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Europawahl 2014

Wie die Rattenfänger, Pardon, Mitglieder der Jungen NPD auf Wählerfang gehen

Die Junge NPD sucht ganz in der Tradition des großen Bruders ihr Glück vor allem in Selbstmitleid und Verharmlosung.

Durch die Abschaffung der 3-Prozenthürde Ende Februar stellt sich bei der kommenden Europawahl nicht mehr die Frage, ob Parteien wie die NPD überhaupt Sitze bekommen, die Frage ist, wie viele. Vielleicht ist es rein logisch und moralisch betrachtet auch gar nicht so schlecht, dass alle Parteien aufgrund unseres Demokratieverständnisses gleich behandelt werden sollen. Das heißt, natürlich solange sie nicht verboten werden. Der Verbotsantrag gegen die NPD läuft schon seit Ende 2013, aber bis das ganze entschieden wird, stehen der Partei, ob wir wollen oder nicht, die gleichen Rechte zu wie allen anderen auch. Grund genug, um dem jungen Arm der Partei etwas auf den Zahn zu fühlen. Ich wollte wissen, wie sie versuchen, junge Wähler erst zu ködern und dann an sich zu binden. Ein Telefonat mit Julian Monaco, dem stellvertretenden Landesvorsitzenden und Geschäftsführer der Jungen Nationaldemokraten, später weiß ich jetzt, dass die Junge NPD ganz in der Tradition des großen Bruders ihr Glück vor allem in Selbstmitleid und Verharmlosung sucht. Die Basis so ziemlich jedes NPD/JN-Arguments ist nämlich die, dass den armen Deutschen Unrecht angetan wird—wahlweise von der Politik der BRD, der EU, den Ausländern, den Linken, den Muslimen, den Kinderschändern oder wem auch immer—und sie lediglich versuchen, sich davor zu schützen bzw. dagegen zu wehren. Und sobald dieses dann als verfassungsfeindlich oder volksverhetzend deklariert wird, geschieht schon wieder Unrecht, weil die NPD/JN „diskriminiert“ wird. Aber auch wenn ich eigentlich davon überzeugt bin, dass doch jeder selbst merken muss, wie hanebüchen und eindimensional ihre Parolen sind, gehen sie—leider mit Erfolg—vor allem bei jungen Männern, die in strukturschwachen Gebieten Frust schieben, auf Wählerfang. Hier ein Überblick der wichtigsten Strategiesäulen der Jungen NPD.

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NPD-Aufmarsch in Berlin, Foto: Grey Hutton

PROBLEMBEWUSSTSEIN SCHAFFEN AKA SELBSTMITLEID SCHIEBEN 

Das mit Abstand größte Problem junger Menschen in Deutschland sieht Monaco in der Perspektivlosigkeit der Jugend. Landflucht, Jobmangel und Strukturschwäche sind natürlich reale Probleme. Allerdings findet Monaco in typischer NPD-Manier schnell die—seiner Meinung nach—wahren Ursachen: Entfremdung, Liberalisierung, Ellbogengesellschaft und „Identitätskampf“. Um das ganze mit einer emotionalen Botschaft aufzuladen und bildlich darzustellen, spricht er von Schulhöfen, auf denen man sich als deutscher Jugendlicher nicht mehr wohl fühlen könne, weil man nicht unter „Seinesgleichen“ sei. Als ich aufgewachsen bin, galt noch die Weisheit „Wenn du dich wie ein Arschloch benimmst, hast du irgendwann keine Freunde mehr“, aber was weiß ich schon?

JUGENDCLUBS UND SPORT, AKA DIE RATTENFÄNGER VON JAMEL

Die JN bietet Jugendlichen Versammlungsräume und Treffpunkte an in Form von Jugendclubs und anderen Räumlichkeiten. Monaco beschreibt diese Angebote als Orte, wo sich Jugendliche treffen, einen festen Freundeskreis aufbauen und zusammen Sport machen oder grillen können. So weit, so idyllisch. Seit Julian Monaco aber in Delmenhorst 2010 in die Führungsriege der JN aufgestiegen ist, gab es laut DIE LINKE-Abgeordneter Pia-Beate Zimmermann einen sprunghaften Anstieg von „Sachbeschädigungen, Drohungen, gewalttätigen Übergriffen und versuchten Brandanschlägen neonazistischer Gruppen und Einzelpersonen, vor allem auf alternative und antifaschistische Jugendliche aus der Region.“ Weiter schreibt sie: „Am 3. Juni 2010 kam es zu einem Zwischenfall, bei welchem nach Augenzeugenberichten mehrere bekannte Personen der rechten Szene versucht haben sollen, zuerst mit einem Auto eine Gruppe Jugendlicher anzufahren, und dann mit Holzlatten, Teleskopschlagstöcken und Reizgas auf die Gruppe Jugendlicher losgingen. Dabei soll ein Angreifer einer Person eine Holzlatte auf dem Kopf zerschlagen haben, sodass diese im Krankenhaus behandelt werden musste.”  Ein kausaler Zusammenhang lässt sich der niedersächsischen Landesregierung zufolge natürlich nicht beweisen. Eigentlich beweisen doch gerade solche Urteile bzw. Ermittlungsergebnisse, dass der Rechtsstaat im Sinne der Demokratie fair mit der NPD umgeht und ihr nicht um jeden Preis etwas „anhängen“ will. Am Selbstmitleid ändert das wenig, die NPD sieht sich trotzdem als permanentes Opfer des Rechtsstaats und versucht seit einiger Zeit, [in verschiedenen Verfahren](http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-klage-der-npd-wahl-des-bundespraesidenten-auf-dem-pruefstand/9466752.html ) die BRD mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

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Fackellauf in Schneeberg, Foto: Björn Kietzmann

VERBRÜDERUNG MIT RECHTEN AUS GANZ EUROPA

Da die großen rechten Parteien wie Front National und FPÖ bereits ihre eigene Koalition planen, sucht die JN die Nähe zu ihren Äquivalenten (sprich, den kleinen Miniparteien rechts außen, die in ganz Europa für sich beanspruchen, für das Volk zu sprechen, aber in Wirklichkeit nur einer Minderheit von intoleranten Nationalisten aus dem Herzen sprechen). Vielleicht haben sie die Weisheit „Never underestimate the power of stupid people in large groups“ verinnerlicht und wollen gemeinsam stark sein. Jedenfalls wurde Ende März zum ersten Mal seit den 90er Jahren wieder ein „Europakongress“ abgehalten. Parteien und Jugendorganisationen aus ganz Europa kamen im thüringischen Kirchheim zusammen, um eine Art pan-europäischen Megastammtisch zu veranstalten, bei dem sich alle mal auskotzen konnten über Dinge wie die „gleichgeschaltete Medienlandschaft“, eine „Androgenisierung der Geschlechter“ und natürlich das Lieblingsthema der NPD, die „schleichende Überfremdung“. Der Rechte Sektor aus der Ukraine und die Goldene Morgenröte aus Griechenland durften leider nicht anreisen, dafür gab es Stargast Nick „sink immigrants’ boats“ Griffin, Anführer der britischen BNP, der in der Vergangenheit wiederholt wegen Hassverbrechen und Aufstachelung zum Rassenhass angeklagt und einmal auch deswegen verurteilt wurde.

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DIE DREI P—POLEMIK, PROVOKATION UND PRÄSENZ

Auch die JN ist natürlich nicht von vorgestern und hat längst geschnallt, wie wichtig Social Media ist, und steckt deswegen bis auf Ausnahmen wie das kürzlich gefasste Nazi-Krümelmonster mittlerweile weniger Energie in Dinge wie die berüchtigten Schulhof-CDs. Trotzdem setzen sie nach wie vor auf Präsenz vor Ort, erzählt Monaco. Ihr neues Ding ist die „Wortergreifung“, was so viel bedeutet, wie auftauchen, wo man nicht erwartet wird, und allen auf den Sack gehen, indem man dämliche Parolen skandiert, wie z.B. in Hellersdorf und Schneeberg. Des Weiteren versuche die JN natürlich, den stetigen Wandel der Subkulturen nachzuvollziehen, man könne heute zum Beispiel nicht mehr mit dem „Finger auf einen Anhänger der JN zeigen und sagen: ‚Hier, das ist ein Nazi, das ist einer von der JN.’” Als ich Monaco daraufhin frage, ob sich die JN mit imagemäßig eher ungünstigen Aktionen wie dem Verteilen von Kondomen mit dem Aufdruck „Für Ausländer und ausgewählte Deutsche“ nicht irgendwie ins eigene Fleisch schneidet, bezieht er sich wieder auf die tragenden Säule der JN-Strategie: Selbstmitleid und Schönreden. Volksverhetzend und beleidigend seien solche Sachen nicht, die Strafverfahren diesbezüglich seien schließlich eingestellt worden. Und wenn jemand beleidigend und verhetzend sei, dann doch wohl diejenigen, die die JN bei Kundgebungen mit Steinen beschmeißen. Klar, das eigene Scheißebauen dadurch zu begründen, dass andere auch Scheiße bauen, ist natürlich immer eine gute Idee. Und sowieso, meint Monaco, seien solche „kreativen“ Aktionen ja auch die einzige Möglichkeit, überhaupt auf die eigene Botschaft aufmerksam zu machen, wenn die Medien einen schon immer so in die gleiche Ecke drängen und diskriminieren.

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Wieder in Berlin, Foto: Björn Kietzmann

BILDUNG, AKA EINBILDUNG IST AUCH NE BILDUNG

Unter Bildung kann man sich bei der JN vor allem Workshops und Seminare vorstellen, bei denen es sich z.B. um die 40 Stützpunktleiter und Vorstandsmitglieder irgendwo ein Wochenende lang bequem machen, um sich in Themen wie Ausrichtung, Strategie und „Menschenführung“ fortzubilden. Die JN/NPD schafft das Unmögliche: Sie widerlegt die eigentlich unumstößliche Wahrheit, dass „Bildung“ den Horizont erweitert und schlau macht.

„WIR SIND JA KEINE RASSISTEN, ABER …“

Als ich von Monaco wissen will, welche Auslöser es für sein politisches Engagement gab, begründete er das mit dem massiven Kriminalitäts- und Ausländerproblem in seiner Heimatstadt Delmenhorst. Die Zahlen der Polizei sagen zwar das Gegenteil, aber Probleme liegen schließlich im Auge des Betrachters, nicht wahr? Härtere Strafen und eine niedrigere Toleranzschwelle nach amerikanischem Vorbild seinen seiner Meinung nach erstrebenswert, denn Deutschland sei einfach zu tolerant. Historische Verantwortung weist er von sich: „Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen in meinen 24 Lebensjahren. Ich weiß nicht, warum ich mir jetzt was ankreiden lassen sollte; und dann sagen sollte, ich müsste eigentlich … weil vor 100 Jahren. So denken wir nicht, nein!” Da hat jemand vor lauter Begeisterung fürs Vaterland irgendwie nicht so gut aufgepasst in deutscher Geschichte.

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Ein weiteres beliebtes Stilmittel: die kausale Zusammenwürfelung von Dingen, die nichts miteinander zutun haben. Funktioniert schließlich prima bei jeder bierseligen Stammtischrunde, ergo, eignet sich wunderbar für Plakate wie z.B. „Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma“ und „Maria statt Scharia“. Genau gesehen zeigt sich auch hier wieder die tragende Säule der Parteistrategie: Selbstmitleid. Monaco möchte doch nur, dass wir uns erst mal um die eigenen Probleme kümmern, um unsere „eigenen Großeltern und Rentner, die an der Rente zu knabbern haben“. Danach—wenn wir im Paradies leben würden, wie er lachend und betont großzügig sagt—könnte man ja immer noch schauen, was man für die Flüchtlinge tun könne und wofür man noch Geld übrig habe. Merke, der kleine Cousin des Selbstmitleids ist die theoretische Hilfsbereitschaft, die—natürlich aufgrund der harten Umstände des eigenen Lebens—erst dann zutage treten wird, wenn die Hölle zugefroren ist und alle Flüsse aufwärts fließen.

Die NPD in Neukölln, Foto: Björn Kietzmann

EUROPA IST SUPER, DIE EU IST DOOF

Obwohl die JN nach eigener Aussage eine „pro-europäische Partei“ ist, sagt Monaco, er stellt die Europäische Union massiv in Frage. Die Grenzen hochziehen wolle man natürlich nicht, das sei ja auch „polemisch“, und die JN sei sowieso für ein „solidarisches Europa“. Die EU sei aber nun mal ein „Demokratieapparat, der uns Dinge auferlegt, die der deutschen Nation schaden“. Kurz zusammengefasst meint er damit—wen auch sonst—die ganzen Sinti und Roma, die laut unabhängiger Stammtischrecherche systematisch unser Sozialsystem ausbeuten. Um das ganze aber wieder etwas abzuschwächen, schiebt er betont gutmenschlich hinterher, dass ihm der Import von ausländischen Fachkräften auf den Senkel geht. Die würden dann schließlich in den Heimatländern fehlen. Gemein.

ASYL IST SUPER, ASYLBEWERBER SIND DOOF

Beim Thema Asyl wurde das Gespräch etwas mühsam. Ich fasse also kurz zusammen. Die JN findet Asyl super, schließlich sollte jeder zivilisierte Staat Flüchtlinge aufnehmen können, die um ihr Leben fürchten. Allerdings treffe das nur auf 2 von 100 Bewerbern zu, womit er darauf anspielt, dass von 100 Anträgen im Schnitt 98 abgelehnt werden. Für diese zwei Bewerber habe er also vollstes Verständnis. Dass die anderen 98 es allerdings versuchen, ist ihm ein Dorn im Auge, „wir sind gegen diese 98% an Asylschmarotzern“. Wenn Menschen unter falschen Versprechen nach Deutschland geschleust werden, missbrauchen sie das deutsche Recht, sagt er. Den Widerspruch, dass er selbst davon spricht, dass diese Flüchtlinge es nicht besser wissen, weil sie oftmals falschen Versprechen von Schleusern aufgesessen sind und somit nicht absichtlich gegen deutsches Recht verstoßen, lässt er unkommentiert. Und in der typischen „Man wird es ja wohl noch mal sagen dürfen“-Logik scheint es deshalb wohl in seinen Augen auch OK zu sein, einfach mal vorm Asylbewerberheim aufzutauchen und alle mit Hass zu überschütten. Warum die Presse solche Auftritte dann als „Brandstifterfahrt“ tituliert, versteht er nicht. Ich schon.

Folgt Alice bei Twitter: @alicehartzer