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Den Roma aus Neuköllns Kleingarten-Slum droht die Obdachlosigkeit

In Neukölln leben Roma in verwaisten und verwahrlosten Gartenlauben im einzigen Slum der Stadt. Bald werden ihre Behausungen abgerissen werden. Den Menschen droht die Obdachlosigkeit, doch es möchte niemand für sie verantwortlich sein.

Die Überreste der stillgelegten Kleingartenkolonie in Neukölln. Die Abrissarbeiten stehen kurz vor dem Ende.

Stefan Klink* lehnt entspannt an seiner Gartenlaube. In der Kleingartenkolonie Alt-Ruhleben I in Neukölln hat er seit fast 25 Jahren eine Parzelle. Hierher kommt er, um zu entspannen. Sein Vater hat ebenfalls einen Garten nur wenige Meter weiter. Der Rasen ist frisch gemäht. Die Äste des vollbehangenen Pfirsichbaums krümmen sich bereits. Von der Parzelle nebenan schielen die Gartenzwerge hinüber. Ein richtiges Kleingartenidyll—eigentlich. Denn seit einigen Monaten machen Bagger die stillgelegte Gartenkolonie nebenan platt. Gebaut wird für die geplante Erweiterung der Stadtautobahn A100. Dass sich dabei auch eine menschliche Tragödie abspielt, haben die Kleingärtner nicht im Sinn.

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Die Hütten stehen alle offen. Privatsphäre ist hier kaum möglich.

Der Garten von Stefan Klink liegt auf einem aufgeschütteten Wall am äußersten Rand von Alt-Ruhleben I. Hinter dem Wall beginnt das Ödland der Baustelle. Auf dem knapp 500 Meter langen Streifen zwischen der Dieselstraße und der Kiefholzstraße stehen die verwaisten Lauben der ehemaligen Gartenkolonie. Die Scheiben sind eingeschlagen. Das Unkraut schießt zum Teil meterhoch aus dem sonst brachen Boden. Einige Hütten stehen windschief da, haben Löcher in den Dächern oder sind von Müllhaufen umgeben. Seit 2010 ist die Kolonie geschlossen. Zwischen den Buden führen Trampelpfade hindurch. Die meisten Lauben sind bereits abgerissen. „Die arbeiten ganz schön zügig hier. Die reißen teilweise gleich mehrere Hütten am Tag ab“, beschreibt Stefan Klink die Bauarbeiten. Auf der Baustelle ist der Zutritt verboten. Die Löcher und hochgeschobenen Durchschlüpfe in dem Maschendrahtzaun um die Baustelle weisen jedoch daraufhin, dass hier Ungebetene ein- und ausgehen. Tatsächlich haben sich im Frühjahr Rumänen in diesen Baracken niedergelassen—auch einige Deutsche leben hier. Die Berliner Zeitung schrieb vom „Slum von nebenan“. Inmitten der Hauptstadt wohnen hier Menschen unter unwürdigen Umständen. Es gibt keinen Strom, keine Heizung und kein Wasser.

Die Feuerstelle sorgt für warmes Essen.

Die meisten Rumänen, die hier leben, sind Roma. Sie sind auf ein besseres Leben hoffend nach Deutschland gekommen. Mittags sind sie unterwegs. Arbeiten oder betteln. Von ihrem kleinen Einkommen können sich viele keine richtige Wohnung leisten. Deshalb finden sie hier in den alten Baracken Unterschlupf. Mit ihnen zu reden, fällt schwer, da nur wenige Deutsch sprechen und sie zudem sehr scheu sind. „Die halten sich ganz zurück. Die wollen bloß nicht auffallen“, sagt Michael Richter. Er ist der Vorsitzende der Kolonie Alt-Ruhleben I. Seine Parzelle liegt gleich am Anfang der Kleingartensiedlung. Angrenzend daran befindet sich bereits die erste Baracke. „Die haben die mal als Toilettenhäuschen benutzt. Sanitäre Anlagen gibt es da drüben nicht. Da ist ja alles heruntergekommen“, erzählt Richter. Von seinen neuen Nachbarn bekommt er auch sonst nicht viel mit. Er sehe hin und wieder mal einige auf dem Gelände, wirklich stören täten sie ihn nicht, sagt er. Als Vorsitzender der Kolonie kümmert er sich auch um die Belange der anderen Kleingärtner. „Ich habe noch keine Beschwerden gehört. Als es so heiß war, kamen mal ein paar Rumänen rüber und haben sich bei anderen Gartenfreunden Wasser geholt. Einbrüche hat es aber noch nicht gegeben.“

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Nicht nur die Fassaden der Lauben waren drei Jahre lang der Witterung ausgesetzt, auch im Inneren fällt alles auseinander. 

In der Gartenkolonie Alt-Ruhleben I ist die Welt noch in Ordnung. Hinter dem Maschendrahtzaun und der rotweißen Schranke fühlen sich die Gartenfreunde wohl. In ihren Parzellen vergessen sie die Sorgen der Welt da draußen. Dass diese Welt allerdings gleich nebenan beginnt, scheint hier niemanden zu stören. Die Bagger schreiten jeden Tag weiter voran. Den Bewohnern der alten Lauben droht die Obdachlosigkeit. Doch nicht nur die Gartenfreunde scheinen sich wenig um sie zu kümmern. Auch die Behörden sehen sich nicht verantwortlich für die Menschen und schieben sich die Zuständigkeiten gegenseitig zu.

Auf provisorischen Betten aus alten Sofas und Polstermöbeln schlafen hier die Bewohner. 

Für die Erweiterung der A100 zeichnet sich die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verantwortlich. „Bereits letztes Jahr wurden weite Teile der Vegetation entfernt. Dann veranlasste der BUND einen Baustopp wegen Lurchen, Bäumen, Vögeln und so weiter“, erklärt Petra Rohland von der zuständigen Senatsverwaltung. Seit einigen Monaten gehen die Abrissarbeiten weiter. Diesmal aber richtig. Petra Rohland versichert: „Bis zum Winter werden wir alles geräumt haben.“ Die Bauarbeiten verzögerten sich ohnehin schon wegen der Roma.

Wasser gibt es hier nur aus Kanistern. 

„Wir können da im Moment nicht so schnell arbeiten, wie wir es geplant haben. Wir müssen ja erst schauen, ob da jemand in den Hütten ist oder nicht“, sagt sie. Was mit den Menschen anschließend passiert, kann Petra Rohland allerdings nicht sagen. Die seien ja auch illegal hier, sagt sie. Für sie steht fest: „Wir müssen da eine Autobahn bauen und keine Roma umsiedeln.“ Auch Cordula Simon sieht sich nicht zuständig für die Menschen. Sie ist die Europabeauftragte des Bezirks Neukölln. Die Rumänen in den Lauben sind schließlich auch EU-Bürger. Sie sieht ihre Hände allerdings gebunden: „Der Bezirk kann dazu nichts sagen. Das Gelände ist an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung übertragen worden. Das ist jetzt quasi Bundesgebiet.“

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Die Dächer sind bereits eingerissen, bald wohnt hier niemand mehr. Die Roma sichern schon jetzt ihre letzten Habseligkeiten.

Weder der Senat noch der Bezirk wollen also konkret Stellung zu dem möglichen Obdachlosenproblem nehmen. In ein paar Tagen sind die groben Abrissarbeiten beendet. Die Roma stehen danach ohne Dach über dem Kopf da. Spätestens dann rückt das Problem auch plötzlich ins Bewusstsein der Gartenfreunde von Alt-Ruhleben I. Michael Richter befürchtet: „Wenn die da drüben keine Hütten mehr haben, machen auch wir uns Sorgen, dass die plötzlich zu uns rüberkommen und die Lauben besetzen.“ Berlins Slum ist dann Geschichte. Die Menschen jedoch bleiben. Was mit ihnen passiert, spielt keine Rolle. Hauptsache die Gartenkolonie kann weitermachen wie bisher.

In Alt-Ruhleben I haben die Gartenfreunde bald wieder ihre Ruhe. Die neuen Nachbarn müssen dann schauen, wo sie bleiben. 

Fotos von Aljoscha Redenius

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