten noch stundenlang mit Lena und Esra geschnackt und gefeiert. Nicht nur, weil sie mich so herzlich aufgenommen haben, sondern weil sie mir auch abseits der Karnevalsfeier einen Einblick in ihren Haftalltag gegeben haben. Für manche Außenstehende mag eine Karnevalsfeier für Inhaftierte nach überflüssigem Unsinn klingen. Aber ich habe mit Frauen gefeiert, die den Karneval auch zum Anlass nehmen, um zu reflektieren, welche Freiheiten sie nicht mehr haben und warum es so weit gekommen ist.

Inhaftierte Frauen haben sich bei einem Beamten der JVA eingehakt –  Ich habe Karneval im Frauenknast gefeiert

Was sich im deutschen Strafvollzug ändern muss

Diese Karnevalsfeier könnte nicht nur für die Frauen hinter Gittern ein Anlass sein, sich kritisch zu hinterfragen. Auch abseits der Gefängnismauer müssen wir uns damit befassen, warum wir strafen und vor allem wie wir das tun. Noch immer dominieren Rufe nach härteren und längeren Haftstrafen die öffentlichen Diskussionen zum Strafvollzug. Forderungen nach effektiven Maßnahmen, die dem Anspruch der Resozialisierung auch tatsächlich gerecht werden, gehen dagegen oft unter. Und mit einer Karnevalsfeier allein ist die deutsche Strafvollzugspolitik noch lange nicht revolutioniert.

Es muss mehr Haftplätze im offenen Vollzug geben, die Unterbringung in geschlossenen Anstalten sollte die Ausnahme, nicht die Regel sein. Dazu müssen in Haft ausreichende psychologische Betreuung und Plätze in der Substitutionstherapie zur Verfügung stehen. 2019 existierte laut einem Bericht des Justizministeriums in NRW kein einziger stationär-psychiatrischer Behandlungsplatz für weibliche Gefangene im Bundesland. Und die Lohnarbeit der Inhaftierten muss endlich fair bezahlt werden.

Es verstößt gegen das Resozialisierungsgebot, dass Gefangene derzeit in der Regel weniger als zwei Euro pro Stunde für ihre Arbeit bekommen. So hat es das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr entschieden. Zudem gehört die Ersatzfreiheitsstrafe abgeschafft. Denn sie diskriminiert in erster Linie Menschen, die am finanziellen Existenzminimum leben, wie die Bundestagsfraktion DIE LINKE 2022 kritisierte.

Die Autorin arm in Arm mit zwei inhaftierten Frauen in Prinzessinenkleidern –  Ich habe Karneval im Frauenknast gefeiert

Zu meinem Abschied aus der JVA umarmen mich Amira, Helin, Lena und Esra. Die Frauen stehen mittlerweile selbst auf der Bühne und tanzen zu DJ Jörg Grewes "Cool Down Set", es laufen Songs von Summer Cem und Apache 207. Helin versucht noch ein letztes Mal, mich mit auf die Bühne zu holen. Schweren Herzens muss ich ablehnen. "Vielleicht sieht man sich wieder", sagt Helin. Ich schlage vor, dass wir bis zum nächsten Wiedersehen in Briefkontakt bleiben. Helin nickt. Wir besiegeln unser Versprechen mit einem Handschlag.

Folge Berivan auf Instagram und VICE auf TikTok, Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.

]]>
93kvvvBerivan KilicTim GeyerkarnevalGefängnishaftPartyvgwrp-3b879cb98ef14e5fb383b073bec44344Kölnfeiern
<![CDATA[Was ich während eines Jahres in Berlins sexpositiver Szene gelernt habe]]>https://www.vice.com/de/article/5d9axq/sex-in-berlin-podcast-was-ich-waehrend-eines-jahres-in-berlins-sexpositiver-szene-gelernt-habeTue, 13 Feb 2024 03:00:00 GMTIn gewissen Berliner Kreisen gehört es dazu, sich von nichts mehr beeindrucken zu lassen. Von sexpositiven Partys zum Beispiel, bei denen man einvernehmliche Sexualität feiert, frei von Scham und moralischen Zwängen. "Kennen wir schon", heißt es dann von blasierten Underground-Auskennern. Aber das Schöne an dieser Stadt ist, dass in ihren Darkrooms, Clubs und Crusing-Areas zuverlässig immer mehr passiert, als man sich vorstellen kann.

Nike Wessel hat sich für den VICE-Podcast Sex in Berlin daran gemacht, diese blinden Flecken zu beleuchten. Ein Jahr hat sie unter anderem in einem Puppenbordell, Europas größter Gaysauna und bei Berlins wohl größter Fistingexpertin recherchiert.

Der Podcast Sex in Berlin erscheint wöchentlich auf allen gängigen Podcast-Plattformen.

VICE: Hi Nike, du hast dich in den letzten Monaten für unseren Podcast Sex in Berlin auf verschiedenen Sexpartys in der Stadt rumgetrieben. Wie dark ist es im Darkroom?Nike Wessel: Ich habe für den Podcast mit einer Frau gesprochen, die sexuelle Aufklärungsarbeit in Darkrooms macht. Sie meinte, dass die sich in Berlin alleine schon architektonisch total unterscheiden. Je nachdem, wie viel man sehen soll, oder ob es zum Beispiel auch bestimmte Vorrichtungen gibt, die man benutzen kann. Vom Käfig über irgendwelche Böcke. Ganz weiche Sachen oder auch ganz harte.



Der Darkroom eignet sich gut für kurzen, geheimnisvollen Sex. Aber er ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Darkroom ist die Ecke, die man sich am ehesten vorstellt, wenn man über Sexpositivität in Berlin oder Sexpositivität generell nachdenkt.

Ein Symbol.Auf jeden Fall ein Symbol. Aber daneben passiert ganz, ganz viel Interessantes im Hellen.
Sexpartys in Berlin: Warum ist dieses Thema noch nicht auserzählt?Ich glaube, dass die ganze Szene erst am Anfang steht. So eine Varianz und so eine Aktivität über die gesamte Stadt und übers Umland verteilt gab es noch nie. Und das gibt es auch weltweit nirgendwo sonst. Ich könnte mir keinen Ort vorstellen, wo sich die Szene so ausgebreitet hat. Auf Bauernhöfen im Umland, Gutshäusern, Schlössern an den Stadtgrenze, in Schrebergartenkolonien, Cruising-Areas in der ganzen Stadt und sowieso auf ganz vielen privaten Events. Bei Saunapartys, in Swingerclubs, in der Party- und Clubszene, bei vielen Workshops von Tantra bis BDSM. Quasi auf allen Ebenen der Stadt, vom Keller bis auf die Dachböden. Da passieren gerade auch ganz interessante Sachen.

OK, was zum Beispiel?Man kann sich zum Beispiel entführen lassen. Man vereinbart mit einer oder mehreren Personen eine Uhrzeit und sagt vorher, was nicht passieren darf. Und dann kommen die und nehmen einen mit.

Und dann haben alle Sex?
Ja. Das gehört zum Bereich Consensual Non-Consent. Da vereinbart man vorher, welche Sachen nicht passieren sollen, was die Grenzen sind und wie das Safeword lautet. Dazwischen kann dann aber eigentlich alles passieren. Dann gibt es zum Beispiel in den Wäldern von Berlin sogenannte Hunter-and-Prey-Geschichten. Auch da verabredet man, was geht und was nicht. Dann rennt die eine Gruppe los und die andere jagt hinterher.

Worum geht es außerdem im Sex in Berlin–Podcast?
In den sieben Folgen steigern wir uns von FKK über eine Naked-Tea-Party bis zur BDSM-Szene und dem schwulen Leben in Berlin. Ein Gast hat zum Beispiel erzählt, dass er schon mal um die 40 sexuelle Kontakte an einem Wochenende hat. Und das macht er seit 26 Jahren. Er arbeitet in der größten schwulen Sauna Europas, wahrscheinlich sogar der Welt. Auch die ist in Berlin. Sie erstreckt sich über fünf Stockwerke und er sitzt am Empfang. Aber was er privat erlebt, hat mich noch mehr überrascht. Genau genommen hat mich jede Begegnung überrascht. Die Annahmen, die ich davor hatte, haben nie gestimmt. Das war richtig schön.

Was meinst du damit?Ich bin jedes Mal in ein Interview gegangen und hatte schon eine Idee, wie das wird und was ich davon halte. Ich lag immer daneben. Deshalb kann ich auch jedem empfehlen, den Podcast zu hören. Man kann dabei viel über sich selbst lernen und auf Dinge stoßen, die man ausprobieren möchte, von denen man aber noch gar nichts geahnt hat.

Also hat die Arbeit für den Podcast deinen Horizont erweitert?
Ja. Das Tolle ist, dass in dieser Stadt für jeden was dabei ist. Egal, ob man sich selbst nackt zeichnen will, sich wünscht, nach japanischen Traditionen gefesselt zu werden, oder durch den Wald zu rennen, während andere einen verfolgen. Und zwischen all dem findet man Emotionen und richtig liebe Leute.

Hat sich die Bedeutung des Begriffs Sexpositiv für dich durch den Podcast verändert?Die hat sich total geändert. Für mich war das vorher so: "Ach, ich gehe auf eine Party und habe wenig an und man kann da viel rummachen." Heute bedeutet das für mich eher, dass man mithilfe von Sexualität im weitesten Sinne viel über sich lernt und über die Art und Weise, wie man mit anderen umgeht. Und dass man dabei auch Sachen lernt, die man im Alltag in der Deutschen Bahn anwenden kann.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel, wie baue ich Kontakt auf, wie schaue ich jemanden an. Aber auch: Wie löse ich Kontakt wieder, wie setze ich Grenzen. Wie zeige ich auf, wie nah mir jemand kommen darf, etwa in der Bahn. Aber man lernt dabei natürlich auch, wie man dem eigenen Partner gegenüber formuliert, was man möchte und was man nicht möchte. Wie man aus alten Mustern rauskommt und wie man etwas ausprobieren kann, das sich ganz anders fühlt.

Gab es einen Ort, den du für Sex in Berlin besucht hast, an dem du mutig sein musstest?
Ich war für eine Folge in einem Puppenbordell in Friedrichshain und da habe ich mit so einer Puppe interagiert. Das war ziemlich lustig. Ich musste mir einen Penis umschnallen und eine VR-Brille aufsetzen, die immer verrutscht ist. In der Animation in der Brille hat die Puppe die ganze Zeit geschielt und die Zunge rausgestreckt. Das war so weit weg von Sexualität, wie ich es mir nur vorstellen kann. Da dann noch vernünftige Fragen zu stellen, ist mir ein bisschen schwer gefallen. Ich konnte das gar nicht mehr richtig fassen.

Siehst du Berlin jetzt anders?Ja. Mir ist noch mal so richtig klar geworden, wie viel es hier gibt. In dieser Stadt befassen sich nicht nur Menschen um die 30, die gerne in den Club gehen, intensiv mit ihrer Sexualität. Sondern auch ganz junge Leute bis hin zu Menschen im Altersheim. Man sollte den Podcast hören, weil es eben nicht nur um lustige Partys geht, sondern auch darum, was man generell in Berlin erleben kann. Total unabhängig von Alter, Geschlecht, wer man ist und was man mag. Man kann in Berlin so viele skurrile Sachen erleben, mit so viel Humor und Witz. Alleine wenn Menschen nackt tanzen, ist das schon so witzig. Auch Sex kann oft etwas bizarr Lustiges haben, dass man sich fragt, was man da überhaupt gerade macht und warum.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.

]]>
5d9axqTim GeyerMatern BoeselagerSexpositivPodcastBerlinSex in BerlinPartyDarkroomvgwrp-d6b0c6558b074ee9b66d33574356cdc1
<![CDATA[Masken, Trance und uralte Riten: Fotos von heidnischen Bräuchen]]>https://www.vice.com/de/article/88qz3k/masken-trance-und-uralte-riten-fotos-von-heidnischen-brauchenThu, 08 Feb 2024 11:16:07 GMTSeit Jahrzehnten verliert das Christentum bei uns an Bedeutung. Spätestens, wenn die erste Steuer fällig wird, treten die meisten aus der Kirche aus. Die Gemeinden sind überaltert, Gottesdienste bleiben leer, die Mitglieder sterben weg. Dabei interessieren sich viele Menschen weiterhin für Religion und Spiritualität, nur eben nicht fürs Christentum.

So geht es auch dem Fotografen Yannick Cormier. Der 49-jährige Franzose reist seit über 20 Jahren für seine Projekte durch die Welt. "Ich habe mich schon früh für Kunst interessiert, aber eher für Film und Zeichnen", sagt er. Am Ende brachte ihn die Möglichkeit, für seine Arbeit ungewöhnliche Orte besuchen zu können, zur Fotografie. Bei seinen zahlreichen Aufenthalten in Indien, Spanien, Marokko oder Portugal festigte sich seine Faszination für lokale Bräuche, Mythen und Traditionen. Das Heidentum ist seither das verbindende Element seiner Arbeit.

Wir haben mit Yannick über seine Arbeit und die vielen Erfahrungen gesprochen, die er auf seinen Reisen gemacht hat.

Dravidian Catharsis (5).jpg
Aus 'Dravidian Catharsis'

VICE: Warum steht das Heidentum im Zentrum deiner Arbeit? Yannick Cormier: Mich interessieren Menschen, die heute noch eine tiefe körperliche und geistige Verbindung zur Natur und den Lebewesen um sie herum pflegen. Rituale sind für mich etwas Schönes. Auch wenn der Schmerz dabei manchmal greifbar ist, helfen sie den Menschen, in Würde zu leben, ihrem Leben einen Sinn zu geben und ihrer sogenannten wahren Natur näherzukommen. Ich mag Menschen, die ihren Alltag mit Mythen durchziehen.

**Welche Praktiken oder Rituale haben dich am meisten beeindruckt?
**Die besonders intensiven. Beim Karthiga Deepam in Südindien zum Beispiel wird in der Stadt Tiruvannamalai bei Einbruch der Dunkelheit auf einem heiligen Berg ein riesiger Kessel voller Ghee angezündet. Gleichzeitig verfallen Hunderttausende Gläubige, die für dieses Fest an den Ort gepilgert sind, in Trance. Beim Dassara-Fest in Kulasekharapatnam, einem anderen Ort in Südindien, verkleiden sich Tausende Männer und Frauen, um den Sieg der Göttin Durga über den büffelköpfigen Dämon Mahishasura zu feiern. Sie verkleiden sich als alles Mögliche: Göttin, Büffel, andere Götter, Tiere, Dämonen … Und dann gibt es noch das Jarramplas-Fest in der spanischen Gemeinde Piornal, bei dem die Menschen Rüben auf einen Sündenbock werfen, um das Böse auszutreiben.

Dravidian Catharsis (1).jpg
Aus 'Dravidian Catharsis'

**Über welchen Zeitraum erstrecken sich deine Fotoprojekte?
**Für die Serie Dravidian Catharsis habe ich 15 Jahre in Südindien im Bundesstaat Tamil Nadu verbracht. Das hat es mir ermöglicht, tief in die mythologische Welt der Tamilen einzutauchen. Für Tierra Magica bin ich von 2017 bis 2020 mehrfach zwischen Frankreich, Spanien und Portugal hin- und hergereist.

Der Titel Dravidian Catharsis bezieht sich auf die Regionen Indiens, in denen dravidische Sprachen gesprochen werden. Was macht die so besonders?Die dravidischen Sprachen sind heute vor allem in Südindien verbreitet. Die wichtigsten sind Tamil, Kannada, Telugu und Malayalam. Südindien grenzt sich mit seiner Geschichte immer schon vom restlichen Teil des Landes ab. Im Bundesstaat Tamil Nadu glauben die Menschen, dass sie Nachkommen der ersten Bewohner Indiens sind. Die Jahrtausende alte tamilische Sprache ist bis heute ein starkes verbindendes Element ihrer Kultur.

Seit der Antike stehen die Tempel im Zentrum tamilischen Lebens. Ihre hohen Türme sind mit filigranen Skulpturen geschmückt. Dort gibt es auch Kulte, die man sonst nirgendwo findet. Die einzelnen Gemeinden feiern jedes Jahr Feste, die den jeweiligen Dorfgottheiten gewidmet sind – oder um die Menschen von Naturkatastrophen, Epidemien oder anderen Bedrohungen abzulenken. Zu den verehrten Göttern gehören Aiyanar, der Schutzgott vieler Dörfer, Koothandavar, der Schutzgott der Transmenschen und Homosexuellen, Periyachi Amman, Beschützerin der Kinder und von Geburt und Schwangerschaft, und Mariyamman, die Göttin der Fruchtbarkeit, des Regens und der Krankheiten.

Dravidian Catharsis (2).jpg
Aus 'Dravidian Catharsis'

**In der Beschreibung des Projekts heißt es: "Männer und Frauen in Trance versinken im Helllicht in die Dunkelheit. Sie gehören nicht sich selbst, sie bilden ein Kollektiv. Die individuelle Psychologie macht Platz für einen großen gemeinsamen Körper, der im Einklang schwingt." Was meinst du damit?
**Vor allem bei shivaistischen und shaktistischen Ritualen versammeln sich Gläubige an heiligen Orten zum kontinuierlichen Klang von Trommeln und verfallen in Trance. Die Tamilen glauben, dass Flüsse, Berge, Tiere, Bäume, Pflanzen und bestimmte Teile des Menschen Erscheinungen von Geistern und Göttern sind, die sie bewohnen. Aus diesem Grund verehren sie bestimmte Tiere, Bäume und Orte als heilig. Durch die Rituale, ekstatischen Tänze und magischen Praktiken stellen sie Kontakt zwischen der natürlichen Welt und der Welt der Geister und Götter her. Das gilt auch für die Rituale, bei denen sich Menschen Körperstellen durchbohren. Sie machen das, um in einen anderen Bewusstseinszustand zu geraten.

Für dein Projekt Pagan Poem bist du nach Marokko gereist. Was hast du dir dort angesehen?Genau, mit Pagan Poem habe ich 2021 begonnen, es ist aber noch nicht abgeschlossen. 2022 bin ich für ein Kapitel zum Antiatlas gereist, einer Gebirgskette in Südwestmarokko. Dort wollte ich die Boujloud-Tradition dokumentieren. Dabei handelt es sich um einen Fruchtbarkeitskult heidnischen Ursprungs, der traditionell nach dem islamischen Opferfest stattfindet. Junge Männer ziehen sich dabei die Felle geopferter Ziegen über. Andere Kapitel des Projekts habe ich auf La Réunion, beim Karneval in Nordwesten Spaniens und Portugal, in Indonesien und in der Türkei am Göbekli Tepe fotografiert.

Pagan Poem (5).jpg
Aus 'Pagan Poem'

**Folgt die Unterteilung des Projekts in Kapitel dabei einer Regel?
**Das Projekt befasst sich mit alten Praktiken, die bis heute überlebt haben, indem sie sich immer wieder neu erfunden haben – und das auf vier Kontinenten: Europa, Asien, Afrika und Südamerika.

**Masken sind ein zentrales Element deiner Arbeiten.
**Seit ich 2011 die ersten Masken in Indien fotografiert habe, haben sie mich nicht mehr losgelassen. Geistermasken sind bis heute ein wichtiger Teil religiöser Traditionen von heidnischen und polytheistischen Kulturen. Mit dem Tragen der Masken sollen die Kräfte der Götterwelt beschwört und die Anwesenheit von Geistern und Göttern im Diesseits ausgedrückt werden. Sie machen diese Wesen sichtbar und verwischen so die Grenzen zwischen den Welten. Das fasziniert mich nicht nur ästhetisch.

Pagan Poem (9).jpg
Aus 'Pagan Poem'

Bei Tierra Magica **geht es dann explizit um Traditionen, die uns geografisch näher sind.
**Tierra Magica befasst sich mit Karnevalsriten im Nordwesten Spaniens und Portugals. Diese knüpfen an sehr alte Traditionen an oder sind zumindest von ihnen inspiriert. Ein Symbol des Karnevals, das mich besonders interessiert, ist die Allgegenwart verschiedener Formen, Tiere oder Pflanzen. Der wilde Mann – sei er behaart, belaubt oder aus Stroh – erscheint immer wieder als zentrales Element, das die Aufgabe hat, die umherirrenden Seelen in die andere Welt zu führen. Es findet auch eine Art Volkskatharsis statt, sie regeneriert die Gemeinschaft und hilft ihr, die Angst vor den bevorstehenden Herausforderungen und Prüfungen zu überwinden – und die Erneuerung des Lebens anzuregen.

Scroll runter für mehr Fotos von Yannick.

Folge Yannick bei Instagram.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.

Dravidian Catharsis (4).jpg
Aus 'Dravidian Catharsis'
Dravidian Catharsis (7).jpg
Aus 'Dravidian Catharsis'
Dravidian Catharsis (9).jpg
Aus 'Dravidian Catharsis'
Dravidian Catharsis (8).jpg
Aus 'Dravidian Catharsis'
TierraMagica (2).jpg
Aus 'Tierra Magica'
TierraMagica (8)Jarramplas.jpg
Aus 'Tierra Magica'
TierraMagica (1).jpg
Aus 'Tierra Magica'
Dravidian Catharsis (6).jpg
Aus 'Dravidian Catharsis'
Pagan Poem (1).jpg
Aus 'Pagan Poem'
Pagan Poem (4).jpg
Aus 'Pagan Poem'
Pagan Poem (3).jpg
Aus 'Pagan Poem'
TierraMagica (10).jpg
Aus 'Tierra Magica'
TierraMagica (7).jpg
Aus 'Tierra Magica'
TierraMagica (6).jpg
Aus 'Tierra Magica'
TierraMagica (5).jpg
Aus 'Tierra Magica'
Dravidian Catharsis (3).jpg
Aus 'Dravidian Catharsis'
]]>
88qz3kMatéo VignéGen UedaReligionMarokkoFotoFotosReisenIndienvgwrp-03e81575e2584632acaa6a322adb8988spanien
<![CDATA[Wie Russland alle Spuren queeren Lebens auslöscht]]>https://www.vice.com/de/article/88xb7k/wie-russland-alle-spuren-queeren-lebens-ausloeschtFri, 02 Feb 2024 15:37:06 GMTOlga ist Chemieingenieurin und trans Frau. Die 26-Jährige heißt eigentlich anders, aber möchte ihren richtigen Namen hier nicht nennen. Im November floh sie aus Russland in die Niederlande, wo sie im Ort Ter Apel in einer Unterkunft für Asylsuchende wohnt. "Ich hatte keine andere Wahl", sagt sie. 

Ausschlaggebend war für Olga die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Russlands vom 30. November 2023, "die internationale LGBTQ+-Bewegung" als extremistisch einzustufen. Damit stehen Organisationen und Personen, die dieser zugerechnet werden, auf einer Stufe mit al-Qaida, ISIS und Alexej Nawalnys Antikorruptionsbewegung. Die Definition ist im Urteil absichtlich vage gehalten, um den Behörden bei der Durchsetzung viel Spielraum zu lassen.

Als Folge ist Gewalt gegen queere Menschen in Russland heutzutage quasi straffrei. Wer an "LGBTQ+-Aktivitäten" teilnimmt, dem droht eine strafrechtliche Verfolgung und eine zwei- bis sechsjährige Haftstrafe. Als "LGBTQ+-Aktivität" kann bereits gelten, nicht als cisgeschlechtlich oder heterosexuell wahrgenommen zu werden, oder sich für LGBTQ+-Rechte einzusetzen. 


Auch von VICE: MMA-Kämpfer und Teilzeit-Drag-Queen: Das Leben von Dos Pistolas


Nur wenige Tage nach dem Urteil führte die Polizei Razzien in mehreren queeren Clubs, Bars und Saunen in Moskau und Sankt Petersburg durch. Offiziell ging es um Drogen. In einigen Fällen fotografierten die Beamten die Ausweise von Menschen. Im Dezember schloss der älteste Schwulenclub Sankt Petersburgs – als Vorsichtsmaßnahme.

Viele queere Menschen versuchen deswegen, Russland zu verlassen. Die internationalen Sanktionen infolge des Angriffskriegs gegen die Ukraine machen das allerdings schwer. Viele Länder, in die russische Staatsbürger noch einreisen dürfen, wie die Türkei, Georgien und die Vereinigten Arabischen Emirate, sind selbst nicht sicher für queere Menschen. Die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association, ILGA, der globale Dachverband der LGBTQ+-Organisationen, forderte die europäischen Staaten auf, diese Menschen zu schützen. Bislang hat kein Land konkrete Zusagen gemacht.

"Wegen des Urteils ist jedweder Schutz, den man als Staatsbürger genießt, weg", sagt Olga. "Sie behandeln einen wie eine Kriminelle. Wenn du Gewalt ausgesetzt bist, kannst du zwar die Polizei rufen, aber du läufst dann Gefahr, ebenfalls verhaftet zu werden." 

Bereits im Juli 2023 war in Russland ein Gesetz verabschiedet worden, das jede Form von Geschlechtsangleichung verbietet – hormonell wie operativ. In einer Telegram-Gruppe habe sie gelesen, sagt Olga, dass russische Sicherheitsbehörden Zugang zu den Patientendaten von Menschen haben, die sich einer geschlechtsangleichenden Behandlung unterzogen haben. Eine LGBTQ+-feindliche Gruppe veröffentlichte eine Liste mit queeren Aktivistinnen und Aktivisten, die aus Russland geflohen sind. Die Gruppe fordert, dass diese Menschen nach Russland zurückkehren, und droht, sie in ihren Zufluchtsländern zu töten – als "Reinigungsoperation".

Das jüngste Urteil des Obersten Gerichts kam keineswegs aus dem Nichts. Es erfolgte auf Antrag des russischen Justizministeriums. Seit über zehn Jahren arbeitet der Kreml daran, LGBTQ+-Menschen nach und nach aus der russischen Gesellschaft zu radieren.

Maria Kozlovskaya war in Russland Menschenrechtsanwältin, heute arbeitet sie für COC Nederland, der wichtigsten Organisation für LGBTQ+-Rechte in den Niederlanden. Vor sieben Jahren floh sie mit ihrer Frau aus Russland. "In Russland gibt es kein unabhängiges Rechtssystem", sagt Kozlovksaya. "Das Urteil war eine politische Entscheidung, um Menschen Angst zu machen, um queere Organisationen mundtot zu machen, um Menschen zurück ins Verborgene zu drängen, sie zur Flucht zu zwingen und sie einzusperren."

Zwei Frauen mit kurzen Haaren halten zwischen Rosen Händchen und schauen lächelnd in die Kamera
Maria Kozlovskaya (links) und ihre Frau | Foto mit freundlicher Genehmigung von Maria Kozlovskaya

2013 markierte in Russland einen Wendepunkt. "Da wurde die sogenannte LGBTQ+-Propaganda gegenüber Minderjährigen verboten", sagt Kozlovskaya. "Jeder, der in irgendeiner Form Informationen übers Queersein mit Minderjährigen teilt, kann strafrechtlich verfolgt werden." 2020 wurden gleichgeschlechtliche Ehen verboten und zwei Jahre später das Propaganda-Gesetz von 2013 auf Erwachsene ausgeweitet. Datingseiten wurden zusammen mit der Darstellung queerer Beziehungen in Filmen, Fernsehserien, Büchern, Musik, auf Postern und in sozialen Netzwerken verboten und zensiert.

Diese Maßnahmen hatten weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen. Zwischen 2010 und 2020 gab es über 1.000 Hassverbrechen gegen queere Menschen in Russland, 365 davon mit Todesfolge. Nach der Einführung des Gesetzes 2013 verdreifachte sich die Zahl der Opfer – 2010 waren es 34 Menschen, 2015 dann 138. Eine unabhängige Umfrage zeigte außerdem einen Anstieg der Homofeindlichkeit. Der Anteil von Personen, die angaben, sie hätten Angst vor queeren Menschen oder würden sich vor ihnen ekeln, stieg zwischen 2003 und 2021 von 26 auf 38 Prozent.

Die Verfolgung durch die Behörden hat ebenfalls zugenommen. Im Mai 2023 entzog ein Gericht dem russischen Transaktivisten Jan Dworkin das Sorgerecht, nachdem eine Frau aus seinem Umfeld eine Beschwerde eingereicht hatte, dass er sich als schwuler trans Mann nicht angemessen um seinen Sohn kümmern könne. Dworkin brachte das Kind schließlich bei einer russischen Familie unter, bevor er selbst das Land verließ. 

"Aus Selbstschutz haben viele Menschen ihre Blogs und persönlichen Informationen von Social Media entfernt", sagt Kozlovskaya. Viele queere Familien stecken allerdings in Russland fest. Sie können kein politisches Asyl beantragen, kriegen kein Visum und haben Angst, nach ihrer Flucht Gewalt ausgesetzt zu sein. "Sie bringen ihren Kindern bei, darüber zu lügen, wie es zu Hause aussieht."

Salim, der ebenfalls anonym bleiben möchte, ist Historiker, Sozialwissenschaftler und bezeichnet sich selbst als queer. Vor einem guten Jahr ist er aus Russland geflohen und lebt momentan in einer Asylunterkunft im niederländischen Echt an der deutschen Grenze. "Ich bin wegen der Drangsalierungen geflohen, wegen der Erniedrigung, wegen den Freunden, die ich verloren habe, der Heimlichtuerei und wegen der drohenden Polizeigewalt", sagt er. "Ich kriegte keine Arbeit. Den letzten Anstoß gab dann die Ausweitung des Propagandagesetzes letztes Jahr."

In der Asylunterkunft teilte sich Salim ein Zimmer mit Mikhail, einem anderen queeren Asylsuchenden aus Russland. Er verliebte sich in ihn, aber Mikhail beging Anfang Dezember Suizid. "Jeden Tag sehe ich das Bett, in dem er geschlafen, und den Stuhl, auf dem er gesessen hat", sagt Salim. "Ich gehe durch den Wald, in dem wir gemeinsam spazieren waren. Ich koche Kamillentee aus den Blüten, die wir letzten Sommer beide gesammelt haben. Ich fühle mich leer. Es ist sehr schwer." 

Am 12. Dezember 2023 nahm Salim an einer Demonstration vor der russischen Botschaft in Den Haag teil – seine erste Demonstration überhaupt. Es war der 30. Jahrestag der russischen Verfassung, die eigentlich Menschen jedweder sexuellen Orientierung schützt. "Es war aufregend und befreiend zugleich", sagt er. Die Polizei sei gekommen, aber nur um den Demonstrierenden zu sagen, dass sie ein bisschen weiter auseinanderstehen sollen. "Das war unglaublich für mich", sagt Salim. "In Russland wirst du schon verhaftet, wenn du nur mit einem Schild rumläufst."

Ein Mann steht mit Schild und Regenbogenflagge vor einem Haus, vor dem die russische Flagge weht
Salim bei der Demonstration vor der russischen Botschaft | Foto mit freundlicher Genehmigung von Salim

Viele sehen in der LGBTQ+-feindlichen Politik Russlands den Versuch, queere Menschen zu Sündenböcken zu machen. "Die Lebensqualität in Russland nimmt rapide ab, es herrscht ein unglaubliches Chaos im Land", sagt Olga. "Ein Weg, um Putins Wählerschaft zu vereinen, besteht darin, einen gemeinsamen Feind zu erschaffen. Putin sagt im Grunde nichts anderes als: 'Es liegt nicht an meiner Politik, dass es uns so schlecht geht. Es liegt an den Bedrohungen und den Feinden von draußen.' Dieselbe Taktik haben die Nazis auch schon angewandt." 

In den letzten Jahrzehnten haben Putin und seine Verbündeten erfolgreich queere Menschen als Ausprägung westlicher Kultur hingestellt, die der russischen Kultur aufgedrängt wird. "LGBTQ+-Gruppen sind organisiert, sie sind laut und haben viele internationale Kontakte, auch zu den Vereinten Nationen, Menschenrechtsorganisationen und anderen Organisationen, die Russlands Politik kritisieren", sagt Kozlovskaya. "Darin sieht Putin eine gewisse Bedrohung, welche er unterdrücken will. Er will außerdem seine eigene Ideologie und traditionellen Vorstellungen zur heteronormativen Familie durchsetzen. In Putins Augen gehören LGBTQ+-Menschen nicht zu Russland." 

Russland ist nicht das einzige Land, das LGBTQ+-Rechte beschneidet. In Argentinien, der Türkei, den USA, Indien und Ungarn gewinnen rechte Stimmen an Macht, mit ihr nimmt auch die queer- und migrantenfeindliche Rhetorik zu. In Deutschland versuchen Parteien von links bis rechts sich in der Flüchtlingspolitik an Unbarmherzigkeit und Härte zu übertreffen. Die AfD, die in vielen aktuellen Umfragen auf Landesebene stärkste oder bundesweit zweitstärkste Partei ist, hat aus ihrer LGBTQ+-feindlichen Haltung – und ihren Sympathien für Putin – nie ein Geheimnis gemacht. 

In den Niederlanden – dem Land, in dem Maria, Salim und Olga Schutz gesucht haben – hat der Rechtspopulist Geert Wilders die letzten Wahlen gewonnen. Seine Partei für die Freiheit, PVV, hat in der Vergangenheit die Position vertreten, Kinder würden von der "Genderideologie" indoktriniert. Auch er gilt als Putin-Fan.

"Als Wilders gewann, dachte ich mir nur: 'Zum Glück hat meine Frau rechtzeitig ihre niederländische Staatsbürgerschaft erhalten. Sie kann nicht abgeschoben werden'", sagt Kozlovskaya. "Wir befinden uns jetzt in Sicherheit, aber ich kenne Menschen, die in den Asylunterkünften warten und furchtbare Angst haben." Wilders migrationsfeindliche Haltung ist besonders gefährlich für russische Dissidenten, die sich kritisch zum Angriffskrieg gegen die Ukraine geäußert haben und aus Russland geflohen sind. Sollten sie abgeschoben werden, drohen ihnen in ihrer Heimat bis zu zehn Jahre Gefängnis.

"In Russland liest man viel Propaganda gegen Geflüchtete", sagt Olga. "Es ist bizarr zu denken, dass ich plötzlich auch Flüchtling bin. Die Asylunterkünfte sind keine sicheren Orte. Es gibt dort auch viele Menschen aus Ländern, in denen LGBTQ+-Menschen nicht akzeptiert werden. Aber es ist immer noch besser, als in Russland zu bleiben." 

Momentan liegt Olgas Schicksal in den Händen der Behörden. Sie kann nichts anderes tun, als darauf zu hoffen, bleiben zu dürfen. "Letztes Jahr wurde es für mich in Russland illegal, darüber zu sprechen transgender zu sein", sagt sie. "Meine medizinische Behandlung wurde eingestellt und ich konnte letztendlich kein normales Leben mehr führen. Ich kann nicht in einem Land leben, in dem meine schiere Existenz als extremistisch gilt." 

Salim wartet seit 14 Monaten auf seine Aufenthaltserlaubnis. "Ich sehe, wie die Menschen um mich herum wegen der Unsicherheit wütend werden und verzweifeln, weil die niederländische Einwanderungsbehörde die Aufenthaltserlaubnisse komplett willkürlich verteilt", sagt er. "Das macht die Menschen extrem unruhig und führt im schlimmsten Fall dazu, dass sie sich das Leben nehmen."

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.

]]>
88xb7kLisa LotensGiselle MicoloBecky BurgumLGBTQRusslandHomofeindlichkeitPolitikFluchtAsylniederlandevgwrp-c1507db1d52e435cac58b772def7533c
<![CDATA[Dieser Dozent hängt mit mexikanischen Kartellen ab]]>https://www.vice.com/de/article/xgwpx7/dieser-dozent-haengt-mit-mexikanischen-kartellen-abTue, 30 Jan 2024 16:13:12 GMTIn Japan ist er mit den Yakuza aneinandergeraten, in Italien hat er Mafiosi getroffen, in Brasilien wurde er als Geisel genommen, seit zehn Jahren steht er im engen Austausch mit dem Sinaloa-Kartell in Mexiko. Aber Bertrand Monnet ist kein Drogenfahnder, sondern Dozent für Wirtschaftskriminalität an der EDHEC Business School in Lille. An der französischen Privatuni bringt er der angehenden Wirtschaftselite bei, wie man schmutziges Geld erkennt und verhindert, dass es in den legalen Finanzkreislauf gelangt.

Um das möglichst anschaulich zu vermitteln, präsentiert Monnet die Fallstudien seinen Studierenden als Videos. Einige davon haben in Form von Kurzdokumentationen ihren Weg ins Internet gefunden. Seit sieben Jahren begleitet er mit der Kamera das Fentanylgeschäft der mexikanischen Kartelle. Bemerkenswert ist vor allem das große Vertrauen, das die Kriminellen Monnet als Forscher entgegenbringen.

Wir haben mit Monnet über seine Forschung und die Globalisierung des Drogenhandels gesprochen.


Auch von VICE: Neues Super-Meth überschwemmt Deutschland


VICE: Seit zehn Jahren stehst du in Kontakt mit dem Sinaloa-Kartell. Wie hat das alles angefangen? Bertrand Monnet: Ich bin Dozent an der EDHEC Business School. Seit 18 Jahren beschäftige ich mich mit nichts anderem als Wirtschaftskriminalität. Das heißt nicht, dass ich Menschen beibringe, wie sie kriminell werden. Ich kläre sie über die Gefahren von Wirtschaftskriminalität auf. Wie andere Dozenten, die Marketing unterrichten, arbeiten wir mit Fallstudien. In meinem Fall bedeutet das, Wirtschaftskriminelle zu treffen – egal, ob sie von der Cosa Nostra, den Yakuza oder was auch immer sind.

Vor zehn Jahren habe ich angefangen, mit dem Kartell zu arbeiten, vor sieben bekam ich dann zum ersten Mal Zugang. Zwei Jahre später konnte ich meine erste Dokumentation machen und in ihren Kokainlaboren filmen. Ich wollte die Quelle des Geldes verfolgen, von der Straße bis auf die Bankkonten legaler Unternehmen. Das sind Unternehmen, mit denen meine Studierenden nach ihrem Abschluss vielleicht Geschäfte machen. Ich bringe ihnen bei, wie sie es vermeiden, mit diesen Firmen zu arbeiten. Man kann sie allerdings nur wirklich überzeugen, indem man ihnen die Wahrheit zeigt. Wo kommt das Geld her?

Bei meiner Arbeit an den Dokus sah ich auch Fentanyl in den Kokainlaboren. Mir war sofort klar, dass das eine Gelddruckmaschine für die Gangs ist. Ich fragte sie, ob es OK sei, über die Fentanylproduktion zu berichten. Die Antwort kam prompt: "Auf gar keinen Fall, das ist unmöglich." Das hat mich natürlich neugierig gemacht und ich habe zwei Jahre lang immer wieder nachgehakt. Irgendwann hat es dann geklappt.

**Das Maß an Vertrauen, das dir in den Dokus entgegengebracht wird, ist wirklich unglaublich.
**Das ist unerlässlich. Es ist sehr riskant. In Mexiko werden viele umgebracht, weil sie keine Zeit haben, ein solches Vertrauen zu den Kartellen aufzubauen. Sie stehen unter Druck, Informationen zu kriegen, und in Mexiko ist dieses Thema ein absoluter Notfall. Ich habe den Luxus, nicht unter Zeitdruck zu stehen. Für mich ist Culiacán der sicherste Ort der Welt, weil die Kartelle mich dort willkommen heißen. Nach den ersten Dokus sahen sie, dass ich mein Wort halte. Ihre Gesichter und ihre Stimmen waren nicht zu erkennen. Sie begannen, mir zu vertrauen.

**In einer Doku erreichst du den Unterschlupf eines Kartells wenige Sekunden nach den Drogenfahndern und der Armee. Wie viel Kontakt hast du zu den Strafverfolgungsbehörden in Mexiko?
**Keinen. Wenn du mit der Polizei redest, kannst du nicht mit den Kartellen reden. Es sei denn, du willst eine Kugel in deinem Kopf riskieren.

**Welche Rolle spielt das Sinaloa-Kartell im größeren Kontext des Drogenhandels?
**Es ist nicht das einzige Kartell, das Fentanyl in den USA verkauft, aber das wichtigste. Die Opioidkrise ist ein riesiges Geschäft.

**Wie sind die Narcos menschlich? Was für eine Zukunft sehen sie für sich? Planen die, irgendwann friedlich in den Ruhestand zu gehen?
**Nein, diese Menschen sind das, was ich "Business Extremisten" nenne. Selbst ein mittlerer Manager verdient dort Millionen Dollar pro Jahr. Ich frage mich dann immer: "Hey, warum hörst du nicht einfach auf? Du bist reich, dein Geld ist irgendwo sicher, du könntest ein gutes Leben mit deiner Familie haben." Aber nein. Sie können nicht aufhören. Sie koksen, aber die wahre Droge ist nicht das Kokain, es ist der Dollar. Sie sind absolut von Gier besessen und können das nicht kontrollieren. Sie müssen Geld machen – komme, was wolle. Als jemand, der schon so lange in diesem Feld arbeitet, halte ich das für den einzigen Grund, warum sie bereit sind, so viele Menschen umzubringen – selbst ihre eigene Familie. Das Geld übt dieselbe Macht auf sie aus wie das Fentanyl auf die, die es konsumieren. Sie tun alles, um ihre Dosis zu kriegen.

Aber sie sind keineswegs verrückt. Auf der kleineren Clan-Ebene sind sie gut organisiert. Das Kartell ist ein Zusammenschluss von Clans, eine Art Genossenschaft. Die Clans sind komplett unabhängig. Nur bei drei Dingen arbeiten alle zusammen: Zugang zu Fentanyl, welches sie in großen Mengen aus China importieren, Korruption auf hohen Ebenen und Zugang zu Maschinen, mit denen man Fentanylpillen pressen kann. Es ist sehr riskant, sie aus China zu importieren. Deswegen organisieren die Anführer des Kartells diese Dinge aus dem Kartellhauptquartier.

In jedem Clan gibt es Leute, die für die Geldwäsche zuständig sind. Das sind erfahrene Leute mit Finanzhintergrund und Geschäftsverbindungen. Der eine Clan, den ich in den Dokus begleite, hat solche Verbindungen nach Dubai.

**Die Behörden in Dubai sind sich schon darüber im Klaren, dass sie Investitionen von illegalen Geschäften wie denen der Narcos anziehen, oder?
**Genau. Deswegen ist Dubai auch so attraktiv für Kriminelle. Dubais Undurchsichtigkeit ist nicht einzigartig in der Welt. Es gibt viele andere Steueroasen, die Kriminellen dieselben Verschleierungsmöglichkeiten bieten. Aber Dubais Behörden sind komplett unkooperativ. Es kommt sehr selten vor, dass sie überhaupt auf Forderungen von Gerichten in den USA oder Europa reagieren.

Wenn du absolut sicher sein willst, wenn du dein Geld versteckst, dann ist das hier sehr einfach: Sobald dein Geld in Dubai ist, pack es nicht auf ein Bankkonto, sondern investiere in Immobilien. Dabei ist es egal, ob es ein Appartement, eine Baustelle, ein Hotel oder ein Einkaufszentrum ist. Selbst wenn sich die Behörden in Dubai entscheiden sollten, ihre Informationen über dich mit anderen Ländern zu teilen: Sobald dein Geld vom Bankkonto runter ist und in 100 Appartements investiert wurde, ist es unmöglich nachzuverfolgen, wem dieses Vermögen gehört.

**Ist der Drogenhandel inzwischen zu global, um ihn aufzuhalten?
**Die Narcos müssen Milliarden an Schwarzgeld waschen, um ihren Reichtum aufzubauen. Und dafür nehmen sie diese Steueroasen voll in Anspruch. Es ist möglich, die globalisierte Narco-Wirtschaft anzugreifen, indem man Druck auf diese kleinen Löcher im weltweiten Finanzwesen ausübt. Aber das ist der einzige Weg.

Wirtschaftliche Sanktionen bringen mehr als Waffen, Helikopter und Drohnen – oder man kombiniert die beiden Sachen. Der finanzielle Druck ist essenziell. Und der liegt in den Händen einiger weniger großer Staaten: den USA, Großbritannien, der EU und Kanada. Bislang macht aber keiner was.

**In den Dokus stellst du allen Kartellmitgliedern dieselbe Frage: Ob sie an Gott glauben. Warum?
**Nachdem ich jahrelang Studierende unterrichtet habe, wundere ich mich immer noch darüber, dass viele von ihnen denken, die Narcos seien ganz andere Menschen als sie selbst. Natürlich unterscheiden sie sich, weil sie Killer sind. Aber ich stelle ihnen diese Frage, um zu zeigen, dass auch die Narcos menschliche Wesen mit all ihren Widersprüchen sind. Wie kann man an Gott glauben und gleichzeitig die Ermordung von Tausenden Leuten anordnen? Die einzige Erklärung dafür ist, dass sie Menschen sind wie du und ich.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.

]]>
xgwpx7Kev KharasZing TsjengfentanylVerbrechenDrogenhandelOrganisierte KriminalitätMexikogeldwäschevgwrp-e3d904acaec04c669ed30099e7c808c8