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Die NASA zahlt mir viel Geld fürs Rumliegen

Es hört sich erstmal toll an, fürs Herumliegen bezahlt zu werden. Aber es verursacht auch starke Schmerzen und deine Würde verschwindet.
Alle Fotos: Andrew Iwanicki

Update: Andrew hat die Studie mittlerweile beendet und noch einen zweiten Bericht für uns geschrieben. Wie es nach den ersten drei Wochen weitergeht, könnt ihr hier nachlesen.

Ich liege jetzt schon seit drei Wochen in diesem Bett und daran wird sich auch noch weitere sieben Wochen nichts ändern. Vor 44 Tagen habe ich mein letztes Bier und meinen letzten Kaffee getrunken, meinen letzten Burrito gegessen, bin das letzte Mal spazieren gegangen und wurde das letzte Mal von der Sonne gebräunt. Ich habe meine Freundin seit 66 Tagen nicht mehr gesehen. In 64 Tagen darf das, was dann noch von mir übrig ist, nach Hause gehen.

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Mein Bett befindet sich in der NASA Flight Analog Research Unit in Houston, Texas. Dort zahlt man mir 18.000 Dollar (knapp 14.400 Euro) dafür, dass ich 70 Tage im Liegen verbringe und mich die NASA-Forscher dabei untersuchen. Die Studie namens CFT 70 („Countermeasure and Functional Testing in Head-Down Tilt Bed Rest Study") ist Teil eines drei Jahre andauernden Programms zur Erforschung von Knochen- und Muskelschwund im Weltraum. Bis jetzt waren daran schon 54 Probanden beteiligt und mit mir endet die Studie. Wenn ich hier so liege, kann ich mich nicht recht entscheiden, ob ich jetzt den Jackpot geknackt habe oder einfach nur ein Idiot bin, der für Geld alles macht. Ich bleibe hier auf jeden Fall erstmal noch ein bisschen.

Im August wurde mir meine Stelle als Künstlermanager gekündigt. Als ich direkt am nächsten Tag zu der NASA-Studie eingeladen wurde, musste das einfach Schicksal gewesen sein. Ein Jahr zuvor hatte ich mich dort aus Spaß beworben, weil ich annahm, dass sowieso einer der 25.000 anderen Bewerber ausgewählt wird und ich mein hektisches Leben auch niemals für 15 Wochen auf Eis legen könnte. Plötzlich hatte ich jedoch keine Termine mehr, mir wurde ein Angebot unterbreitet und ich musste eine Entscheidung treffen: Sollte ich lieber schnell einen neuen Job suchen oder das Versuchskaninchen für die NASA spielen? Mir wurde klar, dass ich eine Auszeit brauchte. Deshalb ließ ich alles stehen und liegen und flog nach Houston.

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Kurz vor meiner Teilnahme an der NASA-Studie hatte ich meinen ersten Ironman erfolgreich beendet und war an ein tägliches, strenges Training gewöhnt. Plötzlich musste ich jedoch zweieinhalb Monate im Bett verbringen und durfte mich nichtmal zum Scheißen aufsetzen. Ich hoffte einfach, dass mein Körper nicht komplett auseinander fallen würde.

Als ich am ersten Tag das Krankenhaus betrat, fiel mir sofort die Decke auf. Hunderte bunt bemalte Platten zogen sich entlang des Flurs. Jede war einzigartig: das Logo der Texas Longhorns neben einer Abbildung von Salvador Dalis Meditativer Rose, ein Raumschiff, das das Yin-Yang-Symbol umkreist, einfach nur ein großer, blauer Punkt, mehrere Kruzifixe und eine ganze Reihe an inspirierenden Zitaten. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hat jeder der im Bett liegenden Probanden eine dieser Platten als Erinnerung an seine Zeit hier zurückgelassen. Jedes Mosaikstück ist ein 60 mal 60 Zentimeter großes Fenster zur Gedankenwelt eines Menschen, der gleich wieder Teil der normalen Welt wird. Auf einer Platte im Gang zu meinem Zimmer waren Unheil verkündende Hinweise aufgedruckt: „Mach's dir beim Kacken in Schräglage nicht zu bequem" und „Pass auf, von wem du Besuch bekommst".

Nachdem sich die Krankenschwestern alle meine Sachen notiert, mich gründlich nach Schmuggelware durchsucht und schließlich noch den Apfel in meinem Rucksack konfisziert hatten, schaute ich mich in dem Zimmer um, das jetzt vorerst mein neues Zuhause war. Es war klein und karg, aber das stört nicht, wenn man sowieso nur im Bett liegt. Als ich durch den Krankenhausflügel spazierte, sah ich auch zum ersten Mal die anderen Studienteilnehmer. Alle hatten ihren eigenen Gründe, hier zu sein. Einer schrieb an seinem Roman, während er genügend Geld für sein erstes Motorrad verdiente. Eine Andere war schwanger und wollte noch etwas Geld beiseite legen, bevor das Kind auf die Welt kommt. Viele Computerspieler waren anwesend, weil sie hier sehr gut in die digitale Welt entfliehen konnten, ohne im täglichen Leben irgendwelche Verantwortungen zu haben.

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Am meisten interessierten mich jedoch die erfahrenen Probanden. Für einen von ihnen war das bereits die dritte NASA-Bett-Studie. Von dem Geld, das er hier und in anderen Forschungseinrichtungen im ganzen Land verdiente, konnte er jetzt schon seit Jahren gut leben. Überraschenderweise war das gar nicht so außergewöhnlich. Eine andere Testperson zeigte mir die Narben auf seinem Innenarm, die die unzähligen Blutabnahmen und Infusionen der vorherigen Studien hinterlassen haben.

Ich befand mich jetzt in der Phase vor der Bettruhe. Ich gewöhnte mich an meine neue Routine, machte mich mit dem Trainingsplan vertraut und pendelte meine Nährstoffwerte ein. Am ersten Morgen wurde um 6 Uhr meine Tür geöffnet, das Neonlicht angeschaltet, ein Thermometer in meinen Mund gesteckt und eine Blutdruckmanschette um meinen Arm gelegt. Um 6:15 Uhr schaute eine weitere Krankenschwester rein und fragte mich: „Haben Sie schon gepinkelt?" Erst nach ein paar Tagen wurde mir klar, dass ich der langsamste Pisser der Runde war und die Frage der Krankenschwester eigentlich ein diskreter Befehl war: „Pinkel jetzt, dann können wir mit unserem Programm weitermachen."

Die ersten paar Tage waren von so vielen Körperscans, Nadeln, Fitnesstests und gefüllten, eingesammelten und analysierten Pinkelbechern bestimmt, dass schnell alles ineinander verschwamm. Eines Tages stach mir aus der langen Testliste meines täglichen Programms der „Muskelzuckungstest" ins Auge. Die Wissenschaftler schnallten mich auf eine modifizierte Beinverlängerungsmaschine, versahen mein rechtes Bein mit einem Schienbeinschutz und fixierten es dann an dem Gerät. Dabei erklärten sie mir, wie der Test ablaufen würde: „Das Gehirn nutzt nur 85 Prozent der eigentlichen Muskelfähigkeiten. Um diese Barriere zu überwinden und Ihre volle Muskelkraft zu ermitteln, bringen wir diese Elektroden an Ihrem Bein an, um es direkt mit variierenden Stromstärken zu stimulieren, bis wir die Maximalkraft herausgefunden haben." Mein Bein wurde also ungefähr 20 Mal mit Elektroschocks malträtiert, um zu sehen, wie hart ich zutreten konnte. Nach dem fünften Schock wimmerte und fluchte ich nur noch, nach dem zehnten wünschte ich der ganzen NASA die Pest an den Hals.

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Aber selbst die kaum auszuhaltenden Schmerzen der Muskelzuckungstests wurden Teil meiner normalen Routine. Nach jahrelanger Arbeit und der Suche nach trügerischen Antworten auf abstrakte Fragen war es wirklich befreiend, einfach mal nur Anweisungen zu folgen und die viele Freizeit zu genießen. Ich soll mich in die Kernspin-Röhre legen und 90 Minuten lang nicht bewegen? Sehr gerne. Ich soll durch diesen Schlauch atmen, während Kohlenstoffmonoxid hinzugefügt und mir Blut abgenommen wird? Jawohl, so lange ich dabei nicht sterbe. Ich soll diese Maske aufsetzen und mit 75 Umdrehungen pro Minute in die Pedale treten, bis ich nicht mehr kann? Kein Problem. Ich soll mir diese Ausrüstung anlegen und durch diesen Hindernisparcours rennen? Klar, warum nicht?

Nach dem Ende der dreiwöchigen Phase vor der Bettruhe gab es jetzt nur noch eine Aufgabe: ins Bett legen und dort 70 Tage lang bleiben. Ich sammelte alles zusammen und platzierte so viele Dinge wie nur möglich in Reichweite meines neuen Domizils. Ich benutzte ein letztes Mal eine ordentliche Toilette. Ich warf noch einen letzten Blick aus dem Fenster. Dann war es an der Zeit, die Kopftieflage einzunehmen.

Fast sofort hatte ich mit der Schräglage (im Winkel von -6 Grad) zu kämpfen. Jedes Mal, wenn ich mich bewegte oder zuckte, rutschte ich in Richtung Kopfende und nach ein paar Minuten wurde ich mit schiefem Hals dagegen gedrückt. Um der Schwerkraft zu trotzen, lag ich so still wie möglich da, aber dann setzten die Rückenschmerzen ein.

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Zuvor hatte man mich noch gewarnt, dass Rücken- und Kopfschmerzen in den ersten paar Tagen der Bettruhe normal seien. Die Wirbelsäule ist nicht daran gewöhnt, längere Zeit in horizontaler Position zu verweilen und wird mit dem Gewicht der darauf liegenden Organe belastet. Die Verlagerung der Durchblutung in den Oberkörper erhöht zusätzlich den Druck im Schädel. All das macht das Liegen am Anfang noch sehr, sehr unangenehm.

Später brachten mir die Schwestern dann meine erste Bettmahlzeit: Suppe.

In dieser Nacht wälzte ich mich hin und her. Jede Stunde wachte ich mit schlimmer werdenden Genickschmerzen auf, weil ich gegen das Kopfende des Betts gedrückt wurde. Ich hatte schon angenommen, dass dieser Abschnitt kein Zuckerschlecken werden würde, aber das hier übertraf meine Befürchtungen bei Weitem. Die Schmerzen und der Schlafmangel ließen in mir ein Gefühl von Panik aufkommen, das mich die folgenden Tage begleitete. Ich war mir nicht sicher, wie lange ich das durchhalten würde.

Die nächsten fünf Tage verbrachte ich auf meiner Seite liegend in der Embryonalstellung, um meine Wirbelsäule zu entlasten. In meinem Kopf herrschte dank dem erhöhten Blutfluss ein Pochen und ein Schleier legte sich vor meine Augen. Am dritten Tag schlug dann mein Darm Alarm. Noch nie bin ich so lange ohne ein großes Geschäft ausgekommen, aber das Verdauungssystem ist wohl nicht so effektiv, wenn die Erdanziehungskraft nicht mitspielt.

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Als ich eine Schwester endlich um eine Bettpfanne bat, hatte ich einen persönlichen Tiefpunkt erreicht. Es ist nicht möglich, auch nur einen kleinen Fetzen Würde zu bewahren, wenn man in horizontaler Position kacken muss. Das Ganze widerspricht einfach total dem menschlichen Körperaufbau. Während meinem Kampf mit dem kleinen Plastiktopf musste ich darüber nachdenken, dass in den kommen zwei Monaten mein neues Badezimmer gleichzeitig auch mein Esszimmer, mein Wohnzimmer und mein Schlafzimmer sein würde.

Neben den Schmerzen musste ich feststellen, dass viele alltägliche Dinge in Schräglage unmöglich zu schaffen waren. Meine Dusche bestand daraus, mich mit einem in der Hand gehaltenen Duschkopf abzubrausen. Dabei war die Säuberung meines Rückens, meiner Beine und meiner Füße besonders schwierig. Lesen ist total anstrengend, weil ich meinen Kopf nicht anhaben kann und deswegen das Buch mit ausgestreckten Armen hochhalten muss. Das Benutzen meines Laptops ist im Liegen genauso komisch. Beim Zähneputzen habe ich jedes Mal das Gefühl, an der Zahnpasta zu ersticken. Die muss ich dann in einen Becher spucken, aber es rinnt sowieso alles an meiner Backe und an meinem Bart hinunter.

Nach einer Woche habe ich jedoch angefangen, mich anzupassen. Die körperlichen Beschwerden ließen nach und ich schaffte es, mir House of Cards komplett und The Wire zur Hälfte anzuschauen, während sich meine Wirbelsäule anglich. Trinken ist zwar immer noch eine Herausforderung und ich kann mir kaum selbst Socken anziehen (Tag für Tag werde ich weniger beweglich), aber alles in allem geht es mir überraschend gut. Ich habe damit begonnen, Ram Dass Buch Paths To God zu lesen, um mich wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Ich bin inzwischen sogar fest entschlossen, mich wieder meiner Vorbereitung auf das Jurastudium zu widmen.

Ich habe jetzt schon mehrere Wochen im Bett verbracht und bin wohl endlich angekommen. Ich weiß, dass ich irgendwann in den nächsten beiden Monaten an meine Grenzen kommen werde. Ich weiß auch, dass mich in diesem Bett noch unvorhergesehene Dämonen erwarten. Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich dennoch vorsichtig optimistisch.

Hier geht es zu Teil 2.