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Das Ziel der Berlindemo: zielloser Krieg

Berlins Polizeidemo sah aus wie ein riesen Schlachtfest. Wir haben mitgemacht und den Aufruhr mal genauer angeschaut. Es gab viel Wut, aber keine konkreten Forderungen.

Letzte Woche waren wir bei der Hausdemo in der Lausitzer Straße in Berlin und haben dort gehört, dass es am Wochenende eine große Demo in Kreuzberg auf dem Mariannenplatz geben würde. Darüber konnte ich dann auch auf den Blogs der linken Szene und auf dem Twitterfeed unter @polizeikongres nachlesen. Aber bald wusste in Berlin eh schon jeder, dass da was passiert am Wochenende. So aggressiv wie das in der Lausitzer Straße zugegangen ist, war mir klar, am Samstag würde die Wut über die Zwangsräumung eine große Rolle spielen. Anlass für die Demo war aber der Europäische Polizeikongress, gegen den die linke Szene demonstrieren wollte. Am Dienstag und Mittwoch, wie jedes Jahr, trafen Polizisten, Geheimdienste, Sicherheitskräfte und Innenminister aus Europa zusammen, um unsere bessere Überwachung auf der Straße und im Internet zu planen. Mich interessiert, was die Demonstranten konkret fordern und ob das über „gegen die Bullen! Berlin muss brennen!” hinausgeht.

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Also sind wir am Samstag hin gefahren, um uns die Demo anzuschauen. Es waren so um die 700 Demonstranten aller linken Gruppen unterwegs. Ich konnte vor allem Linksautonome und Antifa identifizieren, der Rest war einfach schwarz angezogen. Die Demo war nicht angemeldet und irgendwie war die Stimmung von Anfang an aggressiv geladen, obwohl noch nicht viel passierte. Auf dem Platz standen erst nur vereinzelte Grüppchen herum.

Plötzlich fing der schwarze Block an zu marschieren und bald flogen die ersten Feuerwerkskörper und Bengalos. Zuschauer auf dem Bordstein wurden umgerannt und wir wichen an die Seiten aus. Einige Typen besprühten Häuser mit Graffiti. Die Stimmung war aufgeheizt, viele Demonstranten sprangen herum und es war infernalisch laut. Alles bewegte sich in Richtung Skalitzer Straße, wo der Mob und die Einsatzkräfte der Polizei aufeinander trafen.

Wir versuchten, uns über den Twitterfeed auf meinem Handy zu orientieren. Dort konnte ich lesen, wo die „Bullen” stehen und Sperrungen aufgebaut waren—wo alle Demonstranten also nicht hingehen werden. Wirklich hilfreich war das nicht. Der Pulk wurde regelrecht gejagt, einige waren nicht schnell genug und wurden von den Uniformierten eingekesselt. Schon nach einer halben Stunde machte sich Orientierungslosigkeit breit und die Polizei trieb die Menge auseinander.

Durch diese Taktik kann die Polizei die Menge wohl besser kontrollieren. Auch wir gerieten zwischen die Fronten. Die Polizeisoldaten schubsten ein bisschen, wir sollten weitergehen. „Wohin, ihr steht doch überall!” rief eine Frau etwas zu panisch direkt vor mir.

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Am Ende der Nacht standen unterm Strich mehrere verletzte Demoteilnehmer und 8 Polizisten. 25 Tatverdächtige wurden festgenommen, heißt es auf Twitter.

Aber was ist der Grund für den ganzen Aufruhr. Zwischen Steinewerfen und Vor-den-Bullen-abhauen schaffte ich es dann doch noch, ein paar Leute zu befragen: „Da geht es nur um Randale, voll drauf!”, rechtfertigte ein etwa 30-jähriger Junge stolz, der ganz in schwarz gekleidet ist und dem die Demo richtig gut gefällt.

Überzeugend klang das nicht, ich hatte das Gefühl, die Demonstranten haben irgendwie keinen Plan, für was genau sie da kämpfen. „Hier ist alles falsch gelaufen, da kommt keine Botschaft rüber”, bestätigte mir ein anderer Kerl meinen Verdacht, den ich kurz darauf in der Menge anquatschte. „Komplett kontraproduktiv”, sagte Selina, die dabei stand und die Randalen mit dem Schanzenfest 2012 vergleicht. Selina erzählte mir außerdem, dass sie mit 15 von zu Hause abgehauen war und seitdem von Stadt zu Stadt zieht und an Demos teilnimmt. Sie ist heute 17 und kennt sich deshalb aus mit Demos. Ein Ziel hatte sie selbst aber auch nicht, und meinte, dass sie morgen vielleicht schon wieder aus Berlin abhaut. Ihr schien auch alles eher scheißegal zu sein.

Im Internet kann ich nachlesen, was die Szene mit der illegalen Demo auf dem Mariannenplatz erreichen wollte, aber nicht jeder liest linke Blogs. Unbeteiligte Passanten, die in Kreuzberg ein Bier trinken oder Anwohner, die aus ihrem Fenster schauen, waren verwirrt und genervt von der rennenden Meute auf der einen und Wasserwerfern auf der anderen Seite. Mehrmals kamen Leute auf mich zu und wollten wissen: „Was soll das alles?” (keine Ahnung).

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Ein Typ mit Bart und schwarzem Hoodie neben mir sagte, dass er glaubt, dass es für die Antifa wichtig sei, sich selbst zu feiern: „Es geht denen darum, sich zu beweisen, dass man die Polizei verunsichern und richtig für Ärger sorgen kann. Dass man denen eins auf die Fresse geben kann.” Ein anderer ergänzte: „Viele, die mitgehen, wollen den Kick. Viele Kids sind auch dabei, denen geht es darum, eine fette Party zu feiern.” Auf Twitter lese ich später auch einige wütende Kommentare: „Glauben die, wenn man den eigenen Kiez zertrümmert, ändert man was? Sowas ist pubertäres Ausgetobe, kein politischer Protest”, schreibt da Ulli Z.

Auf den Blogs der Antifa-Szene steht es natürlich ganz anders. Was für mich wie ein Schlachtfeld aussah, findet die Szene gut und ist „begeistert von der offensiven Ausrichtung der Mobilisierung”.

„Thematisch hat die Demo am Samstag nichts gebracht, man hätte mehr Flyer verteilen können”, erzählte mir ein Demonstrant auf einer etwas zivilisierteren Demo gegen den Polizeikongress, drei Tage später auf dem Alexanderplatz. (Und was hätten die auf den Flyer drauf geschrieben?) Diese Demo war angemeldet, es gab sogar einen Info-Stand gegen Polizeigewalt. Am Samstag dagegen sprühte ein Demonstrant Schlangenlinien an Häuserwände.

Fotos von Grey Hutton