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Sex

Das erste Mal an der Leine: German Fetish Ball

Latex, Plateauschuhe und kriechende Sklaven. Doch die ausufernde Orgie fehlte.

Latex, Plateauschuhe und kriechende Sklaven—vor kurzem fand in Berlin der German Fetish Ball statt. Ein krasses Undergroundevent würden viele wohl denken, der GFB ist aber inzwischen Mainstream. Der Höhepunkt des dreitätigen Kink-Marathons wird mit einem Ball zelebriert. Neben Show und Spiel treffen Hunderte Fetisch-Enthusiasten aus allen Ecken Deutschlands zusammen. 600 Kilometer sind da keine Entfernung, um die neusten Outfits—für die oft mehrere Monate angespart werden—in der Szene vorzuführen. Verächtlich geschaut wird auf jene, die nur in Strapsen oder eben Textil erscheinen. Das war für mich Grund genug, mich in diesen Exzess zu wagen. Auch wenn ich kein teures Latexgewand trug, sondern nur ein Fake-Lackkleid aus einem dieser Nutten-Klamottenläden für Teenies. Das erste Mal in devoter Rolle, aber geht ja um Fetisch.

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Während am Abend die schwüle Luft drückt, ist es am Kreuzberger Spreeufer sogar kühl. Nur im Innern des Backsteingebäudes steht die Hitze in äquatorialen Celsiusgraden. Dabei riecht es penetrant nach Gummi, wie mein Begleiter betont. Nicht angekokelt, vielmehr als seien Kondome an der Decke als Raumerfrischer aufgehängt. Von den Wänden strahlen eklektische Sequenzen mit fickenden Menschen. Konventionelle Pornos geben wildem Sub-Dom-Hardcore den Vorzug. Alles ein wenig enttäuschend.

Früher fanden sich die Latex-Liebhaber noch in den Katakomben unter der Warschauer Brücke zusammen, sagten Freunde noch am Abend zuvor, auch wenn ich es von damals nicht kenne. Mir sind mehr die regulären Berliner Events bekannt. Etwas mehr Roheit, mehr Underground würden dem GFB guttun. Heute sind dagegen die Kanten abgeschliffen, und es wird eine stattliche Halle mitsamt Bar im Wasser vom Spindler und Klatt angemietet.

Geraucht wird draußen, dort wo vor Showbeginn auch alle sind. Schwarze und gelegentlich auch rote Roben bestimmen die Farbskala der Szene. Der Anblick ist grotesk, aber Augen gewöhnen sich schnell. Nur meine können die Silhouetten kaum erfassen. Allein die Vorbereitung für den Abend führte zu (Vor-)Spielereien und dann … ging die Brille entzwei. Jetzt müssen zu schwache Kontaktlinsen der Mitbewohnerin herhalten (ein Dank an alle Notapotheken ohne Ausstattung für halbblinde Berliner). Wenigstens hält der Begleiter die Leine fest und lässt so den Radius klein—verloren gehen unmöglich!

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In kleinen Gruppen stehen sie herum, zurecht gemacht in ihren Ponykostümen mit Gesichtsmasken oder auch eine halbe Konfektionsgröße zu engen Latexkleidern und zugeschnürten Korsetts. Von hinten sind Frauen und Männer oft nicht zu unterscheiden. Korsetts und Mieder—übergeschlechtlich. Hier auf dem GFB kennt sich die Szene. Begrüßt wird mit Bussi auf den Mund, den Aperol Spritz in der Hand. Dennoch sind auch Frischlinge dabei. Den ungeschriebenen Dresscode lassen sie jedoch nicht außer Acht. Man will ja dazu gehören. Wie das Stuttgarter Paar, das wir auf der schwimmenden Bar antreffen. Ihre Catsuits sitzen auf die Erhebung eines Leberflecks passgenau. „Wir haben uns Zentimeter für Zentimeter abgemessen und die Kleider ohne Schnittmuster diese Woche gemacht“, erzählt er. „Latex kann man in Bahnen kaufen, dann haben wir losgeschnitten und einfach alles zusammen geklebt.“ Trotz zwei Reißverschlüssen einmal am Nacken und dann über die Muschi; der Einstieg in die Festtagsuniform barg Probleme für sie: „Er musste mich unter dem Arm festhalten und dabei den Catsuit hochziehen.“ Passgenau in Gummi wie ein Kondom. Bei ihm ging das Überstülpen des widerstandsfesten Kostüms nicht glimpflich aus: Am Oberarm prangt ein münzgroßes Loch. Zunehmen, das geht wohl nicht, wenn einmal ein Outfit im Schrank hängt. Bei ihr zeichnet sich zwischen ihren Brüsten an den durchsichtigen Stellen ein Schweißfilm ab. Einen Abend in nicht atmungsaktivem Plastik abfeiern, es ist kaum vorstellbar. Alleine mein leichter Polyesterfummel führt bereits zu Schweißausbrüchen.

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Auch mit Ferdinand aus Hamburg kommt schnell ein Gespräch auf. Er ist glücklich, dass sein neuster Kauf auch sitzt. Stolz dreht er sich um die Achse auf handhohen Absätzen. Allerdings bleibt das Latex um die Nippel der aufgeblasenen Brüste seines Female-Devil-meets-Sci-Fi-Kostüms stumpf. Ein winziger Produktfehler: „Ich habe mich von meiner Freundin mehrmals einreiben lassen, denn Latex muss richtig mit Silikonöl poliert werden, um zu glänzen.“ Die Freude nimmt es ihm jedoch nicht. An Ferdinand wird meine Leine übergeben. Er soll aufpassen, während Bier geholt wird. Die Aktion, angeleint den Abend zu verbringen, war spontan und stellt sich als überraschend gut heraus. Sogar berauschend. Es ist mehr ein subtiles Lenken als ein dominantes Kommandieren von meinem Begleiter. Ein Zugehörigkeitsgefühl, das alleine durch ein schmales Stück Leder geschaffen wird. Sicher in den halbfremden Händen des Bekannten. Jede flatterhafte Berührung wird unweigerlich zu einer Bestätigung. Die Leine lässt mich danach lechzen. Nur der Instinkt nach mehr wird nicht erfüllt werden. „Ich werde auf dich acht geben, mehr aber nicht!“

Die Show beginnt. In Tippelschritten, durch geringe Beinfreiheit der hautengen Roben, staksen die Gestalten in die Halle Richtung Laufsteg. Schwere Brüste wippen über zu Wespentaillen geschnürten Unterbrustkorsetts.

„Latex ist the girl’s best friend“ versucht sich die Moderatorin des Abends, die schwedische Modelsängerin Kari Berg, mit einer burlesqueangehauchten Eröffnungsnummer. In Schweden ein Star, wirkt sie auf der Bühne wie ein Laie. Dann werden die Europäischen Fetish Awards an Designer verliehen. In einer Zeremonie im Zeitraffer und dröge und akustisch unverständlich rauscht die Verleihung vorbei. Jeder wartet auf den Höhepunkt: Die Fashion Shows. Und die sind verdammt beeindruckend! Wir stehen am Rand. Mit den wenigen Dioptrien auf der Netzhaut hätte ich sonst keine Sicht auf die Show. Futureske Wesen schreiten auf und ab. Gehüllt in obskure Rococco-Gewänder aus, wie es scheint, goldenem oder silbernem Metallgeschenkpapier. Abgelöst von anmutigen Damen, die sich bis auf ein buchstäbliches Feigenblatt entblößen, um dann als Jungfrauen im rituellen Kampf von Monstern vergewaltigt zu werden. Grandiose Inszenierungen, die bis zu Pastel-Romantik-Kitsch mit Luftballons reichen: Alleine für diese Shows hat es sich gelohnt zu kommen.

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Was sich großspurig Ball nennt, kommt mir dann doch mehr wie Modenschau mit anschließendem Rumgehopse vor. Und wie so oft in der Szene stehen bildhübsche Frauen im Arm eines kargen alten Mannes mit Plauze. Zwei Russen posieren für unsere Kamera. Sie sind wie viele bei diesem Schaulaufen angegeilt von der Aufmerksamkeit eines Fotografen. Jeder hier ist sein eigener Avatar, in einer Welt, in der das Selbst zu Hause bleibt. Und auch bei uns fand der Rollenwechsel statt—nur zugeben wollen wir nicht, dass ein Schaubild produziert wurde.

In der sauerstoffarmen Halle steht angestrengt lässig oder tanzt, was in der Szene Rang und Namen hat. Von Designern, Fotografen und Dominas bis zu Veranstaltern ritueller Kinkevents. Ich werde in die tanzende Menge gezogen. Angeleint fällt tanzen sogar leichter als angenommen. Nur das Halsband kratzt.

Frauen-Teufel Ferdinand grüßt uns kurz darauf. Samt Freundin sind sie nahe der Treppe zum Spielbereich mit Gynstuhl und Käfigen positioniert. Wie sich wohl seine Latex-Titten anfühlen? Wir berühren, was sich eigentlich wie feste Luftballons anfühlt. Dabei muss ich an das Vorglühen für den KitKat Club die Nacht zuvor denken. Ein Bekannter hatte sich Silikoneinlagen in den BH gesteckt und einen Umschnalldildo mit knallblauem Kondom aus der Lederhose heraus ragen lassen. Seine Brüste fühlten sich mehr wie Wackelpudding in eine Frischhaltefolie gepackt an. „Oh ja, an den erinnere ich mich auch noch—und vor allem seinen ulkigen Schwanz“, sagt Ferdinands Freundin, „der wippte bei jedem Schritt mit.“ Auch sie waren, wie wohl die meisten, im KitKat. Wo sonst geht Kink aus, um zu feiern. Die offiziellen Play-Partys des Wochenendes sollen recht schnell wieder leer gewesen sein. Dildos—gerade bei Männern—scheinen ein neuer Trend zu sein. Männliche Models tanzen extatisch mit hörnerartigen Umschnalldildos in pornöser Größe, die sie vorher auf dem Catwalk mit Stoßbewegungen zur Schau stellten.

Dagegen geht es auf der Spielwiese selbst um drei Uhr nachts noch recht züchtig zu. Ein bisschen Spanking, Erniedrigung, Fisting und Männer bekommen an die Brüstung gelehnt Blowjobs: die ausufernde Orgie fehlt. Dieses Jahr stellt der GFB das erste Mal eine Play-Area mit latexbezogenen Betten und Spielutensilien. Das Angebot erscheint mir mickriger und vor allem auch dreckiger als in gewöhnlichen Swingerclubs. Dennoch kostet der Abend über 50 Euro. Und das ohne Rabatte als Mitglied von Fetish-Onlinecommunitys. Nach vier Uhr schrumpft die Gemeinde. Entweder wird ins Berghain weiter gezogen oder in andere Clubs. Von der Treppe der Spielwiese über die Floors bis zum Ausgang liegen dann doch benutzte Kondome verstreut. Inzwischen hat es geregnet und die Luft ist wieder kühl.

Fotos: Gergana Petrova