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Angela Merkels Instagram-Account wird von russischen Nationalisten überlaufen

Statt um #foodporn und dem #outfitoftheday geht es auf dem Profil unserer Bundeskanzlerin um die Ukraine-Krise, Nazi-Vergleiche und Gerhard Schröder.

EPP Dublin Congress, 2014 via photopin(license)

Auch wenn uns die Medienwelt aktuell etwas anderes weismachen will: Kim Kardashian ist nicht die mächtigste Frau der Welt. Das ist nämlich Angela Merkel. Was der amerikanische Reality-TV-Star unserer Kanzlerin allerdings voraus hat, ist der Titel der ungekrönten Selfie-Königin. Eine Tatsache, die Angie so natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte. Mutig betraten sie (oder ihr Presseteam) deswegen #Neuland und brachten jetzt ihren ersten und offiziellen Instagram-Account an den Start. Unter dem Pseudonym „bundeskanzlerin" gibt es ab jetzt „Einblicke in die politische Arbeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel durch das Objektiv der offiziellen Fotografen der Bundesregierung." Toll, oder?

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Das klingt natürlich ein bisschen weniger sexy als das, was die einschlägigen Instagram-Models sonst so in ihre Profil-Biografien packen und auch selfiemäßig geht bei der Kanzlerin bisher nicht so richtig viel. Keine Schmollmundpics von schräg oben? Wo bleibt das #outfitoftheday? Und warum dürfen wir nicht erfahren, was unsere politische Führerin gefrühstückt hat? Trotz bereits beeindruckenden 46 Bildern (manche davon sogar in schwarz weiß und mit Retro-Rahmen!) kann der Fotoblogger-Start von Angela Merkel als durchaus enttäuschend gewertet werden.

Tatsächlich sind es die Kommentare unter den Fotos der Kanzlerin (gehend, stehend, gestikulierend, aber immer adrett gekleidet), die wirklich interessant sind. Neben etwas aus dem Kontext gerissen wirkender Deutschtümelei („Deutschland an die Macht! Gewinnen auch beim Fußball, Deutschland Deutschland wir stehen auf eurer Seite, mit dem Herz in der Hand und der leidenschaft im Bein werden wir Weltmeister sein!!!") und dumpfen Beleidigungen („Du hure", „2 hours a couple of your photos and you are obliged to do the plastic surgery to escape disgrace") fällt dabei vor allem eine Sache auf: Der Großteil der Kommentare ist auf Russisch.

Die Ukraine-Krise erregt nach wie vor die russischen Gemüter—und die guten Patrioten haben mit Merkels frisch ins Leben gerufenem Instagram-Profil scheinbar endlich das optimale Ventil für ihre politischen Kampfparolen gefunden. Unter einem Foto, auf dem die deutsche Bundeskanzlerin in gelbem Jackett mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zu sehen ist, kommentiert der User vavdev: „Poroschenko, Mörder von Kindern, Frauen und älteren Menschen! In der Hölle soll er brennen, genauso wie alle, die ihn unterstützen". Der User „cyrussellen" denkt etwas weniger biblisch und kündigt im Gegenzug an, Russland in die Luft jagen zu wollen, worauf hin er als „Ukrob" (Wortspiel aus den russischen Begriffen für „Ukrainer" und „Dill", das abfällig für die Bevölkerung der Ukraine verwendet wird) bezeichnet wird

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Screenshot: Instagram

Interessant ist auch ein Kommentar von Gluharev, der feststellt, die Krim müsse der Ukraine ebenso zurückgegeben werden wie Deutschland der Tschechoslowakei das Sudetenland zurückgab. Ukrainische und russische Positionen liefern sich also einen munteren Schlagabtausch—und spätestens jetzt dürfte es bei den Social-Media-Verantwortlichen der Bundesregierung zu ersten hektischen Diskussionen darüber kommen, ob das mit den fotografischen Einblicken in das Leben von Angie wirklich so eine gute Idee war.

Interessant ist auch, was für User es sich zur Aufgabe gemacht haben, derart verbissen die Fotos der deutschen Kanzlerin zu kommentieren—und sich nicht einmal davon entmutigen lassen, dass große Teile von Angela Merkels Instagram-Followern des Russischen nicht mächtig sein dürften. 4isan4i, ein User, der eine Katze im Leoprintmuster besitzt und sich mit Wohlstandswampe am Strand ablichten lässt, fragt: „Warum habt ihr euch den USA verkauft? Früher war Deutschland ein starkes Land, heute nur noch der Knecht derer, die Territorien unrechtsmäßig eingenommen haben (USA)". Unter anderen Fotos kommentiert der selbige Nutzer sehr geistreich: „Ehre den sowjetischen Soldaten" oder „1941-1945". Und der User bezprozh stimmt ein Ständchen an: „Die Russen ergeben sich nicht, die Russen besiegen, doch die Russen ergeben sich nicht. Und wer anderes behauptet, wird entfernt, doch wir ergeben uns nicht". Partisanenlieder-Revival anno 2015.

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Screenshot: Instagram

Ebenso kann sich die Kanzlerin nicht über den Mangel an gut gemeinten Ratschlägen beklagen. „Angela, kommen Sie zusammen mit dem französischen Brillenträger nach Pjatigorsk, um sich zu erholen!!! Ich verspreche Ihnen ein unglaubliches Erlebnis!!!", lädt der User inalexander_ frivol ins heimische Rekreationszentrum, in dem Satzzeichen anscheinend immer noch Herdentieren gleichen. Und der User mrdzhin ist vom „eleganten Doppelkinn erfreut". Eine stumpfe Beleidigung? Nicht doch. Schließlich schlägt er direkt noch vor, „in diesem Zusammenhang Wladimir Putin zu konsultieren". Er sei zwei Jahre älter und könne in solchen Angelegenheiten „segenbringenden" Rat geben. Es kann nur vermutet werden, wie lückenlos Merkel von ihrem Betreuerstab über das Feedback zu ihrer jugendaffinnen Image-Kampagne aufgeklärt. „Russische Instagram-User glauben, dass Sie sich mal mit Putin über Ihr Doppelkinn unterhalten sollten" ist wahrscheinlich ein Satz, den niemand gerne zur regierenden deutschen Bundeskanzlerin in sagen möchte.

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Die Flut der heimattreuen Russlandfanatiker wird natürlich auch von anmutender Nostalgie und dem Zurücksehnen nach alten Tagen begleitet. ikozz fordert: „Geben Sie uns Schröder zurück! Erlauben Sie Gerhard, wieder zu arbeiten". Zum Einen scheint der User das Prinzip von Demokratie nicht verstanden zu haben. Zum anderen dürfte bei diesem Wunsch auch Schröders Rolle als Teil des Gazprom-Vorstands, immerhin Russlands größter Arbeitgeber, keine unbedeutende Rolle spielen.

Eigentlich ein bisschen bitter. Da wollte die Bundesregierung die eiserne Kanzlerin für die Massen etwas nahbarer machen, und dann vertun sie nicht nur die Chance, mit ordentlich Hashtags und so noch nicht gesehenen Fotos für einen tatsächlichen Blicken hinter die Kulissen zu sorgen. Nein, da wird das große Sympathie-Projekt plötzlich zum unmoderierten Kampfplatz russischer Nationalisten, die mit ordentlich Smileys ihre Liebe zum Vaterland beweisen wollen.

Irgendwo da draußen dürfte ein Social-Media-Manager gerade ziemlich feuchte Hände bekommen.

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