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​„Da stehen Neonazis wirklich direkt an der Unterkunft“

Wir haben mit dem Chef einer sächsischen Sicherheitsfirma über das Neonazi-Problem in seiner Branche geredet.
Wachschutz

Foto: imago | Christian Thiel

Am Mittwoch hat die Sächsische Zeitung ein Video veröffentlicht, das zeigt, wie Sicherheitsmitarbeiter in Dresden rabiat gegen Geflüchtete vorgehen: Ein Mann wird quer über den Hof gejagt und anschließend geschlagen und getreten, ein anderer ohne ersichtlichen Grund von hinten in den Schwitzkasten genommen. Die Zeitung berichtete auch von Vorwürfen, dass Mitarbeiter von „Ihre Wache GmbH" die Bewohner mehrfach bedroht und beleidigt haben sollen. Das Verhältnis zwischen Geflüchteten und Sicherheitsleuten ist in der Erstaufnahme-Einrichtung offenbar derart angespannt, dass Wachleute die Zimmer nur noch in Begleitung betreten dürfen.

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Der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth hat dem MDR gegenüber bereits verkündet, in Zukunft höhere Anforderungen anzusetzen, damit „nur Leute in diesen Job reinkommen, die dieser Aufgabe auch gewachsen sind"—um anschließend direkt einzuschränken, dass es natürlich schwierig sei, dies im Vorfeld zu machen.

Ob es wirklich so schwierig ist, sei mal dahingestellt. Dass es damit in der Vergangenheit definitiv nicht weit her war, ist aber offensichtlich. Die Fälle, in denen bekennende Rassisten und Neonazis beauftragt wurden, Flüchtlinge zu schützen, sind zahlreich. Bereits 2002 wandten sich die Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft in Brandenburg mit einem offenen Brief an Politik und Medien, weil sie von ihren Bewachern schikaniert wurden, die offensichtlich Neonazis seien. Mindestens vier der Sicherheitsleute wurden tatsächlich vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft und waren teilweise in Organisationen wie der „Kameradschaft Hauptvolk" aktiv.

Auch in den darauffolgenden Jahren tauchen immer wieder Personen, die in Heimen arbeiten, im Verfassungsschutzbericht des Landes auf. Im Herbst 2014 zeigen Videos und Fotos die Misshandlung von Geflüchteten durch Sicherheitsleute in Einrichtungen des Betreibers European Homecare in Nordrhein-Westfalen. Einer der Securitys hat unübersehbar „Ruhm & Ehre" auf dem Unterarm tätowiert.

In Heidelberg war ein Mann in einer Unterkunft eingesetzt, der als politisch motivierter Straftäter erfasst ist. Ausgerechnet in Heidenau sollte Philipp B. für Ordnung sorgen, der auf Facebook offen mit der NPD und der rechten Gruppe „Army of Dresden-West" sympathisiert. In Köln war es sogar der Firmenchef selbst, der sich durch fremdenfeindliche Äußerungen im Internet disqualifiziert hat.

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Die Liste lässt sich entsprechend fortsetzen. Der Umgang mit dem Problem ist immer gleich: Die entsprechende Person wird aus der Position entfernt, dann herrscht Ruhe bis zum nächsten Vorfall—der dann wieder exakt gleich gehandhabt wird.

Es scheint also ein Grundproblem zu sein, dass hier immer wieder Menschen in eine Machtposition gebracht werden, bei denen eigentlich schon auf den ersten Blick klar sein sollte, was Sache ist—sei es, weil sie Vorstrafen oder einschlägige Tätowierungen haben. Es scheint fast so, als verschaffen die Geflüchteten ausgerechnet all denen einen lukrativen Job, die sonst behaupten, die Ausländer nehmen ihnen die Arbeitsplätze weg.

Auch in Sachsen: Lutz Bachmann hat sich mit einem Lügenpresseausweis ins Gericht geschummelt. Hach, Lutz.

Natürlich werden auch jetzt wieder bessere Kontrollen bei der Mitarbeiterauswahl gefordert, es wird öffentlich über eine passende Ausbildung nachgedacht und einen Arbeitskreis Schutz von Flüchtlingen" geplant. Aber es drängt sich die Frage auf, ob die Lösung wirklich darin liegen kann, einen privaten Sicherheitsdienst mit dem Schutz von geflüchteten Menschen zu beauftragen.

Erkan Zünbül ist Gesellschafter der sächsischen Sicherheitsfirma Movement, die für ihre linke und subkulturelle Prägung bekannt ist und hat mit uns über Rassismus in der Branche, fehlende Kontrollen und das generelle Problem der Übertragung staatlicher Aufgaben gesprochen.

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VICE: Wie groß ist das Neonazi-Problem in der Wachbranche wirklich?
Erkan Zünbül: Die Sicherheitsbranche hat generell ein Problem mit Nazis, das ist ja kein Geheimnis. Das Hauptproblem liegt aber in der Struktur an sich. Das, was jetzt in der Presse kommt, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wenn man in den Unterkünften das Gespräch mit Geflüchteten sucht, wird man schnell sehen, dass der Großteil der Menschen ein Problem mit den Sicherheitsmitarbeitern hat. Und wenn dann was passiert, wird das immer nur als Einzelfall gesehen und nie als gesamtstrukturelles Problem. Die Behörden sind meist froh, wenn sie die Geflüchteten überhaupt erst einmal in irgendeiner Halle untergebracht bekommen haben und sich dann andere Leute darum kümmern.

In vielen Fällen schieben die verantwortlichen Firmen Probleme auf Subunternehmer. Heißt das, dass es keinerlei Kontrollmechanismen gibt, wer da letztendlich arbeitet?
Der Ablauf bei der Vergabe ist immer ähnlich. Die staatlichen Stellen schreiben den Auftrag aus, darauf bewirbt sich meist eine große Firma mit einem guten Ruf. Diese Firma kann das alleine gar nicht bewältigen, darf aber, sobald sie den Auftrag hat, sofort ohne Prüfung von oben weitere Subunternehmer einsetzen.

Und die machen das dann weiter. Letztendlich haben die Leute, die dann an der Unterkunft stehen, teilweise nicht einmal die Zulassung nach §34a—das heißt, selbst diese absoluten Minimalvoraussetzungen werden nicht erfüllt. Es gibt da keinerlei Kontrolle über den einzelnen Mitarbeiter. Zuweilen muss eine Firma mal bei Vertragsabschluss schriftlich versichern, dass keine Neonazis beschäftigt sind, aber das kontrolliert ja keiner.

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Und da fällt es erst mal keinem auf, wenn ein Sicherheitsmitarbeiter „Ruhm & Ehre" auf dem Arm stehen hat oder als politisch motivierter Straftäter aktenkundig ist?
Da wird gerne weggesehen. Die Nachfrage steigt aktuell einfach immer weiter, es muss schnell gehen—entsprechend lasch wird das gehandhabt.

Gerade in der Region Dresden z.B. gibt es mehr als eine Handvoll organisierter und bekannter Neonazis, die in diesem Bereich arbeiten. Es fallen immer wieder welche auf, die werden geoutet, werden dann auch schnell vom Job entfernt, aber eine richtige Kontrolle gibt es nicht. Da stehen Neonazis wirklich direkt an der Unterkunft. Und diese Leute, die da enttarnt werden, sind in der Regel auch immer richtige Kader. Es wird vorher nicht kontrolliert, und es kann nicht sein, dass sowas dann erst angesprochen wird, wenn es mal zu einem Vorfall gekommen ist.

Könnte man das Problem durch funktionierende Kontrollen lösen?
Nicht wirklich, das Problem geht wie gesagt viel tiefer. Die Aufgabe der Sicherheitsleute ist ja eigentlich eine staatliche—und da fängt es an: Für tausend Menschen ein friedliches Zusammenleben sichern, und das in einer menschenunwürdigen Wohnsituation. Die Leute, die in den Unterkünften und Einrichtungen arbeiten, sind ja meist sonst klassische Türsteher, die haben keinerlei Ausbildung. Es gibt eine kurze Prüfung bei der IHK mit einem Multiple-Choice-Test und einem kurzen Gespräch, aber das bereitet ja nicht darauf vor, dort sozialen Problemen zu begegnen.

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Es ist ein Grundproblem, diese hoheitlichen Rechte an Privatpersonen zu übertragen und sie damit in eine eindeutige Machtposition über andere zu bringen—ohne zu prüfen, ob die dafür geeignet sind, ohne die darauf vorzubereiten. Und natürlich sind nicht alle in der Branche rechts, aber dann in dieser Situation verloren. Fehlende Vorbereitung, Sprachbarrieren und so weiter.

Der Staat entzieht sich da komplett seiner Aufgabe und überträgt Hoheitsrechte an jemanden, der sonst eine leere Turnhalle bewacht. Und jetzt auf einmal zusätzlich noch für Tausende Menschen darin verantwortlich sein soll. Es ist sicher nicht der richtige Ansatz, ein klassisches Sicherheitsunternehmen damit zu beauftragen.

Es wäre also zu simpel, das Ganze auf die Neonazi-Problematik zu reduzieren? Bei den Übergriffen am LaGeSo in Berlin waren ja auch Securitys mit Migrationshintergrund an der Eskalation beteiligt.
Natürlich, das sind klassische Türsteher. Die reagieren entsprechend auch wie Türsteher, wenn in deren Club Stress ist. Dazu kommt dann die klassische Überforderung, Mitarbeiter, die nicht korrekt handeln und natürlich nicht dafür ausgebildet wurden.

Rassismus hört ja auch nicht an der Grenze weiß/People of Color auf, sondern das geht ja weiter. Da herrschen so augenscheinliche Rassismen wie „der Asylant", „der benimmt sich hier nicht", „ich sorge hier für Ruhe". Und der wachsende gesellschaftliche Rassismus ist ja auch bei Sicherheitsmitarbeitern gegeben, wobei da dann nochmal so Faktoren hinzukommen wie: überwiegend männlich und hetero, von Machokultur geprägt, alles, was so ein klassisch rassistisches Umfeld nochmal trägt und Eskalation begünstigt. Selbst wenn ich bei großen Besprechungen mit anderen Firmen mit am Tisch sitze, sagen manche Chefs so was wie „die Kanaken können nicht rein". Das sagt einfach schon viel.

Deine Firma hat entsprechende Anfragen für die Bewachung von Einrichtungen selbst abgelehnt. Warum?
Wir haben ganz klar gesagt, wir machen das nicht. Zum einen nehmen wir uns jetzt nicht aus der Problematik staatliche Aufgabe/privater Dienstleister raus und zum anderen geht es auch um die Verhältnisse vor Ort. Um Leben und Sacheigentum zu schützen, was ja unsere Aufgabe wäre, braucht es gewisse Grundvoraussetzungen. Die sind dort einfach nicht gegeben. Viele Unterkünfte sind einfach menschenunwürdig. Stattdessen helfen viele von uns lieber ehrenamtlich, um die Situation dort zu verbessern. Aber wir wollen nicht etwas garantieren müssen, was wir nicht garantieren können—und das eigentlich Aufgabe des Staates wäre.