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In Deutschland wurden in einem Gesundheitsamt eingemauerte Nazi-Akten gefunden

Auf zehn Regalmetern fanden sie Akten zum Ausgrenzungs- und Vernichtungsprogramm der Nazis. Darunter 2.300 Namen von Menschen, die zwangssterilisiert werden sollten.

Foto: imago | Gerhard Leber

Hitlers Vision von der arischen Herrenrasse fielen nicht nur Juden zum Opfer und jene, in deren Länder die Wehrmacht einmaschierte. Die Nazis töteten auch jene Deutschen, die sie als "unwertes Lebens" beurteilten. Mordprogramme wie die Aktion T4 sollten zur "Rassenhygiene" und Stärkung des deutschen Volkes beitragen—Ziel: der Arier als Supermensch. Da war weder Platz für Juden noch für Schwule oder Behinderte.

Die Theorie wurde zur Praxis; es entstanden sogenannte Abteilungen für "Erb- und Rassenpflege"—ab 1933/34 hatte jedes Gesundheitsamt im Dritten Reich eine solche Dienststelle. Nun haben Bauarbeiter bei Sanierungsarbeiten des ehemaligen Gesundheitsamtes in der ostdeutschen Stadt Erfurt ganze Aktenberge einer solchen Abteilung gefunden. Auf zehn Regalmetern entdeckten sie in einem eingemauerten Hohlraum Karteikarten und Ordner, die neue Erkenntnisse zum Ausgrenzungs- und Vernichtungsprogramm der Nazis liefern, bestätigte die Stadtarchivs-Direktorin Antje Bauer am Dienstag. Die Karteien beinhalten rund 2.300 Namen von Menschen, die zur Sterilisation vorgesehen waren.

Das System, nach dem die Erfurter Nazis den "Volkskörper zu reinigen" versuchten, erklärt Bauer wie folgt: Eine rote Büroklammer galt für angeborenen Schwachsinn, eine gelbe für Schizophrenie, rosa für Blindheit, braun für Taubheit. Diese und noch vier weitere Reiter dienten dem Erfurter Gesundheitsamt, um Erbkrankheiten sowie schweren Alkoholismus bei seinen Bürgern zu dokumentieren. Nach der Aktenaufnahme wurde von Fall zu Fall entschieden, ob die betreffende Person sterilisiert werden sollte.1934 trat das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" in Kraft. Schätzungen zufolge wurden mehr als eine halbe Million Menschen Opfer von Zwangssterilisation. In Mein Kampf brachte Hitler seine Absichten auf den Punkt: "Er [der völkische Staat] muß dafür Sorge tragen, dass nur wer gesund ist, Kinder zeugt, dass es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen […]."

Interessanterweise sind unter den Erfurter Akten auch Dokumente aus den 1950er Jahren aufgetaucht, was bedeutet, dass irgendjemand das Versteck nach dem Krieg dort angelegt haben muss oder zumindest davon wusste. Sofort als die Bauarbeiter die Entdeckung machten, stellten sie die Arbeit ein; nun wird untersucht, wer die Akten in der Behörde versteckt haben kann—und warum.