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Syronics on Speed

​100 Dinge, die ich als Syrer an Berlin liebe

Seit zwei Jahren lebt der Schriftsteller Aboud Saeed als Flüchtling in der deutschen Hauptstadt. Eine Liebeserklärung.

Aboud Saeed (ganz rechts) in Berlin | Foto: Privat

Im Frühjahr 2011 begann der Aufstand in Syrien, der sich schnell zu einem brutalen Bürgerkrieg entwickeln sollte. Ungefähr zur selben Zeit fing der Schmied Aboud Saeed an, auf Facebook sein Leben in der Stadt Manbidsch zu dokumentieren. Seine kurzen Einträge, die vor schwarzem Humor nur so strotzen, gefielen irgendwann so vielen Leuten, dass der deutsche Verlag mikrotext schließlich ein Ebook mit dem Namen Der klügste Mensch im Facebook daraus machte, das später sogar als Taschenbuch erschien. Anfang 2014 beantragte Saeed Asyl in Deutschland, seitdem lebt er in Berlin. Als wir ihn gefragt haben, ob er eine Kolumne für uns schreiben will, dachte er ursprünglich,wir seien der Spiegel. Er hat sich aber auch nach Aufklärung des Missverständnisses bereit erklärt, hier einmal in der Woche für uns zu schreiben—über sein Leben in Berlin und das, was er in Syrien zurückgelassen hat.

100 Dinge, die ich an Berlin liebe:

  • Das Jobcenter
  • Den Görlitzer Park
  • Das türkische Hühnerhaus gegenüber dem Görlitzer Park
  • Den Jazzclub im Görlitzer Park
  • Den amerikanischen Saxophonspieler im Jazzclub im Görlitzer Park, der wie Morpheus aus Matrix aussieht und glaubt, er sei Louis Armstrong
  • Die Nachtbusse, besonders der N1
  • Paule's Metal Eck
  • Die Barfrau in Paule's Metal Eck mit dem weinroten Haar
  • Meinen Kumpel Martin, der mit mir dort Billard spielt
  • Die Revaler Straße an Sams- und Sonntagen
  • Die wertvollen Bier- und Wasserflaschen, die an Frei- und Samstagen auf der Revaler Straße herumliegen
  • Sämtliche Kaiser's-Filialen und die 24 Stunden, die sie geöffnet haben
  • Die Pfandflaschenautomaten im Kaiser's
  • Den KitKat-Club, aber ohne den Türsteher, der davorsteht
  • Den Busfahrer, der nicht darauf achtet, ob das Ticket noch gültig ist oder nicht
  • Die türkische Frau, die mittwochs und donnerstags im Kaiser's an der Kasse arbeitet
  • Den hohen Turm am Alexanderplatz, der mir jedes Mal den Weg weist, wenn ich mich verlaufe
  • Die Lächeln, die in der U-Bahn ohne jeglichen Anlass verteilt werden
  • Die Bars, in denen man tags- und nachtsüber rauchen darf
  • Die Weserstraße mitsamt des Mädchens, das darauf Rad fährt, dass ihm die Haare fliegen
  • Den Flughafen Schönefeld. Und nein, und nein, und noch mal nein zum Flughafen Tegel, zu dem weder S- noch U-Bahnen fahren!
  • Die Shawarma-Sandwiches für 1,50 Euro
  • Der Soldat, der die ganze Zeit am Checkpoint Charlie steht (und ich träume von einem Selfie mit mir und dem ganzen deutschen Volk im Hintergrund)
  • Die Firma Audi, die mich zu einem Event eingeladen hat, um sich mit mir zu profilieren, und die schicken Mädchen, der kostenlose Alkohol, der dort verteilt wird, die edlen Sessel und die respektablen reichen Gäste
  • Das Berghain. Ich träume davon, einmal mit den Türstehern zu stehen und den Leuten auch sagen zu können: Du darfst rein, du nicht
  • Die älteren Touristen, denen ich winke und „Hallo!" zurufe, während ich auf der Oberbaumbrücke stehe und sie auf einem Schiffsdeck, das gerade unter mir vorbeifährt, zu Mittag essen
  • All die Fenster, auf die ich von meiner Wohnung aus blicke, wo die Lichter schon immer ab neun Uhr abends aus sind
  • Meinen Nachbar David und die Geschichte der BRD und der DDR, die er mir, jedes Mal wenn ich ihn treffe, von Neuem erzählt
  • Die Graffitis auf der Berliner Mauer, die ich nicht kapiere (und ich wünscht', ich hätt' ein Smartphone mit Kamera, und dann mach ich ein Selfie, die Graffitis des deutschen Volkes im Hintergrund und vorne ich und das Mädel, das den Auslöser drückt mit Duckface)
  • Die mit den roten Mützen, die an Bahnhöfen herumstehen und alle Abfahrtszeiten wissen
  • Den Winter, mit seinem Wetter, seiner Dunkelheit und den leuchtend weißen Gesichtern
  • Die Fastfoodkette McDonald's, und das Gefühl von Gerechtigkeit, das ich im Inneren ihrer Filialen verspüre
  • Das VICE Magazine und die Chefredakteurin, deren Namen ich zwar nicht kenne, die aber für mich und all meine Fehler die Verantwortung trägt

… es folgen weitere.

Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl.