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​AfD-Fans haben in Baden-Württemberg eine Propaganda-Wahlzeitung verteilt

Sieht aus wie die Lokalzeitung, enthält aber nur Rassismus, Propaganda und Halbwahrheiten.

Vor den Landtagswahlen am 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt versuchen die Parteien alles, um die Wähler von ihrem Programm zu überzeugen. Dazu gehören natürlich auch Plakate, Flyer und sonstiges Info-Material. Einen anderen Weg ging ein AfD-Mitglied in Baden-Württemberg: Er druckte gleich eine ganze Zeitung.

Das Machwerk, das auf den ersten Blick der lokalen Schwäbischen Zeitung ähnelt, nennt sich „Extrablatt für die Landtagswahl" und weist nirgendwo offiziell auf eine Verbindung zur AfD hin. Stattdessen präsentiert es den Lesern eine Mischung aus emotional aufgeladenen Geschichten über böse Flüchtlinge, Karikaturen über böse Flüchtlinge—und Wahlempfehlungen für die AfD.

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Verteilt wurden diese Blätter in Tausenden Briefkästen in Bühl, im Bühlertal und in Achern, wobei anzunehmen ist, dass sie in weiteren Regionen von Baden-Württemberg in Briefkästen gelandet ist. Der Landesverband der AfD leugnet, irgendetwas mit der Zeitung zu tun oder auch nur davon gehört zu haben. Laut der Partei handelt es sich offenbar um eine unabhängige Aktion von „Unterstützern". Herausgeber des Blatts ist eine „Vereinigung zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlicher Freiheiten", die von einem Josef Konrad, der auch als Chefredakteur des Blattes fungiert, ins Leben gerufen wurde—laut ihm handelt es sich um eine „Gruppe von Bürgern, die parteipolitisch unabhängig ist".

Aber was steht in dieser „unabhängigen" Zeitung? Zunächst einmal fällt die Aufmachung ins Auge. Seit den zweifellos unsagbaren Ereignissen von Köln (von denen nicht klar ist, wie viele Flüchtlinge überhaupt verantwortlich waren) dient Köln als Rechtfertigung für die Ablehnung jeder Form von Asyl.

Was AfDler halt so für Humor halten. Cartoon aus der „Zeitung"

Die „Zeitung" spielt mit diesen und weiteren Bildern, um diese Stimmung für sich zu nutzen. Schon im ersten Absatz des „Leitartikels", in dessen Lead „Wir schaffen das" als „Unwort (!) des Jahres" gefordert wird, heißt es, von den Flüchtlingen sei „weniger als ein Prozent echte Verfolgte". Dann: „Ganz zu schweigen vom Millionen-Nachzug der Familien." Nur: Die angegebene Statistik unterstützt diese Behauptung nicht. Auch dass der Bundestag den Familiennachzug ausgesetzt hat, wird nicht erwähnt.

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Das allein wäre in der Form noch zu verschmerzen, wenn nicht auf der vorletzten Seite unter der Überschrift „So werden wir manipuliert…" folgende Fragen aufgeworfen würden:

„Sind unsere Medien wirklich so gut und seriös? Lassen sie sich wirklich nicht auf Spekulationen ein, sondern berichten nur, wenn harte Fakten vorliegen?"

Auf die rhetorischen Fragen werden Fälle von Versagen geschildert, die schnell zeigen, in welche politische Richtung es geht.

„2007 erklärte ein Mädchen im sächsischen Mittweida, ihr hätten Neonazis ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt. Die ‚Süddeutsche Zeitung' beschrieb diesen Vorfall als feststehende Tatsache. Die Nachforschungen ergaben jedoch, dass das Mädchen sich den Falls ausgedacht hatte."

Die „Message" ist klar: Man sollte der „Lügenpresse" nicht glauben. Interessant daran sind jedoch mehrere Dinge:

  • Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass im Jahre 2015 insgesamt über 500 Anschläge auf Asylbewerberheime durchgeführt wurden, einen 9 Jahre zurückliegenden Fall zu zitieren, ist mehr als fragwürdig.
  • Dass ausgerechnet ein Bericht genommen wird, der Neonazis entlastet, ist interessant. Innerhalb eines solchen Zeitraumes gibt es mit Sicherheit auch andere Beispiele.
  • Der Standpunkt der Zeitung selbst.

Zum letzten Punkt schauen wir auf das Impressum der „Zeitung", deren Chefredakteur Josef Konrad die Seite politfakt.de betreibt. Vom Impressum dieser Seite heißt es von der in Leipzig ansässigen Politfakt Medien GmbH, sie sei „parteiunabhängig". Dies ist insofern interessant, als dass in der „Zeitung" eine einzige Anzeige geschaltet ist: Die der AfD.

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Dass Parteien Flyer verteilen, um auf ihr Programm aufmerksam zu machen, ist nicht ungewöhnlich. Interessant hierbei ist jedoch, dass der Chefredakteur des „parteiunabhängigen" Blattes Josef Konrad stellvertretender Schatzmeister der AfD Oberfranken ist. Auf dem Blog freiewelt.net heißt es, Politfakt richte sich „sowohl an AfD-Mitglieder als auch an Wähler". Weiter heißt es:

„Politfakt unternimmt den Versuch, sich innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD) als inhaltlich fundierte Alternative zum organisatorisch [von Bernd Lucke, Anm. d. Red.] formierten „Weckruf 2015" zu positionieren."

Man könnte das gesamte Blatt nach solcherlei Widersprüchen, wenn nicht gar Unwahrheiten, auseinandernehmen. Weitere Themen sind das „Euro-Rettungs-Desaster", die „geschlechtergerechte Sprachverhunzung" und „Frühsexualisierung? Nein danke!" Dort heißt es unter anderem:

„Baden-Württemberg hat sich im „Bildungsplan 2015" (sic) von den Lobbyverbänden die ‚Akzeptanz sexueller Vielfalt' als durchgängiges Leitthema für alle Schulen in die Feder diktieren lassen. ‚Akzeptanz' heißt ‚Gut-finden-Müssen' und hat mit geistigem Zwang zu tun."

Man traut sich kaum, dies zu kommentieren. Es gibt kein Leitthema. Und wer sind Lobbyverbände? Und wie kann man auf diese wirre Definition von Akzeptanz kommen? Ich denke, die Argumentation ist deutlich.

Wäre diese „Zeitung" als politisches Blatt der AfD deutlich gekennzeichnet, wäre es nicht ganz so schlimm. Immerhin könnte so auch die Verantwortung deutlich werden. Da es sich aber prinzipiell um eine Privatinitiative handelt, ist dies nicht so einfach. Die Propaganda wird unter dem Deckmantel von Fakten, herausgerissenen Zitaten und angeblich sicheren Zahlen versteckt.

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An Unredlichkeit kaum zu überbieten, sind die „Karikaturen", die hier für sich sprechen. Die Stereotypen, die hier ausgegraben werden, sind nah an Bildern, die man aus dem Geschichtsbuch bei der antisemitischen Propaganda über die Juden kennt. Da fragt der dreckige, krummnasige Syrer, der seine Frau zurückgelassen hat, einen dumm dreinschauenden Polizisten nach dem Weg nach Köln.

Und ein mit Goldkette behangener „Ali" mit Militärhose und Dynamitstangen an der Seite operiert Angela Merkel, während er in sein Mobiltelefon spricht. Mehr Andeutungen zu rechten Klischees, die klare geschichtliche Wurzeln haben, sind kaum in eine Karikatur zu stecken. Aber es ist zu hoffen, dass genügend Menschen den manipulativen Charakter dieses Blattes erkennen und ihre Schlussfolgerungen daraus ziehen.

Bob Blume ist Gymnasiallehrer an einer Schule in Baden-Württemberg. Man kann ihm auf Twitter unter @legereaude folgen oder seinen Blog unter www.bobblume.de besuchen.