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Kultur

Als ein Hitler-Double bei uns Juden den Schornstein fegte

"Seine Vokuhila-Haarpracht erweckte den Anschein, als hätte ein depressiver Biber ausgerechnet auf seinem Kopf Suizid begangen."

Dorfnazi Lutz Battke | Foto: imago | Steffen Schellhorn

_Mit 14 Jahren verließ Shahak Shapira _gemeinsam mit seiner Mutter und seinem jüngerem Bruder_ Israel und landete in einer gottverlassenen NPD-Hochburg in Sachsen-Anhalt. 2015 wurde Shahak für 2,5 Minuten bekannt, nachdem er in der Berliner U-Bahn antisemitische Gesänge filmte und dafür von einer Horde junger Männer angegriffen wurde. Ein Mediengewitter war die Folge, PEGIDA solidarisierte sich, aus Israel kam die Empfehlung, in die Heimat zurückzukehren. Dann bot ihm ein skrupelloser Verlag an, für lächerlich viel Geld ein Buch zu schreiben. Er stimmte aus purer … ähm … "Leidenschaft" … zu. Nun schreibt er über seine Jugend als einziger Jude im tiefsten Sachsen-Anhalt und über seine Familie. Seine Botschaft: Jeder entscheidet selbst, ob er ein rassistisches Arschloch ist oder nicht._

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_Dies ist ein Auszug aus dem Kapitel "50 Shades of Braun" aus Shahaks Buch DAS WIRD MAN JA WOHL NOCH SCHREIBEN DÜRFEN!_

Wer am 20. April am Haus Nummer 14 der Oberen Hauptstraße in Laucha vorbeiläuft, der erlebt ein interessantes Spektakel. Pünktlich zum Geburtstag von Adolf Hitler hängt eine schwarz-weiß-rote Flagge aus dem Fenster eines zweigeschossigen Hauses. Auf der Fensterkante steht eine kleine Führerstatue, und lauter Neonazi-Rock tönt aus der Wohnung. Lutz Battke wirkt wie eine erfundene Figur, so peinlich genau, wie er dem Klischee eines Neonazis entspricht.

Ein Mann in seinen frühen 50ern, dessen braune Vokuhila-Haarpracht den Anschein erweckt, als hätte ein depressiver Biber ausgerechnet auf seinem Kopf Suizid begangen. Am Hinterkopf geht es dagegen umso kahler zu: Business in the front, party in the back. Von Battkes dünner Brille hängt eine schwarze Kordel herab, die in den Falten seines Halses verschwindet. Die absolute Glanznummer dieser äußerst gelungenen Selbstinszenierung prangt allerdings direkt über den hygienescheuen Zähnen: ein kleines, aber feines Hitler-Bärtchen.

Schon der Vater ist Gründungsmitglied des NPD-Landesverbandes Sachsen-Anhalt gewesen. Der gute Lutz selbst hat es ironischerweise nicht in die äußerst selektive Elite der NPD geschafft: Zwar bekommt er stets die unwahrscheinlich wertvolle Unterstützung seiner Kameraden, doch in Lauchas Stadtrat und im Kreistag sitzen er und seine Mantafahrer-Vokuhila parteilos rum. Kann man etwa selbst für die NPD zu braun sein? Unwahrscheinlich.

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Als wir damals in Laucha ankommen, ist Lutz noch Bezirksschornsteinfegermeister. Diese elegante Wortkreation beschreibt ein öffentliches Amt: Alle Gebäude mit Schornsteinen und Feuerungsanlagen unterliegen nämlich einem Kehrzwang. Kehrarbeiten dürfen nur vom Bezirksschorndingsbums ausgeführt werden. Das heißt also, dass allein der öffentlich bestellte Fegermeister, Kamerad Battke in unserem Fall, in jedem Haus in Laucha antanzen darf, um nach den Kaminen zu schauen. Sogar in dem Haus, wo die drei Juden sich einquartiert haben, denn auch Juden brauchen Öfen und Kamine. Damit ihnen nicht kalt wird. Natürlich.

Und so kam es, dass meine Mutter, eine Jüdin, die in Israel zu den Holocaust-Geschichten ihres Vaters aufgewachsen ist, einem Mann Zutritt zu ihrem Haus gewähren musste, der allem Anschein nach nichts gegen die Ermordung ihrer Familie hat. Jahrelang konnte sie nichts dagegen unternehmen, Vorschrift ist Vorschrift. Erst nach einem unendlich mühsamen Kampf mit den Behörden wurde das Kehrmonopol in unserem Fall ausnahmsweise aufgehoben, und ein anderer Schornsteinfeger kam, ohne Hitler-Bart.

Ich persönlich komme mit Lutz Battke aber durch das Fußballspielen in Berührung. Zusammen mit Lauchas amtierendem Bürgermeister, Michael Bilstein, ist der Schornsteinfeger einer der Gründer des örtlichen Fußballvereins, dem BSC 99 Laucha. BSC steht für Ballspielclub, 99 für das Jahr. Vielleicht aber nur, weil 88 schon vergeben war. Das weiß man nicht so genau, aber die Ungewissheit hat einen geheimnisvollen Touch. Der Fußballverein ist in Laucha unvorstellbar wichtig.

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Jeden Sonntag fiebert der ganze Ort bei den Spielen mit. Die Kneipe im Vereinsheim fungiert als beliebter Treffpunkt feiner Geister, Siege werden am Rathaus gefeiert. Und die Feindschaft zum Verein des Nachbarkaffs Freyburg, Heimat von Rotkäppchen-Sekt und allerhand gescheiterten Existenzen, wird fast genauso sorgfältig gepflegt wie von manchen Ureinwohnern der Judenhass.

Wenn ein Derby mal seinen Höhepunkt erreicht und die Zuschauer ihren Tiefpunkt, werden hier die Spieler der Gegnermannschaft gern mal als Juden bezeichnet. Eigentlich ein tolles Kompliment, doch komischerweise hat sich noch nie ein Spieler dafür bedankt. Sie scheinen es sogar für eine Beleidigung zu halten.

Sogar politisch gesehen hat der BSC 99 Relevanz. In Kleinstädten können auch Sportfunktionäre für den Stadtrat kandidieren, und so sitzt Bürgermeister Bilstein auch als Vizepräsident des BSC im Rat. Während Bilstein mit den alten, weisen Denkern des hohen Rates Schicksalsentscheidungen über die Höhe der Verkehrsschilder in einspurigen Seitenstraßen trifft, kümmert sich Battke derweil um den Nachwuchs. Er trainiert die F-Jugend: Das sind in der Regel Kinder im Alter von sieben bis acht Jahren—die Zukunft unseres Landes, von der Zukunft der Zukunftslosigkeit trainiert. Doch Lutz wollte aufs Ganze gehen, also versuchte er im Jahre 2010, selbst Stadtoberhaupt zu werden.

Dabei sicherte er sich nicht zu missachtende 24 Prozent der Stimmen. Dennoch blieb die Sensation aus und Bilstein im Amt.

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Demo in Laucha gegen die Absetzung von Jugendfußballtrainer Lutz Battke wegen seiner NPD-Tätigkeiten | Foto: imago | Steffen Schellhorn

Und wie so oft bei Rechtsextremen spielt auch in Battkes ambitioniertem politischen Programm die Höchststrafe für Kinderschänder eine große Rolle. Die Verfolgung von Sexualstraftätern ist neben "Ein Herz für Tiere" und "Kein Herz für Ausländer" das beliebteste Engagement unter Neonazis: Kaum ist das Kind fertig missbraucht, schon kommt ein Neonazi blitzkriegschnell daher und fordert die Todesstrafe.

Für den Rest ihres Lebens beschädigte Kinder sind eine einfache Methode, sich die klare Zustimmung der empörten Mehrheitsgesellschaft zu holen, selbst wenn man mit Sternburg-Flasche und Springerstiefeln um elf morgens vor dem Lidl-Parkplatz schnell ein bisschen unbürgerlich besoffen klingt. Dieses Ziel findet sich daher im Wahlprogramm jeder rechten Partei, es ist ein Teil der "Normalisierungsstrategie". Kinderschänder-Songs von Neonazi-Bands sind wie Weihnachtssongs von poppigen Boy-Bands—jede hat mindestens einen davon im Portfolio.

Dabei geht es natürlich nicht um die Opfer selbst oder darum, wie ihnen geholfen werden könnte, sondern um härteste Strafen für aus der Volksgemeinschaft Auszusondernde. Denn am liebsten redet man von ausländischen Tätern und von deutschen Kindern. Immigrantenkinder kommen bei der NPD höchstens als "Klaukinder" vor. Im Übrigen muss man nur mal "NPD Kindesmissbrauch" googeln, um festzustellen, dass bei dem Thema zwischen Theorie und Praxis eine gewisse Spannung existiert. Es ist jedenfalls etwas ironisch, wenn der leidenschaftliche Einsatz gegen Kinderschänder ausgerechnet von einem Neonazi kommt, der Kinder im zarten Alter unter seinem Einfluss hat; aber vielleicht habe ich eine etwas andere Definition von Kindesmissbrauch.

Im Verein wird Battke für sein Engagement hoch geschätzt, er gilt als einer der besten Trainer. Auf seiner selbstverständlich braun lackierten Schwalbe steht auch ganz groß: "Ein Herz für Kinder". Direkt neben ein paar anderen emotionalen Sticker-Highlights wie "Ein Herz für Deutschland" und "Unsere Soldaten sind keine Verbrecher. Die beste Truppe der Welt". Braunes Moped, braune Ansichten, braune Zähne—Battkes konsistentes Branding durch allen Lebenslagen ist schon fast zu bewundern. Als wäre er eine fiktive Persönlichkeit, die der wilden Phantasie der Kreativ-Abteilung einer Marketingagentur entstammt. Oder ist das in Wirklichkeit Günter Wallraff? Herr Wallraff, sind Sie Lutz Battke? Hören Sie bitte auf damit. Enthüllungsjournalismus ist tot, wir haben jetzt alle Twitter.

Autos darf der Führer der F-Jugend im öffentlichen Straßenverkehr nicht führen, daher bleibt ihm die olle Ostgurke als einziges motorisiertes Fortbewegungsmittel, um seine Truppen zu mobilisieren. Hitler, Stalin, Gaddafi … was hatte die Demokratie schon für Feinde! Furchterregende Tyrannen, die Menschenmassen in Bewegung setzten, mit eiserner Faust und einem Pkw-Führerschein der Klasse B. Herrscherfiguren, die die ganze Welt terrorisierten, mit einem Tausendjährigen Reich, mit Roten Armeen und schwarzen Uniformen. Jedes Zucken ihres Fingers konnte für Millionen den Tod bedeuten. Und was haben wir nun? Kim Jong-un, der gerne mal mit dem Gangnam-Style-Typen verwechselt wird, und eine grinsende Klobürste, die auf einem braunen Moped mit die Schallmauer durchbrechenden 50 km/h durch Sachsen-Anhalt tuckert.

Der arische Traum ist schneller in den Tod gerast als Jörg Haider.

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