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Popkultur

„Darf ich dich küssen, wenn wir uns sehen?“

Unsere Autorin hat sich in einem Chat als 14-Jährige ausgegeben und geschaut, was passiert. Viele Männer hat ihr Alter nicht gestört. Im Gegenteil.
Foto: VICE Media

Als ich gestern Abend mit einer Freundin in unserem Lieblingscafé saß, beobachtete ich eine Familie am Nebentisch: Mutter, Vater und zwei Töchter. Die eine etwa acht Jahre alt, die andere vielleicht zehn. Die beiden Mädchen teilten sich einen großen Eisbecher und die Ältere sagte: „Mama, mach mal ein Foto für Facebook!"

Die Mutter tat, was ihr befohlen wurde und zückte ihr Smartphone. Die beiden Mädchen warfen sich und ihre mit Schokolade verschmierten Münder gekonnt in Pose. Die Große betrachtete zufrieden das Foto und kündigte an, dass sie es als neues Profilbild verwenden würde.

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Ich überlegte mir, ob sich die Eltern eigentlich bewusst sind, was es heißt, dass ihr Kind mit zirka 10 Jahren bereits bei Facebook angemeldet ist—und von wem es dort (und generell im Netz) angeschrieben werden würde.

Wie leicht ist es für erwachsene Männer und Frauen, mit Minderjährigen in Kontakt zu treten?

Mal abgesehen davon, dass das Mädchen laut den Nutzungsbedingungen noch nicht einmal dem Mindestalter entspricht, finde ich das Ganze auch persönlich ziemlich fragwürdig. Nicht, weil sich Freundinnen eventuell geheime Nachrichten schreiben, sondern weil Eltern schnell die Kontrolle darüber verlieren, welche Fremden auf welche Art auf ihre Kinder Einfluss nehmen.

Zuhause angekommen, wollte ich es dann unbedingt wissen: Wie leicht ist es für erwachsene Männer und Frauen, mit Minderjährigen in Kontakt zu treten? Ich setze mich an den Computer und starte mein Selbstexperiment. Ich gebe in einer Suchmaschine den Begriff „Chatroom" ein und bereits nach kurzem Scrollen werde ich fündig. Ich klicke auf den erstbesten Link und eine bunte, fröhliche Seite öffnet sich. Die ganze Homepage wirkt sehr offen und einladend.

„Chatten, flirten, Leute treffen" steht da. Mindestalter: 14. Perfekt! Da man sich mit seiner E-Mail Adresse registrieren muss, erstelle ich mir kurzerhand eine Wegwerf-Adresse und logge mich ein. Ich bestätige meine Anmeldung, indem ich auf den Link klicke, den ich per E-Mail erhalte. Ich registriere mich unter dem Pseudonym „niki14" und mache Angaben zu meiner Person.

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Haarfarbe: braun
Haarlänge: schulterlang
Augenfarbe: braun
Beziehungsstatus: Single—von Armor gemobbt (WTF?!)
Über mich: Hi, ich bin die Niki und ich würde gerne neue Leute kennenlernen :))

Noch bevor ich das Profil vervollständigt habe, bekomme ich bereits die erste Nachricht. Nach knapp zwei Minuten. Damit hätte ich nicht gerechnet. In den Optionen kann ich einen der Chatrooms wählen: Single. Sie sucht ihn. Er sucht sie. Flirten.

Ich entscheide mich für den Single-Chat und betrete ihn. „niki14 hat den Chatroom betreten" steht da und ist für alle sichtbar. In der Zwischenzeit erhalte ich eine weitere Nachricht und zwei Freundschaftsanfragen. Ich werfe ein allgemeines „Hey Leute" in den Chatroom und noch bevor ich es absende, öffnen sich bereits die ersten Privat-Chats.

Innerhalb von fünf Minuten erhalte ich also 4 Chat-Anfragen, 2 Privatnachrichten und 2 Freundschaftsanfragen.

Hier ein kleiner Überblick und was ich über die Person hinter dem Nicknames rausgekriegt habe (aus Sicherheitsgründen habe ich nicht die vollständigen Nicknames aufgelistet):

FLO: 30, arbeitssuchend, hört Metal, aus Hamburg.
VOLKSWAGEN: 19, Single.
BAUER: 27, aus München.
GROSSER-P: 26, will eine Freundin finden.
CHRIS: 28, schläft nackt.
ABBACH: 26, Nähe Berlin.

Das sind also 6 Männer, die mich innerhalb von wenigen Minuten angeschrieben haben.

FLO ist der Erste. „Hi", schreibt er. Ich antworte. „Wie alt bist du?", fragt er. „14. und du?" „30. Ist dir überlassen, ob du mit mir schreiben willst. Wenn ich dir zu alt bin, sag's einfach."

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Ich sage ihm, dass mich sein Alter nicht stört. Dann folgt Smalltalk. Nichts Konkretes. Er fragt mich, was ich denn um diese Zeit (es war bereits nach Mitternacht) in einem Chatroom zu suchen hätte. „Mir ist langweilig, hihi", antworte ich. Ich bemühe mich, wie eine 14-Jährige zu schreiben. Verdammt, wie schreiben 14-jährige Mädchen? Das ist bei mir schon ein paar Jährchen her.

„Hast du WhatsApp?" Aha, jetzt aber. Ich lüge und sage, dass ich kein Smartphone besitze. „Schade. Schickst du mir ein Foto per Mail?" Ich bejahe und er gibt mir seine E-Mail-Adresse, die seinen Vor- und seinen Nachnamen beinhaltet. Ich suche kurzerhand ein paar Fotos aus dem Internet und sende sie ihm.

„Du bist hübsch. Hast du noch mehr Fotos?", schreibt er mir im Chat. Ich schicke ihm ein weiteres. „Toll siehst du aus. Hast du auch eines, auf dem du weniger an hast?" Mit 16 Jahren Altersunterschied könnte ich auch seine Tochter sein.

Ich suche also im Internet nach Bikinifotos und werde unglaublich schnell fündig. Ich stelle sie ihm zu und erhalte dafür wieder ein Kompliment. Dass das Mädchen auf den vorherigen Bildern und den Bikinifotos nicht dasselbe ist, scheint er nicht zu bemerken. Dass die Fotos nicht mit den Angaben auf meinem Profil übereinstimmen, entgeht ihm ebenfalls.

Er fragt mich, ob ich ihm noch mehr Bilder von mir schicken könnte und ich sage ihm, dass ich suchen muss. Ich lasse ihn warten. Nach ein paar Minuten schreibt er mir wieder und sagt, dass ich ihm keine weiteren Fotos schicken muss, wenn ich nicht will. Während er wartet, widme ich mich dem VOLKSWAGEN. Er ist ein geprüfter Nutzer und hat sogar ein Profilbild.

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„Hey Niki." „Hey." „Na, alles klar?" Smalltalk. Er verrät mir, dass er 19 Jahre alt ist. Ich sage ihm, dass ich 14 bin und frage ihn, ob das schlimm ist. Er verneint.

„Bist du bereit?", fragt er plötzlich. „Wofür?" „Für ein Treffen." „Hmm … Ich weiß nicht, wir kennen uns ja nicht", antworte ich auf seine ziemlich deutliche Frage. „Dann lernen wir uns eben kennen." Smalltalk. „Darf ich dich küssen, wenn wir uns sehen?" Jetzt wird's spannend. Was antwortet man auf so eine Frage?! Ich schreibe jetzt einfach mal „Ja" und schaue, was passiert. „Darf ich dich auch ficken?"

Was zur Hölle soll ich darauf antworten? Und, viel wichtiger, wie muss sich ein tatsächlich erst 14-jähriges Mädchen fühlen, wenn es von mehr als doppelt so alten Männern derart in die Enge getrieben wird?

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Ich antworte vorerst nicht. Er fragt mich, ob ich noch Jungfrau bin, ob ich ihm einen blasen würde und wann ich zum letzten Mal gefickt worden wäre. Ich ignoriere ihn, weil ich nicht weiß, was ich antworten soll. Das überfordert mich jetzt irgendwie. Ich öffne das Chatfenster des Nutzers GROSSER-P.

Ich glaube, es ist eindeutig und ganz offensichtlich, wofür das P in seinem Nickname steht. „Du bist bestimmt ne ganz Süsse *.*", schreibt er, ohne auch nur ein Foto von mir gesehen zu haben. „Hihi ja, das bin ich." Dann Smalltalk.

Nachdem er mich fragt, wie ich aussehe und ich ihm eine kleine Lüge zusammenstelle, sagt er mir, dass sich in seiner Hose etwas bewegt, wenn er an mich denkt. Obwohl ich die Antwort eigentlich schon kenne, frage ich ihn, wofür der Buchstabe P in seinem Nicknamen steht. Er bestätigt mir, dass das eine Anspielung auf seinen großen Penis ist und gibt mir die Maße durch. 18 bis 19 Zentimeter, 5 Zentimeter Durchmesser. Na vielen Dank auch, so genau wollte ich es wirklich nicht wissen.

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Er verrät mir, dass er 26 ist und auf der Suche nach einer Freundin ist, da er bisher nicht sehr viel Glück hatte mit Frauen. Mein Alter scheint auch ihm nichts auszumachen. Im Gegenteil. Er sagt mir, dass er sich gerne nackt mit mir ins Bett legen und mich streicheln würde.

Mach dir keine Sorgen, ich übernehme alle Kosten. Du kannst auch gerne hier übernachten!

Männer, erwachsene Männer, die denken, dass ich 14 bin, schreiben mir hemmungslos versaute Sachen. Er gibt mir ohne Zögern seine Handynummer und aus Neugier rufe ich ihn kurz mit unterdrückter Nummer an. Es klingelt tatsächlich—die Nummer scheint also echt zu sein. Er fragt mich, weshalb ich mit unterdrückter Nummer angerufen habe und ich erkläre ihm, dass ich nur kurz prüfen wollte, ob er mir auch wirklich die richtige gegeben hat. Ich sage ihm, dass ich kurz duschen gehe und wechsle zum nächsten Chatfenster.

BAUER fragt mich, ob ich zu ihm kommen würde. Ich weiß nicht ganz, wie ich das jetzt genau verstehen soll und stelle mich dumm. „Wohin denn?", frage ich mit der Unschuld eines 14-jährigen Mädchens. „Zu mir nach München", antwortet er selbstsicher. „Hmm … das ist ein bisschen weit." „Mach dir keine Sorgen, ich übernehme alle Kosten. Du kannst auch gerne hier übernachten!"

Ich erzähle ihm, dass meine Eltern übers Wochenende verreisen und frage ihn, ob er denn nicht lieber zu mir kommen will. „Klar kann ich zu dir kommen, wenn du willst. Wie alt bist du denn?" Nachdem ich ihm mein Fake-Alter nenne und er mir verrät, dass er 27 ist, versichert er mir, dass ihn der Altersunterschied nicht stört. Im Gegenteil, er will mir eine Menge beibringen. OK. Um zu verdeutlichen, wie alt ich bin, betone ich, dass ich noch zur Schule gehe. Auch das scheint für ihn kein Problem darzustellen. „Wenn ich dann zu dir komme, willst du Sex mit mir haben?", fragt er. Er scheint es ernst zu meinen und fragt mich auch nach meiner Adresse. Ich sage ihm, dass ich sie ihm per E-Mail zustellen werde, da ich nicht weiß, wie sicher dieser Chatroom hier ist. Er händigt mir problemlos seine E-Mail-Adresse aus, die ebenfalls seinen Vor- und Nachnamen enthält.

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Ich kriege Gänsehaut und ekle mich gewaltig. Am liebsten würde ich schreien: „Ich bin 14 und du 27!" Danach fragt er mich, ob er mit mir Atemkontrolle machen dürfte, wenn wir Sex haben. Ich stelle mich erneut dumm und frage, was das ist. „Ich kontrolliere deinen Atem während dem Sex. Es kann sein, dass du ohnmächtig wirst, ist das okay?" Ich frage ihn, ob er mir denn wehtun würde. Er verneint und ich willige ein. „Das macht man entweder mit den Händen, Kabelbindern, Krawatten, Strümpfen oder Eisenstangen", erklärt er. Eisenstangen. Ich sage ihm, dass ich die Stangen zu heftig finde und er sagt, dass wir es ja langsam angehen könnten. Er versichert mir, dass ich keine Angst haben muss. Er hätte das schon ein paar Mal gemacht und kurz bevor ich ersticke, würde er loslassen.

In der Zwischenzeit kriege ich dutzende Privatnachrichten. Ich komme leider nicht dazu, alle zu beantworten, da ich mit diesen Herren beschäftigt bin. CHRIS fragt ganz direkt: „Hey Niki, bist du auch nackt?" Ja klar, mein Lieber. Ich sitze mit Jogginghosen und Hoodie vor dem Laptop, aber für dich bin ich nackt. Er fragt mich, welche BH-Grösse ich habe, ob ich rasiert und noch Jungfrau bin. Er erzählt mir, dass er 28 Jahre alt ist, eigentlich eine Freundin hat und gerne nackt schläft. Auch er würde sich gerne mit mir treffen und dafür über sieben Berge gehen.

Schon trudelt die nächste Nachricht in meinem Postfach ein. ABBACH schreibt mir, dass er einsam und geil ist. Schön für dich. Er ist 26 und wohnt in der Nähe von Berlin. Er fragt mich, ob die 14 in meinem Nickname für mein Alter steht. Ich bejahe und er findet zwar, dass ich noch ein bisschen jung bin, aber dass ihm das dennoch nichts ausmachen würde. Auch er erzählt mir von seinem Penis, inklusive Größenangaben.

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Nach knapp 40 Minuten reicht es mir. Ich logge mich aus. Kurz bevor ich entsetzt den Laptop zuklappe, kommt eine E-Mail rein. FLO. „Hey Niki. Ich mail dir jetzt einfach mal. Magst du mir trotzdem noch ein Bild zeigen?" Will ich nicht.

Anhand seiner E-Mail-Adresse finde ich ihn nach einigen Klicks auf Facebook. Seine Angaben scheinen zu stimmen. Er liket einige Metal-Bands, steht auf Fußball, raucht gerne Wasserpfeife und scheint tatsächlich um die 30 Jahre alt zu sein.

Ich überlege mir, ob ich ihm schreiben und zur Rede stellen soll. Aber was hätte ich davon? Das würde sein Verhalten im Internet wahrscheinlich nicht ändern. Wenn er bisher leidenschaftlich gern mit minderjährigen Mädchen geschrieben hat, wird er das wohl auch in Zukunft nicht einfach bleiben lassen, nur weil ich ihm sage, dass ich Pädophilie aber nicht OK finde. Ich lasse es sein und logge mich stattdessen nochmals im Chatroom ein. Als er sieht, dass ich online bin, schreibt er mich erneut an. Hat der Typ eigentlich nichts Besseres zu tun, als Tag und Nacht in diesem Chatroom rumzuhängen?

„Wo bist du denn gestern hin? Wir haben uns doch so schön unterhalten." Ich antworte nicht und checke stattdessen mein Postfach. Sieben neue Nachrichten. Auch GROSSER-P fragt, weshalb ich plötzlich verschwunden bin. Wenn ihr nur wüsstet.

FAZIT

Es ist wortwörtlich kinderleicht für Erwachsene, mit Minderjährigen in Kontakt zu treten. Obwohl man sich auf der Homepage registrieren muss, wird das Alter nicht überprüft. Keinen interessiert es, ob ich wirklich 14 bin und dem Mindestalter entspreche, oder sogar noch jünger. Auch die Chaträume sind für solche Arten von Gesprächen bestens geeignet.

Als ich mich früher im Diddl-Chat rumgetrieben habe, konnte man nicht einmal das Wort „Idiot" schreiben, da der ganze Chat (mehr oder weniger) von Administratoren überwacht war und man sofort ermahnt wurde.

Auch seine private E-Mail-Adresse oder Telefonnummer konnte man nicht rausgeben. Hier ist das nicht der Fall. Worte wie Schwanz, Penis, Sex, und so weiter scheinen ganz normal oder sogar erwünscht zu sein. Ich bin einfach nur schockiert, wie leicht es Pädophile im Internet haben. Ich will nicht behaupten, dass meine gestrigen Chatpartner allesamt Pädophile waren—aber diejenigen, die es ernsthaft auf Sex mit Minderjährigen anlegen, haben es verdammt leicht.

Andererseits werden sich ernsthafte Pädophile wohl immer jene Ecken im Netz suchen, die weniger wie der Diddl-Chat und mehr wie das Darknet funktionieren. So lückenlos kann Überwachung vermutlich gar nicht sein. Trotzdem: Das Mindestalter zu kontrollieren wäre das Mindeste, das man tun könnte, um zu verhindern, dass Teenager in eine solche Falle tappen.

Natascha auf Twitter: @NatashaNeverlan