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Der ETH-Bibelgruppe erklärt ein Mathematiker, warum Gott existiert

Über die Freidenker schmunzeln sie bei der ETH-Bibelgruppe, aber beim Islam werden sie ernst.

Nicht nur an der PH gibt es Christen („Fischli"), sondern an jeder Hochschule—sogar an der ETH. So viele Hochschul-Bibelgruppen wie es in Zürich gibt, könnte „Churchhopping" Trendsportart werden. Wie bringen denn Studenten der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH, Leute aus der rationalsten Peergroup überhaupt, ihr Wissenschaftlerdasein mit christlichem Glauben zusammen?

Um das rauszufinden, besuchte ich den ETH-Zweig des VBG (Vereinigte Bibelgruppen Schweiz), der mit den Thema „Existiert Gott?" ins Semester startete und mit einem Pinup-Gretchen für sich wirbt.

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Bei der Ankunft erhalten wir einen Becher Rimuss. Etwa dreissig Leute genieren sich kollektiv und warten. Ich versuche, uns als Pressevertreter anzumelden, aber der Rimuss-Verteiler ist an Erstsemester-Zweifler gewöhnt und versteht nicht, was ich will: „Ja, ihr dürft sicher einfach mal ohne Verpflichtung schauen kommen." Immerhin gibt er die Foto-Erlaubnis. Mehr wollen wir ehrlich gesagt nicht. Als nächstes fragt mich Hanna, eine der Verantwortlichen, weshalb ich hier sei.

Ich frage sie nach den anderen Bibelgruppen und sie meint, dass es schon deutliche Unterschiede gebe zwischen dem VBG und etwa der katholischen Vereinigung und fügt an, dass bei vielen Bibelgruppen nicht klar sei, wer eigentlich dahinter stehe. Sticheln zwischen kirchlichen Angeboten. Ich mag das.

Die Fotografin hat es schwieriger. Ihr Objektiv ist zu gross, um glaubwürdiges Spielzeug für jemanden mit Tumblr-Neurose zu sein: „Für wen machst du diese Bilder?" „Was hast du für einen Zugang zu Gott?" „Bist du später noch da, dann können wir was trinken und reden?" „Ich bin vorsichtig. Wir hatten auch schon den Blick am Abend in der Hütte."

Als die Worship-Band beginnt, schalte ich in den Berieselungsmodus um. Danach führt eine PH-Studentin in die Andacht/Vorlesung/Celebration ein: „Ganz viele Fragen werden heute beantwortet. Fragen, die im Kleingedruckten beantwortet werden können. Viele Fragen, die Wissenschaft mit dem Glauben vereinbaren."

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Dann übernimmt Martin Herdegen, Mathematiker und Dr. sc. ETH Zürich: „Existiert Gott wirklich? Das ist eine entscheidende Frage der Menschheitsgeschichte. Tausende Millionen von extrem schlauen Leuten haben sich darüber den Kopf zerbrochen. Deshalb ist es ein Ding der Unmöglichkeit in einer halben Stunde darüber etwas Sinnvolles zu sagen."

Nachdem Herdegen klarstellt, was er hier eigentlich will („Ich werde keine Argumente gegen die Existenz Gottes bringen. (…)Es gibt hier in Zürich auch die Freidenker-Vereinigung. Das ist so die VBG für die Atheisten. (…)Da kann man auch hingehen. Es ist jedenfalls äusserst spannend."), beginnt ein Powerpoint-gestützer Gewaltmarsch durch die Aussagenlogik.

Immer wieder: Prämisse 1, Prämisse 2, Konklusion. Alle Argumente seien „keine Beweise. Es geht um Hinweise".

Jedes einzelne folgt diesem Scholastik-Schema (Nur so am Rand: Scholastik ist soo elftes Jahrhundert.):

Prämisse 1: „Alles was einen Anfang hat, hat eine Ursache. Das ist das Natürlichste, das ist die Grundannahme der Naturwissenschaften. Konsens ist, dass das Universum einen Anfang hat. Das war lange Zeit nicht so klar. In den 60er-, 70er-Jahren war die BigBang-Theory zunächst umstritten. Inzwischen hat man akzeptiert, dass das Universum einen Anfang hat."

Prämisse 2: „Die Ursache ist immateriell, denn Materie ist Teil des Universums. Und sie ist logischerweise ewig."

Konklusion: „Also gibt es etwas immaterielles Ewiges. Das könnte man Gott nennen. Das ist noch ziemlich weit entfernt vom christlichen Gott."

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Das ist ein herziges Gedankenspiel. Es ist auch erfrischend, dass es Popworship-Christen gibt, die ausnahmsweise Pro-Bigbang-Theorie argumentieren. Ein Zuhörer flüstert zu seinem Banknachbar: „Er ist halt Mathematiker." Das zweite Argument ist schon schwächer. Das besteht eigentlich nur aus dem Wunsch, dass es objektive Werte und Normen gibt.

Lustig sind die historischen Argumente. In den ersten zwei wird die Auferstehung „bewiesen". („Warum in aller Welt gibt es Leute, die die Auferstehung miterlebt haben? Ich meine, wenn die alle einen Gendefekt hatten, dann müsste der auch noch ansteckend sein.")

Das dritte ist dann „faktisch": „Dass die Kirche entstanden ist, ist historisch erwiesen. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten hat sich die christliche Religion in grossen Teilen des römischen Weltreichs ausgebreitet. Die Christen hatten keine Unterstützung von den Autoritäten, denn alle Christen wurden verfolgt. Die Leute reisen und predigen, obwohl sie verfolgt werden. Das ist recht überraschend."

Ich denke an Manichäismus, Kaiser Konstantin und das Konzil von Nicäa. Aber Dr. sc. ETH Zürich Herdegen nimmt ja kein historisches Expertentum für sich in Anspruch.

Eher unschön ist, dass Herdegen spritzig-selbstironisch über die Freidenker sprechen kann, aber beim Islam die Tonart wechselt: „Der Islam hat sich durch politische Gewalt ausgebreitet. Sie haben verschiedene Kriege geführt und die Unterworfenen haben die Religion angenommen. Also, das ist einfacher zu erklären als die Ausbreitung des Christentums."

Damit knüpft er an unrühmliche Obermänner seiner Vereinigung an: Wolfgang Hebeisen von VBG Schweiz. Der Herr schreibt für Ueli Schlüers Blatt Schweizer Zeit gegen die Islamisierung an. Richtig reinhauen darf Hebeisen bei Politically Incorrect: „Der Islam tritt als kompaktes, streng geregeltes System auf. Ständige Forderungen belegen klar, dass von Integration keine Rede sein kann: Eroberung heisst die Strategie. Der Humanismus der rot-grünen Systemparasiten und die verlogene Dialog-Heuchelei der offiziellen Kirchen haben dem Islam schlicht gar nichts entgegenzustellen!"

Leider habe ich das erst nach meinem Gottesbeweis-Abend erfahren und darum habe ich niemanden auf Hebeisen angesprochen, sondern bei Dr. sc. Herdegens Ausführungen geschmunzelt: „Persönliche Argumente sind viel stärker als die ersten beiden Argumentformen. Aber das kann man schlecht weitergeben. Wenn ich sage ‚Ah! ich hatte eine Begegnung mit Gott!' und erzähl das jemand anderem, dann sagt der ‚Ja, schön.'"

Am Schluss habe ich mich soweit in die in mir verwurzelte christliche Kultur eingekuschelt, dass ich meinen Sitznachbarn die Hand gebe und das „Vater unser" mitspreche.