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Popkultur

Wir haben deutsche Comedians gefragt, was sie von deutschem Humor halten

"In meiner Berlin-Blase überschätzt man manchmal die Ironiefähigkeit. Die schafft’s oft nicht bis Brandenburg." – Till Reiners
Comedians Kawus Kalantar, Jacqueline Feldmann, Till Reiners
Fotos: Kawus Kalantar: mit freundlicher Genehmigung || Jacqueline Feldmann: Robert Maschke || Till Reiners: Esra Rotthoff

Deutschland ist nicht lustig. Deutsche haben keinen Humor. Sigismund von Radecki (ein Schriftsteller aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert) wusste schon vor langer Zeit: "Deutscher Humor ist, wenn man trotzdem nicht lacht."

Auf den ersten Blick scheint es auch in der deutschen Comedy-Szene nicht viel besser auszusehen: Auf Loriot können sich gefühlt seit dem Mittelalter alle einigen, und wenn man mit Stand-up-Programmen Stadien füllen und beim Comedypreis richtig absahnen will, muss man Witze über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen machen. Statt ins Stadion, gehen viele deshalb mittlerweile lieber auf Netflix, um zu lachen. Soweit das Klischee.

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Ich sehe mir gerne Stand-up-Shows deutscher Comedians und Comediennes an. Die findet man allerdings nicht in großen Stadien, sondern in kleinen Bars, zum Beispiel bei Comedy-Open-Mics in Berlin. Können Nachwuchskomiker den deutschen Humor retten? Was halten sie vom deutschen Humor?

Ich habe eine deutsche Comedienne und zwei deutsche Comedians genau das gefragt.

Kawus Kalantar, 28

Der gebürtige Bremer ist mit seiner Open-Mic-Reihe Chips und Kaviar jeden Sonntag im Oblomov in Kreuzkoelln zu sehen und bietet Comedians und Comediennes eine Plattform, um neues Material auszuprobieren.

Comedian Kawus Kalantar

Foto: Yannick Lampert

VICE: Wie findest du deutschen Humor?
Kawus Kalantar: Mein Gefühl ist, dass es in manchen anderen Ländern eine höhere Bereitschaft gibt humorvoll zu sein. Leute machen mehr Späße, ohne dass das gleich als kindisch, unseriös oder albern gilt. Ich habe den Eindruck, dass Humor in manchen Ländern eine normale Kommunikationsform ist, auch in Business-Situationen. Meine Eltern kommen aus dem Iran. Ich kenne das Land selbst nur aus dem Urlaub, hatte aber immer das Gefühl, dass die Leute da mehr rumspaßen und es allgemein bei mir zu Hause witziger war als bei der typisch norddeutschen Familie.

Trauen Comedians sich nichts neues, oder ist deutsches Publikum einfach nicht offen dafür?
In der Stand-up-Comedy gibt es in Deutschland gewisse Formen von Humor, die seit 20 oder 25 Jahren etabliert sind. Das ist aber nicht die Schuld des Publikums. Prinzipiell sind die Menschen offen für Neues, wenn es gut gebracht wird. Es ist nur ein bisschen schwerer, da erstmal durchzubrechen. Ein Publikum wird sich an einem Abend aber eher an einen Act erinnern, der sich was getraut hat. Die Verantwortung liegt beim Künstler.

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Wer ist die oder der lustigste Deutsche?
Christian Ulmen. Ich hab viele Sachen von ihm gesehen und mich oft alleine vorm Bildschirm extrem totgelacht, was wirklich selten ist. Ich habe das Gefühl, er macht nur Dinge, die er selbst witzig findet. Deshalb war er auch nie so mega erfolgreich und hat die ganz großen Shows gemacht. Bei den Großen wird oft vorher darüber nachgedacht, welche Witze das Publikum wohl mögen wird. Interessanter sind aber Comedians, die einfach das machen, was sie selbst witzig finden. Ich glaube Christian Ulmen würde es nicht ertragen, etwas zu produzieren, was er nicht selbst witzig findet. Ich mag diese Haltung.


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Sind uns andere Länder in der Stand-up-Comedy voraus?
Was Talent und Kreativität angeht sind Deutsche genauso witzig wie Amis. Aber die Amerikaner sind generell weiter, weil Stand-up-Comedy einfach deren Ding ist. Die setzen Standards und werden das noch eine Weile machen. Das ist wie Tischtennis in China. In Amerika gibt es seit den 1960ern eine Stand-up-Kultur. In Deutschland ist Stand-up erst mit dem Quatsch Comedy Club etwas mehr in den Fokus gerückt. So richtig etabliert ist Stand-up in Deutschland eigentlich immer noch nicht. In der Form, dass einfach jemand auf eine Bühne geht und Bits bringt, ohne einen Charakter zu spielen. Aber vor allem in den letzten fünf Jahren ist da viel passiert. Davor hat in Deutschland die Infrastruktur komplett gefehlt. Es gibt heute noch zu wenige reine Stand-up Bühnen, auf der sich junge Leute ausprobieren können. Davon brauchen wir mehr.

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Entwickelt sich mit deutscher Stand-up-Comedy auch der deutsche Humor weiter?
Ja, langfristig schon. Die meisten Leute waren ja noch nie live bei einer Comedy-Show. Der Standard wird mit einer besseren Infrastruktur für deutsche Comedy natürlich gehoben, weil mehr Künstler mehr Möglichkeiten haben zu trainieren. Gerade kommt uns auch gelegen, dass Netflix gefühlt zweimal die Woche neue Comedy-Specials hochlädt. Dadurch haben jetzt viele Menschen Stand-up auf dem Schirm. Die googlen dann vielleicht "Stand-up Berlin" und stoßen so auf unsere Shows.

Es kommen gerade immer mehr Künstler in den Mainstream und bekommen Publikum, die einfach guten Stand-up machen. Felix Lobrecht oder Till Reiners zum Beispiel. Es wird immer besser möglich, mit einem Style, der noch vor 5 Jahren eine Nische war, viele Leute zu erreichen. Allgemein ist Mainstream auch nicht mehr so relevant, wie er mal war. Man muss nicht 80 Millionen Menschen begeistern. Wenn man durch das Land touren kann und überall 200 Leute zum Zugucken kommen, ist man erfolgreich und lebt gut davon.

Jacqueline Feldmann, 24

Die Auftritte der sauerländischen Comedienne bei Night Wash oder 1Live haben auf YouTube oft über hunderttausend Klicks. Ihre Themen: das WG-Leben oder die Benutzung eines Thermomixes.

Comedienne Jacqueline Feldmann

Foto: Robert Maschke

VICE: Wie denkst du über deutschen Humor?
Jacqueline Feldmann: Trotz seines schlechten Rufs denke ich, dass der deutsche Humor viel besser ist, als international behauptet wird. Da heißt es ja oft: "Die Deutschen sind nicht lustig." Es gibt mittlerweile immer häufiger Momente, wo sich zeigt, dass unser Humor wirklich gut ist, wie zum Beispiel beim Gosling Gate bei der Goldenen Kamera. Ich wünsche mir, dass diese Art von Lockerheit und Dreistigkeit öfter zum Vorschein kommt. Dennoch ist der deutsche Humor auf einem sehr guten Weg.

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Was sind die Unterschiede zwischen deutschem Humor und dem Humor in anderen Ländern?Der deutsche Humor ist im Vergleich zu anderen Ländern meiner Meinung nach etwas einfacher gestrickt und nicht so derb. Trotzdem entwickelt sich der Humor auch hier in die richtige Richtung. In der Stand-up-Szene gibt es immer mehr Leute, die sehr stark an amerikanische Comedians erinnern. Das verändert dann natürlich auch den allgemeinen Humor und die Szene. Ich denke, dass der deutsche Humor immer offener und toleranter wird und viel mehr Facetten bietet, als es früher der Fall war.

Wo findet man gute deutsche Stand-up-Comedy?
Die Stand-up-Szene bietet mehr, als die breite Masse wahrscheinlich wahrnimmt. Es gibt sehr viele Clubs, in denen sich Komiker ausprobieren können, wie zum Beispiel der Punch Club in Solingen oder der Komische Klub in Köln. Die Künstler dort sind oft nicht im Fernsehen präsent, aber sie sind sehr gut und absolut sehenswert. Mein Appell wäre, sich mehr live anzuschauen und auch mal einen Newcomer im Theater zu besuchen. Dann findet man den guten deutschen Humor.

Wer ist die oder der lustigste Deutsche?
Die 'Underground Comedians' sind meine Favoriten, zum Beispiel Torsten Schlosser oder Robert Alan – absolute Highlights der Comedy-Szene! Aber auch etablierte, der breiten Masse bekannte Künstler, wie Maxi Gstettenbauer oder Ingmar Stadelmann finde ich super.

Unter den Fernsehshows sehe ich Late Night Berlin und das Neo Magazin Royale als Spitzenreiter. Diese Shows nehmen auch einen großen Einfluss auf den deutschen Humor, vor allem auf der Ebene von Social Media. So revolutionieren sie die TV-Formate.

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Till Reiners, 34

Früher Poetry-Slammer, heute Stand-up-Comedian. Außerdem ist Reiners Talkshow-Host auf dem Radiosender Fritz, wo er mit Moritz Neumeier den Talk ohne Gast moderiert.

Comedian Till Reiners

Foto: Esra Rotthoff

VICE: Was hältst du von deutschem Humor?
Till Reiners: Deutscher Humor ist immer noch in der Aufbauphase. Es gibt immer noch viele Trümmerfrauen und -männer, die sich darum kümmern müssen. Nach 1945 hieß es erstmal: "Wir machen uns 'ne gute Zeit mit unverfänglichen Witzchen." Für mich muss guter Humor auch Abgründe zeigen. In meiner Berlin-Blase überschätzt man manchmal die Ironiefähigkeit. Die schafft’s oft nicht bis Brandenburg. Ich wollte mal für das öffentlich-rechtliche Radio einen Beitrag zur Tourismusbörse machen. Ich habe geschrieben: "Es gibt Leute, die fliehen vor dem Krieg und Leute, die fliehen vor dem Alltag. Das ist ein unsauberer Vergleich, denn die meisten Urlaube sind schlimmer als Krieg." Eine Redakteurin meinte, das gehe so nicht. Sie hat mich gefragt, ob ich nicht sagen könne, nur manche Urlaube seien schlimmer als Krieg.

Was läuft in Deutschland humormäßig noch schief?
Es läuft ja nicht unbedingt schief. Es läuft gut an. Aber in anderen Ländern gibt es weniger Diskussion, wenn in der Comedy Politisches mit Privatem vermischt wird. Wenn man fragt, warum es keine Zahnpasta mit Erdnussbuttergeschmack gibt und zwei Sätze später über den Afghanistankrieg spricht. So sind Menschen ja. Das bildet mehr ab vom Leben. Hier braucht man meistens noch ein Alibi für Humor. Es gibt in Deutschland eine starke Trennung: Entweder man macht nur Quatsch, unter dem furchtbaren Label Anarcho-Humor, oder man rechtfertigt Comedy damit, dass man ganz deutlich macht, dass man auf der richtigen Seite steht, und sagt den Leuten, dass sie die Meinung auch haben sollen. Man traut dem Publikum oft nicht genug zu, um Satire einfach stehen zu lassen.

Wird deutscher Humor wieder besser?
Es ist noch ein langer Weg, aber jetzt wird es besser. Im Moment gibt es einige, die in die richtige Richtung gehen. Vor allem in der Stand-up-Comedy. Wenn es mehr authentisches Lachen und weniger reflexhafte Ho-ho-Lacher über abgründige Themen gibt, ist das für mich ein gutes Zeichen.

Wer ist die oder der lustigste Deutsche oder Deutschsprechender?
Das ist natürlich eine unfaire Frage. Ich sag einfach mal Hazel Brugger und Moritz Neumeier. Die machen genau das, was ich gut finde und worüber ich lache, also schwarzer Humor und Pointen, die ich nicht schon 30 Meter im Voraus rieche. Bei Moritz mag ich vor allem das Spiel auf der Bühne sehr, das kann kaum jemand so gut. Bei Hazel ist das Tolle, dass sie eigentlich immer nur Sachen sagt, bei denen man denkt: "Ja, stimmt eigentlich." Aber man lacht darüber, weil die Perspektive neu ist.

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