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Popkultur

Damir Doma: Der Game-Changer

HipHop, Grunge und MTV erschufen den spannendsten Modedesigner Deutschlands.

Eine große deutsche Tageszeitung hat Damir Doma mal als „den bedeutendsten deutschen Designer nach Karl Lagerfeld und Jil Sander“ bezeichnet. Auch wenn ich sonst kaum eine (gar keine) Meinung mit diesem meinungsbildenden Blatt teile, in diesem Punkt verdient der Autor zumindest ein zustimmendes Nicken. Denn wäre Mode HipHop, könnte man Damir einen Game-Changer nennen. Seit er im Juni 2007 seine erste Herrenkollektion unter eigenem Namen in Paris präsentierte, hat sich für den ehemaligen Praktikanten von Raf Simons viel getan: die Eröffnung des ersten eigenen Ladens 2009, der Start der Diffusion-Line SILENT und der Damenlinie 2010, im vergangenen Jahr die Eröffnung seiner dreistöckigen Boutique in der Rue Faubourg Saint-Honoré—der größten Luxus-Einkaufsstraße von Paris. Vor einigen Jahren bin ich Damir, einen Tag nach seiner Männerschau, im Showroom begegnet. Er wirkte auf mich etwas zurückhaltend—trotzdem nahm er sich die Zeit, mit sämtlichen anwesenden Einkäufern (es waren etwa 27.000) zu sprechen. Und auch mit mir. Wiedergesehen habe ich ihn dann auf Skype, was sich als schwierig herausstellte, da die Internetverbindung in Traunstein am Chiemsee nicht die beste zu sein scheint. Besonders nicht im Keller der Fabrik seiner Mutter, in der auch Stücke seiner eigenen Hauptlinien entstehen. Neben HipHop haben wir uns über weitere amerikanische Erscheinungen unterhalten, die den Designer geprägt haben, über seine Jugend als Skater, das Aussterben von Subkulturen—und gemeinsam vertieft, warum die Fashion Week in Berlin nicht unbedingt die spannendste auf der Welt ist.

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VICE: Die Presse beschreibt deine Sachen oft als intellektuell, poetisch oder sanft. Irgendwie sind das für mich europäische Eigenschaften. Trotzdem sind deine Klamotten in Amerika ziemlich beliebt und werden auch von klassischen amerikanischen Berühmtheiten wie Bruce Springsteen getragen. Hast du dafür eine Erklärung?
Damir Doma: Ich verstehe selber nicht, was intellektuelle Mode sein soll. Die Amerikaner sind viel direkter. Warum meine Art der Mode so beliebt ist in den USA, lässt sich leichter nachvollziehen. Neben den Sachen, die du beschrieben hast—„intellektuell, poetisch …“—was auch immer das in dem Kontext heißen soll—beruht meine Kollektion doch auf Streetwear, Sportswear und so weiter. Sie ist von der Konstruktion her sehr zugänglich. Es gibt ein Wort, was meine Sachen viel besser beschreibt: das ist im Englischen „effortless“, im Deutschen vielleicht „mühelos“. Es liegt in der Verbindung der Stofflichkeit, der Konstruktion der Teile mit diesem mühelos Eleganten, Zeitlosen. Das macht die Kollektion besonders in L.A. unglaublich erfolgreich. Dann ist es ja auch eine Kombination zwischen den USA und Europa.
Zu meiner Art zu arbeiten gehört es, verschiedene Dinge aufzusaugen und dann neu zu mischen. Und das Ergebnis ist dann die Fusion europäischer Kultur mit Street- und Sportswear. Insofern stillen wir erst einmal das Verlangen nach, sagen wir, oberflächlicher Kultur. Und auf der anderen Seite auch das nach dem Mühelosen, Coolen, Entspannten. Ich habe in deiner Arbeit immer auch HipHop gesehen. New York und die 90er: Oversize, Baggy, High-Top-Sneakers und den ganzen Kram.
Ich bin 31. Ich bin genau in der Zeit aufgewachsen, als HipHop gerade groß wurde. Das war in meiner Kultur sicherlich ein wichtiges Thema. Nicht nur HipHop, sondern auch Skateboarding und Streetwear. So war ich halt mit 14, 15, 16, 17. Bist du selbst geskatet?
Ganz lange. Und ich fahre noch immer Snowboard und solche Sachen. Skateboarden ist mir zu gefährlich, tut auch weh. Das lass ich lieber. Aber es bleibt Teil meiner Kultur. Ich glaube, viele Leute haben dazu keinen Bezug und nehmen es gar nicht wahr. Weiß man es aber, sieht man es in meiner Arbeit eigentlich die ganze Zeit. Es wirkt bei dir aber auch, als würde es ganz natürlich dazugehören.
Bei mir find ich’s deswegen interessant, weil in meinem Inspirationsbuch nie ein HipHop-Bild drin war. Ich glaube, das ist wirklich etwas in mir. Eigentlich ist HipHop für mich kein Thema. Aber ich komme einfach nicht dagegen an. Allerdings würde ich auch eher von Streetwear sprechen, als von HipHop. LINKS: Damir hat einen Vogel zur Inspiration in seinem Atelier stehen. RECHTS: Auf der Kleiderstange: ein Relikt aus seiner Sommer-kollektion von 2010.

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Diese ganze amerikanische Popkultur hatte dann also offensichtlich einen Rieseneinfluss auf dich.
Ich glaube auf uns alle. Und viel mehr als heute. Wir haben jetzt über HipHop gesprochen, aber wir könnten auch über Grunge reden. Es gibt so viele Musikrichtungen, die zu der Zeit dominant waren und uns alle geprägt haben. Wahrscheinlich haben wir alle angefangen mit Grunge und sind dann zu HipHop übergegangen—und haben das ganze Ding einmal durchgemacht. In der Zeit ist auch MTV groß geworden. MTV war sozusagen omnipräsent. Du bist von der Schule nach Hause gekommen und hast Musikvideos geschaut. MTV lief immer im Hintergrund, war immer da. Mir kommt’s so vor, als wären diese speziellen Subkulturen mit der Zeit verloren gegangen—es gibt keine klaren Richtungen mehr.
Das finde ich auch. Vor allem liegt das daran, dass das Individuum immer stärker hervortritt. Es geht heute nur noch um einen selber. Es gibt diese Gruppendynamiken nicht mehr. Und damit gibt es, was die Mode betrifft, auch keine richtigen Dresscodes mehr—jedenfalls nicht, wie sie früher existiert haben. Das finde ich sehr schade. Vielleicht ist HipHop noch das Einzige, was davon übrig geblieben ist. Wobei auch das mittlerweile verschwimmt. Wenn du früher HipHop gehört hast, wusstest du, welche Schuhe du tragen musst, was für eine Hose, und so weiter. Davor war’s genauso, bei den Poppern etwa. Heute ist es nicht mehr eindeutig.
Das ist sehr schade, weil ich so etwas immer spannend finde. Auch die Geschichte der Skinheads etwa finde ich total interessant. Da gibt es diese sehr rigorose Definition des Kleidungsstils, das Ganze ist relativ unflexibel. Andererseits war früher ja auch Modedesign immer klar an Herkunft gebunden: typisch Italienisch, typisch Französisch. Das lässt sich heute nicht mehr genau sagen.
Ich habe mich nie zu 100 Prozent irgendwo zugehörig gefühlt. Das Kleinste, was ich definieren kann, ist Europa—ich fühle mich als Europäer. Das spüre ich einfach, wenn ich in den USA bin, wenn ich in Asien bin … Ich könnte nicht sagen, dass ich mich als Kroate fühle oder Deutscher oder Franzose oder Belgier. Gibt es für dich typisch europäisches oder typisch amerikanisches Design?
Es ist immer mehr globalisiert. Nehmen wir einfach mich als Beispiel: Ich bediene mich weltweit an Inspirationen und will mich da auch nicht einschränken. Ob es asiatische Kultur ist, amerikanische Kultur … Ich finde es sehr interessant, das alles zu mischen. Und ich glaube einfach, dass wir in einer solchen Welt leben. Das ist unsere Realität. Gibt es amerikanische Designer, die dir gefallen—oder jemanden, der in deinen Augen besonders hervorsticht?
Die Designer, die mich beeinflusst haben—oder mich beeinflussen—sind eher asiatische. Und mein größtes Vorbild, mein Idol, ist Giorgio Armani. Wenn ich nach Asien schaue, finde ich so Leute interessant wie Issey Miyake. Und junge amerikanische Designer? Da gibt es Leute in meinem Alter, deren Arbeit ich sehr respektiere. Zum Beispiel Proenza Schouler. Rodarte finde ich auch sehr interessant. In New York gibt es schon einige, die wirklich gut sind. Und New York bietet diesen jungen Designern die Möglichkeit, und auch die Plattform, sich zu zeigen. Das ist wirklich cool. In Paris hingegen ist es absolut schwierig. Und wie ist es in Berlin? Verfolgst du, was da passiert?
Nein. Gar kein Thema für dich?
Vor zwei, drei Jahren war’s vielleicht noch Thema. Aber eher in dem Sinne, dass man sich darüber aufgeregt hat. Ich denke, dass Berliner Designer viel mehr versuchen sollten, aus Berlin rauszukommen, wenn sie ein bestimmtes Level erreicht haben. Es ist schade, dass so wenige nach Paris kommen oder nach London oder wohin auch immer. Chaos und Ordnung: In Traunstein arbeitet Damir am letzten Schliff seiner Winter-kollektion 2013/2014.

In Berlin wirkt es immer so, als habe wirklich jeder seine eigene Show, was ja ein Widerspruch in sich ist.
Es wird einem viel zu leicht gemacht anzufangen. Was natürlich dazu führt, dass auch die Qualität extrem niedrig ist—und sich jeder mal versucht. Klar gibt es bekannte Designer in Berlin, die dort gezeigt haben oder noch zeigen. Aber das ist eine total fiktive Welt. Die machen eine Show in Berlin—aber überhaupt kein Geld damit. Die Show wird irgendwie finanziert von IMG, den Veranstaltern der Fashion Week. Die leben in einer Traumwelt—überhaupt nicht real. Das ist natürlich ein Problem. Was die Leute nicht verstehen, ist, dass Mode ganz klar ein Geschäft ist—und keine Unterhaltung. Und die Schau ist ein Marketing-Tool, nicht mehr. Die Mode geht im Marketing unter.
Das ist das Problem von IMG. Weil deren Interesse ein anderes ist. Deren Interesse ist, Sponsoren anzuschleppen—und daraus Geld zu ziehen. Danach aber hilft den jungen Designern keiner, Presse zu bekommen, einen Vertrieb aufzubauen, internationale Läden nach Berlin zu kriegen und so weiter. Das ist das nächste Problem: Wie vorhin schon gesagt, Mode ist ein globaler Markt. Sogar als Kleinst-Brand in Berlin vertreibst du weltweit, potenziell von Asien bis in die USA. Ich finde, dass Berlin sich dem Wettbewerb stellen muss. Es wirkt alles ziemlich selbstreferenziell.
Genau das ist das Problem. Man muss sich auch mit Pariser Designern messen, mit New Yorker Designern, mit italienischen Designern. Auch was Qualität betrifft—und was Kreativität betrifft. Man muss ein professionelles Produkt machen. Ja, das mit der Professionalität ist irgendwie echt ein Problem in Berlin.
Und weißt du, was ich wirklich tragisch finde? Dass es schon auf dem Catwalk so aussieht, als sei alles semiprofessionell. Von Haaren und Make-up zum Licht, von der Musik bis zu den Models. Ich finde, es sieht aus wie eine Provinzveranstaltung. Was wirklich total schade ist, weil das Berlin eigentlich überhaupt nicht zusteht. Kreativität ist ja da, nur die Umsetzung auf bizarre Art kommerziell und ordinär.
Ich empfinde alles als sehr unkontrolliert, nicht exakt. Und die Aussage stimmt bei den meisten nicht—was schade ist. Ich hatte vor drei Jahren ein Meeting mit IMG. Die laden jedes Jahr einen internationalen Designer ein, der dann in Berlin seine Schau macht. Ich habe versucht, zu erklären, was ich unglaublich schlecht finde. Das ist denen aber scheißegal. In Deutschland gibt es keine übergeordnete Organisation, wie in Paris die Fédération française de la couture oder in Mailand, da gibt’s auch Ähnliches: eine Organisation, die über den ganzen Vermarktern steht. Und die entscheidet—wer macht eine Show? Wer darf in den Kalender? Wann macht der seine Show? Und so weiter. In Berlin steht der Vermarkter an erster Stelle. Siehst du denn eine Zukunft für Berlin als Modestadt? Du hast deine erste Silent-Kollektion hier präsentiert.
Das ist, wovon ich eben erzählte. Als ich damals von IMG gefragt wurde, kam es für mich nicht infrage, hier meine Show zu zeigen. Die Hauptlinie passt nicht nach Berlin. Die Lösung war, eine kleine Party zu machen, für Silent. Die Kollektion passt natürlich viel besser nach Berlin als meine Hauptlinie. Weil sie städtischer ist, jünger und einfacher. Ich finde auch, dass sich Berlin zu einer wundervollen Kunststadt entwickelt hat. Es ist total schade und für mich unverständlich, warum sich die Mode nicht mit der Kunst zusammentut. Es wirkt so, als wolle Europa immer amerikanischer werden und Amerika immer europäischer.
Was wir—als Brand, und vielleicht auch allgemein als europäisches Brand—an den Amerikanern bewundern, ist dieses Talent, was das Marketing betrifft und den Vertrieb. Wenn du siehst, wie viele junge Labels drüben so schnell nach oben gekommen sind—und wie lang und wie zäh das alles auf der anderen Seite in Paris läuft—dann ist das schon beneidenswert. Gleichzeitig gibt es natürlich einige junge amerikanische Designer, denen es nicht mehr genug ist, nur Marketing zu betreiben: irgendeinen Scheiß zu verkaufen. Sondern die auch immer mehr nach Europa, nach Paris schauen und kreativ sein wollen. Nebenbei präsentiert Damir hier einen Strickpullover aus dem (noch nicht ganz) anstehenden Winter. In erster Linie aber inspiziert er ein Teil aus derselben Kollektion—Details sind wichtig.

Empfindest du das als positive Entwicklung, dass beide Kontinente gewissermaßen auf ihren Gegensatz hinarbeiten?
Das hat natürlich seine Vor- und Nachteile. Andersrum ist es eben schade, dass sich alles immer mehr einander anpasst—und wir wahrscheinlich irgendwann alle gleich sind. Du hast in deiner neuen Herrenkollektion zum ersten Mal ein Karomuster verwendet. Das hat für mich etwas grundsätzlich Amerikanisches, ich habe direkt an klassische Flanellhemden gedacht.
Das Thema der Kollektion war neue Eleganz. Und Sachen zu verbinden, die eigentlich nicht zusammengehören. Wahrscheinlich war dieses Karo nicht so speziell—aber in meinem Fall dann doch wieder sehr. Ich glaube, da gibt’s wirklich nur Leute, die es hassen, oder Leute, die es lieben. Eine Meinung dazwischen gibt es wohl nicht. Für mich ging es schon die letzten zwei, drei Saisons darum, mein eigenes Feld zu entwickeln. Und aus dieser Gothic-Box rauszukommen, in der ich gesessen habe—mit Rick Owens, Ann Demeulemeester und so weiter. Gerade bei dieser Kollektion gibt es einen Bruch mit dem, was du vorher gemacht hast. Natürlich gab es eine Entwicklung. Aber jetzt bist du in eine eher klassische Richtung gegangen.
Dieses Jahr war ein Statement, was das Tailoring betrifft. Wenn du den ersten Look betrachtest—der die Kollektion für mich am besten beschreibt: Das war eine Kombination aus einer Jogginghose, einem Hemd, was ein T-Shirt sein könnte, einer klassischen Jacke und einer Überjacke. Also dieses sehr „informelle“ Kleiden. Für mich ist das ein junger Städter, der wahrscheinlich sehr dynamisch ist und sportlich aktiv. Einer, der viel arbeitet und in seinem Job erfolgreich ist. Und natürlich geht’s mir darum, meine eigene Welt und meinen Typus mehr und mehr zu etablieren. Für mich ist die Konsequenz einfach, in diese Richtung weiterzugehen. Die Marke Damir Doma durchläuft ohnehin gerade eine große Entwicklung. Im vergangenen Jahr hat deine große Boutique in Paris eröffnet.
Mein Traum war von Anfang an, ein junges, neues Modehaus zu etablieren. Es gibt natürlich Marken wie Rick Owens, die das geschafft haben. Aber darüber hinaus gibt es in Paris ganz wenige, die das Ziel erreicht haben, aus einem Designer ein Brand zu machen. Für Werte zu stehen, für eine eigene Silhouette, und so weiter. Mir ging es von Anfang an darum, ein eigenes Modehaus aufzubauen. Du hast vorhin gesagt, die Kollektion verkaufe sich sehr gut in Amerika, besonders in L.A. Gibt es Pläne, sich dahin zu erweitern?
Dieses Jahr macht in New York der Dover Street Market auf, mit dem wir bereits in London und in Tokio eng zusammenarbeiten. Insofern werden wir dort sicherlich etwas machen. Dann ist L.A. natürlich spannend für uns. Das ist eine Stadt, wo die Kollektion sehr gut funktioniert, wo auch viel Geld vorhanden ist—und insofern auch viele potenzielle Kunden. Woran arbeitest du jetzt gerade?
Die Show ist gerade vorbei. Die zwei Wochen davor sahen für mich so aus: Silent—Styling Mens. Silent—Styling Womens. Silent—Shooting Womens. Silent—Shooting Mens. Pre-Collection—Styling. Pre-Collection—Casting. Pre-Collection—Shooting. Mens—Styling. Mens—Fitting. Menswear Show. So zog sich das dahin. Und jetzt habe ich genau einen Monat bis zur Frauenschau. Du bist echt stark in deine Marke involviert. Viel stärker als andere Designer.
Ich bin noch immer nicht an dem Punkt, an dem ich Sachen abgeben kann—ich will es auch nicht. Ich habe zwar drei Assistenten, aber das meiste mach ich noch selbst. Ich glaube, Sachen abzugeben und dann nur noch von außen zu lenken, das geht erst ab einem bestimmten Zeitpunkt. Wenn der Markenkern steht, wenn alles verfestigt ist. Wenn wir irgendwann alle dieselbe Idee haben von Damir Doma—dann kann ich mich wohl ein wenig zurücklehnen. Aber solange das noch nicht so ist, muss ich es selber machen.

Fotos von Sarah Brück