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Wir haben den Mitschnitt der strenggeheimen Aussage von Bradly Manning

Ist es nicht ironisch, dass die Aussage des größten Whistleblowers der Geschichte der US Army jetzt geleakt wurde?

Letzten Monat machte der US-amerikanische Soldat Bradley Manning vor einem Militärrichter in Fort Meade, Maryland, in den USA eine ausführliche Aussage. Es war erst das zweite Mal, dass Manning selbst in diesem heiklen Prozess sprach, bei dem ihm unter anderem „Kollaboration mit dem Feind” vorgeworfen wird, weil er vertrauliche Daten über den Irak-Krieg an WikiLeaks weitergegeben hatte. Dieses Mal waren neben mir so viele Medienvertreter da wie noch nie, seit dem 25-jährigen Gefreiten vor einem Jahr die Anklage eröffnet wurde. Sollte ich seine Aussage im Gerichtssaal aufnehmen und damit meine Karriere, meine Reputation und Ärger mit der US Army riskieren? Ich war eindeutig nicht der einzige Journalist an diesem Tag, dem diese Gedanken im Kopf herumschwirrten. Nun ist schließlich eine Aufnahme aufgetaucht, auf der Mannings Geständnis zu hören ist. Ins Internet gestellt hat sie eine anonyme Quelle.

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Was Manning getan hat, reicht weit über diese Aussage hinaus. In der einstündigen Sitzung hat Manning als Offizier des militärischen US-Geheimdienstes zum ersten Mal zugegeben, dass er wirklich für das größte Informationsleck in der Geschichte der Vereinigten Staaten verantwortlich ist. Und es stimmt auch, dass er die Whistleblower-Website WikiLeaks mit geheimen Informationen versorgte und so sein Land in Bedrängnis gebracht hat—das Land, das er eigentlich beschützen sollte. Er war aber nicht der einzige Schuldige in dieser Affäre.

Manning hat geheime Kriegsberichte weitergegeben und Hunderte bis Tausende geschützte Dateien, wodurch einige der schlimmsten Kriegsverbrechen in Irak und Afghanistan ans Licht kamen. Das hat er nun gestanden und einige Dutzend Vertreter der Presse haben mit eigenen Ohren gehört, warum er das getan hat. Für viele Journalisten war Manning immer nur ein „Verdächtiger”, weil seine Schuld noch nicht bewiesen war. Mittlerweile sitzt er seit 1000 Tagen in Haft und endlich können wir ihm die Anerkennung geben für das, was er getan hat. Und das sollten wir auch.

Manning sagte aus, dass er Videomaterial weitergegeben hat, in dem irakische Zivilisten von Amerikanern getötet werden, weil er mit dieser Tat eine öffentliche Diskussion provozieren wollte. Die Nachrichten des amerikanischen Außenministeriums gab er weiter, um allen zu zeigen, wie sich die Vereinigten Staaten in der Welt die Hände schmutzig machen. Ich hörte dabei zum allerersten Mal seine Stimme und diesen Moment werde ich wohl nie vergessen.

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Für die Millionen oder sogar Milliarden von Menschen, die weltweit Interesse an Mannings Aussagen vor Gericht haben, hat die Stiftung „Freedom for the Press” die Aufnahmen davon nun veröffentlicht. Die Organisation gibt es zwar erst seit ein paar Wochen, aber sie hat schon viele tausend Euro an Spenden zusammengetragen, um damit Gruppen wie WikiLeaks und andere zu unterstützen. Das Ziel ist ganz im Sinne von Manning: Weltweite Transparenz zu ermöglichen, während der internationale Kampf gegen den freien Informationsaustausch in vollem Gange ist. Die Organisation, zu der auch Daniel Ellsberg gehört, der die Pentagon-Papiere öffentlich gemacht hat, hat nun das Audiomaterial veröffentlicht, das der Presse strengstens untersagt wurde, mitzuschneiden.

Nachdem ich mir diese Aufnahme angehört habe”, sagte Ellsberg diese Woche, „bin ich mir sicher, dass Bradley Manning der größte Whistleblower aller Zeiten ist.”

Vor der Anhörung in Fort Meade machte ich mir selber Gedanken darüber, was ich tun sollte. Sollte ich Mannings Aussage am 28. Februar insgeheim mitschneiden? Was sprach dafür, was dagegen? Welche Software könnte ich unbemerkt mitlaufen lassen? Wäre ein ganz normales Diktiergerät zu auffällig? Oder wenn ich einfach mein Handy an meine Kopfhörer anschließen würde? Würde das funktionieren? Könnte ich später alle versteckten Meta-Daten in der MP3 entfernen, damit sie sich nicht zu mir zurückverfolgen lässt? Wem würde ich die Aufnahme übergeben und könnte ich danach überhaupt noch meiner Arbeit als Journalist nachgehen? Ich wollte später über Mannings Prozess im kommenden Juni berichten. Außerdem würde man mich als Journalisten bestrafen, dafür dass ich die strengen Sicherheitsregeln der US Army gebrochen hätte. Bloggen und Tweeten sind im Gericht strengstens verboten.

Das alles habe ich mich zwei Wochen lang gefragt; jetzt ist das nicht mehr wichtig. Jemand anderes hat die Arbeit für mich erledigt: Die Aussagen und die Botschaft mit den Massen zu teilen, die zu den wichtigsten unserer Zeit zählen werden. Darüber und nicht nur über das, was Manning gesagt hat, sollten wir uns Gedanken zu machen. Aber hört euch die Tonaufnahme selbst an. Hört euch an, was dieser 25-jährige Typ, eigentlich noch ein Junge, zu sagen hat. Und wie er erzählt, wie er den Lauf der Geschichte beeinflusst hat und davon, dass er dafür jetzt den Preis zahlen muss. Sein Anwalt David Coombs gab diese Woche bekannt, dass dieser junge Soldat seine komplette Aussage, 34 Seiten lang, in der Untersuchungshaft geschrieben hatte. Er bekam einen Computer, seine Arbeit konnte er darauf aber nicht speichern. „Darum musste Manning am Ende des Tages immer alles sofort ausdrucken”, so Coombs.

In 1000 Tagen Haft musste Manning schlimmere Dinge erdulden als das. Aber nachdem er sein Leben riskiert hat, um die Kriegsmachenschaften von Amerika aufzudecken, sollten wir ihn wenigstens aussprechen lassen.