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Drogen

So schwer ist es, mit dem Kiffen aufzuhören

Jonas kann nach Schweißausbrüchen nachts wieder träumen. Ferris MC hatte Übelkeit, Paranoia und Angst, bevor er es schaffte aufzuhören.
Fotos: pxhere | CC0 Public Domain

Jonas kifft eigentlich gerne. Fast jeden Abend zündet er sich in den letzten acht Jahren mindestens einen Joint an. "Das fing im Abi-Jahr an und hörte auch im Studium nie auf", sagt Jonas, der eigentlich anders heißt. "Kiffen war für mich immer Entspannung und ich habe mein Leben immer auf die Reihe bekommen", erzählt der 26-Jährige aus Süddeutschland. Doch als er vor einem halben Jahr seinen Abschluss macht, will der Lehramtsstudent plötzlich aufhören zu kiffen. "Ich habe gemerkt, dass ich zu müde und verballert bin für meine neuen Aufgaben", erklärt er. Vorher habe er schon mal versucht, seinen Konsum zu verringern, es aber nicht geschafft. "Also habe ich im Sommer schweren Herzens ganz aufgehört", sagt Jonas, feierlich habe er seinen letzten Joint geraucht und sein Gras an einen Kumpel verschenkt.

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Zwei Tage danach meldet sich sein Körper. "Ich konnte nur schlecht schlafen, hatte keinen Appetit und einige Magenbeschwerden", erzählt Jonas. Die Symptome sind ein Zeichen dafür, dass sein Organismus daran gewöhnt war, Cannabis regelmäßig zu verarbeiten, und sich jetzt umstellen muss. Neben den körperlichen Entzugssymptomen gibt es psychische. "Es kommen innere Unruhe, Reizbarkeit, Ruhelosigkeit und manchmal Aggressionen dazu", sagt Psychologe Andreas Gantner gegenüber VICE. Er arbeitet im Berliner Therapieladen, der seit Jahrzehnten Cannabis-Abhängige präventiv oder therapeutisch unterstützt. Ihm zufolge nehmen seine Patienten einige Tage nach dem letzten Joint ihre Emotionen wieder intensiver wahr. "Sie werden nicht mehr durch das Cannabis abgeschirmt, die innere Welt wird intensiver und anders erlebt."

"Bis ich dann bei 100 bis 200 Gramm im Monat gelandet bin – hauptsächlich Gras"

Sascha Reimann alias Ferris MC rauchte anders als Jonas nicht nur einen Joint am Abend. "Ich hatte Bock drauf, abhängig zu sein", sagt der Musiker zu VICE. Er war in den 90ern einer der ersten deutschen HipHop-Stars und gehört seit fast zehn Jahren zur Band Deichkind. Mit 13 Jahren rauchte er erstmals zwei Gramm Hasch pur in der Pfeife und sein Kreislauf brach zusammen. Dann steigerte sich sein Konsum. "Bis ich dann bei 100 bis 200 Gramm im Monat gelandet bin – hauptsächlich Gras", sagt Ferris zu VICE. Er gab verpeilte Interviews und widmete seinem "Lebenselixier" 2004 auch ein Lied. "Böse Zungen behaupten, sie sei Gift, der Nebel des Grauen. Ich kann das nicht verstehen, sie ist schöner als die schönsten Frauen", rappte er über Cannabis. Diese Liebe endete 2006 abrupt – nach 17, 18 Jahren "Dauerkonsum", wie er sagt. Es folgten Panik, Übelkeit, Beklemmung, Paranoia und Angst, erzählt er. "Da wurde von einer Sekunde auf die andere eine unangenehme Tür im Gehirn geöffnet und der Schalter umgelegt", so Ferris. "Alles, was ich am Konsum gut fand, hatte sich gegen mich gewandt."

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Ferris als Gast bei Markus Lanz im Jahr 2015 | Foto: imago | APress

Das lag vermutlich vor allem daran, dass Ferris zum Gras auch harte Drogen konsumierte. Er habe Speed genommen, Kokain, ganz viel LSD, einmal auch Heroin. "Die Kombi aus allem ergab diesen Gift-Cocktail", so Ferris. "Plus: viele unverarbeitete Lebenserfahrungen, die noch dazu addiert werden müssen, weil man mit Cannabis und Co. sehr gut auch in den Verdrängermodus schalten konnte." Er dosierte sich einige Wochen herunter und hörte dann ganz auf zu kiffen. Es folgten mehr als sechs Monate voller Schweißausbrüche, Schlafentzug, Appetitlosigkeit. Er fühlte sich antriebslos und aufgekratzt. "Zwischendurch dachte ich, ich dreh durch, weil ich nicht wusste, wer ich überhaupt bin ohne Konsum", erzählt er. "Ich konnte in den Monaten weder Fernsehen gucken noch normal chillen oder entspannen."

Wie ein Konsument auf einen Entzug reagiere, sei sehr individuell, sagt Psychologe Gantner, nicht jeder Kiffer habe die gleichen Entzugserscheinungen. Jonas, der jeden Tag einen Feierabendjoint geraucht hat, fällt es tendenziell leichter als etwa Ferris, der laut eigenen Angaben bis zu 200 Gramm im Monat rauchte und dies mit harten Drogen kombinierte. Die Patienten von Gantner haben zudem noch andere Sorgen. "Viele, die sich behandeln lassen, haben oft auch andere massive Probleme wie Depressionen", sagt Gantner.

"Wenn man das mit einem Entzug vom Alkohol, Medikamenten oder Opiatbereich vergleicht, ist der Verlauf bei Cannabis nicht so heftig."

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Die Entzugssymptome beginnen meist 24 bis 48 Stunden nach dem letzten Joint und dauern in der Regel bis zu 12 Tage an. Dann sei der erste Schritt geschafft, so Gantner. "Wenn man das mit einem Entzug vom Alkohol, Medikamenten oder Opiatbereich vergleicht, ist der Verlauf bei Cannabis nicht so heftig." Ein Großteil der Cannabis-Konsumenten schaffe es, wie beim Zigaretten-Entzug, auch ohne medizinische Begleitung aufzuhören. Mediziner Franjo Grotenhermen, der Bücher wie Hanf als Medizin geschrieben hat und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft "Cannabis als Medizin" ist, vergleicht die körperliche Abhängigkeit von Cannabis daher mit der bei Tabakkonsum. Laut Cannabis-Therapeut Gantner geraten 10 bis 15 Prozent der Kiffer in eine Abhängigkeit, von der sie nur schwer loskommen. Das wären ungefähr 300.000 Deutsche, wenn man von den rund drei Millionen Deutschen ausgeht, die laut aktuellem Drogen- und Suchtbericht mindestens einmal im Jahr Cannabis rauchen.

In diesem Bericht der Bundesregierung heißt es auch, dass Cannabis der häufigste Grund dafür sei, dass Personen sich zum ersten Mal in eine Suchtbehandlung begeben. Von den über 71.000 Menschen, die sich 2015 wegen einer Drogensucht behandeln ließen, sollen dies mehr als ein Drittel wegen Cannabis getan haben. Diese Zahl soll in den letzten Jahren angestiegen sein – was der Deutsche Hanfverband jedoch als "höchst zweifelhaft" kritisiert: Es sei nicht feststellbar, ob dies ein Zeichen für eine besondere Gefahr sei – oder sich Menschen aus anderen Gründen vermehrt an Therapiestellen wenden. Als mögliche Ursachen dafür sieht der Deutsche Hanfverband juristischen Druck und vorauseilenden Gehorsam bei einem bevorstehenden Gerichtsprozess oder einer Medizinisch Psychologischen Untersuchung (MPU). "So oder so sind die Daten höchst zweifelhaft, da bei diesen Statistiken nicht zwischen sogenannten 'Kräutermischungen' mit synthetischen Wirkstoffen und natürlichen Cannabis-Produkten unterschieden wird", heißt es weiter in einer Mitteilung des Verbandes.

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Jonas nimmt wenige Tage nach seinem letzten Joint seine Träume wieder bewusst wahr: "Nach den Schweißausbrüchen habe ich nachts nach langer Zeit wieder geträumt", erzählt er. "Natürlich auch vom Kiffen, denn ich hatte schon oft wieder Lust darauf." Laut Psychologe Andreas Ganter sei es nicht schwer, mal zwei Wochen aufs Kiffen zu verzichten, aber es sei eine Herausforderung, auf Dauer zu entwöhnen.


Auch bei VICE: Wie das Cannabisverbot in Großbritannien versagt


"Nach dem Entzug wird das Erlernen von psychischen Bewältigungsstrategien wichtig", erklärt Gantner. Sein Tipp: "Man muss sich aufschreiben, was die Vorteile sind, wenn man aufhört, und was die Nachteile." Damit habe man ein klares inneres Bild, worauf man verzichtet und was man bestenfalls gewinnt. Er und seine Kollegen arbeiten dafür mit ihren Patienten heraus, wieso sie Gras konsumiert haben und was es für Alternativen gibt. "Für manche Konsumenten ist Gras wichtig, um zu entspannen oder auch zu verdrängen, also müssen wir ganz individuell schauen, was jetzt an die Stelle von Cannabis treten soll, damit man langfristig nicht mehr kifft", erklärt er. Jonas füllte das Gras-Loch, indem er seine Ernährung umstellte, kochte und mehr Sport trieb. "Da ich aber auch oft faul bin, habe ich zum Entspannen angefangen zu lesen und Serien zu schauen", sagt er. Für ihn sei jedoch klar, dass er immer mal wieder einen rauchen werde, nachdem er in seinem neuen Job einmal angekommen ist. "Ich werde erstmal nicht mehr kiffen, aber als Genussmittel wird es mir ab und zu wieder sehr gut tun." Gantner will prinzipiell nicht von einem gelegentlichen Konsum abraten. Er macht sich unter anderem für eine Legalisierung von Cannabis für Erwachsene stark, weil das Verbot mehr Schaden anrichte, als dass es eine präventive Wirkung habe. "Die Menschen müssen sich aber über die Risiken bewusst sein", sagt er. "Sie müssen sich fragen, ob sie Cannabis moderat und kontrolliert konsumieren können." Wichtig sei aber, dass Menschen das aus ihrer eigenen Erfahrung entscheiden.

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Wenn du dir Sorgen machst, abhängig zu sein, kannst du hier einen Onlinetest machen. Wenn du Probleme mit dem Entzug hast oder an Angstzuständen leidest, solltest du dir Hilfe suchen. Eine erste Orientierung bieten die Sucht- und Drogen-Hotline (01805 - 31 30 31) oder eine der Suchtberatungsstellen, deren deutschlandweites Verzeichnis du hier findest.


Eine Definition, was "gelegentlicher" und "moderater" Konsum ist, gibt es laut Gantner nicht. "Jede Woche ist schon ein regelmäßiger Konsum, während 'gelegentlich' eher eine bestimmte Gelegenheit wie eine besondere Party oder ein anderes Highlight ist." Die meisten seiner Patienten würden aus eigener Erfahrung jedoch ganz auf Gras verzichten. Viele von ihnen hätten ein langfristiges chronisches Konsummuster gehabt, für sie sei es sehr schwierig, Cannabis gelegentlich und genussorientiert zu konsumieren. "Das Gehirn erinnert sich und stimmt sich schnell auf einen Funktionsmodus von früher ein."

Ferris verzichtet ganz auf Gras – weil er Respekt davor habe, die Kontrolle über sich zu verlieren. "Bock hatte ich schon und hab es auch mal vor Jahren wieder probiert", sagt er. "Aber nach zwei Zügen kamen alle negativen Seiten wieder zum Vorschein und mir wurde bewusst, dass es mir persönlich nicht mehr gut tut." Am Ende ist es mit dem Gras wie bei jedem anderen Genussmittel auch: Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie viel ihm gut tut. Deswegen will Ferris auch nicht ganz ausschließen, dass er irgendwann noch mal einen Joint rauchen wird: "Wer weiß, wie ich drauf bin mit 70 oder 80? Vielleicht bin ich ja ein relaxter Kifferopa."

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