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Beirut und der Kampf für das Recht zu Feiern

Wir haben mit einem Veranstalter darüber gesprochen, wie es ist, Partys wegen Selbstmordattentaten absagen zu müssen.

Die blühende Partyszene in Beirut lässt sich vom politischen Klima nicht beeinträchtigen. Nachtclubs auf Dachterrassen schmücken die Mittelmeerküste, Künstlerviertel ziehen Touristen und einheimische Künstler an und in den Bars kann man mit Kokain und Alkohol die Nacht durchmachen—alles mit der Hisbollah um die Ecke. Malerischer wird es nicht.

Das Nebeneinander von politischen Spannungen und ausschweifendem Nachtleben ist nicht der einzige Interessenkonflikt im Libanon. Das Land von der Größe New Jerseys ist religiös so vielfältig wie kaum ein anderes im Nahen Osten. 18 verschiedene religiöse Sekten sind hier vertreten und da sind die verschiedenen politischen Ideologien, die mit ihnen einhergehen, nicht einmal mit eingerechnet. Aber nichts hat dem Bürgerkrieg, dem Einmarsch ausländischer Truppen, 800.000 Flüchtlingen und den nicht enden wollenden, gezielten Bombenanschlägen so gut stand gehalten wie Beiruts Clubszene.

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Die Gleichgültigkeit Beiruts gegenüber der vorherrschenden Gewalt ist keine Apathie. Die Partygänger sind sich des politischen Chaos nur allzu bewusst, suchen aber innerhalb der Landesgrenzen nach einer Alternative. In dieser Hinsicht ist das Nachtleben eine Art des Aufbegehrens. Doch der Zustrom syrischer Flüchtlinge und die sich ausbreitende Bedrohung durch den Islamischen Staat haben dazu geführt, dass die Tourismusindustrie in diesem Jahr um ganze 40 Prozent geschrumpft ist. Hotels und Fluglinien beklagen einen Umsatzverlust von 60 Prozent. Vielen scheint es, als sei die Zeit des ausgelassenen Feierns vorbei, nicht aber Yousef Harati.

Harati ist kein Unbekannter im Beiruter Nachtleben. Er steht hinter Behind the Green Door, L'Epicery, Decks on the Beach und einigen anderen Pop-up-Veranstaltungsorten und Strandclubs. Für ihn steht außer Zweifel, dass das Beiruter Nachtleben die prekäre Sicherheitslage übersteht—das Nachtleben ist schließlich das einzige Ventil, das die kriegsmüde Bevölkerung hat. Die durchgemachten Nächte sind kein Nihilismus, sie sind eine Notwendigkeit. Wir haben mit Yousef Harati darüber gesprochen, wie sich die abnehmenden Touristenzahlen auf die Beiruter Clubszene auswirken, wann man Partys wegen Selbstmordanschlägen absagen muss und weshalb es nicht so oberflächlich ist, wie es scheint, wenn man das Nachtleben in einer so turbulenten Stadt in Ehren hält.

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VICE: Wie ist Beirut so hedonistisch geworden?
Yousef Harati: Wir feiern so ausgelassen, weil die Hisbollah um die Ecke sitzt. Die Angst und die Frustration, die sich daraus speisen, dass wir nicht wissen, was morgen sein wird, treibt uns an. In anderen Ländern gehen die Menschen zu Seelenklempnern oder machen Joga. Wir versuchen damit klarzukommen, indem wir trotz der Bombenanschläge feiern. Daraus ist so eine surreale Energie entstanden.

Wenn alles gut läuft und es eine ganze Weile keine Anschläge gab, sind alle gut drauf. Aber wenn Mittwoch eine Bombe hochgeht, planen wir trotzdem eine Party für Freitag, weil wir uns schon daran gewöhnt haben. Vielleicht kommen dann weniger Leute, aber diejenigen, die kommen, sind da, weil sie die Party bitter nötig haben. Es gibt auch Leute, die ausgehen, wenn am selben Abend ein Attentat verübt worden ist. Mehr Beirut geht nicht. Manchmal ist das der einzige Ausweg.

Wann ist dir klar geworden, dass die Menschen so ein Ventil brauchen?
Vor ungefähr sechs Jahren haben ein paar Freunde und ich bei einem Hotel angefragt, ob wir die Lobby für eine Pop-up-Party nutzen könnten. Wir hatten 60 Leute eingeladen, es kamen 300. Drei Monate lang haben wir dort regelmäßig Partys veranstaltet, aber irgendwann mussten sie uns rausschmeißen. Ich glaube, wir haben mit den komischen Kostümen, den Latex-Outfits und der Sauferei die Gäste verschreckt.

Aber da wurde mir klar, dass es eine Community in Beirut gibt, die etwas anderes braucht. Deshalb habe ich Behind the Green Door aufgemacht. Der Name leitet sich von einem Kultpornofilm aus dem Jahr 1972 ab. Er weckt Assoziationen an die Farbe Rot, an Samt und an Boudoirs. Den Porno-Bezug haben nur wenige verstanden, deshalb sind wir damit auch durchgekommen.

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Ich glaube, die Menschen haben sich anfangs allen möglichen Gelüsten hingegeben, weil es so gut wie kein kulturelles Leben gab. Es gibt viele weltgewandte, intelligente Menschen in Beirut und es gab einfach nicht genug Theater, Musik oder andere kulturelle Ventile. Die beste Option war dann eben, sich abzuschießen. Jetzt gibt es zahlreiche kulturelle Angebote und künstlerisches Leben, aber das Nachtleben ist immer noch ein großer Teil der Beiruter Tradition.

Wie häufig kommt die Politik dir bei der Planung deiner Events in die Quere?
Häufig, aber wir sind die Herausforderung gewohnt. Ich wollte diesen Sommer ein Open-Air-Festival organisieren, mit Musik und Filmen. Am Abend der Festivaleröffnung gab es in einem nahe gelegenen Hotel einen Selbstmordanschlag. Der Rauch stieg hinter der Kinoleinwand hoch.

Es ist schwer, Angst zu beziffern. Ich kann den Menschen nicht einfach sagen, dass sie sich keine Sorgen um den Selbstmordattentäter machen und sich den Film ansehen sollen. Ich habe das Event abgesagt. Aber das ist ja das Schöne an Pop-up-Events. Sie sind die perfekte Art und Weise, um in einem politisch instabilen Land zu feiern.

Die Tourismusindustrie im Libanon beklagt in diesem Jahr Umsatzeinbußen von bis zu 60 Prozent. Wie wirkt sich das auf dich aus?
Wir können die Hotels günstiger mieten! Es gibt Vor- und Nachteile. Natürlich merken wir, dass weniger Touristen kommen, aber Teil unseres Erfolgs ist es, dass wir uns an das lokale Publikum wenden. Diese Menschen reisen viel und bekommen auch viel Besuch. Wenn die Politik nicht so ein Desaster wäre, wären wir exponentiell gewachsen. Stattdessen ziehen wir Leute an, denen alles egal ist.

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Letzte Woche waren The Rapture hier. Sie haben sich vor einer Weile aufgelöst, aber treten immer noch als DJs auf. Manchen Künstlern ist es zu gefährlich herzukommen, aber diejenigen, die herkommen, sind überrascht, wie viel Beirut zu bieten hat.

Ist euer Lifestyle aufgrund der politischen Aktivitäten in der Stadt in Gefahr?
Na ja, in Beirut bekommen wir nicht so viel davon mit. Die meisten Brennpunkte sind in Tripolis oder an der Grenze zu Syrien und Israel. In Beirut kommt es uns vor, als ob uns der ganze Wirbel nicht betreffen würde. Die Anschläge werden in der Regel gezielt verübt, sodass es keinen Anlass zu einer Massenpanik gibt. Die Hisbollah ist zwar hier, aber wir unterliegen nicht ihrer Rechtsprechung. In Beirut war man immer tolerant gegenüber verschiedenen politischen Vorstellungen. Wenn die Hisbollah das Sagen hätte, gäbe es überhaupt kein Nachtleben. Glücklicherweise haben sie aber nichts zu melden.

Stellt der Islamische Staat eine größere Bedrohung dar?
Das ist eine ganz andere Geschichte. Das Nachtleben wäre vorbei, so wie viele andere Dinge auch. Sie bedrohen unseren Alltag im Allgemeinen, aber ehrlich gesagt geben wir uns Mühe, das nicht zu schwer zu nehmen. Wir machen Witze, wir sagen: „Der IS wird nie herkommen; die hätten schnell die Nase voll vom Beiruter Verkehr." Niemand will akzeptieren, dass das passieren könnte, dass es real ist.

Berichten zufolge ist der IS eine reale Bedrohung. Immer mehr militante Kämpfer kommen in den Libanon.
Wir sprechen die ganze Zeit über diese Dinge, aber wir wissen nicht, was wir erwarten sollen. Die Menschen haben Angst vor dem IS, aber sie sind nicht bereit, kampflos aufzugeben. Bizarrerweise ist das eines der Dinge, das die Libanesen am meisten zusammenschweißt. Unser Land war so lange zersplittert, aber jetzt stehen Christen, Muslime, Drusen und Juden in ihrem Widerstand gegen den IS zusammen.

Aber jetzt im Moment, ist es da für Touristen sicher, nach Beirut zu kommen?
ich würde niemanden überreden, der Angst hat. Aber für uns ist das alles hier normal. Diese Dinge geschehen hier jeden Tag. Es schockiert mich, wie leicht wir vergessen, dass erst vor Kurzem ein Selbstmordattentat stattgefunden hat. Es ist manchmal wirklich unfassbar, aber wir dürfen nicht zulassen, dass diese Dinge uns lähmen. Wir müssen weiterleben und Freude am Leben haben.

Woran sollen die Menschen mit Beirut verbinden?
Ich kann ihre Meinung nicht ändern, aber ich würde mich freuen, wenn sie dieselben Erfahrungen machen würden, die mich an diese Stadt gebunden haben: eine gewissen Behaglichkeit im Chaos, das Fehlen von Bestimmungen, das das Leben irgendwie leichter macht. So verrückt es auch klingt: Es kann wohltuend sein, sich keine Gedanken über die ganzen Regeln und Bestimmungen der Industrienationen Gedanken machen zu müssen. Es wäre viel teurer, einen Club wie den unseren in New York zu betreiben. Lizenzen zu bekommen, wäre ein Alptraum und wir hätten auch nicht denselben Einfluss auf das Leben der Menschen wie hier.

Vielleicht hört sich das oberflächlich an, weil ich ja über das Nachtleben spreche, aber unser Lifestyle ist wichtig, weil er den Menschen ein Ventil gibt und etwas, worauf sie sich freuen können. Die Libanesen arbeiten hart. Es gab eine Zeit, in der es nichts gab, wofür man hätte hart arbeiten können. Die Menschen verließen das Land auf der Suche nach Spaß und Fröhlichkeit. Aber nicht jeder kann reisen. Wir bieten hier im Libanon Nachtleben, Spaß, Zeitvertreib. In vielerlei Hinsicht ist das einzigartig in der Region. Das in einem politisch stabilen Land anzubieten, wäre nicht halb so befriedigend.