Das Berliner Oktoberfest wurde erst richtig gut, als ich meine Beine nicht mehr spüren konnte

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Das Berliner Oktoberfest wurde erst richtig gut, als ich meine Beine nicht mehr spüren konnte

Wir haben versucht, so viele Berliner Oktoberfeste abzuklappern wie möglich und sind kläglich gescheitert. Aber wir hatten verdammt viel Spaß.

Fotos: Jermain Raffington

Es ist das wohl bekannteste Massenbesäufnis der Welt. Seine Erkennungsmerkmale: Blau und Weiß, Dirndl, Lederhosen und Brezn. Überdimensionale Dekolletés, ein Berg, an dem man sich zum Kotzen trifft und Volksmusik. Oans, zwoa, gsuffa´-es ist wieder Oktoberfestzeit, und sogar in ganz Österreich und der Schweiz heißt es auf einmal: Wir sind alle Bayern. Das hat weniger mit aufrichtiger Liebe zu den Süddeutschen zu tun als mit handfesten wirtschaftlichen Gründen.

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Jedes Jahr beschert die echte Wiesn der Gastronomie exorbitante Umsätze. Alleine 2013 war es fast eine Milliarde Euro. Klar, dass andere Städte versuchen, auf diesen Zug mit aufzuspringen. Ob „Original Dortmunder Oktoberfest" oder die Wiener Wiesn-überall kann man Menschen in Dirndl oder Lederhose bewundern.

Auch in Berlin zieht somit bayerisches Brauchtum ein. Für diese Zeit wirst du auf einmal nicht mehr auf typisch Berlinerisch angepflaumt, was zur Hölle du trinken möchtest, sondern mit einem gequält wirkenden „Servus, was darf's sein?" dazu eingeladen, dir einen reinzustellen.

Keine Frage, es gibt mittlerweile ein Überangebot an Oktoberfestmöglichkeiten in Berlin. Wir haben wir uns gefragt, wer eigentlich auf solche Feste geht-und ob man für ein richtiges Wiesn-Feeling vielleicht gar nicht nach München fahren muss. Berliner Oktoberfeste im Selbstversuch.

Mit ordentlich Durst in der Kehle und etwas Skepsis im Bauch machten wir uns also auf zur ersten Lokalität. Es war das Hofbräuhaus an der Karl-Liebknecht-Str. 30. Ein Riesending, der Geschäftsführer Björn Schwarz spricht von 3.000 Sitzplätzen, glauben wir ihm das mal. An diesem Nachmittag waren bestenfalls zwölf belegt. An einem Tisch saßen sieben Russen und eine Russin, und wie alle anderen Gäste aßen sie mehr, als dass sie tranken. Wir bestellten unsere erste Maß, und weil dieser Gerstensaft mit 6,3 % eine Basis braucht, gleich ein „Zigeuner-Schnitzel" von der Mittagskarte mit dazu. 5,50 Euro, da kann man nicht meckern. Auf der Wiesen bekommst du dafür einen Schlag an den Hals und bestenfalls eine Runde im Auto-Scooter.

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Das Hofbräuhaus

Das Essen kam, grundsolide, es war Freitag, 15:30 Uhr, und schon im Hofbräuhaus stand fest: Berliner Oktoberfeste sind nicht die Münchner Wiesn. Wir bestellten noch eine Maß, hofften, dass so die Zeit schnell vergehe und wir bei der nächsten Location mehr erleben. Next stop: Berlin Alexanderplatz. Ja, dieser Tage bekommen selbst die Wahrzeichen der Hauptstadt eine bayrische Identität übergestülpt.

Das bedeutet: eine Oktoberfest-Hütte, Live-Kappelle im Biergarten, Fahrgeschäfte, Hau den Lukas, Paulaner Oktoberfestbier (die Maß für 8,40 Euro) und überall Fähnchen mit blau-weißem Rautenmuster. Nur die Menschenmassen fehlten. Trotzdem wurden noch genug Touristen angespült, um den Ortswechsel als eine Steigerung zu empfinden. Wir bestellten die dritte Maß und allen Erwartungen zum Trotz wurde unsere Stimmung besser. Der Alkohol macht Dinge möglich. Wir freundeten uns mit zwei obdachlosen Jungs aus Litauen an, fuhren mit ihrem Mini-Board barfuß Slalom durch die Menge, verloren im Armdrücken gegen Kölner Junggesellen, gewannen als Trostpreis trotzdem Bier und hielten mit irischen Polizisten innigste Oden darauf, das James Joyce gewiss der Größte ist, unsere Herzen aber für Seamus Heaney und Dylan Thomas bluten.

Aber wie wir so da standen, umarmt und von alten Helden beflügelt, fiel uns auf, dass wir langsam weiter mussten. Mit fünf Maß im Rücken und neu gewonnenen Freunden machten wir uns auf den Weg zur nächsten Station. Auserkoren war die Spreewiesn direkt am Hauptbahnhof. Vorher aber wollte Jermain noch mal ,kurz' telefonieren. Ich nutze die Gelegenheit, um ein McDonalds-Menü zu essen und mich beim Kaufhof kurz pennen zu legen. So gestärkt und vom hauseigenen Security höflichst aufgeweckt, machten wir uns auf zum besagten Zielort.

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Dort angekommen war endlich das entfesselt, was wir suchten: die bayrische Hölle. Das Festzelt voll, die Leute auch, die Hälfte auf den Bänken oder Tischen, Schweiß, Gesang, ausnahmslos alle in Lederhosen oder Dirndln, nur wir Deppen in Jeans, Air Jordans und Lederjacken. Und obwohl dort alle sonst nur in Dekolletés oder ihre Krüge starrten, machten sie bei uns eine Ausnahme. „Wie ein Depp siehst du schon aus" oder „Ist dein Dirndl noch in der Wäsche?" flog uns von überall entgegen.

Die wohlverdiente Hä­me hatte aber immerhin den Vorteil, dass wir dadurch mit den Leuten ins Gespräch kamen. Und so ergaben sich viele wundervolle Dinge. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass fußballgroße Silikonbrüste weicher sind, als man glauben würde. Und dass Frauen, die an einem Abend ein Dutzend fremde Köpfe in ihre Titten drücken, trotzdem einen Mann daheim haben können, der auf sie wartet und den Kabelfernseher für sie anschließt.

Ich fragte die drei Schönheiten, wie sie das moralisch vertreten könnten.

„Na ja, wir machen ja nichts mit den Kerlen. Und wenn die so blöd sind und darauf reinfallen?"

„Worauf?"

„Na, auf Getränke ausgeben und so."

Der älteste Trick der Welt, könnte man sagen.

Ich gratulierte den Damen zu ihren bisherigen Erfolgen, holte mir ein paar Busserl ab und machte mich wieder an mein kurz in Vergessenheit geratenes Bier. Bei der sechsten Maß war uns allen klar, dass wir nirgend mehr woanders hingehen würden. Zum einen, weil wir gefunden hatten, wonach wir suchten. Zum anderen, weil unsere Beine nur noch als Deko zu gebrauchen waren. Auf eine mir unerklärliche Weise schaffte Jermain trotzdem einen sauberen Absprung, ich hingegen trudelte noch circa eine Stunde im bayrischen Wahnsinn umher, bis auch bei mir die notwendigsten Körperfunktionen ihre Arbeit wieder aufnahmen und mich kurz vor zwölf ins heimische Bett manövrierten.

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Unser Fazit? Ja, du kannst auf Berliner Oktoberfesten Freude haben, aber dafür musst du deinen Körper derart in den Grenzbereich fahren, dass der Alkohol dich fast schon lähmt. Es sei denn, du stehst natürlich auf das ganze bayrische Elend. Dann gehts auch nüchtern.