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Campus, Sex und Ravioli

Unsere Zukunft schaut leider beschissen aus

Wäret ihr mit 50.000 Euro im Jahr zufrieden?

Es gibt nur noch den Erfolg oder das Totalversagen. Für unsere Zukunft existiert kein Mittelweg mehr. Wir werden entweder Hartz-IV-Empfänger oder CEO—und keiner von uns möchte Ersteres sein. Die FAZ beschrieb uns diese Woche als die „erste Generation überbehüteter Kinder“ und der Spiegel nennt unsere Eltern „Helikopter-Eltern“, die wie ein Helikopter ständig über uns kreisen, und uns von der Schule bis in die Uni behüten und beschützen vor der grausamen Welt da draußen. Leider können die über den Verfall der Tugend lamentierenden Journlaisten-Greisen die wahre Tragik unseres Daseins gar nicht erfassen.

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Der Mittelstand, den wahrscheinlch die etablierteren Journalisten und auch meine Eltern zelebrieren, wird an dem Tag endgültig wegerodiert sein, an dem wir auf den Arbeitsmarkt geschubst werden. Genau so dumm wie vorher, nur mit einem Bachelorabschluss in der Hand. In Anbetracht dieser trostlosen Zukunft unterteile ich meine Kommilitonen nur noch in zwei Gruppen: Die verhätschelten Ego-Kinder und die Verzweifelten. Der Übergang ist fließend und am Ende des Paradies Studium kommen wir warhscheinlich alle triefend nass am Ufer der Verzweifelten an.

Die Ego-Kinder

Bereits als ich die Universität bei den Erstsemestereinführungstagen betrat, fühlte ich mich fehl am Platz: Ich war einer der Wenigen, die die Eltern nicht mitgebracht hatten. Ich reihte mich also etwas verunsichert in die Sitzreihen des großen Hörsaals zwischen den „Kindern“ und den Eltern ein und wurde Zeuge eines Naturschauspiels. Meine zukünftige Professorin verkündete die Regeln der Universität: „Sie sind alle freiwillig hier. Sie kommen oder lassen es sein und es interessiert mich auch nicht, ob Ihr Hund krank war oder ob Sie verschlafen haben, weil Sie die Erasmus-Party so toll fanden. Wenn Sie öfters als zwei Mal fehlen, dann fallen Sie durch, so einfach ist das. Sie brauchen mir auch keine Krankmeldung zu bringen.“ In diesem Moment meldete sich eine besorgte Mutter und rief erbost: „Das ist ja eine Frechheit, was ist, wenn meine Tochter wirklich krank ist?“ „Dann interessiert mich das auch nicht“, lautete das Urteil meiner Professorin, „es wird Zeit, dass Ihre Tochter in der Realität ankommt.“

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Für viele meiner Kommilitonen sollte das noch lange dauern. Wie unselbstständig manche waren, wurde mir im Laufe der Zeit klar, als sie mutterseelenallein in einer unbekannten Stadt nicht mal genau wussten, wie man einen Stundenplan erstellt. Im ersten Semester ist der Heimfahr-Heini derjenige, der sich nach dem Busen der Mutter sehnt und der fixen Idee verfallen ist, dass er seine Jugendliebe, die er während dem Abitur kennengelernt hast, eines Tages heiraten wird.

Als sogenanntes Ego-Kind verprasst du während dieser Zeit das Geld der Eltern für neue Gucci-Taschen und hältst dich dabei für den geilsten Shit, den die Schöpfung zu bieten hat. Verhätschelt von deinen Eltern, glaubst du, dass die Welt nur auf dich gewartet hat, und dir nach deinem Studium eine Position als Firmengründer von Facebook angeboten wird. Deine Eltern sind kaum weniger verblendet: Das eigene Kind ist das Premiumprodukt und sie würden alles tun, damit ihr kleiner Schatz Erfolg hat. Alternativen, oder etwa Mittelmäßigkeit sind dabei für dich nicht vorgesehen, darin sind sich sogar deine Mutter und dein Vater mal zur Abwechslung einig.

Im vierten Semester stand ich dann selbst hinter einem der Infostände der Erstsemestereinführungstage und verteilte Flyer für die Studentenzeitung. Die meiste Zeit war ich dazu gezwungen, mich mit solchen Satelliten-Eltern zu unterhalten, die Angst davor hatten, ihre „Kinder“ ungefiltert auf die Welt prallen zu lassen. Sie drehten sich daraufhin um und ermahnten ihre „Kinder“, wie gut es sich im Lebenslauf doch mache, sich bei einer Studentenzeitung zu engagieren. So hatte mein Vater zuletzt mit mir gesprochen, als ich zwölf war.

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Als mir die Herausgeberin der besagten Studentenzeitung später einmal verkündete, sie lese oder schaue keine Nachrichten, war ich nicht einmal besonders verwundert. Warum auch, es gibt nur Schlechtes zu vermelden. Die Welt geht bergab. Jeden Tag etwas Neues: Bankenkrise, Wirtschaftskrise, Jobs werden in die Scheinselbstständigkeit ausgegliedert, abgebaut oder befristet.

Dass beim Stichwort NSA-Überwachung keiner mehr schreit, ist wenig verwunderlich, es gibt Dinge, vor denen wir viel mehr Angst haben als vor der totalen Überwachung. Jeder von uns muss schauen, wo er bleibt. Nur ein paar Wenige können dem Leben als „Untermensch“ entkommen und erfolgreich sein. Wenn man das realisiert hat, was spätestens passiert, wenn die Eltern den Geldhahn zudrehen oder sich das Ende des Studiums nähert, ist man nicht mehr weit davon entfernt, zu einem der Verzweifelten zu werden.

Die Verzweifelten

Ich war bereits einer von ihnen, als ich mein Studium begann. Die meisten erreichen diesen Punkt spätestens im vierten Semester. Manche Ego-Kiddies erreichen ihn auch nie, weil sie ihre Angst vollkommen weggekifft haben und ihre Eltern ihnen so viel Geld in den Arsch blasen, dass sie vor lauter Konsumwut die Realität ausblenden. Die BAföG-Kids hingegen kennen das Studium gar nicht anders.

Nachdem ein Realschulabschluss schon lange nichts mehr wert ist und der Besuch einer Hauptschule quasi einem Todesurteil gleicht, drängen sich mit mir Tausende Studenten in die Hörsäle und Seminarräume, um etwas aus ihrem Leben zu machen, das sicherstellt, dass sie sich die neuste Generation des iPhones oder Samsung auch in Zukunft leisten können, wenn es nicht mehr von ihren Eltern bezahlt wird.

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Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand zum Studium geistig befähigt ist oder ihn sein Studienfach überhaupt interessiert. Die Wenigsten von uns haben überhaupt einen entfernten Bezug zu dem, was wir hier studieren. Die Gesellschaft, allen voran die Eltern, haben uns gesagt, wir müssten das tun. Für manche Eltern wäre es eine Schande, wenn das Kind nur eine Ausbildung machen würde, obwohl sie selbst Akademiker sind.

Ich fühle mich von meinen Kommilitonen manchmal ein wenig distanziert, da ich mein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht habe—also mich aktiv für den Weg zum Studium entschieden habe und nicht einfach so hineingerutscht bin. Meine Eltern gelten wohl als radikal, wenn man bedenkt, dass sie mir mit 14 rieten, lieber auf die Realschule zu wechseln, wenn das Gymnasium zu schwer für mich sei.

Die Meisten hingegen wurden vermutlich bis aufs Äußerste von ihren Eltern mit Nachhilfe gequält, nur damit sie auch das Abitur nach der 12. Klasse mit guten Noten abschließen und einen Elitestudienplatz bekommen.

Mein Professor fragte einmal zu Beginn einer Vorlesung: „Wer von Ihnen würde sich mit einem Jahresgehalt von 50.000 Euro zufrieden geben?“ Zwei meiner Kommilitonen meldeten sich in einem für 350 Personen ausgelegten Hörsaal, der von 500 Studenten belagert wurde. Der Professor sagte daraufhin „Interessant“ und ging zur Tagesordnung über. Ich sage jetzt mal, was er verschwiegen hat: Jedem Einzelnen fehlt der Bezug zur Realität. Das Durchschnittsgehalt eines Arbeitnehmers im Jahr 2012 betrug 28.950 Euro. Wenn wir bereits alle so verblendet sind, kann nur Trostlosigkeit auf uns warten.

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Einmal habe ich eine Veranstaltung besucht, die sich tatsächlich wissenschaftlich mit der Zukunft des Berufstandes des Journalisten beschäftigte. Was dazu führte, dass ich anfing, regelmäßig Alkohol zu trinken und meinen Kommilitonen dunkle Zukunftsvisionen ausmalte, in denen wir alle arbeitslos werden und die Hoffnung der Menschheit versiegt. Warum meine Freunde sich das mehrere Wochen lang angetan haben? Weil es vollkommen normal geworden ist. Viele werden irgendwann im Lauf des Studiums solch einen Zusammenbruch erleiden. Ich habe diesen Kreislauf des gegenseitigen Aufbauens schon hundert Mal erlebt.

Unsere Zukunft ist im Arsch

Wir leben in einer verqueren Welt, in der nur Trostlosigkeit auf uns wartet. Deshalb brauchen wir Eltern, die uns schützen. Revolutionen liegen uns fern, die Welt zu verändern, ist etwas für dumme Idealisten, die am Mindestlohnniveau dahinvegetieren. Wir wollen einen guten Job und sicheres Einkommen. Und jemanden, der uns diese Sicherheit vermittelt. Unsere Eltern brauchen wir, weil die Zukunft so bitter aussieht. Denn viel zu schnell schlägt unser Ego-Trip in Verzweiflung um.

Das System ist kaputt. Es gibt nur noch einen Weg zu entkommen: nicht durchschnittlich sein. „Der Arbeitsmarkt hat keinen Bedarf an mittelmäßigen Leuten. Das war früher vielleicht einmal so. Jetzt gibt es keinen Platz mehr für die meisten von Ihnen. Die wenigsten von Ihnen werden es schaffen“, sagte eine Dozentin eines Workshops als Begrüßung. Um an diesem Workshop teilzunehmen, musste man bereits ein Auswahlverfahren durchlaufen. Das Einzige, was ich bei diesem Workshop gelernt habe, war, dass ich in dieser Welt überflüssig bin.

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Was über den Verlust des Idealismus noch hinwegtäuschen kann, ist der Konsum. In Vorlesungen sitze ich mit mit meinen Kommolitonen wie Schaufensterpuppen mit iPhone in der Hand in Reih und Glied. Einer sieht aus wie der Andere. Desinteressiert spielen wir Candycrush. Die einzigen Gründe, hier zu sein, sind die innere Verpflichtung, die eigenen Eltern nicht zu enttäuschen, und der Mangel an für uns wahrnehmbaren Alternativen. Wofür das Studium? Für den Erfolg. Doch im besten Fall wartet ein unbezahltes Praktikum.

Wahrscheinlich war die Zukunft früher auch nicht besser als heute—aber damals haben es die Jungen wenigsten geglaubt. Wir hingegen haben unseren letzten Funken Hoffnung an unsere Eltern outgesourct.

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