FYI.

This story is over 5 years old.

Reisen

Das nicht existente Land

Ganz am Rand der ehemaligen Sowjetunion, im letzten Winkel Osteuropas, hat man den Zerfall des sowjetischen Reichs immer noch nicht wirklich verkraftet. Seit 1990 hat sich ein kaum beachtetes Gebiet zwischen der Ukraine und Moldawien isoliert und lebt...

Ganz am Rand der ehemaligen Sowjetunion, im letzten Winkel Osteuropas, hat man den Zerfall des sowjetischen Reichs immer noch nicht wirklich verkraftet. Seit 1990 hat sich ein kaum beachtetes Gebiet zwischen der Ukraine und Moldawien isoliert und lebt seither in einer Welt, in der Lenin noch immer das Haus rockt.

Es hat seine eigene Grenzkontrolle, Pässe, Währung und alles was man normalerweise braucht um ein richtiges Land zu sein, inklusive einer Bevölkerung, die doppelt so groß ist wie die von Island. Seine sowjetischen Referenzen sind einwandfrei: es funktioniert als korrupter Führer-Kult und wird von Waffen-schmuggelnden Verbrechern regiert, die dir eher die Visage wegpusten werden als Marx zu zitieren. Bisher wird seine Unabhängigkeit von niemandem anerkannt und deshalb ist es kein richtiges Land. Sein Name ist Transnistrien aber für den Rest der Welt ist es einfach nicht existent.

Anzeige

Ich bin letzten September mal nach Transnistrien gefahren um seinen 20. Jahrestag zu feiern und mit Waffenschmugglern und Attentätern rumzuhängen, die von Interpol gesucht werden.

Transnistriens Geburtstagsparty hatte alles aufgefahren, was bei keinem guten diktatorischen Großereignis fehlen darf: Kriegsveteranen und Regierungschefs trugen die Flagge würdevoll zum Podium, ein Großaufgebot an Kindern hielt Transparente und führte choreografierte Gymnastik-Übungen vor, Festwagen holperten vorbei und die jungen Hoffnungsträger des Staates standen oben auf den Panzern.

Für eine kleine Fake-Nation sind das verdammt viele Soldaten…

Und militarisierte Heinzelmännchen..

Und pubertäre Boxer.

Wir waren nicht ganz sicher was da los war - aber jemand den wir fragten sagte, dass dieser Balkan-Zorro den westlichen Imperialismus repräsentieren soll. Vielleicht hätte der westliche Imperialismus die anderen nicht mit so viel Scheiße zugeschüttet wenn der Osten aufgehört hätte, ihn wie der coole von der Schule aussehen zu lassen, nur weil er bei allen Partys in Bluejeans aufkreuzte.

Einer der Gründe, warum Transnistrien so stolz und selbstbewusst durch die Gegend springt und sich seine unrechtmäßigen moldavischen Besitzer vom Hals halten kann, ist der riesige Vorrat an Waffen, den sie auf einem Hügel irgendwo im Norden verstecken- ein nützlicher Vorrat, auf dem sie sitzen, seit die Sowjetunion zerfallen ist.

Anzeige

Das Land wird von Igor Smirnov regiert, einem ehemals unbedeutenden russischen Fabrikbesitzer, der am falschen Ort zur richtigen Zeit einen Job an Land gezogen hat- und es sich damit ermöglicht hat, am Tag der Gründung Transnistriens 1990 die Macht zu ergreifen.

Das da oben in dem schicken grauen kurzärmeligen Anzug ist Igor. Trotz des Looks, der sich unvorteilhaft zwischen Dennis Hopper, Ming und Del Boy ansiedelt, hat sich Smirnov einen Personenkult um seine Bedeutsamkeit als Freiheitskämpfer der Region gebastelt. Gleichzeitig hat er seine eigenen, dynamischen Gesetze geschaffen, um die Macht über Transnistriens industrielle Ressourcen und erfolgreiche staatseigene Unternehmen an seine Söhne zu vermachen.

Bilder dieses widerlichen Typen pflastern die Straßen von Transnistriens Hauptstadt Tiraspol als permanente Erinnerung an seine uneingeschränkte Herrschaft. Die meisten Einwohner Transnistriens sind geübte, letztendlich aber politisch absolut unbeteiligte Patrioten und mögen im Allgemeinen lieber nichts Schlechtes über ihn sagen.

Der vielleicht einzige Weg aus diesem Dilemma ist ihre Vorliebe, sich zu betrinken. Nach dem Mittagessen sind sie normalerweise schon wahnsinnig betrunken und jeder Abend ist bei ihnen wie Neujahr. Nachdem Igors Podium wieder auf den Truck verladen war, wurden ein paar ukrainische und moldawische Bands angekarrt, um die Leute in Tiraspol zu unterhalten.

Anzeige

Wenn du denkst, ein Popstar in Europa zu sein ist deprimierend, überleg mal wie selbstmordgefährdet du dich erst fühlen wirst wenn du in einer moldawischen Superband spielst, deren einzige Fans in einem Land wohnen, das nicht wirklich existiert.

Wir sind in einem Club gelandet, der auf Euro-Pop scheißt und zur Freude einer Horde Chicken-Wings fressender, fetter Männer einen Trance-Remix aus „Wonderful Life“ von Hurts raushaut. Es war ziemlich offensichtlich, dass es sich dabei um die Typen handelt, die hier die gesamte Party schmeißen (Golduhr + Chicken Wings = Mafia). Da waren außerdem jede Menge großer blonder Frauen die direkt ausgerastet sind als sie erfahren haben, dass wir nicht aus einem erfundenen Land kommen.

Was schätzt du, wie gerne die beiden aus Transnistrien raus wollen?

Unbedingt!

Moldawien und die Ukraine machen regelmäßig ihren Anspruch geltend und überlegen sich diverse belanglose Wirtschaftssanktionen gegen Transnistrien, um damit die ohnehin dauerhaft festgefahrenen Verhandlungen um den Status der Region zu behindern, während die Menschen aus Tiraspol und Transnistriens Umland langsam die Auswirkungen dieser Isolation zu spüren kriegen. Die Leute beschwören immer wieder ihre Liebe zum Vaterland - aber sie wissen auch, dass ihre Jobchancen begrenzt sind und ihnen langfristig keine andere Hoffnung bleibt, als von dort zu verschwinden.

Die meisten Transnistrianer sind scharf darauf nach Russland abzuhauen und sprechen sehnsüchtig von ihren Verwandten, die den Sprung geschafft haben und dort drüben erfolgreich sind. Das könnten sie selber nur schaffen wenn sie an einen russischen oder moldawischen Pass kommen. Die transnistrianischen Pässe, die ihnen vom Staat ausgestellt wurden, sind im Rest der Welt ungültig – genau wie die transnistrianische Monopoly-Währung.

Nächste Woche im zweiten Teil treffen wir die von Interpol gesuchten multinationalen Verbrecher, die in Transnistrien alles am Laufen halten. Whoop!

FOTOS: HENRY LANGSTON UND ALEX HOBAN