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45 Minuten lang habe ich Die Antwoord verstanden

Und ich habe jede der 2.700 Sekunden geliebt.

Fotos von Nick Karp

Du magst Die Antwoord nicht. Du hältst sie für Hipstermüll. Allein an ihrem Aussehen siehst du schon, dass ihre Musik furchtbar ist. Und wirklich jeder, der sie mag, muss gehirnamputiert sein. Du hasst ihre Vokuhilas. Du hasst ihren grauenvollen Sound. Du hasst wirklich alles an ihnen.

Mein lieber Freund, bis vor ein paar Stunden dachte ich noch genauso wie du.

Jedes Mal, wenn ich auf etwas stieß, das mit dem südafrikanische Duo zu tun hatte—sei es ein Video, ein Artikel oder auch nur ein ganz einfaches Foto—windete ich mich voller Scham darüber, dass dies das Niveau war, auf das sich zeitgenössische Musik herabbegeben hatte. Ich speicherte sie in meinem Hirn unter Dinge-die-ich-gerade-gut-genug-kenne-um-sie-scheiße-zu-finden ab—direkt neben Lena Dunham und Grünkohl. Dann aber, um 15:45 Uhr Central Time, am 13. September im Jahre 2014 unseres Herrn, unterlag ich, Dan Ozzi, in vollem Besitz meiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten, der Macht von Die Antwoord.

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Ich hatte ihre Musik zuvor immer nur durch die kleinen Lautsprecher meines Laptops gehört und sie einfach nicht verstanden. Ich verstand ihren Reiz nicht, mir war das alles zu quitschig und bunt und sah zu sehr nach verzweifelten Schockversuchen aus. Als ich ihnen nun dabei zusehen konnte, wie sie die Bühne beim Riot Fest in Chicago auseinandergenommen haben, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Der Versuch, Die Antwoord durch das, was aus deinem Computer kommt, gut zu finden, ist genauso, wie wenn du versuchst, das Meer durch Planschen in deiner Badewanne nachzuempfinden.

Die Antwoord sind regelmäßig bei Outdoor-Festivals zu Gast—dieses Jahr haben sie sowohl auf dem Bonnaroo als auch beim Reading und beim Leeds gespielt—aber es war doch merkwürdig, sie im Line-Up vom Riot Fest zu sehen—zeitlich genau zwischen den Dandy Warhols und Paul Weller. Es schien etwas abwegig, eine Rave-Rap-Gruppe beim Riot dabei zu haben, einem Festival, dessen Bandaufgebot stark Richtung Punk tendiert—und vor allem aus Punkbands besteht, die es schon gibt, seit Menschen Musik machen (z.B. Descendents, NOFX, Cock Sparrer). Im Gegensatz zum Coachella (wo die Antwoord 2012 gespielt haben) gibt es hier keine besonders lange Liste von elektronischen Acts. Tatsächlich gibt es gar keine und abgesehen vom Wu-Tang Clan gab es auch keine weiteren Rap-Acts. So abwechslungsreich das Line-Up des Riot Fests auch ist, Die Antwoord haben es trotzdem geschafft, wie ein kaputter, entzündeter Daumen herauszuragen—ein verschwitzter, neonfarbener, satanischer Daumen, um genau zu sein.

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Gerade weil das Line-Up des Riot Fests so abwechslungsreich ist—mit Bands von Slayer über The National bis hin zu Weezer—zieht es auch nicht wirklich eine bestimmte Sorte Musikfan an. Das Publikum war kein Meer aus weggetretenen, neonbekleideten Blaupausen, das den Kopfschmuck amerikanischer Ureinwohner für ein witziges Accessoire hält. Im Gegensatz zum Coachella, das vor allem die üblichen Bros und Bitches anzieht, decken Riot Fest-Besucher so ziemlich jede Sparte ab: Typen mit Iros, Eltern mit ihren Kindern, Metaller, Hippies in Ponchos, alte Menschen—was auch immer dir einfällt, läuft hier rum. Und sie alle fanden sich an der Riot Stage (ganz schlauer Name) zusammen, um den Ganzkörperangriff zu erleben, den die Liveshows von Die Antwoord darstellen.

Am Rand der Bühne, von dem aus ich das Geschehen beobachtet habe, hatten sich ehrfürchtig etliche Mitglieder der Punkbands, die auf dem Festival gespielt haben, aufgereiht und erstaunt und mit gezückten Kameras beobachtet, was sich auf der Bühne abspielte. Hoffentlich hatte die Darbietung einen Lerneffekt für sie. Das Festival war, was Punkrock angeht, nämlich bis zum Bersten mit Bands gefüllt, die mehrere Dekaden alte Songs gespielt haben, mit ausgelutschten Texten über ausgelutschte Politikthemen, die jede Sekunde mehr und mehr veralten. Und hier war jetzt eine Band, die jung, furchteinflößend und komplett grenzenlos war.

Unter denjenigen, die am Bühnenrand standen, waren—und ich kann es immer noch nicht fassen—die zwei Musikerinnen von Pussy Riot, die noch einen Tag zuvor bei einem Panel auf dem Festival gesprochen hatten. Für einen Moment hielten sogar sie kurz bei ihrem Streben nach einer Welt frei von sozialer Ungerechtigkeit inne, standen einfach dort und ließen Die Antwoord auf sich wirken.

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Pussy Riot machen mit ihrem iPhone Fotos von Die Antwoord. Surreal.

Ausnahmslos jeder im näheren Umkreis wurde von dem abgefahrenen Hirnfick des Duos geplättet—sogar ich, der stocknüchtern war und ganz bestimmt nicht zur Hauptzielgruppe für Rave-Rap oder ähnliches gehört. Um etwas verständlicher zu machen, wie weit Die Antwoord von meinen üblichen Hörgewohnheiten abweicht, sei hier erwähnt, dass ich mich tatsächlich darauf gefreut hatte, die Mighty Mighty Bosstones zu sehen.

Die Antwoord waren ohne Frage die lauteste Band des Tages. Und auch wenn auf Festivals tendenziell jede Band gleich klingt—wie ein Ghettoblaster unter Wasser, bei dem der breiige Sound einfach in eine unbestimmte Richtung entfleucht—war der rasende Scatter-Beat von Die Antwoord ein direkter Schlag ins Gesicht, wie eine große Welle. Ungeachtet der gefühlten zehn Zentimeter Matsch fühlte es sich an, als würden sich direkt unter deinen Füßen Subwoofer befinden, die den Boden so durcharbeiten, dass deine Knochen ins Klappern geraten.

Für den Fall, dass du Die Antwoord noch nie live gesehen hast, stell dir einfach vor, wie du dir deine schlimmsten Alpträume auf einem kleinen Fernseher im Zeitraffer anguckst. Die beiden Mitglieder—die zusammen vielleicht 60 Kilo auf die Waage bringen—waren mit umgedrehten Kreuzen und Pentagrammen eingedeckt und nahmen jeden Zentimeter der Bühne mit ihrer verschwommenen, neonfarbenen Präsenz ein und verbreiteten dabei unter allen Zuschauern eine Stimmung aus Spaß und Furcht.

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Während ich noch versuchte, zu begreifen, ob das ganze Ding jetzt nur eine Masche war, bei der die einzelnen Mitglieder Charaktere mimen, die dir Angst einjagen sollen, gingen sie von der Bühne—immer noch mit ihrer verschwitzten Unterwäsche bekleidet—marschierten direkt an mir vorbei, stiegen auf die Rückbank eines wartenden Vans und brausten davon, ohne jemandem die Gelegenheit zu bieten, das ein für alle mal herauszufinden. Sie waren wie Aliens auf der Rückreise zu ihrem Heimatplaneten.

Hier ist mein Kumpel Drew, der gerade gesehen hat, wie Die Antwoord sich verpissen, bevor ihre Mics überhaupt den Boden berührt haben.

Wahrscheinlich werde ich sie nie wieder sehen. Ich habe auch nicht das Bedürfnis, mehr über sie als Künstler zu erfahren und ich werde mir auch nie ihre Musik anhören. Für diese kurzen aber wunderbaren 45 Minuten im knöcheltiefen, pulsierenden Schlamm habe ich Die Antwoord aber verstanden.

Dan Ozzi überlegt jetzt, ob er sich nicht auch die Seiten des Kopfs rasieren soll. Folgt ihm bei Twitter—@danozzi

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