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Mode

Garmento-Zine

Jeremy Lewis ist der Gründer und Chefredakteur von Garmento, einem halbjährlich erscheinendem Fashion-Zine aus New York, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, herauszufinden, wie die Geschichte unsere Modewelt beeinflusst hat.
Jamie Clifton
London, GB

Jeremy Lewis ist der Gründer und Chefredakteur von Garmento, einem halbjährlich erscheinendem Fashion-Zine aus New York, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, herauszufinden, wie die Geschichte unsere Modewelt beeinflusst hat. Aber keine Sorge, es handelt sich hier nicht nur um haufenweise antiquiertes Fotomaterial von Anzugträgern aus den 50ern, als "die Leute noch wirklich wussten, wie man sich anzieht", oder ähnlichen Bullshit. Es ist auch ein, Fashion-Zine, das nicht total schlecht ist.

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VICE: Wie bist du auf die Idee gekommen, dein eigenes Magazin zu gründen?
Jeremy Lewis: Als Schüler habe ich mit Charles Kleibacker, einem Modekurator und ehemaligem Modedesigner, zusammengearbeitet. 
Er hat mir alles über Klamotten beigebracht—er hat mir gezeigt, was gut aussieht, nicht so gut und was gar nicht geht. Er hat eine Menge Wissen an mich weitergegeben, an das man in dem Alter normalerweise nicht rankommt. Er war ein großartiger Designer, der leider nie wirklich das Ansehen und die Aufmerksamkeit bekam, die er verdiente. Als er dann vor anderthalb Jahren gestorben ist, habe ich mich entschieden, seine Geschichte zu erzählen, das war ich ihm schuldig. Ich versuchte, ein paar Magazinen die Story schmackhaft zu machen, aber keins hatte Interesse. Also gründete ich selbst eins.

Wow, das war also deine zentrale Motivation? Oder gab es noch andere Dinge, die von Beginn an im Magazin dabei sein sollten?
Es gab noch mehr Dinge, die ich erwähnenswert fand und die jetzt alle in der ersten Ausgabe erscheinen. Aber insgesamt musste ich feststellen, dass es ziemlich wenig unabhängige Verlagsarbeit im Bereich Fashion gibt. Anders als bei Musik oder Kunst, wo es unzählige Zines und unabhängige Magazine gibt, die alle eine klare Aussage haben. Sie provozieren Diskussionen, an deren Ende manches hoch gelobt wird und manches vernichtend kritisiert, aber sie bieten einem stets neue Perspektiven und Ideen. Ich hoffe, dass Garmento das widerspiegelt und für die Geschichten ein Hilfsmittel ist, die in der Dunkelheit darauf warten, erzählt zu werden. Keine Ahnung, ob ich so fühlen würde, wenn ich Charles nicht gekannt hätte. 

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Eins von Charles Kleibackers Kleidern

Was machst du außer von Garmento noch so?
Hier und da schreibe ich ein wenig, aber ich arbeite zusätzlich in der Ideenentwicklung, Trendforschung und Markenbildung für einen Klamottenhersteller hier in New York. Das Geschäft ist auf den Massenmarkt ausgerichtet und man würde Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn man meinen Job dort dem gegenüberstellt, was ich beim Zine mache. Das Mag heißt nicht ohne Grund Grund Garmento; Ein Garmento ist jemand, der in der Modeszene in New York arbeitet. Ich bin so einer.

Welche Stilära interessiert dich am meisten?
Mir geht es nicht so sehr um eine bestimmte Ära, sondern vielmehr um die Ideen und Einflüsse, die von einer in die nächste weitergegeben werden.
Die Leute werden ein Kleidungsstück oder einen Look so beschreiben, wie sie ein Jahrzehnt aufgenommen haben, aber Mode ändert sich nicht auf diese Weise. Es ist nicht wie  Neujahr 1960, als alle Frauen ihre Tellerröcke in den Müll warfen und sich Miniröcke zulegten. Ideen, die die 60er geprägt haben, köchelten Jahre vor sich hin, bevor sie groß genug waren, um hinreichend dokumentiert zu werden und mit dem Jahrzehnt assoziiert zu werden. Die Übergänge sind fließend. Ich liebe es, wenn ein Stil oder ein Look aus einer Zeit in einer anderen wiederkommt; das sagt etwas über diesen Stil und die Zeit aus, in der er auftaucht. Man kann viel lernen, wenn man sich mit solchen Dingen beschäftigen.

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Kommt daher auch die Idee, deinen Fokus auf zeitgenössische und historische Aspekte zu lenken?
Ja, so ziemlich. In den Naturwissenschaften, Politik, Ökonomie, Soziologie etc. spielt die Geschichte eine extrem wichtige Rolle, um die Gegenwart verstehen zu können. Es wird sich ständig auf sie bezogen und bewusst darauf aufgebaut. Bei Kleidung ist das nicht anders. Mode leidet darunter, vom Neuen besessen zu sein, sie muss immer auf der Lauer liegen, um hip zu bleiben, sonst übersieht sie, oder die Medien, eine Vielzahl großartiger Dinge, die zwar alt, aber gerade angesagt sind. Die Idee bei Garmento ist nicht, nach vorne oder nach hinten, sondern in beide Richtungen zu schauen. Viele Designer werden in die historische Fundgrube schauen und sie für ihre Ideen nutzen, was absolut natürlich und in Ordnung ist. Dieser historische Bezugspunkt wird sodann gültig und genauso zeitgemäß, wie es die ursprüngliche Idee war. Ich würde also weniger über das Geschichtliche oder das Jetzt reden, sondern beides verbinden. Aus diesem Blickwinkel sind die Vergangenheit und die Gegenwart das Gleiche. 

Nenn uns ein paar deiner aktuellen Lieblingsdesigner?
Also, es gibt eine Menge wunderbarer Designer, die ich wirklich bewundere, sowohl tot als auch lebendig. Momentan tendiere ich dazu, meinen Fokus auf amerikanische Designer zu legen, weil über sie fast nie diskutiert wird. Mit Matthew Ames verfolge ich gerade ziemlich intensiv ein neues Talent. Seine Arbeit ist übersichtlich und er ist nicht total bekannt, aber wenn ich je das Wort "Genie" benutzen würde, um einen Modedesigner zu beschreiben, würde ich das bei ihm tun. Du schaust dir seine Stücke an und obschon sie einfach aussehen, ist die Komplexität und die Reinheit auf einem ganz anderen Level. Er ist in der Lage, die grundlegendsten geometrischen Flächen in vollwertige Kleidungsstücke zu formen, sie dreidimensional werden zu lassen und noch so viel mehr. Ich habe eine Jacke von ihm, die wirklich nur aus ein paar einfachen Stücken zusammengesetzt ist, aber sobald man sie trägt, wird die Figur wunderschön umschmeichelt. Sie ist einfach bewundernswert. Die einzigen anderen Designer, deren Arbeit ich gesehen habe und die ähnlich mit Formen umgehen, sind Madame Gres und Halston. Wir haben hier eine Menge talentierter Designer in New York, die man nicht einfach in eine Schublade stecken kann, für die wir so einen schlechten Ruf haben. In London würden sie vielleicht die angemessene Aufmerksamkeit bekommen, in New York werden sie übersehen.

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Deine erste Ausgabe hat den Titel "The Americans" - was interessiert dich am amerikanischen Style?
Durch die Arbeit mit Charles habe ich einige Dinge über amerikanische Mode gelernt. Ich hatte dafür keinerlei Interesse übrig und hätte wahrscheinlich nie welches gehabt, wenn es nicht für ihn gewesen wäre. Auch in den Staaten haben europäische Designer großen Einfluss.
Der Durchschnittsamerikaner, der sich für Fashion interessiert, kennt lediglich Calvin Klein oder Ralph Lauren und er macht sich nur Gedanken über Unterwäsche und bestickte Polohemden, aber die Mode in Amerika hat mehr zu bieten. Wir hatten Designer, deren Fähigkeiten und Ideen weit voraus waren und die einige der besten Europäer in den Schatten stellen könnten. Diese Designer sind jedoch in Vergessenheit geraten. Patricia Mears, Kuratorin am FIT-Museum, hat 2009 eine Show mit dem Namen American Beauty organisiert, die die einzigartigen, qualitativen Besonderheiten der amerikanischen Mode erklärt und hervorhebt. Du realisierst, dass Understatement, Minimalismus, Pragmatismus—Eigenschaften, die sehr amerikanisch sind und für manche Leute ziemlich langweilig klingen—nicht nur ein gewaltiges Maß an Talent brauchen, um gut umgesetzt zu werden, sondern auch in der Lage sind, die echten Genies zu inspirieren.

Was hält die Zukunft für Garmento bereit und was erwartet uns in der nächsten Ausgabe?
Jede Ausgabe muss ein spezielles Thema haben, das erste war über die Amerikaner, das nächste wird von der Zukunft selbst handeln. Zukunftsdenken in der Mode (nicht zu verwechseln mit den Kunstbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts, auch wenn in dieser Zeit ebenfalls Mode designed wurde) tendiert dazu, nur mit Form und Style verbunden und kaum konzeptionell zu sein. Zu guter letzt existiert eine weit verbreitete, romantisierte, post-apokalyptische Ästhetik in der Mode, die wahrscheinlich an den Grunge- oder Gothik-Look der 90er anknüpft und Ausdruck einer Alternativkultur sein soll. Ich finde es ekelhaft skrupellos und absolut fehl am Platz, eine Antiutopie zu vorherzusehen, nur weil es vielleicht cool aussieht. Es gehört Mut dazu, uns selbst ernsthaft in der Zukunft abzubilden und sich nicht in Retro-Trends zurückfallen zu lassen, die nicht zu unserer gegenwärtigen Realität passen. Auf alten Standpunkten zu verharren ist einfach, weil es uns nicht auf unbekanntes Terrain zwingt; sie halten uns in gemütlichen, aber veralteten Schemata. Aber vielleicht muss das Unbekannte gar nicht so beängstigend sein. Die nächste Ausgabe wird sich genau diesem Punkt anzunehmen und Alternativen aufzeigen, sowohl formale als auch konzeptuelle.

Wow, OK, danke.

JAMIE CLIFTON