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Sex

Colby Keller ist die schwule Sasha Grey

Colby Keller ist schwuler Pornodasteller, interessiert sich für Kunst und Literatur, führt eine polygame Beziehung und erklärt uns mal, warum seine Kollegen im Laufe ihrer Karriere immer muskulöser werden. Außerdem, was es für Tricks gibt, um acht...

Irgendwie denkt man ja meistens, Pornodarsteller wären psychotische Herpesmutterschiffe, deren einziges Ziel im Leben es ist, sobald wie möglich so oft wie möglich zu ejakulieren. Selbstverständlich sind da die Ausnahmen von der Regel. Leute wie Sasha Grey oder James Deen, die es schaffen, mehrere Sätze sinnvoll aneinanderzureihen und denen man es zutraut, dass sie ihren Job in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang setzen können. Und wen haben wir? Im schwulen Porno sind die eloquenten Zeitgenossen in etwa so selten wie ein normalgroßer Penis. Aber dann gibt es doch noch Colby Keller, dessen Pornoname eine Reminiszenz an Hellen Keller ist und der auf seinem Blog eine Menge interessantes Zeug veröffentlicht. Zum Beispiel kann man sich anschauen, wie er (oberkörperfrei) aus Eight Days a Week von Larry Duplechan liest, oder man kann ein Stück Videokunst sehen, das er gerade in einer Ausstellung in Mexico City zusammen mit SUPERM und Guy Maddin zeigt. Vor Kurzem war Colby Keller in Berlin, um auf das Kind einer befreundeten Professorin aufzupassen, währen sie hier Vorlesungen gehalten hat (true story!). Jedenfalls haben wir ihn getroffen und uns mit ihm darüber unterhalten, wie es ist, von Leuten auf der Straße angesprochen zu werden, die sich zu deinem Bild einen runterholen.

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Colby Keller liest oberkörperfrei aus

Eight Days a Week

 von Larry Duplechan.

VICE: Ist es komisch für dich, wenn die Leute dich mit deinem Pornonamen ansprechen?
Colby Keller: Ich gewöhne mich langsam daran. Ich denke über mich selbst nicht als Colby Keller, deshalb bin ich manchmal ein bisschen überrumpelt, wenn Leute auf mich zukommen und sagen: „Hey, du bist doch Colby Keller." Ich brauche ein paar Sekunden, um zu merken: „Ach ja, das bin ja ich." Es ist ein bisschen komisch, aber ich habe mich daran gewöhnt.

Ist ja eigentlich interessant, dass die Leute dich ansprechen, weil sie sich zu deinem Bild einen runtergeholt haben.
Ich habe ja auch den Blog. Das Erste, was die Leute nennen, ist der Blog. Vielleicht hat dieser Typ von neulich ja auch wirklich keine Pornos gesehen und kennt mich wirklich nur von dem Blog. Es ist natürlich auch eine gute Ausrede für Leute, die nicht zugeben wollen, dass sie mich aus Pornos kennen.

Aber andererseits ist der Blog ja ein Projekt von Colby Keller, dem Pornostar. Man kann die beiden Dinge ja nicht voneinander trennen.
Das stimmt schon. Hauptsächlich wollen die Leute den Blog lesen, weil ich Pornos mache. Da muss man realistisch sein. Ich könnte wahrscheinlich die exakt selben Inhalte unter einem anderen Namen veröffentlichen und niemand würde sich dafür interessieren.

Bevor es Facebook und Twitter und Blogs gab, waren die Persönlichkeiten von Pornostars weit weniger rund, oder? Die Leute hatten einen Namen und vielleicht so eine Art grundlegende Geschichte, aber heute weiß man viel mehr über die Person. 
Es ist eine bisschen wie bei Realty-TV-Stars. Man will alles wissen, was in ihrem Leben passiert. Und davon mal abgesehen steckt nicht mehr so viel Geld in dem Geschäft wie früher. Früher haben die Firmen eine Menge der PR übernommen, um die Namen der Stars bekannter zu machen. Ich bin ja auch kein riesiger Pornostar. Ich bin nicht Erik Rhodes, der leider letztes Jahr gestorben ist.

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Was denkst du über Erik Rhodes und seinen Tod? Ich habe eine Zeit lang seinen Blog gelesen und es war wirklich sehr düster.
Ich habe in zwei Filmen mitgespielt, bei denen er Regie geführt hat. Er war ein echt aggressiver Regisseur und außerdem war er ja auch einfach ein riesiger Typ. Im Großen und Ganzen war das zusammengenommen ein bisschen furchteinflößend. Ich weiß nicht, ob das an den Sachen gelegen hat, die er genommen hat, oder ob seine Persönlichkeit einfach so war.

Denkst du, dass diese extreme Männlichkeit, die er verkörpert hat, auf die Ideale der Pornoindustrie zurückzuführen ist?
Ich glaube, was mit ihm passiert ist, hat wenig mit der Pornoindustrie als solcher zu tun, es geht dabei eher um die Schwulen, oder vielleicht sogar die Gesellschaft an sich. Männer fühlen sich nicht mehr männlich und konstruieren diese Körper, die eigentlich gar nicht existieren. Gerade bei Pornos kann man mit sowas eben auch Geld verdienen. Es herrscht der Druck, sehr muskulös zu sein. Viele Models fangen mit schlanken Körpern an und nach einer gewissen Zeit setzt eine Art Zyklus ein. Die Models sind nicht mehr so interessant wie am Anfang und sehen aber diese ganzen gigantischen Muskelberge um sich herum und dann fangen sie an, ihre Körper zu verändern und bekommen wieder mehr Jobs. Irgendwann kommt dann aber auch der Punkt, an dem die Models einfach zu massig werden und es schwierig wird, mit ihnen zu arbeiten. Es ist aber auch das, was die Leute sehen wollen.

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Pornodarsteller und Muskelpacket Erik Rhodes. 

Es gibt ein Narrativ in der Mehrheitsgesellschaft, bei dem es darum geht, dass die Pornoindustie eine Art Psychose in Menschen hervorruft. Denkst du, das stimmt, wenn du Leute wie Erik oder Luka Magnotta siehst?
Ich glaube nicht und ich glaube nicht mal, dass Verrückte sich zu diesem Geschäft hingezogen fühlen. Aber andererseits glaube ich schon, dass es einen Einfluss auf dich ausübt und zwar auf eine negative Art und Weise, wenn du nicht aufpasst.

Woran liegt das?
Der Status von Pornodarstellern in der Hackordnung von Entertainern ist praktisch auf der allerletzten Stufe, vielleicht sind Prostituierte noch darunter. Dann gibt es eben Leute, die mein Produkt kennen und die es konsumiert haben, sich aber schämen, es zuzugeben. Und außerdem denken sie auch, dass ich mich dafür schäme. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, ist man immer ein bisschen unsicher, egal in welcher Art von Öffentlichkeit. Man muss einfach mit vielen Sachen klarkommen und deshalb kann ich verstehen, warum manche Leute ausflippen.

Und dann werden sie ja ziemlich verheizt. Du hast ja eben schon angesprochen, wie die Leute den ersten Film drehen, dann irgendwann nicht mehr interessant sind und immer ärger werden müssen, um im Geschäft zu bleiben.
Wenn man das als eine Art übergreifende Kritik am Kapitalismus sehen will, dann gibt es vielleicht wirklich kein besseres Beispiel als Pornodarsteller. Ein Pornodarsteller ist sein eigener Arbeiter und gleichzeitig das Produkt, das er an die Leute verkauft. Der Kapitalismus benutzt die Leute und zerstört sie. Als Pornodarsteller erlebt man das am eigenen Leib. Vermutlich werden das nicht viele Leute auf diese Art und Weise artikulieren, aber sie fühlen es trotzdem. Man ist das Objekt der Begierde für jemanden und zwar nur für ein paar Sekunden. Einige Schauspieler haben ja schon ein Problem mit ihrer eigenen Prominenz, aber Schauspieler werden wenigstens respektiert.

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Du hast ja auf einer dieser Websites angefangen, auf denen Typen gezeigt werden, die angeblich hetero sind, sich erstmal nur einen runterholen, dann irgendwann mit einem Typen rummachen und sich dann ficken lassen. Wurdest du auch so verkauft?
Nein, ich glaube, sie haben da, was mich angeht, nicht gelogen. Sie haben nie gesagt, dass ich hetero bin. Sie haben jetzt auch nicht angepriesen, dass ich schwul bin, aber sie haben nicht gelogen. Aber es ist auch sehr unterschiedlich, manche Leute sind schwul, manche knutschen nur gerne mit anderen Typen und ich habe mit Männern gearbeitet, von denen ich 100% sicher bin, dass sie hetero sind.

Krass, ich dachte immer, das wäre alles Marketing.
Ja, ich hatte auch manchmal Probleme damit. Es gab Momente, in denen ich mich geweigert habe, mit heterosexuellen Models zu drehen, aber es kommt echt auf den Partner an. Es ist auch angenehm, wenn eine professionelle Distanz herrscht. Wenn ein schwuler Darsteller nicht auf dich steht, dann wird er dich das spüren lassen, und das ist unangenehmer für mich, als zu wissen, dass ich den Anderen sowieso nicht anmache.

Wie läuft das am Set ab? Wie lange dauert es, eine Szene zu drehen?
Das kommt auf die Firma an, für die du arbeitest. Mindestens drei Stunden, höchstens ein paar Tage. Und dann sechs bis acht Stunden am Tag. Ich habe für Studios gearbeitet, und ich will jetzt keine Namen nennen, aber für die sollst du zwei Tage acht Stunden durcharbeiten und sie zahlen genau soviel wie andere für ein paar Stunden. Du musst zweimal kommen. Sowas ist echt hart für ein Model. Aber die kommen damit durch.

Aber jetzt mal im Ernst. Wie macht man das? Sieben oder acht Stunden durchgehend?
Leute nehmen ADHS-Medikamente, damit geht es. Dann halt noch Viagra, Cialis, Chinese Purple. Dann gibt es noch dieses Zeug, das Hammerjack heißt, das man sich in den Penis injiziert. Du massierst es rein und dein Schwanz bleibt ein paar Stunden lang hart. Man kann es aber überdosieren, dann muss man ins Krankenhaus und eventuell hast du permanente Schäden.

Weiß deine Familie, wie du dein Geld verdienst?
Nein, das glaube ich nicht. Ich will auch nicht, dass meine Eltern das wissen. Also bei meinem Vater wäre es mir egal, aber meine Mutter ist evangelikale Christin und es würde mehr Stress verursachen, als es Gutes tun würde.

OK, aber sie wissen, dass du schwul bist?
Ja, ich habe mich mit 16 geoutet. Aber das ist auch so eine Sache, weißt du? Ich habe momentan zwei Freunde. Und das weiß meine Familie eben auch nicht.

Aber die beiden wissen voneinander?
Ja, sie kennen sich auch. Aber es ist keine Dreiecksbeziehung. Es sind zwei komplett separate Geschichten, eine Art polygame Beziehung. Jedenfalls habe ich schon irgendwie das Bedürfnis, meinen Eltern davon zu erzählen. Wenn ich irgendwann zu einem Familienfest gehe und ich bringe beide mit, wäre das ein Problem. Es sind einfach total viele Schubladen, in die man sich selbst steckt.