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5 Fragen, die sich Putin-Freunde stellen sollten

Wir haben nachgefragt, warum so viele Deutsche Verständnis für Putin haben. Und dann unsere eigenen Fragen gestellt.

Kamera: Matthias Lip

Zugegeben, „Sind Sie für den Westen oder für Putin?“ ist ziemlich plakativ. Aber wir haben auch absichtlich nach den Leuten gesucht, die seit Wochen in den Kommentarspalten der deutschen Nachrichtenseiten die Russlandpolitik der Bundesregierung mit heiligem Zorn übergießen. Denn während die Bundesregierung zusammen mit der EU und den USA den Anschluss der Krim an Russland als Annexion verurteilt und Sanktionen gegen Moskau verabschiedet, sieht eine Mehrheit der Deutschen das anscheinend völlig anders. Mehr als zwei Drittel der Deutschen lehnen Sanktionen ab, 54 Prozent finden, dass der Westen den Anschluss der Krim akzeptieren solle.

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Das haben mittlerweile auch die sogenannten „Meinungsmacher“ bemerkt. „Was bei uns gerade im Streit um Russland und die Krim passiert, habe ich in dreißig Jahren Debattenerfahrung noch nicht erlebt“, schreibt Bernd Ulrich in der Zeit. „Wenn die Umfragen nicht täuschen, dann stehen zurzeit zwei Drittel der Bürger, Wähler, Leser gegen vier Fünftel der politischen Klasse, also gegen die Regierung, gegen die überwältigende Mehrheit des Parlaments und gegen die meisten Zeitungen und Sender.“ Der Journalist gibt zu, dass das Verständnis der Deutschen für Putins Kurs ihn „irritiert“. Und der erste Leserkommentar darunter? „Quatsch, nicht Putin spaltet, sondern die einseitige Berichterstattung.“ Die Wut dieser Leser auf die „Kriegstreiberei“ und „Anti-Putin-Propaganda“ der „gleichgeschalteten westlichen Medien“ ist groß.

In manchen Fällen kann man den Ärger der Leser verstehen: Die Berichterstattung vom Euromaidan hat viel zu lange an dem Muster der „friedlichen Demonstranten“ gegen den „brutalen Diktator“ festgehalten (besonders schönes Beispiel: „Klitschko: Die Welt darf nicht zuschauen, wie ein Diktator sein Volk abschlachtet!“). Das wurde auch dann noch aufrechterhalten, als ein Teil der Demonstranten sich aus Enttäuschung über die Aussichtslosigkeit ihres Protests bereits für einen gewaltsamen Aufstand entschieden hatte.

Auch wenn diese Eskalation ganz klar von den Ultranationalisten vorangetrieben wurde, entstand sie als Reaktion auf die Unnachgiebigkeit des korrupten Janukowitsch-Regimes und wurde vom Großteil der Euromaidan-Demonstranten als legitim angesehen. Nur sieht es eben komisch aus, wenn einige deutsche Medien weiter von friedlichen Demonstranten sprechen, während sich bereits jeder auf YouTube Bilder von Molotow-Cocktails werfenden Kämpfern in Holzrüstungen anschauen kann.

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Genauso einseitig wirkten manche Beiträge, die die Geschichte der NATO-Osterweiterung, aber auch die der deutschen Ostpolitik ignorierten und Putin einfach pauschal als durchgedrehten Diktator darstellten. Ein besonders peinliches Beispiel ist das Kreuzverhör, dem der Siemens-Chef Joe Kaeser von Claus Kleber im heute-Journal unterzogen wurde, nur weil Kaeser es gewagt hatte, auf der Höhe der Krim-Krise nach Russland zu reisen und mit Putin zu sprechen. Und zuletzt musste sich das ZDF auch noch gegen den Vorwurf wehren, es bekäme den Großteil seiner Nachrichten von einem ukrainischen PR-Netzwerk. All das hinterlässt bei vielen Deutschen, die eine pragmatischere Auseinandersetzung mit Russland gewohnt sind als Engländer oder Amerikaner, einen schlechten Nachgeschmack.

Trotzdem ist die Hetze gegen die „West-Medien“ albern. Immerhin war es Frank Schirrmacher in der FAZ, der das heute-Journal aufs Schärfste attackierte. Beim Spiegel bricht Jakob Augstein seit Wochen eine Lanze nach der anderen für Putin. Und der Bericht, dass möglicherweise nicht nur Berkut-Einheiten hinter den Scharfschützen auf dem Maidan stehen, stammt von der Sendung Monitor—die auf dem gebührenfinanzierten (das ist mittlerweile in manchen Kreisen ein Schimpfwort) „Staatssender“ ARD läuft.

Leserkommentar unter Ulrichs Artikel

Tatsächlich wirkt es manchmal so, als würden viele der Kommentatoren sich in ihrer Wut über die „NATO-Kriegstreiber“ und die Amerikaner völlig in ein idealisiertes Putin-Bild verrennen. Auch wenn man das Vorgehen des „Westens“ für falsch hält, gibt es auch ein paar Fragen, die sich die Putin-Freunde stellen sollten:

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1. Was sollen die ganzen russischen Soldaten ohne Uniform, die auf ukrainischem Boden rumspringen? 
Man kann zwar durchaus die Meinung vertreten, dass die Bewohner der Krim zu Russland gehören sollen, wenn sie denn unbedingt wollen. Aber ist es deshalb auch legitim, wenn Putin kurz vor dem Referendum Tausende russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen in die Halbinsel einsickern lässt? Denn nach wochenlangem Abstreiten hat Putin nun selbst zugegeben, dass es sich um russische Soldaten handelte. War er sich vielleicht doch nicht so sicher, dass die Bewohner sich für das richtige Land entscheiden würden?

Genauso muss man in der aktuellen Situation fragen, was russische Offiziere unter den Bewaffneten zu suchen haben, die jetzt die ukrainische Armee in der Ostukraine so effektiv bekämpfen (und das, nachdem die Regierung die Möglichkeit von Referenden eingeräumt hat). Und das führt gleich zur nächsten Frage:

2. Trägt Putin wirklich zur „Stabilisierung“ der Lage bei, wenn er die neue ukrainische Regierung zu jeder Gelegenheit als illegitim beschimpft?
Die „Kriegstreiber“ sitzen im Westen, davon scheinen viele Kommentatoren überzeugt. Trotzdem sind es die Russen, die 50.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine mobilisiert haben. Wie friedlich wirkt Putin, wenn er die Intervention der ukrainischen Streitkräfte auf eigenem Boden als „Verbrechen“ bezeichnet und gleichzeitig erklärt, er habe jetzt das „Mandat für eine Entsendung von Truppen in die Ukraine“? Wer das für deeskalierende Friedensrhetorik hält, der sollte zumindest keine Karriere als Kommunikations-Coach in Erwägung ziehen.

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Leserkommentar auf Spiegel Online

3. Betreibt Putin etwa keine Propaganda?
In den westlichen Medien kann man zu jedem möglichen Standpunkt fundierte und intelligente Analysen, Interviews und Kommentare finden (siehe Augstein, Helmut Schmidt, Albrecht Müller). Kann man über Russlands Medien das Gleiche sagen? Wirkt es vertrauenserweckend, wenn der Chef einer russischen Nachrichtenagentur Guido Westerwelles Unterstützung für Klitschko darauf zurückführt, der schwule Westerwelle sei wohl von Klitschkos Körper „erwärmt, ja überhitzt“? Wie aufrichtig ist es, seit Wochen gebetsmühlenartig zu wiederholen, bei der Regierung in Kiew handele es sich ausschließlich um „Faschisten“? Dass die auf dem Maidan eine Rolle gespielt haben und die Ideologie der Swoboda-Partei problematisch ist, steht außer Zweifel. Aber der gesamten Revolution deswegen die Legitimität abzusprechen, ist eine krasse Bevormundung.

4. Warum hat Russland überhaupt das Recht auf einen Einflussbereich?
Die Verteidiger Putins verweisen gerne auf das „Ende des Blockdenkens“ und die gebrochenen Versprechen der NATO, die Gorbatschow zugesagt hatte, nie weiter als Ostdeutschland vorzurücken. Das Versprechen wurde offensichtlich gebrochen. Allerdings existiert erstens die Sowjetunion nicht mehr, und zweitens hat die NATO nie ein Land gezwungen, seine Truppen aufzunehmen. Im Gegenteil: Von Polen über Litauen bis Georgien haben die ehemaligen Nachbarn Russlands der NATO die Türen eingerannt, um sich gegen den ungeliebten Hegemon abzusichern.

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Wenn die Blöcke nicht mehr existieren, warum hat Russland also immer noch das Recht auf eine „Pufferzone“? Und warum ist dieses Recht wichtiger als das der Selbstbestimmung all jener Länder, die keine Lust haben, Pufferzone zu sein? Nach derselben Logik müsste man es den Indern verbieten, auf eigene Faust Abkommen mit China zu schließen—denn das könnte die Interessen der Briten verletzen, zu deren Weltreich Indien einmal gehört hat. Oder darf ein Land sich seine Bündnisse nicht selber aussuchen, weil es nahe an Russland liegt?

5. Müssen die Ukrainer das alleine ausbaden, weil George Bush im Irak einmarschiert ist?
Die Invasion des Iraks oder die Bombardierung Libyens sei völkerrechtlich mindestens genauso fragwürdig gewesen wie die Einverleibung der Krim durch Russland, lautet ein beliebtes Argument. Deshalb ist es Heuchelei, wenn westliche Politiker jetzt Putin kritisieren. Das mag zwar stimmen, aber wieso entschuldigt das Putins Vorgehen? Und ist das ein Argument dafür, sich jetzt aus allem herauszuhalten und die Ukraine alleine ausknobeln zu lassen, wie sie mit einem Nachbarn im Osten umgeht—auch wenn der schon oft genug signalisiert hat, dass er die Ukraine eigentlich als Teil Russlands betrachtet?

Die EU und die USA haben vor und in diesem Konflikt bestimmt nicht alles richtig gemacht. Aber oft wirkt es so, als seien viele Deutsche so enttäuscht über die Politik der westlichen Demokratien, dass sie jedem, der diese herausfordert, einen Vertrauensvorschuss geben—auch wenn das Putin ist, und auch wenn sie sich damit über die legitimen Befürchtungen ihrer osteuropäischen Nachbarn hinwegsetzen.

Noch so einer

Bei unser Umfrage haben aber auch viele Menschen geantwortet, dass ihre Position nicht so leicht in „pro Putin“ oder „pro Westen“ einzuordnen sei. Und das ist vielleicht die beste Antwort. Wir haben die Möglichkeit, diesen Konflikt aus allen Blickwinkeln zu betrachten. Aber nur aus Frust auf die eigenen Regierungen sollten wir nicht der Versuchung erliegen, Putins Schulhofpöbelei auf Kosten der Ukrainer als Alternative zu verherrlichen. Oder wie Udo sagen würde: