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Bei Rewe lernst du, warum du stolz sein kannst, Deutscher zu sein

Rewe hat sich ein neues Stickeralbum ausgedacht: Es heißt „Unser Deutschland“ und verspricht eine „Liebeserklärung in 180 Stickern“. In der Erwartung, ein Patriotismus-Kompendium für den NSU-Nachwuchs zu finden, haben wir es mal getestet.

Eigentlich ist Rewe ja mein Lieblingssupermarkt. Rewe ist eine der wenigen Ketten, die ihre Mitarbeiter relativ anständig zu bezahlen scheinen. Das habe ich zumindest im Gefühl, weil ich noch nie gesehen habe, wie Rewe-Kassiererinnen nach der Schicht noch eine Runde Pfand sammeln gegangen sind. Kurz: Ein Ort der guten Laune, im Rahmen des Möglichen.

Seit letzter Woche hat sich das allerdings geändert: Neuerdings steht in jeder Filiale ein Aktionsstand mit vielen Deutschlandfähnchen und dem Slogan: „Schwarz. Rot. Toll!“ Unverständnis auf meiner Seite: Haben wir nicht derzeit ein ungerades Jahr ohne Fußball-WM oder -EM? Sind wir etwa auch in ungeraden Jahren nicht mehr geschützt vor Chipstüten und Klopapierpackungen in Schwarzrotgold? Anscheinend. Denn Rewe hat sich ein neues Stickeralbum ausgedacht (1,99 Euro kostet das Album und ist bei Rewe, Penny und Nahkauf zu haben): Es heißt „Unser Deutschland“ und verspricht eine „Liebeserklärung in 180 Stickern“.

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Mir fällt vor Schreck fast der Bio-Hummus-Becher aus der Hand. Ein Deutschland-Sammelalbum? So mit Mannschaften wie bei Panini-Alben, nach Jahrhunderten geordnet? Ich stelle mir schon die Tausch-Battles auf deutschen Pausenhöfen vor: „Göring hab ich schon dreimal! Aber Speer fehlt mir noch.“ – „Hab ich doppelt. Wie sieht’s bei dir mit Frankenkönigen aus? Pippin den Älteren hab ich, Pippin den Jüngeren hab ich, nur Pippin der Mittlere fehlt noch.“ In der Erwartung, ein Patriotismuskompendium für den NSU-Nachwuchs zu finden, schlage ich das Ansichtsexemplar auf: Als Erstes sticht mir Konrad Adenauer ins Auge, neben ihm eine Bockwurst mit einem Gesicht, das nach grob unkluger Speed-Dosierung aussieht. Ich lese: „Als es im Ersten Weltkrieg wenig Lebensmittel gab, entwickelte der Kölner kurzerhand ein kräftiges Brot und eine fleischlose Sojawurst.“ Unser erster Kanzler ist in Rewes Geschichtsschreibung also ein Pionier veganer Ernährung.

Noch besser wird es beim Buchstaben B: Ich sehe Papst Benedikt XVI., wie er bei Redaktionsschluss noch hieß, und neben ihm ein Bobby-Car. Also dieses schicksalsträchtige Bobby-Car, über das Christian Wulff im Schloss Bellevue sozusagen gestolpert ist, weil er eines als Geschenk für seinen Sohn angenommen hat. Darunter Johannes Gutenberg, wegen B wie Buchdruck. Karl-Theodor zu Guttenberg (B wie Beschiss) fehlt auf dieser Seite, die viel mit Rücktritten zu tun hat, leider. Die deutsche Geschichte fehlt ebenso weitgehend. Über das Reichstagsgebäude erfährt man nur, dass es „bei einem Brand im Jahr 1933“ zu weiten Teilen zerstört wurde.

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„So macht Deutschland Spaß!“ steht auf der Werbetafel für die Aktion. So viele dämliche Sprüche auf einmal habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich bin deshalb völlig aus dem Häuschen, stürme mit einem Album zur Kasse und stopfe mir die Taschen mit Stickerpackungen voll.

Zuhause reiße ich erstmal alle auf. Auch wenn ich manche viermal habe und andere überhaupt nicht: Mit jedem Gartenzwerg, mit jeder Semperoper, mit jedem Boris Becker steigt der Adrenalinspiegel, analog zum Grad der Beknacktheit. Als die ersten Glitzer-Sticker zum Vorschein kommen, muss ich in den Augen statt Pupillen zwei Bundesadler haben. Beethoven, Neuschwanstein, Steffi Graf und ein Schäferhund mit schwarz-rot-gold-funkelndem Hintergrund? Schwarz, rot, ROFL!

Wer denkt sich so etwas Behämmertes, aber irgendwie ja auch wunderbar Krankes aus? Im Impressum ist von der Firma Comma Merchandise die Rede, in ihrem Portfolio stehen so fantastische Produkte wie „Die süßesten Tierbabies – Quartettspiel“, „Hello Kitty Freundebuch“ oder „Tokio Hotel – offizielles Postermagazin 2007“. Und dann steht da der Satz: „Unter keinen Umständen sind die Comma Merchandise GmbH, die REWE Markt GmbH (…) aufgrund der Verwendung von Informationen im Album für direkte, indirekte oder daraus folgende Schäden haftbar zu machen.“ Im Klartext: Wenn Kinder nach diesem teutonischen Gruselkabinett psychische Schäden davontragen, ist kein Schmerzensgeld zu erwarten.

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Im Eifer des Gefechts verwechsle ich Steffi Graf mit einem Hannoveraner. Auf diesem Sticker steht "Pferdezucht". Ob es sich dabei um eine subtile Werbeaktion für Rewe-Pferdefleisch-Lasagne handelt, bleibt unklar.

Ich fasse zusammen: Die Marketing-Abteilung von Rewe muss mit der Zeit völlig irre geworden sein. Es hieß ja vor einiger Zeit, dass Alt-Außenminister Joschka Fischer eine Öko-Strategie für das Unternehmen entwickeln sollte. Die muss spätestens vor ein paar Monaten in Zynismus geendet sein: Mir wurden damals an der Kasse Sticker für ein Umweltschutz-Album („Unsere Erde“) angeboten. Mit dem Deutschland-Album aber hat Rewe eine neue Stufe des germanischen Größenwahns erreicht. Hoffentlich werden Hausmeister viele funkelnde Schäferhunde und Steffi Grafs von deutschen Schulbänken kratzen müssen—Mahnmale für die bescheuerte Aktion „Unser Deutschland“.

Kommentare auf der Rewe-Facebookseite